BT-Drucksache 16/5106

Die neue Einheitsregierung in Palästina unterstützen

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5106
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Renate Künast, Fritz Kuhn, Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Die neue Einheitsregierung in Palästina unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Formierung einer Regierung der nationa-
len Einheit in den palästinensischen Autonomiegebieten. Nach Monaten der
Unruhe und zuletzt offenen Gewalt zwischen Kämpfern der Fatah und der Ha-
mas ist damit ein Mindestmaß an innerer Stabilität erreicht worden. Das kommt
nicht nur den Palästinensern zugute, sondern ist letztlich auch eine Chance für
Israel, wenn es gelingt, die islamistische Hamas dauerhaft auf einen politischen
Prozess und einen Gewaltverzicht zu verpflichten. Die von Präsident Mahmud
Abbas ernannte neue Regierung der nationalen Einheit mit Premierminister
Ismail Haniya umfasst Mitglieder der Hamas, der Fatah, mehrerer kleinerer Par-
teien sowie Unabhängige. Sie ist nach schwierigen Verhandlungen auf Grund-
lage der von Saudi-Arabien vermittelten Mekka-Vereinbarung entstanden.

Wir erwarten von der neuen Regierung, die Waffenruhe einzuhalten, den andau-
ernden Beschuss Israels mit Qassam-Raketen aus dem Gaza-Streifen zu unter-
binden und aktive Schritte zur unverzüglichen Freilassung des entführten israe-
lischen Soldaten Gilad Shalit zu unternehmen. Dafür muss ein Zerbrechen der
fragilen Vereinbarung und ein Rückfall in gewaltsame Konfrontationen verhin-
dert werden. Die EU muss deshalb die neue Regierung nach Kräften dabei
unterstützen, transparent und verantwortlich zu agieren. Ein aufzunehmender
Dialog muss in Schritten zur vollen Wiederaufnahme der internationalen Zah-
lungen führen, wenn der Gewaltverzicht eingehalten wird und der israelische
Soldat im Rahmen eines Gefangenenaustausches freikommt.

Die Grundsatzerklärung der neuen Regierung kann dafür als Grundlage dienen.
Sie widerspiegelt, wie stets in den EU-Erklärungen gefordert wurde (sog. reflec-
ting the Quartet principles), die drei Quartettbedingungen – auch wenn diese
nicht in Gänze erfüllt wurden. Das Regierungsprogramm der Einheitsregierung

bleibt mit dem Begriff „Respektierung“ der von der PLO abgeschlossenen
Verträge und damit der Zweistaatenlösung eindeutig hinter den Quartettbedin-
gungen zurück. Dennoch ist dies ein indirekter Schritt zur Anerkennung des
Existenzrechtes Israels durch die Hamas, weitere Schritte müssen folgen.
Diesen Prozess gilt es zu befördern. Deshalb muss die neue – demokratisch
legitimierte – palästinensische Regierung unterstützt werden, auch wenn die
Voraussetzungen für eine formale Anerkennung noch nicht erfüllt sind.

Drucksache 16/5106 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der internationale Boykott gegen die Hamas-Regierung seit ihrem Regierungs-
antritt vor einem Jahr hat die politischen und sozio-ökonomischen Strukturen in
den palästinensischen Gebieten dramatisch verschlechtert. Erwerbslosigkeit und
Armut sind stark angestiegen. In Gaza erhalten nach Angaben des World Food
Program mittlerweile 80 Prozent der Bevölkerung Nahrungsmittelhilfen. Der
temporäre Finanzierungsmechanismus (TIM) konnte nur kurzfristig Nothilfe
leisten, diesen Verfall aber nicht stoppen. Er kann langfristig eine Erodierung der
Strukturen und Intransparenz nicht verhindern.

Politische Reformen der letzten Jahre, die nicht zuletzt die EU angestoßen hat
– darunter die institutionelle Stärkung des Premierministers, der Ministerien
und des Parlaments – wurden zurückgedreht. Anstatt das erhoffte Ende der ge-
wählten Hamas-Regierung zu bewirken, ist auch als Folge des Boykotts eine in-
transparente Ersatzfinanzierung durch andere islamische Staaten auf den Plan
getreten. Besorgniserregend ist dabei der Einflussgewinn Irans, welcher eine
Zweistaatenlösung ablehnt.

Die schrittweise Wiederaufnahme der internationalen Hilfszahlungen würde da-
gegen jetzt dazu beitragen, die gemäßigten palästinensischen Kräfte zu stärken.
Um die negativen Folgen des Boykotts zu beheben, muss massiv in den Bereich
Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung investiert werden. Für die
schrittweise Wiederaufnahme der Zahlungen existiert mit der Wiedereinsetzung
von Salam Fayyad, der bereits von 2002 bis 2005 Finanzminister war, ein ver-
trauenswürdiger Partner, der für Transparenz steht.

Die Bundesregierung hat angekündigt, die EU-Ratspräsidentschaft für eine
Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses und Fortschritte in der regionalen
Stabilisierung zu nutzen. Dies ist nicht zuletzt Bedingung für einen Erfolg des
UNIFIL-Einsatzes im Libanon, an dem sich Deutschland mit Marineverbänden
beteiligt. Die Anforderungen an die EU, bei den Friedensbemühungen aktiver zu
werden, sind durch diesen Einsatz gerade auch angesichts der zurückhaltenden
Rolle der USA gewachsen.

Eine bloße Wiederbelebung des Quartetts, wie bisher geschehen, reicht daher
nicht. Die EU muss konkrete Fortschritte anstreben und den beschworenen
„politischen Horizont“ mit konkreten Inhalten füllen: Dazu sollte das Quartett
sich auch mit den drängenden politischen Fragen Libanons und Syriens beschäf-
tigen und regionale Vermittlungsbemühungen aktiv unterstützen. Ein Sonder-
beauftragter des Quartetts in Nachfolge des ehemaligen Beauftragten James
Wolfensohns sollte den diplomatischen Spielraum vergrößern.

Zentraler Ansprechpartner für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zwi-
schen Israelis und Palästinensern ist weiterhin Präsident Mahmud Abbas als
Chef der PLO, der bei seinen Bemühungen unterstützt werden muss. Die arabi-
sche Friedensinitiative von 2002, die zuletzt vom israelischen Premierminister
Ehud Olmert grundsätzlich positiv gewürdigt wurde und indirekt Teil des
palästinensischen Regierungsprogramms (Respektierung der Beschlüsse der
Arabischen Liga) ist, sollte von der EU ebenfalls unterstützt werden und kann
als Grundlage für zukünftige Verhandlungen dienen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, während ihrer
EU-Ratspräsidentschaft,

1. sich aktiv und eindeutig in der EU für einen pragmatischen Dialog mit der
neuen Regierung der nationalen Einheit einzusetzen;

2. für ein Ende des intransparenten temporären Finanzierungsmechanismus
(TIM) und eine an die weitere Leistung der Einheitsregierung geknüpfte ab-
gestufte Wiederaufnahme der Zahlungen durch die internationale Gemein-
schaft einzutreten sowie weitere Finanzmittel bereitzustellen, um die zuletzt

entstandenen Schäden an den politischen und sozio-ökonomischen Struktu-
ren in Palästina zu beheben;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5106

3. gleichzeitig an die neue Regierung und insbesondere die Hamas-Mitglieder
im Kabinett eindeutige Erwartungen zu formulieren hinsichtlich:

– der Respektierung der internationalen Verträge der PLO

– der Einhaltung des gegenseitigen Waffenstillstands

– der Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit im
Rahmen eines Gefangenenaustausches

– Reformen des Justiz- und Sicherheitssektors

– einer vollständigen Anerkennung des Existenzrechtes Israels;

4. der Aufforderung der EU-Präsidentschaft vom 17. März 2007 Nachdruck zu
verleihen, die Israel auffordert, die einbehaltenen Zoll- und Steuereinnah-
men freizugeben, sowie die in Israel inhaftierten Minister und Parlamen-
tarier unverzüglich freizulassen und die Grenzübergänge in Gaza entspre-
chend des Agreements on Movement and Access von 2005 zu öffnen;

5. die politischen Reformvorhaben der neuen Regierung aktiv zu unterstützen,
um zu Effizienz und Transparenz beizutragen;

6. konkrete Initiativen zu weiteren Projekten und Hilfsmaßnahmen im Bereich
Rechtsstaatlichkeit/Reform des Justiz- und Sicherheitssektors über die exis-
tierenden Missionen EU-BAM und EU-COPPS hinaus anzuregen;

7. auf eine weitere pragmatische Entwicklung der politischen Haltung und
Handlungen der Hamas-Bewegung Einfluss zu nehmen, moderate Stimmen
und Akteure zu unterstützen und deutliche Anforderungen hinsichtlich der
Einhaltung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards zu formu-
lieren;

8. gegenüber den Partnern im Quartett, insbesondere den USA, deutlich zu
machen, dass bei Aufrechterhaltung des Finanzboykotts ein weiterer sozio-
ökonomischer Verfall in den palästinensischen Gebieten droht und die
Transparenz und Stabilität der neuen Regierung gefährdet sind;

9. Vermittlungen zwischen der israelischen und der palästinensischen Seite zu
ermöglichen und zu intensivieren mit dem Ziel, Gespräche über die Frage
des Endstatus zu beleben;

10. im Quartett auf die Wiederbelebung regionaler Friedensbemühungen durch
konkrete Schritte zu drängen, z. B. die Ernennung eines Quartettbeauftrag-
ten, die Ausweitung der regionalen Kompetenzen des Quartetts, und Pers-
pektiven für eine regionale Friedenskonferenz zu prüfen.

Berlin, den 25. April 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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