BT-Drucksache 16/6271

Hinrichtungswelle in der Islamischen Republik Iran

Vom 24. August 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6271
16. Wahlperiode 24. 08. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Undine Kurth (Quedlinburg), Winfried Nachtwei, Claudia Roth
(Augsburg), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hinrichtungswelle in der Islamischen Republik Iran

Berichten von internationalen Menschenrechtsorganisationen zufolge haben
Verhaftungen, Verstümmelungen und Hinrichtungen im Iran in den letzten Jah-
ren und insbesondere in den letzte Wochen und Monaten stark zugenommen.
Dabei hält sich der Iran weder an die vom ihm selbst anerkannten internationa-
len Konventionen, noch an die Beweisregeln im islamischen Recht. Steinigun-
gen und Hängen durch Ersticken kommen einem zu Tode Foltern gleich.
Artikel 7 der Internationalen Konvention über zivile und politische Rechte
untersagt solche grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafen. In
Artikel 6 Abs. 2 des Paktes ist die Todesstrafe überhaupt nur im Fall von
schwersten Verbrechen möglich und darf nur bei Tätern über 18 Jahren ver-
hängt werden. Laut dem aktuellen Jahresbericht 2007 von amnesty interna-
tional (ai) wird in vielen Gefängnissen und Haftzentren des Iran routinemäßig
gefoltert und misshandelt. Seit 2004 sind alleine 17 Kinder und Jugendliche
unter 18 Jahren hingerichtet worden, mehr als in jedem anderen Land. Derzeit
sind laut ai 71 Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren in Haft und zum Tode
verurteilt. Offenbar werden nun auch die seit einiger Zeit nicht mehr vollzoge-
nen öffentlichen Steinigungen wieder aufgenommen. Parallel zu einer neuen
Moralkampagne des Regimes zur Durchsetzung der strengen Bekleidungsvor-
schriften für Frauen und einer stärkeren Drangsalierung der Zivilgesellschaft
und Schließung von Zeitungen, häuften sich zuletzt auch die Zahlen der Hin-
richtungen insgesamt. Die öffentlichen Hinrichtungen im Iran sind von beson-
derer Grausamkeit gekennzeichnet. Im Mai hatte die Polizei von Teheran in
den ärmeren Vororten über 1 000 Männer im Rahmen der Kampagne gegen
ungehöriges Verhalten und „Bekämpfung von Gesindel“ festgenommen. Im
Mai waren in Isfahan 87 angeblich homosexuelle Personen festgenommen
worden, die bis auf einen gegen Kaution freigelassen wurden, aber denen noch
der Prozess gemacht wird. Die gegenwärtigen Hinrichtungen und die Verhän-
gung der Todesstrafe richten sich nicht nur – wie der iranische Außenamts-
sprecher sagt – gegen Schwerstverbrecher, sondern auch gegen Oppositionelle
und Homosexuelle. Die Todesurteile gegen die kurdischen Journalisten Adnan

Hassanpour und Abdolwahed Boutimar wegen angeblichen „Krieges gegen
Gott“ und den Islam machen deutlich, dass es hier nicht um Kapitalverbrechen
sondern um schlichtes Meinungsstrafrecht geht.

Drucksache 16/6271 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die in den letzten Wochen im Iran statt-
gefundene Hinrichtungswelle, und welche Informationen besitzt die Bun-
desregierung hierüber?

In welcher Weise reagiert die Bundesregierung hierauf?

2. In welcher Weise sind strafrechtliche Regelungen im Iran ein Thema bei
den bi- und multilateralen Gesprächen mit dem Iran?

3. Welche Informationen hat die Bundesregierung zur Durchführung von Stei-
nigungen im Iran, obwohl die iranische Justiz ein Moratorium beschlossen
hatte, und wie ist die Reaktion der Bundesregierung darauf?

4. Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich der Vollstre-
ckung anderer Körperstrafen im Iran?

5. Welche Strafen im Iran beurteilt die Bundesregierung als grausam und un-
verhältnismäßig?

Welche Foltermethoden sind der Bundesregierung aus dem Iran bekannt?

6. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Vollstreckung der
Todesstrafe an Jugendlichen im Iran, und in welcher Weise reagiert die Bun-
desregierung darauf?

7. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die inneriranische
Diskussion zur Hinrichtung Minderjähriger und den Stand von Gesetzes-
änderungen oder -initiativen, die dies verbieten?

8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von zivilgesellschaftlichen Be-
mühungen gegen die Durchführung von Hinrichtungen Minderjähriger, und
welche Möglichkeiten sieht sie zu ihrer Unterstützung?

9. Welche Institutionen und Personen sind nach Meinung der Bundesregie-
rung im iranischen Machtgefüge de jure und de facto für die Verschärfung
der Hinrichtungspraxis und der allgemeinen Menschenrechtslage verant-
wortlich, und welche politischen Ziele sind damit verbunden?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass der Iran sich bei der
Vollstreckung von Todesurteilen weder an die von ihm anerkannten inter-
nationalen Konvention hält noch an die Beweisregeln des islamischen
Rechts, und welche Möglichkeiten sieht sie, den Iran zu einer Einhaltung
internationaler Verbindlichkeiten zu bewegen?

11. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Todesurteile gegen
die kurdischen Journalisten Adnan Hassanpour und Abdolwahed Boutimar,
und was tut sie um die Vollstreckung zu verhindern?

12. Welche Informationen besitzt die Bundesregierung bezüglich der Verurtei-
lung zum Tode und der Vollstreckung von Todesurteilen an Oppositionellen
und Homosexuellen?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung den vom iranischen Parlamentspräsiden-
ten Gholam-Ali Hadad-Adel geäußerten Vorwurf, die reformorientierten
Kräfte im Iran würden die Homosexualität in den Medien fördern, und die
mit diesem Vorwurf begründete Schließung der Tagesszeitung „Schark“
(DER TAGESSPIEGEL vom 8. August 2007), und sieht die Bundesregie-
rung Anzeichen für eine Zunahme der Verhängung der Todesstrafe an
Homosexuellen?

14. In welcher Weise werden bei Prozessen gegen Homosexuelle im Iran die
Regeln der landesgültigen Version der Scharia eingehalten, nach denen

mindestens vier Zeugen die Tat gesehen haben und dies vor Gericht bezeu-
gen müssen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6271

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Inhaftierung des
Klerikers Ayatollah Hossein Kazemini Borujerdis und zahlreicher seiner
Anhänger im Evin-Gefängnis und über seine mutmaßlich bevorstehende
Verurteilung zu 20 Jahren Haft und die Verurteilung von 80 Anhängern von
Ayatollah Borujerdi am 13. August 2007, die meisten zu Haftstrafen von
vier Jahren?

16. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung gegen andere religiöse, mus-
limische und nicht-muslimische Vertreter, z. B. Angehörige des Sufi-Or-
dens Todesurteile verhängt und vollstreckt?

17. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der zunehmend
schwierigen ökonomischen Lage im Iran und den jüngsten Verschärfungen
von Regierungsseite sowie der Hinrichtungswelle?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Verfolgung und Verurteilung von
führenden Gewerkschaftlern im Iran?

19. Welche Informationen liegen der Bundesregierung hinsichtlich der Verfol-
gung und Verurteilung von Studenten im Iran vor, und wie bewertet sie
diese?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verfolgung und Ver-
urteilung von Webloggern im Iran, und zu welcher Beurteilung kommt sie
diesbezüglich?

21. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Anwendung
von Gewalt gegenüber afghanischen Flüchtlingen während ihrer Abschie-
bung aus dem Iran vor, und wie beurteilt sie diese?

Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Todesfälle von
afghanischen Flüchtlingen im Iran?

Berlin, den 24. August 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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