BT-Drucksache 16/579

Für eine sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert - Energieeinsparung und erneuerbare Energien statt Öl, Atom und Kohle

Vom 7. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/579
16. Wahlperiode 07. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Undine
Kurth (Quedlinburg), Kerstin Andreae, Cornelia Behm, Birgitt Bender, Matthias
Berninger, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert, Anja Hajduk, Winfried Hermann,
Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Markus Kurth,
Anna Lührmann, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel,
Dr. Gerhard Schick, Dr. Harald Terpe, Margareta Wolf (Frankfurt)
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert – Energieeinsparung
und erneuerbare Energien statt Öl, Atom und Kohle

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine hat Deutschland und Europa
die starke Abhängigkeit von Energieimporten vor Augen geführt. Der russisch-
ukrainische Streit war dabei nur das Vorspiel zu den großen Energiekonflikten,
die die nächsten Jahrzehnte prägen werden. Mit der Endlichkeit der fossilen
Energien und des Urans werden politische Spannungen zunehmen. Eine intelli-
gente politische Strategie setzt auf Energiesparen, Energieeffizienz und Umstieg
auf erneuerbare Energiequellen. Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts wird
es sein, teure fossile Energieträger durch besser gedämmte Häuser, durch effi-
zientere Elektrogeräte und durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Atomenergie ist unsicher, teuer und garantiert für Deutschland und Europa weder
Versorgungssicherheit noch Klimaschutz. Längere Laufzeiten von Atomkraft-
werken bergen nicht nur zusätzliche Risiken, sondern ziehen auch zusätzliche
Kosten nach sich: für altersbedingte Nachrüstungen, für erforderliche Sicher-
heitsinvestitionen gegen Terrorgefahren, für die Endlagerung zusätzlichen Atom-
mülls. Nicht zuletzt verhindert eine Laufzeitverlängerung die von der Energie-
wirtschaft bereits angekündigten Milliardeninvestitionen in erneuerbare Ener-
gien und klimaschonende Energietechnologien. Auch zur Versorgungssicherheit
kann die Atomkraft keinen wesentlichen Beitrag leisten. Uran wird vollständig
importiert und seine Reichweite ist mit etwa 30 bis 40 Jahren ebenso begrenzt
wie die von Erdöl und Erdgas. Nach wie vor ist das Entsorgungsproblem des
Atommülls ungelöst und die Kosten hierfür sind kaum abzuschätzen.
Der Deutsche Bundestag betont, dass die Atomenergie weltweit an Bedeutung
verliert. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht von einer deutlichen
Reduzierung des Anteils der Atomenergie am weltweiten Endenergieverbrauch
von derzeit 2,5 Prozent auf bis zu 1,7 Prozent zum Jahr 2030 aus. Einzelnen Neu-
bauten in wenigen Ländern wie Finnland oder China oder angedachten wie in
Frankreich steht eine Vielzahl von altersbedingten Reaktorabschaltungen welt-
weit gegenüber. Das hohe Alter der derzeit weltweit betriebenen 442 Atomkraft-

Drucksache 16/579 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

werke wird in vielen Ländern noch erhebliche Diskussionen über die Sicherheit
der Atomenergie aufwerfen.

Auch Braun- und Steinkohle sind keine Energieträger der Zukunft. Die fort-
laufende Subventionierung heimischer Steinkohle verursacht enorme ökonomi-
sche und ökologische Kosten und ist vor dem Hintergrund ihrer erheblichen
klimaschädlichen Wirkungen unbezahlbar. Die Braunkohle ist besonders klima-
schädlich, sie verursacht darüber hinaus aber auch enorme regionale Schäden
vor Ort. Techniken zur Abscheidung von CO2 stecken noch in den Kinder-
schuhen und sind weit entfernt davon, marktfähig zu sein. Gleiches gilt für die
CO2-Lagerung. Den Energieversorgern steht es frei, ihre Gewinne in die Er-
forschung und Entwicklung dieser Technologie zu investieren. Eine weitere
Subventionierung der Kohle über eine staatliche Förderung so genannter Clean-
Coal-Technologien lehnt der Deutsche Bundestag ab. Die Energiewirtschaft
sollte sich stattdessen selbst verpflichten, nur noch Kohlekraftwerke zu bauen,
die keine Klimagase mehr freisetzen. Ohne eine solche Selbstverpflichtung und
deren glaubhafter Umsetzung müssen die Forderungen nach Clean-Coal-Tech-
nologien als PR-Strategie für die klimaschädliche Kohle abgetan werden.

Der Deutsche Bundestag betont, dass es im 21. Jahrhundert um die intelligente
Nutzung knapper Ressourcen, den Schutz der Erdatmosphäre und um Zukunfts-
technologien wie die erneuerbaren Energien geht. Verschwenderische, hoch
subventionierte und riskante Großtechnologien bieten keine Perspektive für die
Zukunft. Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit rufen Vertreter der
CDU und CSU nach längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Doch wer fordert,
dass die Atomkraft eine wichtigere Rolle für die hiesige Versorgungssicherheit
spielen soll, muss auch sagen, wie viele neue Atomkraftwerke gebaut werden
sollen.

Der Deutsche Bundestag bedauert, dass wegen des Streits um den Atomausstieg
bei den Fraktionen der CDU/CSU und SPD seit der Bundestagswahl energie-
politischer Stillstand in Deutschland herrscht. Wichtige energiepolitische Ent-
scheidungen werden auf die lange Bank geschoben. Angesichts der Heraus-
forderungen des Klimawandels und der bevorstehenden Modernisierung des
Kraftwerkparks und den damit verbundenen Investitionen in neue Energie-
technologien ist das Nichthandeln der Bundesregierung fahrlässig und verant-
wortungslos.

Der Deutsche Bundestag betont die Bedeutung einer konsequenten Politik der
Energieeinsparung. Deutschland muss der EU spätestens Mitte 2007 eine natio-
nale Energieeffizienzstrategie vorlegen. Es wäre falsch, so lange zu warten. Etwa
40 Prozent unseres heutigen Energieverbrauchs können eingespart werden, der
größte Teil davon sogar mit Gewinn. Nicht Atomenergie, sondern Energie-
einsparung ist die Brücke zum Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wird die Ein-
sparung konsequent vorangetrieben, sinkt der Zubaubedarf für neue Kraftwerke.
Dies wäre ein zentraler Beitrag für eine höhere Versorgungssicherheit. Mit effi-
zienter Energienutzung, verstärkter Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), Energie-
einsparung und einer klaren Ausbaustrategie für erneuerbare Energien stehen
deutlich bessere Alternativen zur Verfügung als Atomenergie und Kohle.

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom- und Wärmeversorgung so-
wie bei den Treibstoffen und den Rohstoffen der chemischen Industrie kann bis
2020 auf über 25 Prozent erhöht werden. Gleichzeitig wäre eine Reduzierung des
Gesamtenergieverbrauchs durch Einsparmaßnahmen und die Anwendung der
modernsten Technologien um mindestens 20 Prozent möglich. In wenigen Jahr-
zehnten kann die gesamte Energieversorgung Deutschlands auf Basis er-
neuerbarer Energien sichergestellt werden. Die Politik der von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebildeten ehemaligen Bundesregie-
rung hat entscheidende Weichen für den Umstieg auf eine sichere, umwelt-

freundliche und zukunftgewandte Energieversorgung gestellt, deren Leitlinien
weiter zu verfolgen sind.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den seit der Bundestagswahl existierenden energiepolitischen Stillstand in
der Bundesregierung aufzulösen, den Streit um längere Laufzeiten für Atom-
kraftwerke zu beenden und am Atomausstieg unverändert festzuhalten;

2. klarzustellen, ob die Aussagen zur Aufkündigung des Atomkonsenses des
Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, oder der
Koalitionsvertrag der CDU, CSU und SPD die energiepolitische Grundlage
der Regierung sind;

3. eine konsequente Politik der Energieeinsparung, der Verbesserung der En-
ergieeffizienz und des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu verfolgen,
sich hierfür ehrgeizigere Ziele zu setzen und weitere politische Rahmen-
setzungen zu verabschieden;

4. einen bedarfsorientierten und verbraucherfreundlichen Energiepass für Ge-
bäude einzuführen. Damit können Mieter und Käufer von Wohnimmobilien
den Energieverbrauch von Objekten vergleichen;

5. ein regeneratives Wärmegesetz vorzulegen. Ähnlich wie im Stromsektor
müssen die erneuerbaren Energien auch beim Heizen stärker zum Einsatz
kommen;

6. bis zur Verabschiedung eines neuen Förderrahmens das Marktanreiz-
programm für erneuerbare Energien (MAP) deutlich aufzustocken. Um
einen Fadenriss in den Herstellerbranchen von Holzpelletheizungen und
Solarthermie zu verhindern, müssen die Mittel für das MAP ab sofort wie-
der zur Verfügung stehen;

7. ein Gesetz zur Biogaseinspeisung zu verabschieden. Biogas kann Erdgas im
erheblichen Umfang ergänzen bzw. ersetzen. Die Biogaseinspeisung ist da-
her ein zukunftsweisender Beitrag für die Sicherung der Energieversorgung
und den Klimaschutz. Verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen z. B. zur
Aufbereitung, zur Einspeisung und für wirtschaftlich rentable Vergütungs-
sätze müssen dafür zügig erarbeitet werden;

8. den Ausbau der Netzinfrastruktur für die Sektoren Strom, Gas, Nah- und
Fernwärme auf eine dezentrale Energieerzeugung mit einem großen Anteil
erneuerbarer Energien auszurichten. Dies bedeutet auch virtuelle Kraft-
werke mit dezentraler KWK und neue Speichertechnologien einzuführen
und auszubauen;

9. als Ersatz für die Grundlast der abzuschaltenden Atomkraftwerke den Neu-
bau und die Optimierung bestehender Biomassekraftwerke, Tiefenerd-
wärmekraftwerke und Wasserkraft zu unterstützen;

10. den für die Nutzung der Offshore-Windenergie notwendigen Netzausbau
zügig umzusetzen und die Entwicklung von Speichertechnologien voranzu-
treiben und dabei verstärkt auf weniger störanfällige Erdkabel zu setzen;

11. die Finanzmittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm unter Berück-
sichtigung der haushaltsrechtlichen Vorschriften zeitnah zur Verfügung zu
stellen. Die Bundesregierung verschuldet mit der verspäteten Einbringung
des Bundeshaushalts 2006 einen Investitionsstau bis in den Sommer 2006
hinein;

12. zügig eine nationale Strategie zur Energieeffizienz zu erarbeiten, da nach
der EU-Richtlinie zur Energieeffizienz Deutschland eine solche Strategie
mit konkreten Zielen und Maßnahmen bis Mitte 2007 vorlegen muss;

13. die Förderung für die Kraft-Wärme-Kopplung zu verbessern. Entscheidend
hierfür wird sein, dass die Bundesregierung endlich den im KWK-Förder-
gesetz vorgesehenen Monitoringbericht vorlegt. Die Überprüfung und
Nachbesserung des Gesetzes muss schnell erfolgen, damit das Ziel einer

Verdopplung des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahr 2010 er-
reicht werden kann;

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14. den Emissionshandel dahin gehend zu optimieren, dass stärkere Anreize für
einen effizienten Einsatz fossiler Brennstoffe und den stärkeren Einsatz von
erneuerbaren Energien auch in bestehenden Kraftwerken gesetzt werden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb dazu auf,
beim Zuteilungsplan für die Jahre 2008 bis 2012 hohe Anreize für den
Brennstoffwechsel zu setzen und 10 Prozent der Zertifikate zu versteigern;

15. einen Klimaschutzfonds für Effizienzmaßnahmen einzurichten, mit dem in
Schulen, Krankenhäusern, Kommunen und privaten Haushalten die Ener-
gieeinsparung vorangetrieben werden kann. Statt länger die deutsche Stein-
kohle zu subventionieren, sollten diese Mittel einen solchen Fonds speisen;

16. sich bei der EU-Kommission dafür einzusetzen, die Verbrauchskennzeich-
nung für Elektrogeräte zu verbessern. Mit einer besseren Kennzeichnung
des Stromverbrauchs von Kühlschränken, Computern und anderen Elektro-
geräten können sog. Stromfresser leichter identifiziert und ausgemustert
werden;

17. sich bei der EU-Kommission dafür einzusetzen, dass die Durchführungsver-
ordnungen zur Umsetzung der Ökodesign-Richtlinie für mehr Energieein-
sparung ambitioniert ausfallen und dabei unter anderem der Top-Runner-
Ansatz für möglichst viele Produkte eingesetzt wird;

18. ein nationales Top-Runner-Programm nach dem Vorbild Japans zu ent-
wickeln, mit dem der Wettbewerb um beste Entwicklungen angestoßen wer-
den kann. Grenzwerte für den Stromverbrauch von Elektrogeräten müssen
nicht immer im Detail vorgeschrieben werden. Stattdessen soll der aktuell
beste Anbieter den künftig geltenden Standard setzen;

19. den Wettbewerb auf den Energiemärkten zu fördern, indem die Regelungen
der 2005 verabschiedeten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes konse-
quent umgesetzt und ausgeweitet werden. Fairer Wettbewerb auf den Ener-
giemärkten in Deutschland und Europa ist die Voraussetzung für mehr Effi-
zienz, Innovationen, erneuerbare Energien, Umweltschutz und faire Preise;

20. die Energieforschung zu verstärken und die Prioritäten zu verlagern. Im
vorgesehenen Innovationsprogramm der Bundesregierung muss sie den
finanziellen Schwerpunkt auf erneuerbare Energien und Energieeinsparung
legen, nicht aber auf Atom- und Fusionsforschung. Das Gleiche gilt für die
Einflussnahme der Bundesregierung auf das 7. Forschungsrahmenpro-
gramm der EU;

21. Maßnahmen einzuleiten, den Energieverbrauch auch im Verkehrsbereich
drastisch zu senken. Dazu brauchen wir europaweit ambitionierte und ver-
bindliche Verbrauchsobergrenzen sowie eine stärkere Umstellung der Ver-
kehrsleistungen auf öffentlichen Personennahverkehr und Schienengüter-
verkehr auch in den ländlichen Räumen;

22. alternative Antriebssysteme und Treibstoffe zu fördern, indem die steuer-
liche Förderung, insbesondere die Steuerbefreiung von reinen Biokraft-
stoffen, beibehalten wird und ergänzend eine Beimischungspflicht ein-
geführt wird. Forschungs- und Entwicklungsförderung müssen ausgebaut
werden, insbesondere um Nullemissionsfahrzeuge technologisch zu ent-
wickeln, zu optimieren und in den Massenmarkt einzuführen.

Berlin, den 7. Februar 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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