BT-Drucksache 16/7191

Aktionsplan "Finanzmärkte demokratisch kontrollieren, Konjunktur und Beschäftigung stärken" - Aus den internationalen Finanzturbulenzen Konsequenzen ziehen

Vom 15. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7191
16. Wahlperiode 15. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,
Ulrich Maurer, Kornelia Möller, Dr. Herbert Schui, Sabine Zimmermann, Dr. Gregor
Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Aktionsplan „Finanzmärkte demokratisch kontrollieren, Konjunktur und
Beschäftigung stärken“ – Aus den internationalen Finanzturbulenzen
Konsequenzen ziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die aktuellen Turbulenzen auf den Finanzmärkten sind unmittelbar das Resultat
des Einbruchs auf den US-Hypothekenmärkten und des Versagens von Auf-
sichts- und Kontrollmechanismen. Banken konnten Lücken in der Finanzmarkt-
Regulierung nutzen und haben Risiken in Gesellschaften ausgelagert, die weit-
gehend unkontrolliert arbeiten und die insbesondere nicht unter die Banken-
aufsichts-Regeln fallen. Damit konnten auch die Mindestkapital-Vorschriften
gemäß den Baseler Regelungen umgangen werden. Zudem haben Ratingagen-
turen als Frühwarnsystem versagt. Ein Grund dafür ist neben einer grundsätz-
lichen Unsicherheit über die Zukunft ein systemischer Zielkonflikt. Denn die
Ratingagenturen liefern ihre Bewertungen im Auftrag und auf Rechnung derje-
nigen, die diese Produkte verkaufen wollen und daher an einer Unterschätzung
des Risikos interessiert sind. Aus gutem Grund obliegt dagegen zum Beispiel die
Prüfung und Zulassung neuer Medikamente nicht einer von Pharmaunterneh-
men bezahlten privaten Firma.

Das Ausmaß des Engagements auch deutscher Kreditinstitute im Markt der ver-
brieften Hypotheken ist ebenso wie die Auswirkung der US-Hypothekenkrise
auf die internationalen Finanzmärkte von Fachwelt und Politik weitgehend
unterschätzt worden. Die Folgen werden zum Teil erst in den nächsten Jahren
umfassend deutlich. Wegen der variablen Zinsen der Hypotheken-Verträge mit
unzureichender Besicherung (im „Subprime“-Sektor), die in den USA bereits
ca. 2 Billionen Dollar ausmachen, droht in 2008 und 2009 für Millionen ameri-
kanischer Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer eine Welle von Zwangsverstei-
gerungen.

Allerdings kann die Verantwortung für die Turbulenzen nicht nur den Akteuren
auf den US-Hypothekenmärkten oder unzureichenden Aufsichts- und Kontroll-

mechanismen zugeschrieben werden. Tatsache ist, dass erst die jahrzehntelange
Umverteilungspolitik von unten nach oben – verbunden mit einer internationa-
len Welle der Privatisierung der Alterssicherungssysteme – eine Situation ge-
schaffen hat, in der eine große Nachfrage nach Vermögenstiteln spekulative Ent-
wicklungen verstärkte. Erst die jahrzehntelange Deregulierungspolitik hat dazu
geführt, dass eine unüberschaubare Vielzahl von Finanzprodukten existiert, an-
gesichts derer offenbar selbst viele Fachleute den Überblick über die eingegan-

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genen Risiken verloren haben. Und erst die jahrelange Export-Orientierung der
bundesdeutschen Wirtschaftspolitik macht die Konjunktur- und Beschäftigungs-
entwicklung überaus abhängig von Exporten und privaten Investitionen, die
ihrerseits hochanfällig für Turbulenzen im Ausland sind. Darüber hinaus ist zu
betonen, dass der bundesdeutsche Aufschwung bereits vor dem Überschwappen
der Finanzturbulenzen ins Stottern geriet – wegen einer nachhaltig schwachen
Binnennachfrage, die Folge der gesunkenen realen Arbeitseinkommen und der
Mehrwertsteuererhöhung ist.

Sowohl die Finanzmarktpolitik der letzten Jahre, die einseitig auf Deregulierung
gesetzt hat, als auch die makroökonomische Politik, die einseitig das Ziel der
Exportorientierung und der Umverteilung von unten nach oben verfolgt hat, zei-
gen damit einmal mehr negative Auswirkungen. Es gibt heute nicht mehr Trans-
parenz, sondern mehr Intransparenz, nicht mehr Stabilität, sondern mehr Insta-
bilität im System. Zwar ist das Einzelrisiko breiter gestreut, aber die Risikoan-
fälligkeit des Gesamtsystems ist gewachsen. Eine Politik, die auf das Prinzip der
Selbstregulierung und der Freiwilligkeit von Kontrolle setzt, hat versagt. Wer so
bedeutende Akteure wie Hedge-Fonds ausschließlich einer nicht funktionieren-
den Selbstregulierung der Märkte überlässt, riskiert eine Ausweitung von finan-
ziellen Turbulenzen zu Finanzkrisen.

Es muss einen konsequenten Politikwechsel sowohl in der Finanzmarktpolitik
als auch in der Konjunktur- und Beschäftigungspolitik geben. Die Bundesregie-
rung muss sowohl auf nationaler als auf internationaler Ebene aktiv werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Aktionsplan vorzulegen, in dem konkrete Schritte zur Umsetzung der fol-
genden Maßnahmen enthalten sind:

1. Auf internationaler Ebene muss die Bundesregierung eine Vorreiterrolle bei
der Re-Regulierung der Finanzmärkte übernehmen.

a) Regulierungslücken auf den Finanzmärkten müssen geschlossen werden.
Das Baseler Regelwerk ist so zu überarbeiten, dass nicht nur Banken, son-
dern auch Finanzmarktakteure wie Kreditverbriefungs- und Zweckgesell-
schaften von ihnen erfasst werden. Zudem müssen makroökonomische
Risiken besser berücksichtigt und die Abhängigkeit der Mindestkapitaler-
mittlung von Ratingagenturen und bankinternen Risikomodellen reduziert
werden. Mit dem Baseler Regelwerk, das in allen großen Industriestaaten
gilt und in der EU durch eine Richtlinie umgesetzt wird, existiert ein inter-
nationaler Regulierungsrahmen, der von der Bundesregierung für eine
Initiative zu nutzen ist.

b) Öffentliche und unparteiische Ratingagenturen müssen geschaffen wer-
den. Solange es diese nicht gibt, ist die Bundesregierung aufgerufen, we-
nigstens eine Initiative für ein staatliches Zulassungsverfahren und eine
öffentliche Qualitätskontrolle für die bestehenden Ratingagenturen auf
den Weg zu bringen. Eine saubere Trennung des Beratungs- und Prüfungs-
geschäfts von Ratingagenturen, wie es auf dem Treffen der G7-Finanz-
minister Mitte Oktober diskutiert wurde, reduziert Interessenkonflikte und
ist eine überfällige erste Konsequenz aus den Finanzmarkt-Turbulenzen
der letzten Monate.

c) Darüber hinaus ist eine grundsätzliche Wende in der Finanzmarktpolitik
nötig. Dazu gehören u. a. die verstärkte Mindestkapitalpflicht für Ge-
schäfte von Banken mit Hedge-Fonds im Baseler Regelwerk und eine
Tobinsteuer, die kurzfristige Geschäfte unattraktiver macht und damit bei
Turbulenzen mehr Zeit zum Handeln schafft.

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2. Auf nationaler Ebene muss die Bundesregierung folgende Initiativen unver-
züglich auf den Weg bringen:

a) Die Praxis des Kreditverkaufs muss eingeschränkt werden. Kreditver-
käufe, die gegenwärtig in Deutschland auch ohne Zustimmung der Kredit-
nehmerin und des Kreditnehmers vorgenommen werden, sind auch aus
Verbraucherschutz-Gesichtspunkten abzulehnen. Mehr Transparenz allein
reicht hier nicht aus. Die von der Bundesregierung im Entwurf für das
„Risikobegrenzungsgesetz“ angekündigten Maßnahmen müssen dies be-
rücksichtigen.

b) Die Schwerpunkte der Geschäftspolitik der Landesbanken müssen so um-
orientiert werden, dass im Zentrum ihrer Geschäftstätigkeit die Unterneh-
mensfinanzierung steht, riskante Anlagen ohne strukturpolitischen Nutzen
vermieden werden und Landesbanken somit im Falle einer krisenbeding-
ten „Kreditklemme“ bei den privaten Banken mit die Finanzierung von
Unternehmen gewährleisten können. Die Bundesregierung muss diese ge-
samtwirtschaftliche und bundesweite Herausforderung erkennen und über
die Konferenz der Finanzministerinnen und Finanzminister entsprechende
Änderungen der relevanten Landesgesetze anregen.

c) Anlagemöglichkeiten von betrieblichen Pensionsfonds und von privaten
Altersvorsorge-Fonds in risikoreichen Finanzprodukten sind weiter einzu-
schränken. Den besten Schutz gegen von den Finanzmärkten induzierten
Verlustrisiken in der Altersvorsorge bietet weiterhin das umlagefinan-
zierte gesetzliche Alterssicherungssystem. Die gesetzliche Rente (erste
Säule der Alterssicherung) darf daher schon aus Gründen der syste-
mischen Instabilitäten der Finanzmärkte nicht weiter geschwächt, sondern
muss gegenüber der betrieblichen und privaten Altersicherung (zweite
und dritte Säule) wieder gestärkt werden.

d) Die Haftung von Unternehmens-Vorständen und Aufsichtsräten muss aus-
gebaut werden. Dies gilt insbesondere für die Haftung für falsche Kapital-
marktinformationen, wie im Entwurf für ein „Kapitalmarkt-Informations-
haftungsgesetz“ vorgesehen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, diesen
Gesetzentwurf, der auf Druck der Unternehmer-Verbände seit 2004 auf
Eis liegt, unverzüglich dem Bundestag vorzulegen.

e) Eine Börsenumsatzsteuer ist unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus
der Praxis in Großbritannien und den USA einzuführen.

f) Die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik muss eine Wende weg von einer
aggressiven Exportorientierung hin zu einer Binnenorientierung vollzie-
hen, die über Umverteilung auf eine hohe Konsumnachfrage und auf einen
hohen Anteil demokratisch bestimmter Wirtschaftstätigkeit setzt. Als ers-
ter Schritt ist im Haushalt 2008 ein Einstieg in ein beschäftigungsorien-
tiertes, mittelfristig ausgerichtetes Zukunfts- und Investitionsprogramm
vorzusehen.

Berlin, den 14. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten infolge der US-Hypothekenkrise haben
politischen Handlungsbedarf deutlich gemacht. Die Bundesregierung hat bis-

lang nicht die notwendigen umfassenden Konsequenzen für die Wirtschafts- und
Finanzmarktpolitik gezogen.

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