BT-Drucksache 16/6453

Juristischen Dauerstreit endlich politisch beenden - Pläne für den Luft/-Boden-Schießplatz Wittstock aufgeben

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6453
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Cornelia Behm,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Juristischen Dauerstreit endlich politisch beenden –
Pläne für den Luft-/Boden-Schießplatz Wittstock aufgeben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 1992 währt die politische und juristische Auseinandersetzung um die zivile
oder militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide. Trotz einer juristischen
Niederlage nach der anderen, immer geringeren Erfolgsaussichten und fehlen-
der Akzeptanz in der Bevölkerung beabsichtigt das Bundesministerium der
Verteidigung an einer Aufnahme des militärischen Übungsbetriebes auf dem
142 Quadratkilometer großen, früher von der sowjetischen Armee genutzten
Gelände in der Kyritz-Ruppiner Heide (Brandenburg) festzuhalten. Auch gegen
das jüngste Urteil des Potsdamer Verwaltungsgerichtes vom 31. Juli 2007 hat das
Bundesministerium der Verteidigung die Zulassung der Berufung beantragt. Das
Verwaltungsgericht hat in drei Musterverfahren stellvertretend für 24 laufende
Klagen die vom Bundesministerium der Verteidigung beantragte Betriebsgeneh-
migung für den etwa 12 000 Hektar großen früheren sowjetischen Truppen-
übungsplatz verweigert. Neben Planungsmängeln wurde das Urteil auch mit der
fehlenden Berücksichtigung von Lärmschutzinteressen von Anrainern begrün-
det. Das Bundesministerium der Verteidigung hat es versäumt, die Belange der
Betroffenen vor Ort in seinen Planungen und bei der Abwägung ausreichend zu
berücksichtigen. Derartige Versäumnisse zeugen von wenig Sensibilität im Um-
gang mit den existentiellen Interessen der Bevölkerung in der Region und sind
nicht hinzunehmen.

Für die Planungssicherheit der Bundeswehr und der betroffenen Kommunen ist
eine politische Entscheidung überfällig. Eine Fortsetzung des Rechtsstreits
würde erhebliche politische und ökonomische Kosten für alle Beteiligten verur-
sachen. Die Folge wäre ein wachsender politischer Glaubwürdigkeitsverlust in
den neuen Bundesländern und weitere Jahre der Ungewissheit mit negativen
Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungschancen der Region.

Hinzu kommen die Kosten des Bundes, die sich bis Mai 2006 allein für die
Gerichtsverfahren bereits auf ca. 370 000 Euro beliefen (Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„Künftige Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide“ auf Bundestagsdrucksache
16/1389).

Die Begründungen des Bundesministeriums der Verteidigung für den angeblich
unabweisbaren militärischen Bedarf und die Alternativlosigkeit des Standortes
sind nicht überzeugend. Trotz gewachsener Aufgaben kann die Einsatzfähigkeit

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der Bundeswehr seit Jahren auch ohne Rückgriff auf den Luft-/Boden-Schieß-
platz Wittstock sichergestellt werden. Auch der Bundeswehrverband hielt fest:
„Wir haben bisher ohne den Übungsplatz Wittstock gelebt, wir werden es auch
weiter schaffen.“ (http://www.ad-hoc-news.de/Politik-News/de/12743592/
Bundeswehrverband-h%E4lt-Bombodrom-f%FCr)

Der Übungsbedarf für Luft-/Boden-Einsätze mit ungelenkten Bomben ist in den
vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen und wird künftig gegen
Null gehen. In den heutigen Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen der Krisen-
bewältigung sind ganz andere Fähigkeiten als die von tieffliegenden Jagdbom-
bern notwendig. Wenn in einigen Jahren die Tornado-Jagdbomber sukzessive
durch den Eurofighter ersetzt werden, der seine Luft-/Boden-Einsätze in mittle-
ren und großen Höhenbereichen fliegt, gibt es erst Recht keinen Bedarf an einem
dritten großen Luft-/Boden-Schießplatz.

Die Menschen in der strukturschwachen Region leben überwiegend vom natur-
nahen Tourismus. Die Kyritz-Ruppiner Heide ist ein einmaliges Natur- und
Landschaftsgebiet. In der Region sind fünf Gebiete nach der Fauna-Flora-Habi-
tat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) der Europäischen Gemeinschaft als Schutzge-
biete zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere
und Pflanzen nach der Vogelschutz-Richtlinie ausgewiesen. Hierzu zählen der
Müritz-Nationalpark und angrenzende Gebiete, die u. a. als Brut- und Lebens-
raum für seltene Großvögelarten wie Seeadler, Fischadler und Kraniche dienen
sowie die Wittstock-Ruppiner Heide mit seltenen schützenswerten Pflanzen und
Tieren.

Der einmalige Landschafts- und Naturschutzcharakter hat maßgeblich zur Ent-
wicklung des Tourismussektors in der Region beigetragen. Seit Anfang der 90er
Jahre sind Investitionen von mehr als einer Mrd. Euro in die touristische Infra-
struktur und den Aufbau zahlreicher Arbeitsplätze im Tourismussektor geflossen
(Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN „Bedeutung der Tourismuswirtschaft für die künftige
Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide“ auf Bundestagsdrucksache 16/4934). Die
Bedeutung des Tourismussektors für die Region hat laut Stellungnahme des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 15. September 2006
an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages in den letzten Jahren
sogar noch zugenommen. Die Tourismusbranche bestimme inzwischen maß-
geblich die regionale Wirtschaftsstruktur und damit das Einkommens- und
Arbeitsplatzniveau. Alternative wirtschaftliche Entwicklungschancen gibt es,
anders als in vergleichbaren Gebieten Westdeutschlands, für die Region nicht.

Die Aufnahme des Flug- und Übungsbetriebes würde sich auf diese und künf-
tige Investitionen und Arbeitsplätze im Tourismussektor massiv negativ auswir-
ken, viele der bisher erreichten Erfolge wieder zunichte machen und damit der
gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der Region schaden. Die Menschen vor
Ort würden dies zu Recht als Ignoranz gegenüber ihren existentiellen Interessen
wahrnehmen.

Mittlerweile wächst auch in der Bundesregierung die Einsicht, dass die Inbe-
triebnahme des Luft-/Boden-Schießplatzes mehr Schaden als Nutzen bringt.
Auf die Ankündigung des Bundesministeriums der Verteidigung, die Bundes-
wehr werde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Potsdam weitere Rechts-
mittel einlegen, erklärte der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter
Steinmeier: „Die Region braucht die touristische Entwicklung. Ich bedauere,
dass es nicht die letzte Entscheidung in dieser Sache ist“. (DER TAGES-
SPIEGEL, 25. August 2007 http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Titelseite;
art692,2365485) Der brandenburgische Ministerpräsident und ehemalige
SPD-Vorsitzende, Matthias Platzeck, sagte: „Das jüngste Gerichtsurteil wäre

die Chance für einen geordneten Rückzug in Anstand gewesen.“ http://www.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6453

tagesspiegel.de/berlin/Brandenburg:art128.2365447). Für diesen Rückzug ist es
nicht zu spät.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die vom Bundesministerium der Verteidigung gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichtes Potsdam vom 31. Juli 2007 beim Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg beantragte Zulassung auf Berufung zurückzuziehen und
auf weitere Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes
zu verzichten,

– die Pläne für eine Inbetriebnahme des Luft-/Boden-Schießplatzes Wittstock
fallen zu lassen und ohne Zeitverzug den Weg für eine zivile Nutzung der
Liegenschaft freizumachen.

Berlin, den 19. September 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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