BT-Drucksache 16/5013

Regelmäßige Schulfahrten als Bildungsinhalt

Vom 12. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5013
16. Wahlperiode 12. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Jörn Wunderlich, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Katrin Kunert, Michael Leutert,
Dorothee Menzner, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Regelmäßige Schulfahrten als Bildungsinhalt

In den vergleichenden Ergebnissen der PISA-Studie schneidet Deutschland so-
wohl bei der Lernkompetenz von Schülerinnen und Schülern als auch bei der
Lehrkompetenz der Bildungsinstitutionen schlecht ab. Besonders dramatisch ist
die Erkenntnis, dass Kinder aus niedrigen sozialen Schichten, Kinder mit Be-
hinderungen und vor allem Kinder mit Migrationshintergrund wesentlich weni-
ger Zugang zu Bildungsmöglichkeiten haben. Zudem werden Sozialkompeten-
zen, welche grundlegende Bedeutung für den späteren Berufs- und Lebensweg
sowie für einen verantwortungsvollen Umgang in der Gesellschaft haben, im
Rahmen der Schule zu wenig gefordert und gefördert.

Im Sinne des lebenslangen Lernens muss eine reine Vermittlung von Unter-
richtsinhalten daher durch ein aktives, selbstständiges, zunehmend eigenverant-
wortliches Lernen und Miteinander – Leben im Lern- und Lebensraum – durch
die Schule ergänzt werden. Lernen muss ganzheitlicher, lebendiger und wirk-
lichkeitsnäher geschehen. Auch die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“ bestätigt, dass Wissen, Werte, Schlüsselqualifikationen und Verhal-
tensweisen vermittelt werden müssen, die für eine lebenswerte Zukunft und
eine nachhaltige gesellschaftliche Veränderung notwendig sind.

Die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule wird durch
Schulfahrten und mehrtägige Aufenthalte an geeigneten naturnahen Orten in
besonderer Weise gefördert. Dass diese Fahrten einen Bildungscharakter und
eine pädagogische Intention haben sollen, ist in Erlassen der Bundesländer fest-
gelegt.

Während in der EU Bildung auf internationaler Ebene immer stärker gefördert
wird, erschweren in Deutschland 16 verschiedene Systeme und Regelungen die
einheitliche Erstellung von qualitativ hochwertigen pädagogischen Konzepten
bzw. bildungspolitischen Programmen. Damit gestaltet sich auch die Umset-
zung der Schulfahrten mit der geforderten pädagogischen Intention für Lehr-
kräfte, für Schülerinnen und Schüler sowie für die Anbieter von Schulfahrten

immer komplizierter.

Drucksache 16/5013 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit erkennt die Bundesregierung grundlegend den Bildungs- und
Erziehungscharakter von Klassenfahrten und mehrtägigen Gruppenaufent-
halten mit Themenschwerpunkten wie politische Bildung, Europa, Förde-
rung von Sozialkompetenzen und/oder die Vertiefung von Fachwissen an?

Was sind demzufolge für die Bundesregierung andere soziale Lernorte?

2. In welchen Bundesländern gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Re-
gelungen hinsichtlich jährlich durchzuführender mehrtägiger Klassenfahr-
ten als verbindlichen Bestandteil des Lehrplanes (bitte aufschlüsseln nach
Klassenstufen 1 bis 6, 7 bis 10, 11 bis 13 sowie Sonderschulen)?

3. Welche Entwicklung gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung hinsicht-
lich der durchgeführten Klassenfahrten (bitte aufgeschlüsselt nach Bundes-
ländern, Jahrgangsstufen und Schulformen) in den vergangenen zehn Jah-
ren?

4. Inwieweit unterstützt bzw. fördert die Bundesregierung die grundsätzlich
verpflichtende Einführung von Klassenfahrten für alle Jahrgangsstufen
und Schulformen?

5. Was sind nach Auffassung der Bundesregierung die Gründe und wesent-
lichen Hindernisse zur Nichtdurchführung von alljährlichen Klassenfahr-
ten?

6. Welche Auswirkungen auf die Tourismuswirtschaft in Deutschland hätte
es, wenn alle Schulklassen alljährlich mindestens eine mehrtägige Fahrt
durchführen würden?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation, dass die Durchführung
von Klassenfahrten stark vom Engagement der Lehrkräfte abhängt, da sie
nicht zusätzlich vergütet werden und die Lehrerinnen und Lehrer diese
teils selbst finanzieren müssen?

Könnte die Anerkennung der Klassenfahrt als vergütete Dienstreise für
Lehrkräfte in Anlehnung an das Bundesreisekostenrecht eine Lösung sein?

8. Sind nach Ansicht der Bundesregierung Schulfahrten dafür geeignet, auch
Kindern mit Migrationshintergrund den notwendigen Zugang zu Bildung
und Erziehung zu erleichtern?

Welche Konzepte bestehen?

Was soll zukünftig umgesetzt werden?

9. Welche Unterstützung für die Finanzierung von Klassenfahrten gibt es
nach Kenntnis der Bundesregierung für Kinder von Eltern, denen kei-
ne Förderung zusteht, weil deren Einkommen knapp über dem Satz von
Hartz IV liegen, und welche Regelungen gibt es für Kinder aus so genann-
ten Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Inhalte und damit die Qualität der
Aus- und Fortbildung von Lehrkräften, Bezug nehmend auf die Bedeutung
und Vereinheitlichung von Klassenfahrten, deren konzeptionelle Erstel-
lung, Vorbereitung und Durchführung (erlebnispädagogische Klassen-
fahrtsdidaktik)?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass es trotz der Notwendigkeit ganz-
heitlicher Bildungs- und Erziehungsansätze, welche insbesondere sozial
benachteiligten Kindern und Jugendlichen einen Zugang zur Bildung und
Erziehung ermöglichen, keine bundeseinheitlichen Qualitätskriterien für

Schulfahrten gibt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5013

12. Welchen Beitrag kann die Bundesregierung (trotz der Föderalismusreform)
für eine Vereinheitlichung von grundlegenden Standards für pädagogische
Schulfahrten leisten?

13. Welche Möglichkeiten gibt es auf Bundes- und Landesebenen, gemeinnüt-
zigen Organisationen wie dem Bundesverband Erlebnispädagogik e. V. bei
der Weiterentwicklung und Etablierung einheitlicher Qualitätskriterien für
Anbieter erlebnispädagogischer und handlungsorientierter Programme zu
unterstützen?

Welche Formen der Zusammenarbeit und Förderungen werden bereits
praktiziert?

Berlin, den 12. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.