BT-Drucksache 16/7038

Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen stärken

Vom 8. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7038
16. Wahlperiode 08. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen
Erwerbsbiografien und geringen Einkommen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) konnte lange Zeit als erfolgreiches
Modell der Lebensstandardsicherung und Bekämpfung von Armut im Alter an-
gesehen werden. Nach wie vor stellt sie die zentrale Säule der Alterssicherung
dar und genießt hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Ihre Prinzipien der Teil-
habeäquivalenz und des Solidarausgleichs haben sich bewährt. Die Rentenrefor-
men der letzten Jahre haben jedoch dazu geführt, dass eine Absicherung des
Lebensstandards im Alter nicht mehr gewährleistet ist und vielen Menschen
Altersarmut droht. Massenarbeitslosigkeit und der politisch forcierte Ausbau
des Niedriglohnsektors verschärfen die Situation. Immer mehr Menschen haben
Lücken in ihren Versicherungsbiografien und können nur unzureichende An-
wartschaften auf eine gesetzliche Rente aufbauen. Gleichzeitig wurden solida-
rische Ausgleichselemente in der gesetzlichen Rentenversicherung geschwächt,
etwa durch die Kürzung der Rentenbeiträge für Bezieherinnen und Bezieher von
Arbeitslosengeld II. Der Solidarausgleich in der GRV muss aber im Gegenteil
gestärkt und ausgebaut werden, damit auch Menschen mit durchbrochenen
Erwerbsbiografien und niedrigen Einkommen im Alter eine gesetzliche Rente
beziehen können, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. im Rahmen der Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu
einer Erwerbstätigenversicherung die Beitragsbemessungsgrenze bei gleich-
zeitiger Abflachung der damit verbundenen Rentensteigerungen schrittweise
an- bzw. längerfristig aufzuheben, um so finanziellen Spielraum für den
Solidarausgleich zu erhalten;

2. zur Schließung von Lücken in den Rentenbiografien

a) drei Jahre Kindererziehungszeit auch für vor dem 1. Januar 1992 geborene

Kinder bei der Rentenberechnung anzuerkennen,

b) für Personen, die Angehörige ehrenamtlich pflegen, Rentenanwartschaf-
ten zu verbessern,

c) für Schul- und Hochschulbildung wieder Anrechnungszeiten einzuführen
sowie schulische und berufliche Ausbildungszeiten wieder höher zu be-
werten;

Drucksache 16/7038 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. zur Kompensation niedriger Einkommenspositionen die Rente nach Mindest-
entgeltpunkten (§ 262 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI) zu
entfristen und weiterzuentwickeln, so dass Zeiten mit niedrigen Erwerbs-
einkommen eine Höherbewertung bei den Rentenpunkten erfahren und lang-
jährig Versicherte damit Aussicht auf eine Rente oberhalb des Grundsiche-
rungsniveaus haben;

4. den Beitrag, den die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (ALG II)
an die gesetzliche Rentenversicherung entrichten, deutlich anzuheben und
die Beitragsbemessungsgrundlage nicht als fixe Größe, sondern anteilig fest-
zulegen, damit der Wert der Beiträge mit der Dynamik wirtschaftlicher Ent-
wicklung Schritt halten kann.

Berlin, den 7. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die ausschließlich über Pflichtbeiträge erworbenen Anwartschaften auf die ge-
setzliche Rente spiegeln die (relative) Einkommensposition des Erwerbslebens
in die Nacherwerbsphase. Wer wenig verdient oder Lücken im Versicherungs-
verlauf aufweist, erhält auch eine geringere Rente. In Ergänzung dieses Prinzips
der Beitragsäquivalenz weist die GRV aber auch Maßnahmen und Instrumente
des Solidarausgleichs auf, die die Primäreinkommensverteilung und -struktur in
der Rente korrigieren. So leisten etwa Anerkennungszeiten für Kindererziehung
einen Ausgleich zugunsten von Personen, die wegen der Betreuung von Kindern
zeitweilig keine Erwerbsarbeit verrichten. In Zeiten der Arbeitslosigkeit werden
staatlicherseits Beiträge zur GRV geleistet, um die durch das mit abhängiger Be-
schäftigung verbundene Risiko der Erwerbslosigkeit entstehenden Lücken in
der Versicherungsbiografie abzumildern.

Manche dieser Ausgleichselemente sind in den letzten Jahren sukzessive abge-
schafft oder erheblich geschwächt worden, so etwa die Anerkennung von Zeiten
schulischer Ausbildung. Als Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge wurde
mit Zuerkennung dieser Zeiten (ursprünglich bis zu 13 Jahre) ein Ausgleich für
die mit einer Ausbildung verbundene Minderung der sozialen Absicherung des
betroffenen Personenkreises angestrebt. Mit den zuletzt durch das Rentenversi-
cherungsnachhaltigkeitsgesetz gekürzten Anrechnungs- und Höherbewertungs-
zeiten wird das Ziel der Bundesregierung, Bildung und Qualifizierung stärker zu
fördern, konterkariert. Gerade vor dem Hintergrund der nach wie vor ange-
spannten Arbeitsmarktlage erscheint eine Unterstützung voll ausgebildeter jun-
ger Menschen, die bislang noch keine Gelegenheit hatten, die Rentenversiche-
rung einzuzahlen, als dringend geboten. Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch wurde ein weiteres Element des Solidar-
ausgleichs deutlich geschwächt, indem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenver-
sicherung für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II von 78 Euro
auf 40 Euro gesenkt wurden. Damit werden während einer Langzeiterwerbs-
losigkeit kaum mehr Rentenansprüche erworben und das Armutsrisiko im Alter
hat sich erheblich erhöht.

Die solidarischen Ausgleichselemente in der GRV sind aber notwendig und ihr
Ausbau gesellschaftspolitisch geboten. Denn aufgrund der anhaltenden Massen-

arbeitslosigkeit weisen immer mehr Menschen durchbrochene Erwerbsbiogra-
fien auf. Auch können vor allem immer weniger Frauen darauf bauen, im Alter

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7038

über den Partner ausreichend abgesichert zu sein, und sind auf eine eigen-
ständige Alterssicherung angewiesen. Aufgrund von Kindererziehung oder der
Pflege von Angehörigen können die meisten von ihnen jedoch nach wie vor
keine geschlossenen Versicherungsbiografien vorweisen. Schließlich nimmt so-
wohl aufgrund der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse als auch durch den
politisch forcierten Ausbau des Niedriglohnsektors die Zahl der Beschäftigten
mit geringem Einkommen zu. Sie können unter den gegenwärtigen Bedingun-
gen auch bei langen Beitragszeiten kaum darauf hoffen, im Alter eine Existenz
sichernde Rente aus der GRV zu erhalten und sind damit auf die Grundsicherung
im Alter verwiesen.

Parallel zu Interventionen zur Regulierung von Niedriglohnbeschäftigung, ins-
besondere der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns,
sowie zu anderen Maßnahmen der Stärkung der gesetzlichen Rentenversiche-
rung wie sie dem Deutschen Bundestag an anderer Stelle („Die gesetzliche
Rentenversicherung zur solidarischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen“,
Drucksache 16/6440) vorgeschlagen wurden, gilt es daher, den Solidarausgleich
in der gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken. Versicherte mit durchbro-
chener Erwerbsbiografie und/oder niedriger Einkommensposition bedürfen der
Solidarität der Versichertengemeinschaft und der Gesamtgesellschaft, damit
auch sie im Alter eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen
können, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt. Dazu müssen Zeiten, in
denen aufgrund von Kindererziehung, Ausbildung oder Arbeitslosigkeit keine
Beiträge aus abhängiger Beschäftigung geleistet werden können, stärker An-
wartschaft begründend berücksichtigt und die Anwartschaften von ehrenamt-
lichen Pflegepersonen verbessert werden. Außerdem müssen langjährig Versi-
cherte mit niedrigen Einkommen bessergestellt werden. Dies sollte durch eine
Höherbewertung von Beitragsmonaten mit niedrigem Einkommen geschehen,
wie sie die Rente nach Mindestentgeltpunkten vorsah, die für Versicherungs-
zeiten bis zum 1. Januar 1992 galt. Hier wurden am Ende des Erwerbslebens
niedrige Anwartschaften um den Faktor 1,5 bis auf 75 Prozent des Durch-
schnittseinkommens angehoben. Der finanzielle Spielraum für den Solidar-
ausgleich kann durch die schrittweise an- bzw. längerfristige Aufhebung der
Beitragsbemessungsgrenze bei gleichzeitiger Abflachung der damit verbunde-
nen höheren Rentenanwartschaften geschaffen werden.

Mit der Weiterentwicklung der GRV zu einer Erwerbstätigenversicherung sowie
der Stärkung des Solidarausgleichs wird eine strukturell armutsfeste soziale
Erwerbstätigenversicherung für alle geschaffen, die das Armutsrisiko im Alter
minimiert und auf eine überschaubare Zahl „atypischer“ Lebens- und Erwerbs-
biografien begrenzt. Diesem verbleibenden Armutsrisiko muss mit dem Ausbau
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit zu einer armutsfesten
sozialen Grundsicherung begegnet werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.