BT-Drucksache 16/6265

Evaluierung der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Mission im Libanon und Politik der Bundesregierung gegenüber Libanon und Syrien

Vom 24. August 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6265
16. Wahlperiode 24. 08. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

Evaluierung der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Mission im
Libanon und Politik der Bundesregierung gegenüber Libanon und Syrien

In der Folge der Vereinten Nationen (VN)-Sicherheitsratsresolution 1701 vom
11. August 2006 und dem folgenden Waffenstillstand haben Bundesregierung
und Bundestag eine deutsche Beteiligung an der UNIFIL-Mission beschlossen.
Bis zu 15 000 Soldaten, vor allem aus EU-Mitgliedstaaten, nehmen am UNIFIL-
Einsatz südlich des Litani-Flusses teil. Bis zu 2 400 deutsche Soldatinnen und
Soldaten sind im Rahmen des Marineverbandes (MTF, Maritime Task Force) im
Einsatz, am 15. Oktober 2006 hat Deutschland die Führung der MTF übernom-
men. Kernauftrag von UNIFIL ist die Überwachung des Waffenstillstandes, die
Unterstützung der libanesischen Regierung bei der Verhinderung von Waffen-
schmuggel sowie Unterstützung und Ausbildung der staatlichen libanesischen
Institutionen und Sicherheitskräfte zur Herstellung eines staatlichen Gewaltmo-
nopols im gesamten Libanon. Am 31. August 2007 läuft das UN-Mandat aus,
der Bundestag muss nach der zu erwartenden Verlängerung durch den UN-
Sicherheitsrat Anfang September über eine Verlängerung des Bundeswehrman-
dats entscheiden.

Mit der Beteiligung an UNIFIL haben die EU und Deutschland gegenüber Liba-
non und Israel eine wichtige Rolle als Friedensgarant im Nahen Osten übernom-
men. Mit Resolution 1701 und dem militärischen und zivilen Beitrag zu UNIFIL
war auch auf Seiten der Bundesregierung die Überzeugung verbunden, dass
innenpolitische Fortschritte im Libanon sowie Fortschritte im libanesisch-syri-
schen und im syrisch-israelischen Verhältnis, Grundlage für einen nachhaltigen
Erfolg des internationalen Engagements sind. Im ersten Jahr des UNIFIL-Ein-
satzes konnte die innerlibanesische Blockade zwischen Regierung und Oppo-
sition aber nicht überwunden werden, sondern hat sich sogar deutlich verschärft.

Ebenfalls für Spannungen sorgt die fehlende Überwachung der libanesischen
Ostgrenze zu Syrien. Deutschland hat mit einem Projekt an der Nordgrenze ein
integratives Grenzmanagement angeregt, dass im Rahmen eines EU-Projekts
auf die Ostgrenze ausgedehnt werden soll. Inzwischen hat ein unabhängiges

Expertenteam der VN einen Bericht zur Verbesserung der Grenzsicherung
vorgelegt und dafür stärkere Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
angemahnt. Der Erfolg dieses Projekts ist wichtig, um anhaltenden Waffen-
schmuggel und -lieferungen vor allem an die Hisbollah zu unterbinden. Mit der
Wiederaufrüstung der Hisbollah rechtfertigt Israel militärische Überflüge, die
gegen Sicherheitsrats (SR)-Resolution 1701 verstoßen. Zudem sorgten Kämpfe
der libanesischen Armee mit der Al-Qaida nahen Fatah-al Islam in Nahr Al-Ba-

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rid und jüngste Anschläge auf die UNIFIL im Süden für eine angespannte
Sicherheitslage.

Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag bisher keine umfassende
Evaluierung der UNIFIL-Mission bzw. der SR-Resolution 1701 vorgelegt. Eine
solche Evaluation vor allem des deutschen Beitrages ist als Grundlage für die
Entscheidung des Bundestages über eine Verlängerung des Bundeswehrmandats
im September unerlässlich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Umsetzung der Sicherheits-
ratsresolution 1701 und den internationalen UNIFIL-Einsatz im Libanon?

2. Welches Fazit zieht die Bundesregierung angesichts des bisherigen Verlaufs
des deutschen maritimen Beitrags?

a) Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee bei der
Überwachung der unterschiedlichen Einsatzzonen gestaltet?

Konnte eine lückenlose Überwachung des Einsatzgebietes trotz unter-
schiedlicher Kompetenzzonen gewährleistet werden?

b) Wie viele Schiffe wurden von der MTF kontrolliert?

Hat die libanesische Marine eigenständig Kontrollen unternommen?

Gab es dabei festgestellte Versuche von Waffenschmuggel oder andere
relevante Vorfälle?

c) Gibt es belegte Versuche des Waffenschmuggels über den Seeweg noch
vor oder während des Einsatzes der MTF?

d) Wie viele und welche Art von Zwischenfällen gab es mit der israelischen
Marine und Luftwaffe?

Wie hat die Bundesregierung darauf reagiert?

Welche Vorkehrungen hat sie mit Israel getroffen, um Wiederholungen zu
vermeiden?

3. Inwieweit sollen die deutsche Beteiligung und die MTF insgesamt in der
kommenden Mandatsperiode reduziert werden?

Inwieweit soll eine weitere Reduzierung deutscher MTF-Verbände im Falle
der Abgabe der deutschen Führung der MTF erfolgen?

Durch welche Kapazitäten anderer Nationen wird die Reduzierung des deut-
schen Beitrags ausgeglichen und welchen Einfluss hat dies auf die Fähigkei-
ten der MTF?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die extremistischen Anschläge auf die
UNIFIL in den letzten Monaten?

Welche Erkenntnisse hat sie über die Hintergründe und wie ist die Einschät-
zung der Gefahrenlage im Falle einer Verlängerung des UNIFIL-Mandats für
die land- und seeseitigen Kräfte?

Wie bewertet sie die Anfrage des UNIFIL-Kommandeurs nach Luftaufklä-
rungskapazitäten zur besseren Eigensicherung von UNIFIL?

5. Wie bewertet die Bundesregierung UN-Berichte über Waffenschmuggel an
Milizen im Libanon und die wiederholten Aussagen von Hisbollah-General-
sekretär Nasrallah, die Hisbollah habe auf Vorkriegsniveau wiederaufgerüstet?

Wie bewertet sie die Aufforderung des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon

speziell an Iran und Syrien, zur Einhaltung des Waffenembargos beizutragen?

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Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Waffenschmug-
gel?

6. Hat die Bundesregierung die anhaltenden und gegen Sicherheitsrats-
resolution 1701 verstoßenden militärischen Überflüge Israels im bilateralen
Gespräch mit der israelischen Regierung thematisiert und dabei deren Ein-
stellung gefordert?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Ausbildung der libanesi-
schen Sicherheitskräfte, welche Fortschritte wurden erzielt und welche wei-
teren Schritte sind von Seiten der Bundesrepublik Deutschland, der EU und
anderer Mitglieder der Staatengemeinschaft geplant, um die libanesische
Armee zu stärken?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die innenpolitische Lage im Libanon,
welche Gefahren sieht sie angesichts der Blockade zwischen Regierung und
Opposition im Libanon, und welche Maßnahmen plant sie, um zu einer
Überwindung dieser Gefahren angesichts der bevorstehenden Präsident-
schaftswahlen beizutragen?

9. Wie hat die Bundesregierung, insbesondere während ihrer EU-Präsident-
schaft, den UNIFIL-Prozess politisch begleitet?

a) Welche diplomatischen Bemühungen hat die Bundesregierung unter-
nommen, um einen politischen Dialog zwischen Regierungs- und Oppo-
sitionslager im Libanon zu fördern?

b) Bezieht die Bundesregierung bei ihrem Dialog mit den Gruppierungen
im Libanon die Hisbollah, als im libanesischen Parlament vertretene
politische Partei, mit ein?

c) Wie verhält sich die Bundesregierung zur Forderung des libanesischen
Oppositionslagers nach Einrichtung einer Regierung der nationalen
Einheit?

Welche Bedeutung misst sie dem Abkommen von Ta’if und der Forde-
rung nach einer größeren Repräsentativität der Regierung nach den
Rücktritten von Ministern aus dem Oppositionslager zu?

10. Welche Beiträge zum Wiederaufbau im Libanon hat die Bundesregierung
geleistet und welche Prioritäten zieht sie für die zukünftige Unterstützung?

11. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu Initiativen wie die der
Schweiz und Frankreichs ein, die innerlibanesischen Verfassungsblockade
durch einen organisierten Dialog zu überwinden und gedenkt sie entspre-
chende Initiativen im Rahmen der EU aktiv zu unterstützen und voran zu
treiben?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die unter dem französischen Präsidenten
Jacques Chirac durch eine sehr einseitige Parteinahme und enge Beziehun-
gen zur Familie Hariri geprägte Entwicklung der französischen Libanon-
politik?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Einsetzung des Hariri-Tribunals vor
dem Hintergrund der innenpolitischen Lage im Libanon?

In welcher Weise wird sie das Tribunal unterstützen?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Hintergründe weite-
rer politischer Morde im Libanon, die sich während der Einsatzdauer von
UNIFIL ereignet haben?

15. Welche politische Strategie verfolgt die Bundesregierung, um zu einer Lö-

sung israelisch-syrischer (Golan) und libanesisch-syrischer Streitfragen

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(Shebaafarmen; diplomatische Beziehungen) beizutragen und wie unter-
stützt sie eine Vermittlerrolle der Vereinten Nationen?

16. Wie bewertet die Bundesregierung gleichzeitige Berichte über mögliche
syrisch-israelische Friedensverhandlungen wie über die wachsende Gefahr
einer militärischen Eskalation?

Welche Erkenntnisse hat sie über die Haltung und den Einfluss der US-Ad-
ministration in Bezug auf israelisch-syrische Friedensgespräche?

Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den Militärmanövern beider
Seiten sowie der Lieferung russischer Luftabwehrtechnik an Syrien bei?

17. Wie viele Personen sind in welchen Funktionen in der Zentrale des Auswär-
tigen Amtes (Politische Abteilung) und in der Botschaft Beirut mit der Ge-
staltung der Libanonpolitik beschäftigt?

Wie viele in anderen Ressorts?

18. Die Bundesregierung führt an der libanesischen Nordgrenze ein Pilotpro-
jekt durch, das im EU-Rahmen auf die Ostgrenze ausgedehnt werden soll.
In einer Antwort auf die mündliche Frage des Abgeordneten Jürgen Trittin
(Bundestagsdrucksache 16/5854, Frage 29) vom 4. Juli 2007 wurde von der
Bundesregierung darauf verwiesen, dass die Finanzierung der kalkulierten
Kosten in Höhe von 4 453 924 Euro mit dem Bundesministerium der Finan-
zen (BMF) noch nicht abschließend geklärt ist, eine Entscheidung aber zeit-
nah erfolgen soll. Wie setzt sich die Finanzierung zusammen, wie ist der
Zeitplan für dieses Projekt und seine Fortsetzung, und welche Verzögerung
ist bisher entstanden?

Ist das Projekt nach bisherigen Erkenntnissen geeignet, ein integratives
Grenzmanagement durch libanesische Behörden sicherzustellen?

19. Wie bewertet die Bundesregierung den Bericht der unabhängigen UN-Ex-
pertenkommission vom 26. Juni 2007 zum Stand der libanesischen Grenz-
sicherung und die darin enthaltenen Vorschläge zum Aufbau einer effek-
tiven Grenzsicherung?

Welche Schritte zu deren Umsetzung sind geplant, und wie beteiligen sich
Bundesregierung und EU daran?

20. In einer weiteren Antwort auf die mündliche Frage des Abgeordneten Jür-
gen Trittin (Bundestagsdrucksache 16/5854, Frage 28) vom 4. Juli 2007
teilte die Bundesregierung mit, dass der Verteidigungsattaché der Deutschen
Botschaft in Syrien für den Libanon mitverantwortlich ist. Erwägt die Bun-
desregierung aufgrund des möglicherweise längerfristigen deutschen Enga-
gements einen eigenen Verteidigungsattaché zu entsenden oder von einer
anderen Botschaft abzuordnen?

Berlin, den 24. August 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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