BT-Drucksache 16/5145

Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Bundesautobahnen

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5145
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dorothee Menzner, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Lutz Heilmann,
Hans-Kurt Hill, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf
Bundesautobahnen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, mit dem

auf Bundesautobahnen zum 1. Januar 2008 eine generelle Geschwindigkeits-
obergrenze von 130 Kilometern pro Stunde als Bestandteil der integrierten
CO2-Minderungsstrategie im Automobilsektor eingeführt wird.

Berlin, den 25. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Deutschland ist weltweit eines der ganz wenigen Länder, auf dessen Autobah-
nen keine generelle Geschwindigkeitsgrenze gilt. Alle unsere Nachbarländer
haben ein Tempolimit. In Frankreich, Luxemburg, Österreich, Tschechien,
Polen und Dänemark liegt es bei 130 Kilometern pro Stunde, in Belgien, in den
Niederlanden und der Schweiz bei 120 Kilometern pro Stunde.

Die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen wird sowohl von
der Generaldirektion Umwelt als auch von der Generaldirektion Verkehr der
EU-Kommission befürwortet. Es würde den deutschen Sonderweg beenden
und wäre ein Beitrag zur Harmonisierung der europäischen Verkehrsregeln. Die
Gründe für ein generelles Tempolimit leiten sich aus dem Umwelt- und Klima-
schutz, der Energieeinsparung, der technologischen Zukunftsfähigkeit der deut-
schen Automobilindustrie, der Verkehrssicherheit sowie dem demographischen

Wandel ab.

1. Umwelt- und Klimaschutz

Der Straßenverkehr trägt in erheblichen Größenordnungen zur Belastung der
Umwelt bei: 19 Prozent der Kohlendioxidemissionen, 47 Prozent des Stick-
stoffoxidausstoßes und 25 Prozent der Staubemissionen werden durch ihn ver-

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ursacht. Verkehrslärm, Bodenversiegelung und die Zerschneidung von natür-
lichen Lebensräumen belasten Mensch und Umwelt.

Die EU-Kommission hat im Januar 2007 eine integrierte CO2-Minderungs-
strategie für den Automobilsektor beschlossen. Danach ist der CO2-Ausstoß
von der Autoindustrie durch Veränderungen an den Fahrzeugen auf 130 g je
gefahrenen Kilometer zu begrenzen. Eine weitere Senkung auf 120 g je Kilo-
meter müssen andere Maßnahmen wie die Anrechnung von Biotreibstoffen und
energiesparende Fahrweisen erbringen.

Ein Tempolimit kann nur ein Element einer umweltpolitischen Gesamtstrategie
für den Verkehrsbereich sein, zu der auch CO2-Grenzwerte für die Automobil-
flotte, neue Antriebstechniken und Kraftstoffe, Schadstoff- und Feinstaub-
grenzwerte, Verbrauchskennzeichnungen, gezielte Steueranreize über die
Kraftfahrzeugsteuer, aktive und passive Lärmschutzmaßnahmen, Maßnahmen
des Naturschutzes und der Flächenschonung, die Neuausrichtung von Raum-
ordnungs- und Siedlungspolitik am Ziel der Verkehrsminderung und -vermei-
dung und die Verbesserung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs gehören.

Über diese Maßnahmen hinaus würde ein generelles Tempolimit die Umwelt
zusätzlich erheblich entlasten. Dies betrifft vor allem die Reduzierung von
Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen. Neben den Verbesserungen in der
Fahrzeugtechnik, die von den Automobilproduzenten zu erbringen sind, ist die
Befolgung eines generellen Tempolimits und angepasstes individuelles Fahr-
verhalten der wichtigste Beitrag, den die Autofahrer selbst erbringen können.
Das Umweltbundesamt (UBA) weist deshalb zu Recht darauf hin, dass der Bei-
trag eines generellen Tempolimits zum Umwelt- und Klimaschutz erheblich sei
und die gleiche Relevanz habe wie die zuvor genannten spezifischen Maßnah-
men.

So würde ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde einen Rückgang der
von Pkw auf Bundesautobahnen verursachten CO2-Emissionen um 9 Prozent
gegenüber dem Status quo zur Folge haben. Der Automobilklub ADAC nennt
in seinem Papier „Verkehr auf Autobahnen: Das Für und Wider einer generel-
len Geschwindigkeitsbeschränkung“ als Argument für ein Tempolimit: „Der
Kraftstoffverbrauch steigt mit zunehmender Geschwindigkeit überproportional
an. Bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 Kilometer pro Stunde
wird der Verbrauch um etwa elf Prozent gegenüber der jetzigen Regelung
(Richtgeschwindigkeit 130 Kilometer pro Stunde) verringert, bei einem Tempo-
limit von 100 Kilometern pro Stunde sinkt der Verbrauch sogar um 22 Prozent.“

Bei einem generellen Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde würde die
Minderung von Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen immer noch rund
sechs Prozent betragen. Dabei ist zwischen der primären Klimaschutzwirkung
eines generellen Tempolimits, die in der unmittelbaren Kraftstoffeinsparung
liegt, und der sekundären Wirkung zu unterscheiden, die in der Abkehr von
einer Modellstrategie auf für hohe Geschwindigkeiten gebauten Fahrzeugen
liegt. Die Hersteller könnten ihre Entwicklungsanstrengungen stärker auf
Leichtbau und Kraftstoffeinsparungen richten. Unstrittig ist die generelle Aus-
sage, dass ein Tempolimit die Ausgaben für den Kraftstoffverbrauch sowie die
Klima- und Umweltbelastung senken würde.

Bei säurebildenden Schadstoffen wie den Stickoxiden hat ein Tempolimit deut-
liche positive Effekte (vgl. Bundestagsdrucksache 13/11200). Bei hohen Ge-
schwindigkeiten steigt die Verbrennungstemperatur und entsprechend der Aus-
stoß von Stickoxiden und anderen Schadstoffen. Nach UBA-Berechnungen
würden die NOx-Emissionen mit einem Tempolimit von 120 Kilometern pro
Stunde um 28 Prozent sinken.
Eine auf maximal 130 Kilometer pro Stunde ausgelegte Geschwindigkeit auf
Autobahnen wird auch eine lindernde Wirkung auf die Lärmbelastung haben.

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Wenn so genannte Exzessivgeschwindigkeiten, das sind Geschwindigkeiten ab
150 Kilometer pro Stunde, in Zukunft entfallen, dann reduziert sich der Lärm-
pegel vor allem in der Spitze, was die Aggressivität der Geräuschkulisse min-
dert. In Kombination mit spezifischen Maßnahmen zum Lärmschutz würde ein
generelles Tempolimit auf jeden Fall zu einer Entlastung von Autobahnanwoh-
nern führen.

2. Volkswirtschaftlicher Nutzen: Energiesicherheit, Automobilexport, Kosten-
senkung

Der Personen- und Güterverkehr auf Deutschlands Straßen ist fast vollständig
abhängig vom Erdöl. Dieses Erdöl muss fast komplett importiert werden, und
zwar aus Weltregionen, die überwiegend als politisch prekär gelten. Deshalb ist
jede Maßnahme zur Reduzierung des Ölverbrauchs auch ein Beitrag zur Erhö-
hung der Energiesicherheit.

Neben den unmittelbaren Effekten eines generellen Tempolimits auf den Ener-
gieverbrauch im Verkehr ist auch ein positiver Technologieeffekt zu erwarten,
der für Deutschlands stark exportabhängige Automobilindustrie von Vorteil
wäre. Ein Tempolimit würde für die Fahrzeugkonstruktion einen Anreiz bilden,
Innovationspotenziale verstärkt auf die Senkung des Durchschnittsverbrauchs
der Kraftfahrzeuge zu lenken. Auf wichtigen Zukunftsmärkten wie etwa China
werden schon in wenigen Jahren keine Autos mehr verkauft werden können,
die nicht systematisch auf geringen Verbrauch ausgerichtet sind. So könnte das
Tempolimit zum Geburtshelfer einer neuen Generation von effizienten und zu-
kunftsfähigen Automobilen „Made in Germany“ werden.

Ein generelles Tempolimit auf den Bundesautobahnen ist auch ein Beitrag zur
Senkung gesamtwirtschaftlicher Kosten. Das UBA konstatiert bei einem Tem-
polimit auf Bundesautobahnen direkte Kosteneinsparungen durch den vermin-
derten Bedarf an Schallschutzanlagen und durch die Möglichkeit einer flexible-
ren Trassenführung.

3. Höhere Verkehrssicherheit

Anlässlich der Halbzeitbilanz des „Europäischen Aktionsprogramms für die
Straßenverkehrssicherheit“ im Februar 2006 stellte die EU-Verkehrskommis-
sion für Europa eine keineswegs positive Bilanz dar und forderte ein generelles
Tempolimit auf allen Straßen Europas. Sie verwies auf die rund 41 600 Men-
schen, die 2005 bei Verkehrsunfällen starben. Dies entspreche 115 Getöteten
pro Tag, also so vielen Opfern, wie beim Absturz eines mittleren Verkehrsflug-
zeugs ums Leben kommen.

Dank der kontinuierlichen Verkehrssicherheitsarbeit der Bundesregierung und
technischer Verbesserungen hat die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten in
Deutschland mittlerweile einen historischen Tiefststand erreicht. Waren 1970
noch mehr als 21 000 Unfalltote zu verzeichnen, war diese Zahl – trotz verdrei-
fachtem Fahrzeugbestand und verdreifachter Jahresfahrleistung – bereits im
Jahr 2006 auf rund 5 000 Tote zurückgegangen. Nach Schätzungen des Statisti-
schen Bundesamtes wird die Zahl der Verkehrstoten im Jahr 2006 bei rund
5 000 liegen und damit einen neuen Tiefststand erreichen. Auch die Zahl der
Unfälle, bei denen Personen verletzt oder getötet wurden, dürfte 2006 um vier
Prozent auf 323 000 sinken. Dieser deutliche Rückgang verdient Anerkennung
nach allen Seiten, dennoch sind die Opferzahlen nach wie vor zu hoch. Täglich
sterben in Deutschland vierzehn Menschen auf den Straßen.

Ein allgemeines Tempolimit trägt zu einer weiteren Reduzierung der Unfälle
und damit zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bei. Es harmonisiert den
Verkehrsfluss, da weniger Brems- bzw. Beschleunigungsvorgänge notwendig

sind. Exzessivgeschwindigkeiten und damit Geschwindigkeitsdifferenzen wer-
den reduziert. Ein Tempolimit hilft, Stausituationen zu vermeiden, indem es bei

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hohen Belastungen die Stabilität des Verkehrsablaufs erhöht. Das Verkehrs-
geschehen wird insgesamt weniger hektisch und aggressiv. Die Mehrheit der
Autobahnbenutzer wird vom Druck aggressiv auffahrender Schnellfahrer be-
freit. Aus der Harmonisierung der europaweiten Verkehrsverhältnisse resultiert
auch ein Sicherheitsgewinn für ausländische Fahrer, die bisher im Transitland
Deutschland auf für sie ungewohnte Verkehrsverhältnisse mit sehr hohen Spit-
zengeschwindigkeiten treffen.

4. Demographischer Wandel: Verkehrsteilnahme älterer Menschen sichern

Die demographische Entwicklung in Deutschland wird erhebliche Auswirkun-
gen auf die Verkehrsentwicklung haben. Im Jahr 2010 wird in Deutschland
jeder Vierte älter als 65 Jahre sein, 2030 sogar jeder Dritte. Ein Tempolimit
wäre ein wichtiger Beitrag zu gleichmäßigerem Verkehrsfluss und somit zur
Mobilitätssicherung älterer Verkehrsteilnehmer. Sie wagen sich dann wieder
auf Autobahnen!

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