BT-Drucksache 16/6929

Beschäftigungssituation Älterer verbessern - Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente sozial gestalten

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6929
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Katja Kipping, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Frank
Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Beschäftigungssituation Älterer verbessern – Übergänge vom Erwerbsleben
in die Rente sozial gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung feiert ihre vermeintlichen Erfolge bei der Verbesserung
der Beschäftigungssituation Älterer. Trotz leicht steigender Beschäftigungs-
quote ist diese aber nach wie vor schlecht und die Probleme Älterer auf dem Ar-
beitsmarkt drohen sich aufgrund der Altersstruktur der Beschäftigten sowie des
Auslaufens der so genannten 58er Regelung sogar wieder zu verschärfen. Dras-
tischer liest sich das im Kurzbericht Nr. 21/2007 des Instituts für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung, der feststellt, dass aufgrund des Eintritts der „Babyboo-
mer“-Generation in die Späterwerbsphase, die Heraufsetzung des Rentenalters,
die Beschränkung von Möglichkeiten des vorgezogenen Rentenzugangs sowie
geringer ausfallender Renten in den nächsten Jahren ein „enormer Arbeitsange-
botsdruck“ auf dem Arbeitsmarkt entstehen wird. Dieser birgt insbesondere für
Ältere das Risiko der Verdrängung in die Erwerbslosigkeit, Prekarität und Al-
tersarmut. Vor diesem Hintergrund ist und bleibt die Rente ab 67 Jahren grund-
falsch und wird absehbar zu sozialen Verwerfungen führen. Sie muss daher zu-
rückgenommen werden. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen
hat, um die Beschäftigungssituation Älterer zu verbessern, sind unzureichend
und gehen in die falsche Richtung. Gleichzeitig werden bewährte Instrumente
zur sozial verträglichen Gestaltung von Übergängen aus dem Erwerbsleben in
die Rente abgewickelt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Beschäftigungslage Älterer wirksam zu verbessern, indem ein wirt-
schafts- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept ergriffen wird, das auf
die Verbesserung des Kündigungsschutzes, des Arbeits- und Gesundheits-
schutzes und der beruflichen Weiterbildung abzielt, Modelle für alters- und
alternsgerechte Arbeitsplätze und für eine erneuerte Erstattungspflicht in der

Arbeitslosenversicherung im Falle von Entlassungen Älterer einbezieht
sowie für derzeit auf dem Arbeitsmarkt Chancenlose öffentlich finanzierte,
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermöglicht, die sich an tarif-
lichen Stundenlöhnen orientiert und einen Arbeitnehmer-Bruttolohn von
1 400 Euro nicht unterschreitet und die einen gesicherten Übergang in die
Rente darstellt;

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2. die Erhöhung der Regelaltersgrenze für den Bezug einer abschlagsfreien
Altersrente von 65 Jahren auf 67 Jahre zurückzunehmen;

3. Altersteilzeit im Block- und Teilzeitmodell bei Stellenwiederbesetzung auch
über den 1. Januar 2010 hinaus aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu
fördern;

4. Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbs-
leben ausscheiden müssen, den Zugang zu Erwerbsminderungsrenten zu er-
leichtern und diese vor dem 63. Lebensjahr ohne Abschläge zu gewähren;

5. kurzfristig das Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende
(SGB II) so zu ändern, dass ältere Erwerbslose weder faktisch noch rechtlich
gezwungen sind, Frührenten mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen.

Berlin, den 6. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Beschäftigungssituation Älterer ist nach wie vor schlecht. Nur 24,6 Prozent
derer, die in Rente gehen, kommen direkt aus einer sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigung (ohne Altersteilzeit) in die Altersrente (vgl. Brussig/Wojt-
kowski: Altersübergangsreport 2007-02, S. 6). Dieser Anteil sinkt nach Erkennt-
nissen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) seit über fünf Jahren,
während die verdeckte Arbeitslosigkeit bei Älteren zunimmt. Läuft die 58er Re-
gelung wie von der Bundesregierung geplant zum Ende dieses Jahres aus, würde
sich die Arbeitslosenquote Älterer deutlich erhöhen, wenn diese nicht zwangs-
weise in die Frührente ausgesteuert und damit nicht mehr als Arbeitsuchende,
sondern als Rentnerinnen und Rentner erfasst würden. Die Beschäftigungsquote
der über 55-Jährigen ist zwar auf 52 Prozent im Jahr 2005 angestiegen, liegt aber
immer noch deutlich unterhalb der Erwerbsquote aller Personen im erwerbs-
fähigen Alter (73,7 Prozent). Das Steigen der Beschäftigungsquote von Älteren
ist nach Erkenntnissen des IAQ außerdem zu einem guten Teil auf mehr Teilzeit-
arbeit und geringfügige Beschäftigung zurückzuführen. Differenziert man nach
„jüngeren“ Älteren und rentennahen Jahrgängen zeigen sich zudem gravierende
Unterschiede: Bei den Männern zwischen 55 und 60 Jahren sind in Westdeutsch-
land noch 73,4 Prozent, in Ostdeutschland noch 62,7 Prozent erwerbstätig. Bei
den 60- bis 65-Jährigen sind es dagegen nur noch 37,7 Prozent (West) und
29,3 Prozent (Ost). Die Arbeitslosenquote Älterer ist immer noch deutlich höher
als die der gesamten Bevölkerung. Nur 16 Prozent der 60- bis 65-Jährigen stehen
nach Angabe der Bundesagentur für Arbeit in einem sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigungsverhältnis. Vier von zehn Rentnerinnen und Rentnern gin-
gen 2005 mit Abschlägen in Rente, davon jede bzw. jeder Dritte mit maximalen
Abschlägen von 18 Prozent.

Wie sowohl das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung als auch das In-
ternationale Institut für Empirische Sozialökonomie feststellen, wird sich die
Arbeitsmarktlage Älterer im kommenden Jahrzehnt wieder verschlechtern, weil
die geburtenstarken Jahrgänge in die Spätphase des Erwerbslebens eintreten, in
der viele mit besonderen Problemen konfrontiert sind, während vorzeitige Über-
gänge in die Altersrente weitgehend versperrt sind. Vor diesem Hintergrund ist
und bleibt die Rente erst ab 67 Jahren falsch und wird zu erheblichen sozialen

Verwerfungen führen. Sie muss daher zurückgenommen werden.

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Die Maßnahmen, die die Regierung ergriffen hat, um die Beschäftigungslage
Älterer zu verbessern, sind unzureichend und zielen durch ihre Ausrichtung auf
Niedriglohnbeschäftigung und Kombilohnmodelle in die falsche Richtung. Das
Lohnniveau sinkt und für Ältere ist es noch schwieriger, einen angemessen ent-
lohnten Arbeitsplatz zu finden. Stattdessen sind Maßnahmen notwendig, die an
den tatsächlichen, vielfältigen Ursachen der schlechten Arbeitsmarkt- und Be-
schäftigungssituation Älterer ansetzen. Neben einer offensiven Beschäftigungs-
politik zur Steigerung der Arbeitsnachfrage ist es vor allem erforderlich, durch
verbindliche betriebliche Gesundheitsvorsorge und -förderung den gesundheit-
lichen Verschleiß und körperliche wie psychische Fehlbelastungen während des
Erwerbslebens zu reduzieren. Einem frühen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
kann dadurch entgegengewirkt werden, dass verstärkt Konzepte für alters- und
alternsgerechte Arbeitsplätze entwickelt werden, die Belastungsreduktionen,
aber auch Belastungswechsel durch Arbeitsplatzrotation vorsehen. Vor diesem
Hintergrund kommt auch der beruflichen Weiterbildung ein zentraler Stellen-
wert zu, da Beschäftigte nur durch eine kontinuierliche Anpassung ihres beruf-
lichen Wissens mit dem technologischen Fortschritt mithalten können. Um es
den Unternehmen darüber hinaus zu erschweren, ältere Beschäftigte zu entlas-
sen, ist es notwendig, den Kündigungsschutz dahingehend zu verbessern, dass
ab einem Lebensalter von 55 Jahren und einer Betriebszugehörigkeit ab zehn
Jahren ordentliche Kündigungen ausgeschlossen werden. Gleichzeitig muss die
Erstattungspflicht in der Arbeitslosenversicherung, die seit dem 1. Februar 2006
nicht mehr existiert, in Anlehnung an das österreichische Modell weiterent-
wickelt und wiedereingeführt werden. In Österreich werden Einstellungen von
Älteren honoriert, während Entlassungen zu einer Strafzahlung führen, die
in einen Fonds zur Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Integrationsprojekte
fließen.

Die Arbeits- und Lebenssituationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
werden immer differenzierter. Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, veränderte
Arbeitsbedingungen, gestiegene Anforderungen an Weiterbildung, veränderte
Arbeitsteilung innerhalb der Familie und unterschiedliche Lebensstile führen
dazu, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexibel, auch vor
Vollendung des 65. Lebensjahres, in den Ruhestand gehen wollen oder sich dazu
gezwungen sehen. Gerade die Altersteilzeit hat sich in der Vergangenheit als In-
tegrationsmodell für eine ausgewogene Altersstruktur in den Betrieben bewährt.
Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des Strukturwandels
in den Betrieben und trägt dazu bei, dass Beschäftigte gesund in den Ruhestand
gehen können. Das Instrument der geförderten Altersteilzeit muss deshalb ver-
längert und weiterentwickelt werden – sowohl in der Teilzeitvariante als auch im
bewährten Blockmodell. Auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen
sich an der Finanzierung der Altersteilzeit beteiligen. Gerade die Bekämpfung
der Massenarbeitslosigkeit sowie die Bewältigung des Strukturwandels in den
Betrieben sind Aufgaben, denen sie sich nicht länger entziehen dürfen.

Zudem ist Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Er-
werbsleben ausscheiden müssen, der Zugang zu Erwerbsminderungsrenten zu
erleichtern. Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente muss bereits dann ent-
stehen, wenn Beschäftigte nicht mehr in der Lage sind, ganztägig einer Erwerbs-
arbeit nachzugehen. Ferner sind die versicherungsmathematischen Abschläge,
die heute bei einer Inanspruchnahme dieser Rentenart vor dem 63. Lebensjahr
entstehen, abzuschaffen.

Durch das Auslaufen der so genannten 58er Regelung droht Langzeiterwerbs-
losen und Beschäftigten, die ergänzend Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch beziehen, ab Januar 2008 die zwangsweise Aussteuerung in
die Altersrente mit Abschlägen von bis zu 18 Prozent. Diese Zwangsverrentung

ist grundgesetzwidrig und widerspricht dem Ziel, die Erwerbsquote der Älteren
zu verbessern. Sie zwingt die Betroffenen Abschläge bei ihren häufig ohnehin

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niedrigen Renten für den Rest ihres Lebens in Kauf zu nehmen und nimmt ihnen
die Möglichkeit ihre Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt
durch Inanspruchnahme von Vermittlungs- und Arbeitsförderleistungen der
Bundesagentur für Arbeit zu verbessern. Deshalb muss eine Regelung getroffen
werden, die verhindert, dass Erwerbslose, die 58 Jahre oder älter sind, faktisch
oder rechtlich in eine Frührente mit Abschlägen gezwungen werden.

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