BT-Drucksache 16/5177

Negative Auswirkungen von Patenten bei der Entwicklung und Verbreitung wichtiger Medikamente

Vom 27. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5177
16. Wahlperiode 27. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether
Dehm, Dr. Barbara Höll, Wolfgang Gehrcke, Katja Kipping, Dr. Norman Paech,
Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Alexander Ulrich, Sabine Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Negative Auswirkungen von Patenten bei der Entwicklung und Verbreitung
wichtiger Medikamente

Gerade im Pharma-Bereich sollen Patente garantieren, dass Unternehmen ihre
Forschungsaufwendungen durch temporäre Monopolgewinne finanzieren kön-
nen. Kritiker betonen aber, dass der Patentschutz den Pharmaunternehmen ex-
trem hohe Renditen beschert, die weit über die Forschungsaufwendungen hinaus
gehen. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz kritisiert, dass Pharma-
unternehmen heute weit mehr für Werbung und Marketing ausgeben, als für
Forschung (FTD 16. März 2007).

Zudem leisten Patente keinen Anreiz zur Entwicklung von Medikamenten, für
die keine kaufkräftige Nachfrage besteht – z. B. für Medikamente oder Impf-
stoffe gegen Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Schlafkrankheit, von
denen Millionen Menschen in ärmeren Ländern betroffen sind. Schon existie-
rende Medikamente – etwa zur Behandlung von HIV/Aids – werden durch die
Patentmonopole so teuer verkauft, dass Betroffene in armen Ländern sich diese
nicht leisten können.

2001 beschlossen die WTO-Staaten in Doha, kein Land dürfe durch geistige
Eigentumsrechte daran gehindert werden, die öffentliche Gesundheit zu schüt-
zen. Allerdings wurden die Regelungen, die es Staaten erlauben, im nationalen
Notfall preisgünstige Generika von patentierten Arzneimitteln zu importieren, so
kompliziert gestaltet, dass sie kaum angewendet werden können. Zudem bekla-
gen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), dass insbesondere die USA – mit
Billigung der EU – bilaterale Handelsabkommen vorantreiben, die diese Mög-
lichkeiten weiter einschränken.

Um die Erforschung neuer Arzneimittel für vernachlässigte Krankheiten zu ge-
währleisten werden u. a. verschiedene alternative Anreizmechanismen für die
Pharma-Forschung diskutiert, die Patente ersetzen könnten. Die Weltgesund-
heitsorganisation (WHO) hat eine „Intergovernmental Working Group on Inno-
vation, Public Health and Intellectual Property“ eingerichtet, die sich mit diesen

Themen befasst.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Patente keinen „Beitrag zur
Behandlung jener Krankheiten (…) leisten, die am dringendsten bekämpft
werden müssen“, wie es z. B. der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz
kritisiert, und wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

Drucksache 16/5177 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Welche neuen Arzneimittel und Impfstoffe sind in den vergangenen zwan-
zig Jahren gegen die großen Armuts- und Tropenkrankheiten Malaria,
Tuberkulose, Schlafkrankheit, Chagas-Krankheit und Kala-Azar entwickelt
worden, und wie schätzt die Bundesregierung hier den Bedarf ein?

3. Wie hoch ist in Bezug auf diese Krankheiten schätzungsweise die Anzahl
der jährlich neu Erkrankten bzw. der an diesen Krankheiten versterbenden
Menschen?

4. Was unternimmt die Bundesregierung konkret, um eine Pharma-Forschung
zu ermöglichen, die insbesondere Medikamente gegen Krankheiten, die in
den armen Ländern auftreten entwickelt?

Wie setzt sie sich auf internationaler Ebene für dieses Ziel ein?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung alternative Anreizmechanismen im Be-
reich der Pharma-Forschung, wie Aufkaufverpflichtungen oder Preisfonds?

Können diese Anreizsysteme nach Ansicht der Bundesregierung eine Alter-
native zu Patenten darstellen, und wie begründet die Bundesregierung ihre
Position?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung Forschungsmodelle, die auf einer Tren-
nung von Entwicklung und Produktion von Medikamenten basieren (etwa
in Form einer komplett öffentlichen Finanzierung der Entwicklung und
einer Privaten Produktion von nicht Patent geschützten Medikamenten im
Anschluss)?

7. Wäre die Bundesregierung bereit, nicht gewinnorientierte Projekte der Arz-
neimittelentwicklung finanziell zu unterstützen, und wie begründet die Bun-
desregierung ihre Position?

8. Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung auf dem G8-Gipfel in
St. Petersburg 2006 gegen die Etablierung eines alternativen Anreizmecha-
nismus in Form einer Abnahmegarantie für neue Medikamente ausgespro-
chen, obwohl die WHO-Kommission zu geistigen Eigentumsrechten, Inno-
vation und öffentlicher Gesundheit in ihrem Bericht Gelder bzw. neue
Finanz- und Anreizmechanismen für die Erforschung neuer Arzneimittel
anmahnt und dabei insbesondere die Regierungen in der Pflicht sieht, und
obwohl auch die USA, Großbritannien und Russland gerne eine solche
Initiative gestartet hätten (FAZ 17. Juni 2006)?

9. Was unternimmt die Bundesregierung, um die in Frage 5 angesprochenen
alternativen Anreizmechanismen weiterzuentwickeln, und wie stärkt sie die
konkrete Anwendung solcher Systeme?

10. Wie hat die Bundesregierung auf der WHA (Weltgesundheitsversammlung)
2006 über die von Kenia und Brasilien eingereichte Resolution „Global
framework on essential health and development“ (EB117.R13) zur Einfüh-
rung globaler Richtlinien für eine an den öffentlichen Bedürfnissen orien-
tierte Gesundheitsforschung und die Einrichtung einer intergovernmental
working group abgestimmt, wie haben die anderen Länder der Europäischen
Union darüber abgestimmt, und wie begründet die Bundesregierung ihre
Position?

11. Hat sich die Bundesregierung innerhalb der WHO für die Gründung der
„Intergovernmental Working Group on Innovation, Public Health and
Intellectual Property“ stark gemacht, mit welchen Zielen und mit welcher
inhaltlichen Aufgabenstellung beteiligt sie sich an der Arbeitsgruppe, wie
bewertet sie deren bisherige Arbeit, und wie begründet sie ihre Position?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5177

12. Hält es die Bundesregierung für verhältnismäßig, dass Pharmaunternehmen
mit Patenten Monopolgewinne erzielen, obwohl sie mittlerweile mehr für
Werbung und Marketing ausgeben, als für Forschung und Entwicklung, wie
u. a. Joseph Stiglitz kritisiert?

13. Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass nach Angaben der amerikani-
schen Arzneimittelzulassungsbehörde (FDA) nur jedes vierte neu zugelas-
sene Medikament einen therapeutischen Nutzen für den Patienten bringt
und dass es sich bei den anderen um sog. Scheininnovationen handelt?

14. Sieht die Bundesregierung darin ein Dilemma, dass die Bundeskanzlerin,
Dr. Angela Merkel, sich einerseits als EU-Ratspräsidentin für den freien Zu-
gang zu HIV/Aids-Medikamenten ausgesprochen hat, die deutsche Regie-
rung sich aber zugleich während ihrer G8-Präsidentschaft für den stärkeren
Schutz geistiger Eigentumsrechte einsetzen will, der dazu führt, dass HIV/
Aids-Medikamente für große Teile der Weltbevölkerung unzugänglich und
unerschwinglich sind, wie will die Bundesregierung mit diesem Dilemma
umgehen und wie begründet sie ihre Position?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik von NGOs, dass die Industrie-
länder durch politischen Druck und insbesondere bilaterale Handels- und
Investitionsschutzabkommen (so genannte TRIPS-Plus-Verträge) einen
stärkeren Schutz geistiger Eigentumsrechte in Entwicklungsländern voran-
treiben, wodurch der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten stark ver-
teuert und erschwert wird, die sog. Doha-Erklärung also unterlaufen wird,
und wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

16. Streben Deutschland bzw. die EU innerhalb ihrer Wirtschaftsabkommen mit
Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas den Abschluss so genannter
TRIPS-Plus-Abkommen an, gibt es bereits solche bilateralen Abkommen
der EU bzw. Deutschlands, die TRIPS-Plus-Regelungen enthalten?

Wenn ja, welche werden angestrebt, und welche gibt es bereits?

17. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die Regelungen zum Schutz
geistigen Eigentums gelockert werden, um eine preisgünstige Versorgung
mit Generika für patentgeschützte Arzneimittel in Entwicklungsländern zu
ermöglichen, wenn ja – auf welche Weise tut sie dies, wenn nein – warum
nicht?

18. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Feststellung der WHO-Kom-
mission zu geistigen Eigentumsrechten, Innovation und öffentlicher Ge-
sundheit, dass die sog. Paragraph-6-Lösung zur öffentlichen Gesundheit,
die im Rahmen der WTO die Versorgung von armen Ländern mit Generika
ermöglichen sollte, nicht erfolgreich war, dass diese Regelung auf ihre
Effektivität hin überprüft und gegebenenfalls verbessert werden sollte
(Empfehlung 34, Annex zu A/PHI/IGWG/1/2)?

19. Unterstützt die Bundesregierung Entwicklungsländer dabei, die Ausnahme-
regeln unter dem TRIPS-Abkommen effektiv und umfassend zu nutzen um
den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten zu ermöglichen?

Wenn ja, in welcher Weise tut sie dies, wenn nein – warum nicht?

Berlin, den 25. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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