BT-Drucksache 16/7186

zu der Beratung der Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/4932, 16/6241- Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7186
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und deren Antwort (Drucksachen 16/4932, 16/6241)

Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen
zwischen der EU und Russland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Russland, dem größten und wichtigsten östlichen Nachbarn der EU, gilt die be-
sondere Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages. Notwendigkeit und Sinn
enger Beziehungen zu Russland stehen für den Deutschen Bundestag außer
Frage. Ihr Ziel ist eine strategische Partnerschaft bei der Lösung globaler Fragen
und der Kooperation auf allen Feldern von Politik, Wirtschaft, Kultur und
Wissenschaft. Dieses Ziel setzt das Vorhandensein gemeinsamer Werte, das
Bekenntnis zu ihnen und ihre gelebte Realität voraus.

Das unter Präsident Wladimir Putin errichtete politische System gibt allerdings
wenig Anlass zu Optimismus für die Herausbildung einer baldigen strategischen
Partnerschaft. Im Vorfeld der bevorstehenden Dumawahlen am 2. Dezember
2007 und der Präsidentschaftswahlen am 2. März 2008 bestätigt sich die be-
unruhigende Entwicklungstendenz des Landes während der Präsidentschaft
Wladimir Putins. Presse- und Meinungsfreiheit, ein pluralistisches Parteien-
system, Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Justiz, die freie Entfaltung der
Zivilgesellschaft werden durch eine zunehmend zentralisierte, auf die Präsidial-
administration konzentrierte staatliche Macht behindert und unterlaufen. Damit
geht einher eine zunehmend aggressive Politik auch gegenüber der Euro-

päischen Union und ihren Mitgliedstaaten, nicht zuletzt auf dem Gebiet der
Außenwirtschaft durch das Vorgehen der Regierung und staatlich kontrollierter
russischer Konzerne.

Beispiele hierfür sind:

● Änderungen der Parteien- und Wahlgesetzgebung, die durch ein Bündel von
Maßnahmen – darunter Anhebung der Sperrklausel für die Duma auf sieben

Drucksache 16/7186 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Prozent, Verfünffachung der Mindestmitgliederzahl für die Parteienregistrie-
rung, drastische Verschärfung der Unterschriftenprüfung für die Wahl-
registrierung von Parteien, Verdoppelung des für eine Wahlbeteiligung von
Parteien nachzuweisenden finanziellen Einsatzes – kleine Parteien wie die
„Republikanische Partei“ und Jabloko rechtlich massiv benachteiligen und
unabhängige Kandidaturen ausschließen.

● Benachteiligungen für nicht Kreml-genehme Parteien im Wahlkampf durch
willkürliche behördliche Behinderungen wie dem Zugangsverbot zu einem
für eine Wahlveranstaltung angemieteten Saal in Ufa für den ehemaligen
Ministerpräsidenten Michail Kasjanow oder die Beschlagnahmung von 14
Millionen Wahlbroschüren der „Union der Rechten Kräfte“.

● Direkte oder indirekte Kontrolle sämtlicher überregionaler elektronischer
Medien und großer Teile der Printmedien, wodurch unabhängige Berichter-
stattung systematisch unmöglich gemacht und gleichberechtigte Wahlkampf-
chancen verhindert sowie zugleich Kreml-nahe Parteien, insbesondere die
Präsidenten-Partei „Einiges Russland“, durch unerlaubten Einsatz staatlicher
oder staatlich kontrollierter Mittel erheblich begünstigt werden.

● Behördliche Einschränkungen der Wahrnehmung der Versammlungs- und
Meinungsfreiheit durch Anwendung weitgefasster Straftatbestände wie dem
Vorwurf des Extremismus, willkürliche Verbote und Behinderungen bis hin
zur gewaltsamen Auflösung friedlicher Demonstrationen und zu Festnahmen
möglicher Teilnehmer und Initiatoren im Vorfeld und wie solcher der Bewe-
gung „Anderes Russland“.

● Einschränkung internationaler Lang- und Kurzzeitbeobachtung von Wahlen
durch verspätete Einladungen an die OSZE und erhebliche Reduzierung der
Zahl zugelassener OSZE-Wahlbeobachter – dies vor dem Hintergrund von
Versuchen, die OSZE-Wahlbeobachtung durch Initiativen in der OSZE gene-
rell zu beschränken und die Wahlbewertungen dem Vetorecht im Ständigen
Rat der OSZE zu unterwerfen.

● Politisch beeinflusste Ermittlungen, Prozesse und Justizurteile sowie Ver-
stöße gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz wie in den beiden
Verfahren gegen Michail Chodorkowski, zugleich mangelnde Aufklärung
der zahlreichen Ermordungen und ungeklärten Todesfälle kritischer Journa-
listen wie Anna Politkowskaja.

● Behinderung der Zivilgesellschaft durch weitgehende Kontroll- und Geneh-
migungsvorschriften im Rahmen des NGO-Gesetzes, die besonders für klei-
nere und weniger erfahrende NGOs zu massiven Einschränkungen ihrer
Aktivitäten durch enormen bürokratischen Aufwand und damit einer großen
Belastung ihrer Kapazitäten führen.

● Pauschale, offensichtlich politisch motivierte Importrestriktionen wie im Fall
des Importverbots von aus Polen geliefertem Fleisch und die derzeitige Ver-
zögerung einer Lösung durch unangemessene Forderungen nach eigener
Kontrolle von EU-Lebensmittelstandards innerhalb der EU.

● Versuche von strategischen Investitionen des staatlichen russischen Erdgas-
monopolisten auf dem EU-Markt mit dem Ziel der schrittweisen Kontrolle
sowohl der Erdgaslieferung als auch der Produktion und des Vertriebs in der
EU bei gleichzeitiger Behinderung von aus der EU stammenden Investitio-
nen in der russischen Energieförderungsindustrie.

● Ausnutzung unterschiedlicher Prioritäten und Interessen einzelner Mitglied-
staaten der EU und von europäischen Konzernen, um bilaterale Vereinbarun-
gen über Investitionsentscheidungen von Energiekonzernen wie der ange-

kündigte Bau eines Gaskraftwerkes durch Gazprom in Lubmin am Endpunkt
der geplanten Nord Stream Pipeline und die Eröffnung eines Marktzugangs

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zu Großbritannien durch den Tausch von Beteiligungen an der Nord Stream
und Balgzand-Bacton-Pipeline mit dem Niederländischen Konzern Gasunie
zu Lasten der deutschen Beteiligten an der Ostseepipeline-Gesellschaft
Nordstream Eon Ruhrgas und Wintershall, die zeigen, dass das Nord Stream
Projekt nicht für eine Diversifizierung der europäischen Gasversorgung, son-
dern für eine monopolistische Infrastruktur Gazproms von der Produktion
über den Transport bis zum Endkunden geeignet ist.

● Die Ausnutzung geographischer Gegebenheiten für das Erzielen unangemes-
sener Geschäftsvereinbarungen wie im Fall der Lufthansa Cargo, die vom
russischen Verkehrsministerium durch Entzug der Überflugrechte zur
Zwischennutzung technisch ungeeigneter russischer Flughäfen anstatt der
bisher genutzten geeigneten kasachischen gezwungen werden soll.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● im Rahmen der OSZE auf quantitativ und qualitativ ausreichende Wahl-
beobachtung gemäß den Kriterien der OSZE zu drängen;

● den Versuch der Einschränkung der Unabhängigkeit der OSZE-Wahlbeob-
achterdelegationen durch Unterwerfung ihrer Bewertung unter das Vetorecht
des Ständigen Rates zurückzuweisen;

● im Europarat auf die Einhaltung dessen rechtsstaatlicher, demokratischer und
menschenrechtlicher Standards durch Russland zu drängen;

● bilateral und im Rahmen der Europäischen Union gegenüber Russland die
europäischen Wertenormen und ihre Anwendung im Verhältnis zwischen der
Regierungsgewalt und oppositionellen Parteien, Medien und Nichtregie-
rungsorganisationen einzufordern und sich dafür einzusetzen, dass diese
Werte zentraler Bestandteil des neu auszuhandelnden Partnerschafts- und
Kooperationsabkommens zwischen der EU und Russland werden;

● durch intensive Beobachtung politischer und politisch motivierter Strafpro-
zesse ihre Aufmerksamkeit für die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen zu
demonstrieren;

● im Rahmen der Europäischen Union auf eine gemeinsame solidarische Hal-
tung und Vorgehensweise gegenüber Russland, insbesondere zur Vorberei-
tung der Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen zu drängen;

● sich dafür einzusetzen, dass die Energiepartnerschaft mit Russland auf erneu-
erbare Energien ausgeweitet wird;

● sich auf EU-Ebene für eine abgestimmte ausreichende staatliche Kontrolle
der für die Daseinsvorsorge notwendigen Infrastruktur im Energieversor-
gungsbereich einzusetzen;

● sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die im neuen Reformvertrag be-
schlossenen Normen zur Energiesolidarität zu der Formulierung und Umset-
zung einer gemeinsamen EU-Energiepolitik führen.

Berlin, den 14. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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