BT-Drucksache 16/5894

Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzen braucht eine breite Debatte

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5894
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Katrin Göring-Eckardt,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Renate Künast, Fritz Kuhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzen braucht eine breite Debatte

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit vielen Jahren tragen Institutionen, Regierungs- und Nichtregierungsorgani-
sationen aus der Bundesrepublik Deutschland zu Gewaltverhütung, Entwick-
lung und Menschenrechten in Krisenregionen weltweit bei. Bei diesen Aus-
landsaktivitäten im Rahmen des Friedensauftrages des Grundgesetzes sind in
den letzten Jahren zunehmend mehr Menschen zu Tode gekommen. Seit Anfang
der 90er Jahre verloren 69 Bundeswehrsoldaten in VN-mandatierten Auslands-
einsätzen ihr Leben. Der Oberstabsarzt Dieter Eißing war der erste Bundes-
wehrsoldat, der durch gegnerische Einwirkung im Jahr 2001 im Rahmen der
UN-Mission in Abchasien/Georgien (UNOMIG) ums Leben kam. Seit 1996
verloren zwei deutsche Diplomaten und sechs Polizisten im Ausland ihr Leben.
Im Rahmen von Auslandseinsätzen der Durchführungsorganisationen der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit wurden 25 Todesfälle seit 1996 bekannt.
Über die Zahl der Todesopfer von bei humanitären und internationalen Organi-
sationen tätigen nichtentsandten Deutschen sowie bei deutschen Regierungs-
und Nichtregierungsorganisationen beschäftigten nichtdeutschen Staatsbürgern
und Staatsbürgerinnen liegen der Bundesregierung bisher keine Erkenntnisse
vor. Nach Aussagen der Deutschen Welthungerhilfe hat sich weltweit die Zahl
schwerer Angriffe auf Helferinnen und Helfer zwischen 1997 und 2005 verdrei-
facht. In diesem Zeitraum sind 434 Helfer getötet worden, unter ihnen besonders
viele einheimische Helferinnen und Helfer.

Wo Menschen im Rahmen des Friedensauftrages des Grundgesetzes zu Tode
kommen, sind Politik und Gesellschaft in der Pflicht, ihrer auch öffentlich zu ge-
denken. Eine grundsätzliche und öffentliche Debatte darüber, wie Staat und Ge-
sellschaft dieser Menschen über bisherige Veranstaltungsformen hinaus würdig
gedenken können, ist überfällig. In weiten Teilen der Gesellschaft ist bislang nur

unzureichend wahrgenommen worden, dass in den internationalen Friedensmis-
sionen Diplomaten, Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten so-
wie zivile Helferinnen und Helfer ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren. Es
fehlt eine breit in die Gesellschaft hineinreichende Debatte darüber, welche
Konsequenzen Staat und Gesellschaft bereit sind zu tragen für das deutsche En-
gagement im Rahmen kollektiver Friedenssicherung. Die Diskussion über das

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ehrende Gedenken der Toten in Auslandseinsätze muss dabei in die noch gründ-
lich zu führende Debatte über den Sinn und Zweck der Einsätze eingebettet sein.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Initiative des Bundesministers der Vertei-
digung wie den im Auslandseinsatz zu Tode Gekommenen würdig gedacht wer-
den kann. Der Deutsche Bundestag kritisiert aber das einseitige Vorgehen des
Bundesministers der Verteidigung für ein zentrales Ehrenmal der Bundeswehr.
Nach den Plänen des Bundesministers der Verteidigung soll bis Mitte 2008 auf
dem Gelände des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin für die seit
1955 im Dienst ums Leben gekommenen Soldaten und Zivilisten der Bundes-
wehr ein zentrales Ehrenmal errichtet werden. Der Entwurf für das Ehrenmal
wurde von einer Findungskommission aus sechs Entwürfen ausgewählt und ist
mittlerweile vom Bundesminister der Verteidigung der Öffentlichkeit vorgestellt
worden. Bisher gedachte die Bundeswehr ihrer Toten an den Ehrenmalen von
Heer, Luftwaffe und Marine in Koblenz, Fürstenfeldbruck und Laboe gemein-
sam u. a. mit den Toten der Wehrmacht.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und als erste deutsche Armee an
Menschenrechte und Völkerrecht gebunden. Das Parlament entscheidet über die
Einsätze der Bundeswehr und steht somit auch in besonderer Verantwortung für
das Gedenken an die in den internationalen Einsätzen ums Leben gekommenen
Soldatinnen und Soldaten. Das würdige Gedenken an die Toten der Auslands-
einsätze ist keine innerministerielle Angelegenheit, sondern eine Aufgabe von
öffentlichem Interesse. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass Anregungen aus
Reihen des Parlamentes zu einem gemeinsamen und öffentlichen Erinnerungs-
ort der Toten in Auslandseinsätzen nicht wahrgenommen wurden. In die Pläne
des Bundesministers der Verteidigung waren weder das Parlament noch die
Öffentlichkeit angemessen einbezogen. Ein von oben angeordnetes Ehrenmal
für die Toten der Bundeswehr vertut die Chance einer breiteren öffentlichen
Debatte und ist einer Erinnerungskultur, die Offenheit, Transparenz und Mit-
sprache braucht, nicht förderlich.

Eine solche Debatte muss vor dem Hintergrund der deutschen Militär- und
Kriegsgeschichte sehr behutsam und sensibel geführt werden. Unzweifelhaft
und eindeutig muss mit der Tradition der zahllosen Kriegerdenkmäler gebro-
chen werden, mit denen der Soldatentod verklärt und Angriffskriege beschönigt
wurden. Es geht um weit mehr als nur um die Suche nach einem würdigen Ge-
denkort oder dessen Gestaltung. Zu Recht wurde in Deutschland über andere
Projekte öffentlicher Erinnerung und Gedenkens, wie etwa über die Gestaltung
der Neuen Wache oder das Holocaust-Mahnmal, jahrelang öffentlich gestritten
und debattiert. Öffentliches Gedenken der Toten ist in Deutschland als Teil einer
identitätspolitischen Symbolik eine eminent wichtige Frage. Deshalb muss vor
allem der Eindruck einer militärischen Verkürzung der Gedenkdebatte und einer
Überhöhung des Militärischen strikt vermieden werden. Der Soldatenberuf ist in
Deutschland kein Beruf „sui generis“.

Zu Friedenseinsätzen im Ausland tragen heute Soldatinnen und Soldaten, Poli-
zistinnen und Polizisten, zivile Helferinnen und Helfer sowie Diplomaten ge-
meinsam bei. Zunehmend sind auch Nichtmilitärs Gefahren für Leib und Leben
ausgesetzt. Deshalb gilt es nicht nur den Dienst von Soldatinnen und Soldaten
in den internationalen Einsätzen, sondern auch denjenigen der zivilen Helferin-
nen und Helfer sowie Polizistinnen und Polizisten stärker in den Fokus des öf-
fentlichen Interesses zu rücken. Auch sie haben ein würdiges Gedenken ver-
dient, und auch ihren Einsatz für Frieden und Menschenwürde gilt es angemes-
sen anzuerkennen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5894

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Pläne des Bundesministeriums der Verteidigung für ein separates Ehren-
mal für im Dienst umgekommene Bundeswehrangehörige zurückzustellen;

2. zu ermitteln und zu berichten, wie viele Menschen insgesamt im Rahmen des
Friedensauftrages des Grundgesetzes im Ausland ums Leben gekommen
sind – mit entsprechender Differenzierung und einschließlich der deutschen
und nichtdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von humanitären und
internationalen Organisationen;

3. gemeinsam mit allen in Frage kommenden Ressorts zu einer Meinungsbil-
dung zu kommen, wie der in ihrem Zuständigkeitsbereich zu Tode Gekom-
menen gedacht werden kann.

III. Der Deutsche Bundestag beschließt

die Durchführung einer öffentlichen Anhörung darüber, wie Staat und Gesell-
schaft öffentlich sichtbar und würdig der Menschen gedenken kann, die im Rah-
men des Friedensauftrages des Grundgesetzes im Ausland ums Leben gekom-
men sind.

Berlin, den 4. Juli 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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