BT-Drucksache 16/5222

Zwangsverrentung nach SGB II und Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Rente ab 67

Vom 30. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5222
16. Wahlperiode 30. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Kornelia Möller, Elke Reinke, Frank Spieth, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Zwangsverrentung nach SGB II und Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch
die Rente ab 67

Auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache
16/4952) hat die Bundesregierung in ihrer Antwort bestätigt, dass, mit dem
Auslaufen der so genannten 58er-Regelung zum Ende dieses Jahres, Langzeit-
erwerbslose zum frühest möglichen Zeitpunkt (teilweise schon ab 60 Jahren)
zwangsverrentet werden. Dies betrifft alle, die nach dem 31. Dezember 2007
erwerbslos oder 58 Jahre alt werden, länger als 18 Monate erwerbslos sind und
Anspruch auf eine Altersrente – auch mit Abschlägen – haben. Die Abschläge
belaufen sich je nach Fall auf bis zu 18 Prozent. Auch bestreitet die Bundes-
regierung in der Antwort nicht, dass diese Zwangsverrentungen dem erklärten
Ziel der Rente mit 67, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, entgegen laufen.
Mehr noch, die Bundesregierung fordert im Rahmen der Initiative 50Plus von
der Wirtschaft und Gesellschaft ein Umdenken, was die Beschäftigung älterer
Menschen betrifft. Im Rechtskreis des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II) ist diese Forderung jedoch nicht verankert. Das heißt, durch die Rente
ab 67 sowie die Regeln zur Zwangsverrentung werden Langzeiterwerbslose
und ihre Partnerinnen und Partner vom Arbeitsmarkt in die Rente gezwungen.
Und dies teilweise schon im Alter von 60 Jahren (z. B. Frauen und Schwerbe-
hinderte der Jahrgänge 1950/1951). Damit verlieren diese Erwerbslosen auch
jeden Anspruch auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und damit einherge-
hende Chancen wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung zu, dass ältere Erwerbslose, die nach den
Regeln des SGB II in Rente gezwungen werden, keinen Anspruch mehr auf
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen haben?

Wenn nein, auf welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen haben diese
Älteren dann Anspruch?

2. Stimmt die Bundesregierung der Aussage ganz oder in Teilen zu, dass die

Rückkehr zwangsverrenteter Erwerbsloser ins Erwerbsleben dadurch er-
schwert wird, dass sie einerseits keinen Anspruch mehr auf Maßnahmen zur
Wiedereingliederung haben und andererseits kein finanzieller Anreiz dazu
besteht, da die durch die Zwangsverrentung verursachten Abschläge auf die
Rente auch bei erneuter Arbeitsaufnahme voll erhalten bleiben?

Drucksache 16/5222 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Stimmt die Bundesregierung zu, dass in einer Bedarfsgemeinschaft nach
dem SGB II alle Mitglieder (hier vor allem die Partner) verpflichtet sind,
sofern sie Anspruch auf eine Rente haben, diese auch zum frühest mög-
lichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen?

4. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Person, die aufstockend zu
einer gering entlohnten Beschäftigung Leistungen nach dem SGB II be-
zieht, gezwungen, einen Antrag auf Altersrente oder Teilrente zu stellen,
sofern sie einen Anspruch auf eine solche hat?

5. Wären bei einer Bedarfsgemeinschaft beide Lebenspartner, die ergänzend
zu einer geringfügigen Beschäftigung Leistungen nach dem SGB II bezie-
hen, gezwungen, einen Antrag auf Rente zum frühest möglichen Zeitpunkt
zu stellen?

6. Wie viele Personen, die einen Anspruch auf eine Altersrente haben, befin-
den sich aktuell im Rechtskreis des SGB II und SGB III?

Wie viele Personen umfassen diese Bedarfsgemeinschaften insgesamt?

7. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass Bezieher und Beziehe-
rinnen von ALG II, die einen Anspruch auf Altersrenten haben und einen
Antrag auf diese stellen müssen, anschließend keinen Anspruch mehr auf
Leistungen im Rahmen der Initiative 50Plus haben?

8. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass die Regelung zur
Zwangsverrentung nach dem SGB II insbesondere für Personen mit nur
geringen Rentenansprüchen dazu führt, dass Erwerbstätigkeit ergänzend
zum Rentenbezug für jene zum Regelfall wird?

9. Würde nach Auffassung der Bundesregierung die Zwangsverrentung ge-
ringfügig Beschäftigter dazu führen, dass eine Form von Kombilohn von
der Gesetzlichen Rentenversicherung finanziert und die Kosten dafür auf
die versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überwälzt werden
würde?

10. Haben Personen, die aufgrund der Zwangsverrentung weiterhin hilfebe-
dürftig sind, Anspruch auf die Grundsicherung im Alter oder auf Leistun-
gen nach dem ALG II?

11. Stimmt die Bundesregierung zu, dass für den Fall, dass eine Person, die
bereits zwangsverrentet wurde, erneut eine Berufstätigkeit aufnimmt, die
Rentenzahlungen zwar ausgesetzt werden können, die vom Träger des
ALG II erzwungenen Abschläge auf diese jedoch bis zum Lebensende
bestehen bleiben?

12. Welchen Zweck erfüllt aus Sicht der Bundesregierung die Regelung zur
Zwangsverrentung von erwerbsfähigen Personen?

13. Stimmt die Bundesregierung zu, dass durch die Maßnahmen zur Zwangs-
verrentung die Anzahl an ALG-II-Beziehern gesenkt wird, und diese Maß-
nahmen somit einen positiven Effekt auf die Erwerbslosenquote hat?

Wenn ja, ist dieser Effekt erwünscht?

14. Stimmt die Bundesregierung zu, dass durch die Zwangsverrentung die (so-
zialversicherungspflichtige) Erwerbsquote älterer Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer tendenziell sinkt und damit einen gegenteiligen Effekt zu
der von der Bundesregierung als offizielles Ziel zur Rente ab 67 angegeben
Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der Erhöhung der Erwerbsquote
Älterer hat?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5222

15. Zieht die Bundesregierung aufgrund der tendenziellen Verkürzung der Le-
bensarbeitszeit durch die Zwangsverrentung in Erwägung, diese Regelung
aus dem SGB II zu streichen oder zu modifizieren (gegebenenfalls erläu-
tern)?

16. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass

a) eine alleinstehende Frau, die am 1. Januar 1951 geboren ist und die
Voraussetzungen für eine Altersrente für Frauen erfüllt sowie über den
31. Dezember 2010 hinaus ALG II bezieht, zum 1. Januar 2011 einen
Antrag auf Altersrente mit 18 Prozent Abschlägen stellen muss?

b) eine alleinstehende Frau, die am 1. Januar 1951 geboren ist und einen
Minijob in Höhe von 351 Euro ausübt, die Voraussetzungen für eine
Altersrente für Frauen erfüllt, welche sich mit Abschlägen von 18 Pro-
zent auf wenigsten 352 Euro beläuft, und über den 31. Dezember 2010
hinaus ergänzend ALG II bezieht, zum 1. Januar 2011 einen Antrag auf
Altersrente mit 18 Prozent Abschlägen stellen muss?

Wenn ja, welche Konsequenzen hätte der Antrag auf Rente für ihre Er-
werbstätigkeit da ihr Verdienst von 351 Euro über der Hinzuverdienst-
grenze einer Vollrente liegt?

c) eine alleinstehende Frau, die am 1. Januar 1951 geboren ist und einen
Minijob mit einem Verdienst von 350 Euro ausübt, die die Voraussetzun-
gen für eine Altersrente für Frauen erfüllt und über den 31. Dezember
2010 hinaus ergänzend ALG II bezieht, zum 1. Januar 2011 einen An-
trag auf Altersrente mit 18 Prozent Abschlägen stellen muss?

d) ist eine Person, die im Jahr 2030 45 Pflichtbeitragsjahre aufweisen
kann und im Alter von 64,5 Jahren Leistungen nach dem SGB II bezieht
gezwungen, einen Antrag auf Rente mit Abschlägen von 9 Prozent zu
stellen, obwohl sie im Alter von 65 Jahren einen Anspruch auf eine ab-
schlagsfreie Rente hätte?

17. Welches Nettorentenniveau vor Steuern hätte eine Person im Jahr 2030
(nach den bisherigen Vorausberechnungen), die 35 Jahre Pflichtbeiträge
aus einer Beschäftigung mit einem Verdienst von Dreivierteln des Durch-
schnittsverdienstes entrichtet hat und mit Vollendung des 63. Lebensjahres
aufgrund von Erwerbslosigkeit zwangsverrentet wird?

In welchem Verhältnis würde die Höhe der Rente zur Höhe der Grund-
sicherung im Alter im Jahr 2030 voraussichtlich liegen?

18. Wann wäre für welche Personengruppen der jeweils frühest mögliche Zeit-
punkt, einen Antrag auf Rente zustellen, welche Abschläge müssten dabei
jeweils hingenommen werden, und wie viele Entgeltpunkte wären heute
und 2030 jeweils nötig, um die durchschnittliche Höhe der Grundsiche-
rung im Alter von derzeit etwa 650 Euro (bzw. in 2030 etwa 20 Prozent des
Durchschnittslohns) zu erreichen (bitte auch auslaufende und neu einge-
führte Rentenarten aufführen; tabellarische Antwort erwünscht)?

Berlin, den 27. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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