BT-Drucksache 16/6783

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/5100, 16/6780- Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6783
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Roland Claus,
Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten
Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/5100, 16/6780 –

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutz-
gesetzes wird das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 10. Januar
2006, das die inadäquate Umsetzung von EU-Recht durch das Bundesnatur-
schutzgesetz (BNatSchG) feststellte, nur unzureichend umgesetzt. Der vorge-
legte Entwurf verstößt erneut gegen die Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der
natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL:
Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie). Durch die vorgesehene Einführung der unbe-
stimmten Rechtsbegriffe „in der Regel“, „lokale Population“ und „ökologische
Funktion“ in das Naturschutzrecht würde eine erhebliche Rechtsunsicherheit
entstehen und der praktische Vollzug vor große Probleme gestellt. Ferner ist mit
dem Gesetzentwurf eine erhebliche Abschwächung des rechtlichen Schutzes der
nur national, aber nicht durch EU-Recht geschützten Arten verbunden, da die
Prüfkriterien des bisherigen § 62 BNatSchG abgeschwächt werden und die
neuen artenschutzrechtlichen Bestimmungen in den §§ 42 und 43 BNatSchG
anders als im geltenden Recht ausschließlich für die nach der FFH- und der
Vogelschutzrichtlinie geschützten Arten gelten sollen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen der Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches einen Gesetzentwurf
für das nationale Naturschutzrecht vorzulegen, der systematisch die Vor-

gaben der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie nach Geist und Buchstaben
integriert, und dabei alle rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
europarechtlich geschützte Arten und Gebiete in einem günstigen Erhal-
tungszustand verbleiben bzw. in diesen überführt werden. Zur effektiven Ver-
besserung des Artenschutzes sind dabei

Drucksache 16/6783 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● die Vorgaben des Artikels 16 FFH-RL zur Gewährung von Ausnahme-
genehmigungen von den Verboten nach Artikel 12 FFH-RL für die Stö-
rung oder Beeinträchtigung von Arten und deren Fortpflanzungs- und
Ruhestätten in Gänze gemäß der FFH-RL und den einschlägigen Urteilen
des EuGH als restriktiven Schutzmechanismus für europarechtlich ge-
schützte Arten umzusetzen,

● Befreiungen wie in Artikel 43 Abs. 8 BNatSchG-E für die Land-, Forst-
und Fischereiwirtschaft bei Anwendung einer guten fachlichen Praxis an
den Artenschutz im Sinne der Richtlinie zu binden,

● sich eng an den klaren Begriffsbestimmungen der Richtlinien zu orientie-
ren und keine unbestimmten Rechtsbegriffe zu verwenden, um Rechtsun-
sicherheit und Vollzugsprobleme zu vermeiden,

● verbindliche und nachvollziehbare Vorgaben für die nur national ge-
schützten Arten zu definieren, wobei die gefährdeten Arten einem stren-
geren Schutz zu unterwerfen sind, die aus Gründen der Rechtsverein-
fachung denen für die europarechtlich geschützten Arten angeglichen
werden sollten,

● die Rechtsgrundlagen für ein umfangreiches staatliches Monitoring im
Sinne der FFH-Richtlinie für alle geschützten Arten zu schaffen;

2. in Abstimmung mit den Bundesländern dafür Sorge zu tragen, dass das den
Artenschutz unterstützende Monitoring erheblich ausgeweitet wird und ge-
genüber den Bundesländern darauf zu dringen, dass die Naturschutzbehörden
in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben angemessen zu erfüllen.

Berlin, den 22. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
dient der Umsetzung des EuGH-Urteils vom 10. Januar 2006. Der Europäische
Gerichtshof hat darin festgestellt, dass mehrere Bestimmungen des deutschen
Rechts gegen Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie (Artikel 12 bis 16)
verstoßen. Vier der gerügten Bestimmungen betreffen das Bundesnaturschutz-
gesetz – dies soll mit dem Gesetzentwurf behoben werden.

Wegen der generellen Abschaffung der Rahmengesetzgebung und der damit
verbundenen Überführung des Naturschutzes und der Landschaftspflege in die
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Zuge der am 1. September 2006 in
Kraft getretenen Grundgesetzänderungen (Föderalismusreform I) erarbeitet die
Bundesregierung derzeit ein völlig neues Naturschutzgesetzes im Rahmen der
Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches. Dieses neue Naturschutzrecht kann nun
in vielen Bestimmungen über das bestehende Bundesnaturschutzgesetz hinaus-
gehen, indem es Vollregelungen enthält. Von diesen können die Länder außer bei
den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes, dem Recht des Artenschutzes
und des Meeresnaturschutzes allerdings durch eigene Gesetze abweichen.

Mit der nach dem Gesetzentwurf erneut nicht EU-rechtskonformen Umsetzung
der Artenschutzbestimmungen der FFH-RL provoziert Deutschland ein erneutes
Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission. Wenn diese ein

Verfahren nach Artikel 228 des EG-Vertrages einleitet, könnte dies erhebliche

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6783

Strafzahlungen nach sich ziehen. Der Gesetzentwurf ist deshalb nicht EU-
rechtskonform, weil nur ein Teil der beanstandeten Bestimmungen angepasst
wurde. Insbesondere wird Artikel 16 FFH-RL, dessen Voraussetzungen für die
Zulassung von Ausnahmen der Verbote nach Artikel 12 FFH-RL komplett zu
erfüllen sind, in § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG-E nur teilweise berücksichtigt, da
dort nur die „erhebliche“ Störung von Arten „während der Fortpflanzungs-
zeiten“ etc. untersagt wird. Damit wird lediglich Buchstabe b des Artikels 12
FFH-RL berücksichtigt, nicht aber Buchstabe d, der „jede Beschädigung oder
Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten“ untersagt. Der Gesetz-
entwurf würde also nur einen zeitlich begrenzten Schutz gewährleisten, wohin-
gegen die FFH-RL, bestätigt durch Urteile des EuGH, explizit den ganzjährigen
Schutz von Fortpflanzungs- und Ruhestätten vor jeder – und nicht nur erheb-
licher – Beschädigung und Störung vorschreibt.

Auch die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Definition der erheblichen Störung
genügt nicht den Anforderungen des EU-Rechts. Durch Bezugnahme auf den
Erhaltungszustand lediglich lokaler Populationen einer Art wird das „Aufrecht-
erhalten eines günstigen Erhaltungszustands“ einer Art insgesamt nicht berück-
sichtigt, das gemäß Artikel 14 Abs. 1 FFH-RL jedoch das maßgebliche Krite-
rium für die Zulässigkeit von Eingriffen darstellt. Die FFH-RL enthält aber nicht
nur ein Verschlechterungsverbot, sondern auch ein Verbesserungsgebot, wenn
Arten sich nicht in einem günstigen Erhaltungszustand befinden. In letzterem
Fall ist eine restriktive Handhabung von Ausnahmen geboten. Wenn lediglich
der lokale Erhaltungszustand einer Art berücksichtigt wird, werden kumulative
Wirkungen mehrerer Eingriffe an verschiedenen Orten auf den generellen Erhal-
tungszustand einer Art nicht angemessen berücksichtigt.

Aus denselben Erwägungen ist auch die Nichtverschlechterung des lokalen Er-
haltungszustandes einer Population als einzige Nebenbedingung der gewährten
Ausnahme für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft bei Anwendung der
guten fachlichen Praxis (§ 42 Abs. 4 BNatSchG-E) nach EU-Recht keine hinrei-
chende Begründung dafür, auf eine Prüfung nach Artikel 16 FFH-RL zu verzich-
ten. Gerade die bestehende, sehr weitgehende Befreiung der Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft wurde vom EuGH in seinem Urteil vom 10. Januar 2006
gerügt. Die Anwendung der guten fachlichen Praxis ist nur dann ein zulässiger
Freistellungsgrund, wenn diese verbindlich so festgelegt wird, dass dabei der
Artenschutz entsprechend Artikel 16 FFH-RL angemessen berücksichtigt wird,
was bislang nicht der Fall ist.

Mit dem Änderungsantrag 8 der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (Aus-
schussdrucksache 16(16)240 des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit) wird zudem eine pauschale Länderermächtigung eingeführt.
Diese sieht vor, dass „Landesregierungen […] Ausnahmen nach Satz 1 Nr. 1
bis 5 auch allgemein durch Rechtsverordnung zulassen“ können. Anders als im
Gesetzentwurf soll dies auch für die streng geschützten Arten gelten. Dies ist
einerseits unnötig, da dem Bund eine abweichungsfeste Gesetzgebungskompe-
tenz zusteht und er damit den Ländern einen rechtlich nicht erforderlichen
Handlungsspielraum eröffnet. Andererseits ist damit keine Einzelfallprüfung
nach Artikel 16 FFH-RL mehr möglich, was einen Verstoß gegen EU-Recht
bedeutet. Ferner sind mit der vorgesehenen Möglichkeit von Generalausnah-
men für streng geschützte Arten bestehende Managementprogramme wie das
Bibermanagement in Bayern gefährdet, bei dem bislang einzelfallweise geprüft
wird.

Darüber hinaus verstößt der Gesetzentwurf auch gegen die Vogelschutzricht-
linie, da nach § 43 Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG-E Ausnahmen von den Arten-
schutzerfordernissen „aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden

öffentlichen Interesses“ zulässig sein sollen. Da dieser Ausnahmetatbestand

Drucksache 16/6783 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
auch für geschützte Vogelarten gelten soll, ist dies nicht mit der Vogelschutz-
richtlinie vereinbar.

Infolgedessen käme es zu einer Beweislastumkehr. Die Naturschutzbehörden
müssten nun nachweisen, dass durch die Vernichtung einer bestimmten Anzahl
von Individuen einer Art deren lokale Population gefährdet ist, während bislang
jedes Individuum einer Art geschützt war. In Hinblick auf das besorgniserre-
gende Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen „Umwelt-
verwaltungen unter Reformdruck: Herausforderungen, Strategien, Perspekti-
ven“ vom Februar 2007, das einen Rückgang der personellen und finanziellen
Ressourcen von Naturschutzbehörden um ein Drittel zwischen 1994 und 2001
konstatiert, würden mit diesem und weiteren unbestimmten Rechtsbegriffen
dem Vollzug Aufgaben auferlegt, die er derzeit nicht in der Lage wäre zu leisten.
Zudem liegen zur Beurteilung der lokalen Populationen keine ausreichenden
Daten vor, da das naturschutzfachliche Monitoring bislang keine flächendecken-
den lokalen Datengrundlagen erbringen konnte. Das Vorhandensein solcher
Daten wäre aber unabhängig von der Etablierung des Kriteriums „lokaler Erhal-
tungszustand“ wünschenswert, weil dies für den Vollzug des gebietsunabhängi-
gen Artenschutzes bislang ohnehin fehlt.

Für den Vollzug wäre auch die Unbestimmtheit des Begriffs „in der Regel“
(§ 10 BNatSchG-E) bei der Definition von Projekten im Sinne der FFH-RL aus
zwei Gründen äußerst problematisch. Dies würde für die Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft eine Rechtsunsicherheit bedeuten. Andererseits müssten die
Naturschutzbehörden im Einzelfall nachweisen, dass Handlungen eben doch als
Projekt anzusehen sind und dann einer Genehmigung bedürften. In § 34 Abs. 1a
BNatSchG-E wurde zudem die Regelung eingeführt, dass anzeigepflichtige
Projekte dann als genehmigt gelten, wenn binnen eines Monats keine Reaktion
der Naturschutzbehörden vorliegt. Angesichts der dramatisch reduzierten per-
sonellen Ressourcen der Naturschutzbehörden lässt dies einen schleichenden
Abbau des Naturschutzes im Vollzug befürchten. Darüber hinaus ist es rechtlich
sehr fraglich, wenn nach dem Ausbleiben einer Entscheidung der Behörde
innerhalb eines Monats faktisch eine Vollgenehmigung als erteilt gilt. Dadurch
könnten europarechtlich streng geschützte Arten beeinträchtigt werden, ohne
dass die zwingend erforderliche Prüfung erfolgt ist. Eine faktische Genehmi-
gung innerhalb einer so kurzen Frist ist nicht sachgerecht und entspricht nicht
den Vorgaben der FFH-Richtlinie. Den Behörden muss mindestens eine Frist
von 8 Wochen eingeräumt werden, damit sie die Auswirkungen von Projekten
angemessen prüfen können.

Zur Gewährleistung des im Vollzug besonders aufwendigen gebietsunabhängi-
gen Artenschutzes ist deshalb neben einem deutlich besseren Monitoring eine
personelle und finanzielle Stärkung der Naturschutzbehörden erforderlich. Nur
dann wären ausreichende Ressourcen vorhanden, um Konflikte zwischen Arten-
und Naturschutz und den Nutzern im Vorfeld zu vermeiden – beispielsweise
durch Karten mit den Vorkommen geschützter Arten – und dadurch die Akzep-
tanz des Naturschutzes erheblich zu verbessern.

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