BT-Drucksache 16/5450

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Gehb, Norbert Geis, Ute Granold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Joachim Stünker, Dr. Carl-Christian Dressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD -16/3811- Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 b) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Markus Kurth, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/1171- Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheitsgesetzes

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5450
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Gehb, Norbert Geis, Ute Granold,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Joachim Stünker,
Dr. Carl-Christian Dressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
– Drucksache 16/3811 –

Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
vom 14. Juli 1933

b) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Markus Kurth, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/1171 –

Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheitsgesetzes

A. Problem

Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 war das
erste Rassengesetz des NS-Staates und die Grundlage für die zwangsweise
Sterilisation von über 350 000 Menschen zwischen 1933 und 1945. Bis zu
6 000 Frauen und ungefähr 600 Männer starben an den Folgen des Eingriffes.

Zu Buchstabe a

Die Antragsteller ächten das Gesetz als Ausdruck der menschenverachtenden
nationalsozialistischen Auffassung vom „lebensunwerten Leben“. Das Gesetz
sei aber bereits mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß Artikel 123
Abs. 1 GG insoweit außer Kraft getreten, als es gegen das Grundgesetz ver-
stieß. Die Vorschriften, die Maßnahmen mit Einwilligung des Betroffenen vor-
sahen, seien durch Artikel 8 Nr. 1 des Gesetzes vom 18. Juni 1974 (BGBl. I
S. 1297) aufgehoben. Das Gesetz sei damit nicht mehr existent und könne nicht
mehr aufgehoben werden. Sie bekräftigen erneut, dass es sich hierbei um natio-
nalsozialistisches Unrecht gehandelt habe und erstrecken diese Feststellung

und Ächtung auch ausdrücklich auf das Gesetz, soweit es Zwangssterilisierun-
gen habe rechtlich absichern sollen. Sie stellen fest, dass das Gesetz der erste
Schritt auf dem Weg zum „Euthanasie“-Massenmordprogramm gewesen sei
und bezeugen den Opfern der Zwangssterilisierung und ihren Angehörigen ihre
Achtung und ihr Mitgefühl. Hiermit sollen jegliche Zweifel am Willen des Ge-
setzgebers zur umfassenden Genugtuung und Rehabilitierung der Betroffenen
beseitigt werden.

Drucksache 16/5450 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zu Buchstabe b

Die Antragsteller unterstützen das Anliegen des Bundes der „Euthanasie“-
Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V., das Gesetz aufzuheben und für
nichtig zu erklären. Sie fordern daher die Bundesregierung auf, einen Vorschlag
vorzulegen, wie der Gesetzgeber dem Anliegen dieses Verbandes gerecht
werden könne.

B. Lösung

Zu Buchstabe a

Annahme des Antrags auf Drucksache 16/3811 mit den Stimmen der Frak-
tionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion DIE LINKE.

Zu Buchstabe b

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 16/1171 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion der FDP

C. Alternativen

Annahme des Antrags auf Drucksache 16/1171 und Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 16/3811.

D. Kosten

Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5450

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

a) den Antrag auf Drucksache 16/3811 anzunehmen,

b) den Antrag auf Drucksache 16/1171 abzulehnen.

Berlin, den 23. Mai 2007

Der Rechtsausschuss

Andreas Schmidt (Mülheim)
Vorsitzender

Dr. Jürgen Gehb
Berichterstatter

Dr. Carl-Christian Dressel
Berichterstatter

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Berichterstatterin

Wolfgang Neskovic
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

weit es als Bundesrecht fort galt und mit Gesetz
III. Beratung im Rechtsausschuss

Der Rechtsausschuss hat die Anträge in seiner 64. Sitzung
am 23. Mai 2007 beraten und mit den Stimmen der Frak-

vom 18. Juni 1974 außer Kraft gesetzt wurde, auf-
gehoben wird.“

Begründung:
1. Der Änderungsantrag greift die Bedenken der Opferver-
Drucksache 16/5450 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dr. Jürgen Gehb, Dr. Carl-Christian Dressel,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Wolfgang Neskovic und Jerzy Montag

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
16/1171 in seiner 57. Sitzung am 19. Oktober 2006 und den
Antrag auf Drucksache 16/3811 in seiner 73. Sitzung am
14. Dezember 2006 in erster Lesung beraten und zur feder-
führenden Beratung dem Rechtsausschuss und zur Mit-
beratung dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, dem Ausschuss für Gesundheit sowie dem Aus-
schuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe über-
wiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend hat die Anträge in seiner 30. Sitzung am 19. März
2007 beraten und den Antrag auf Drucksache 16/3811
mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktionen FDP und DIE LINKE. zur Annahme empfohlen.

Der Ausschuss hat mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der FDP empfohlen, den Antrag
auf Drucksache 16/1171 abzulehnen.

Der Ausschuss für Gesundheit hat die Anträge in seiner
54. Sitzung am 23. Mai 2007 beraten und mit den Stimmen
der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE
LINKE. den Antrag auf Drucksache 16/3811 zur Annahme
empfohlen.

Der Ausschuss hat mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der FDP empfohlen, den Antrag auf
Drucksache 16/1171 abzulehnen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe hat die Anträge in seiner 30. Sitzung am 20. März 2007
beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei
Stimmenthaltung der Fraktion der FDP und Abwesenheit der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des
Antrags auf Drucksache 16/3811 empfohlen.

Der Ausschuss hat mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP und
Abwesenheit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
empfohlen, den Antrag auf Drucksache 16/1171 abzulehnen.

beschlossen zu empfehlen, den Antrag auf Drucksache
16/3811 anzunehmen.

Er hat ferner mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion der FDP beschlossen zu empfehlen, den Antrag auf
Drucksache 16/1171 abzulehnen.

Bei den Beratungen des Rechtsausschusses lag eine Petition
vor.

Die Fraktion der SPD betonte, dass der Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eine deutliche Sprache zur
Verurteilung dieses ersten rassistischen NS-Unrechtsgeset-
zes gefunden habe und der Deutsche Bundestag den Opfern
dadurch sein Mitgefühl deutlich ausspreche. In einem er-
weiterten Berichterstattergespräch hätten die dort vertrete-
nen Opferverbände und der Sachverständige den vorliegen-
den Antrag auf Drucksache 16/3811 daher als zielführend
begrüßt. Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. sei
in Nummer 1 widersprüchlich; in Nummer 2 werde im
Wesentlichen die Aufhebung eines ungültigen Gesetzes ge-
fordert.

Die Fraktion DIE LINKE. stellte folgenden Änderungs-
antrag:

1. Ziffer I Abs. 11 des Antrags auf Drs. 16/3811 wird wie
folgt gefasst:

„Das dem Grundgesetz widersprechende und menschen-
verachtende „Gesetz zur Verhütung erbranken Nach-
wuchses“ vom 14. Juli 1933 war nie Teil der Rechts-
ordnung der Bundesrepublik Deutschland und stellt
nationalsozialistisches Unrecht dar.
Die Gültigkeit des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 529; ge-
ändert durch die Gesetze vom 26. Juli 1935, RGBl. I
S. 773, und vom 4. Februar 1936, RGBl. I S. 119) endete
mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, weil (und so-
weit) es diesem widersprach (Artikel 123 Abs. 1 GG).
Die wenigen danach noch gültigen Vorschriften über
Maßnahmen mit Einwilligung des Betroffenen wurden
durch Artikel 8 Nr. 1 des Gesetzes vom 18. Juni 1974
(BGBl. I S. 1297) außer Kraft gesetzt. Das Gesetz ist
daher auch hinsichtlich dieser Vorschriften nicht mehr
anwendbar.“

2. Folgende Ziffer VI wird nach Ziffer V angefügt:

„VI. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach
dem das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach-
wuchses“ vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 529), so-
tionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.

bände gegenüber dem Antrag der CDU/CSU und SPD
(BT- Drs. 16/3811) auf. Wegen entgegenstehender Äuße-

Wolfgang Neskovic
Berichterstatter
Berichterstatter Berichterstatte

Jerzy Montag
Berichterstatter
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5450

rungen in der Bundesrepublik seitens der Bundesregie-
rung, Politik, Justiz und Ärzteschaft in den fünfziger und
sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist es notwendig,
klarstellend jeden Rechtsschein des Weitergeltens des
„Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom
14. Juli 1933“ zu zerschlagen. Es bedarf der zweifels-
freien Klarstellung, dass dieses menschenverachtende
Gesetz nationalsozialistisches Unrecht darstellt und als
solches niemals Bestandteil der bundesdeutschen
Rechtsordnung war, weil es Art. 123 GG widersprach.

2. Wenige als Bundesrecht fort geltende Regelungen des
Gesetzes, die dem Grundgesetz nicht widersprachen,
wurden mit dem Gesetz vom 18. Juni 1974 (BGBl. I
S. 1297) außer Kraft gesetzt. Sie sollen durch einen
gesonderten Gesetzentwurf ausdrücklich aufgehoben
werden, um dem dahingehenden Willen des Gesetz-
gebers zweifelsfrei Geltung zu verleihen. Da diese Auf-
hebung nicht bereits durch den vorliegenden Antrag um-
gesetzt werden kann, wird die Bundesregierung auf-
gefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzu-
legen.

Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. wurde
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.

Berlin, den 23. Mai 2007

Dr. Jürgen Gehb
Berichterstatter

Dr. Carl-Christian Dressel Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
rin

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