BT-Drucksache 16/5989

Auswirkungen der fiktiven Berechnung von ALG I auf die Existenzsicherung von Frauen nach einer Elternzeit

Vom 3. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5989
16. Wahlperiode 03. 07. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, Karin Binder, Diana Golze,
Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Katrin Kunert, Elke Reinke, Volker Schneider
(Saarbrücken), Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Sabine Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der fiktiven Berechnung von ALG I auf die Existenzsicherung
von Frauen nach einer Elternzeit

Das Bemessungsrecht des SGB III, welches von der damaligen rot-grünen Bun-
desregierung durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits-
markt (BGBl. I S. 2848) neu geregelt wurde, hat unter anderem Folgen für die
Höhe der Ansprüche auf Arbeitslosengeld I von Personen, die nach einer Eltern-
zeit arbeitslos werden.

Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 130 Abs. 1 SGB III die beim Aus-
scheiden der/des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis ab-
gerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Be-
schäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein
Jahr, er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses
(§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums
bleiben bestimmte Zeiten außer Betracht (§ 130 Abs. 2 SGB III), unter anderem
auch die Elternzeit. Nach § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird der Bemes-
sungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger
als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält. Kann ein Bemessungszeit-
raum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des
auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, wird
als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt (§ 132 Abs. 1
SGB III).

Dies kann dazu führen, dass Eltern, die eine dreijährige Elternzeit in Anspruch
genommen haben (dies sind überwiegend Frauen) und danach arbeitslos sind,
ein niedrigeres Arbeitslosengeld erhalten, als es bei Berücksichtigung ihres tat-
sächlichen Nettoeinkommens vor der Elternzeit der Fall gewesen wäre.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der Inan-
spruchnahme der Elternzeit von Frauen und Männern vor (bitte in Bezug auf
Dauer, Zeitraum und Umfang einer während der Elternzeit ausgeübten Teil-
zeiterwerbstätigkeit differenzieren)?

2. Welche Studien und Statistiken liegen der Bundesregierung hinsichtlich der
Situation von Arbeitnehmerinnen vor, die nach einer Elternzeit in den Beruf
zurückkehren?

Drucksache 16/5989 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
3. Sieht die Bundesregierung den Bedarf, die Situation von Berufsrückkeh-
rerinnen und Berufsrückkehrern nach Mutterschutz oder Elternzeit genauer
zu erforschen, und plant sie die Förderung entsprechender Projekte?

4. In wie vielen Fällen wurde in den Jahren 2000 bis 2005 nach der Elternzeit
eine Kündigung ausgesprochen oder ein Aufhebungsvertrag geschlossen
(bitte nach Zeitraum nach Ende der Elternzeit, Geschlecht, Familienstand
und nach Bundesländern differenzieren)?

5. In wie vielen Fällen endete in den Jahren 2000 bis 2005 ein befristetes Ar-
beitsverhältnis während der Mutterschutzfristen oder einer sich anschließen-
den Elternzeit?

6. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der Folgen
der fiktiven Bemessung des Arbeitsentgeltes im SGB III auf die Anspruchs-
höhe von Personen vor, die nach Beendigung der Elternzeit arbeitslos sind
bzw. werden (bitte nach Geschlecht und Bundesländern differenziert aus-
weisen)?

7. Welche Leistungen des SGB III (z. B. Gründungszuschuss) werden nach der
Höhe des Anspruchs auf ALG I bemessen und beinhalten daher die Gefahr
einer Verstetigung zu niedrig bemessener Ansprüche von Eltern nach einer
Elternzeit?

8. Sieht die Bundesregierung die Gefahr einer überwiegenden Betroffenheit
von Frauen durch die Ursache einer langjährigen Elternzeit für eine fiktive
Bemessung der Leistungshöhe des ALG I unter Berücksichtigung der Daten
über die Inanspruchnahme der Elternzeit durch Väter und Mütter?

9. Verstoßen die Bemessungs-Regelungen nach Auffassung der Bundesregie-
rung als mittelbare Diskriminierung gegen die Richtlinie 79/7/EWG?

Wenn nein, warum nicht?

10. Verstoßen die Bemessungs-Regelungen nach Auffassung der Bundesregie-
rung als mittelbare Diskriminierung gegen Artikel 3 Abs. 2 GG?

Wenn nein, warum nicht?

11. Ist nach Auffassung der Bundesregierung unabhängig von einer juristischen
Bewertung der Neuregelung des Bemessungsrechts des SGB III eine Re-
form der Regelungen politisch geboten, um die Situation von Eltern, die
nach einer Elternzeit arbeitslos werden, zu verbessern?

Wenn ja, wann plant die Bundesregierung eine Reform?

Berlin, den 28. Juni 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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