BT-Drucksache 16/4932

Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland

Vom 29. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4932
16. Wahlperiode 29. 03. 2007

Große Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen
Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen
zwischen der EU und Russland

Russland und die Europäische Union befinden sich in einer wichtigen Phase ih-
rer Beziehungen. Russland spielt als größter Nachbar und Energielieferant eine
elementar wichtige Rolle für die EU, auch wenn es bis zu einer tatsächlichen
„strategischen Partnerschaft“ noch ein weiter Weg sein wird. Im Jahr 2007 soll
ein Folgeabkommen zum 1997 in Kraft getretenen Partnerschafts- und Koopera-
tionsabkommen (PKA) ausgehandelt werden.

Russland hat in den letzten Jahren einen starken wirtschaftlichen Aufschwung
erlebt und tritt international zunehmend selbstbewusst auf. Die EU als Gemein-
schaft von mittlerweile 27 Staaten steht vor der wichtigen Aufgabe, Russland
gegenüber eine einheitliche Politik zu verfolgen und das Interesse der Gemein-
schaft über einzelne bilaterale Interessen zu stellen.

Besonders deutlich stellt sich diese Herausforderung einer gemeinsamen, kohä-
renten EU-Politik gegenüber Russland im Bereich der Energiezusammenarbeit
dar.

Denn während die EU gerade erst beginnt, eine gemeinsame Energiepolitik zu
entwickeln, hat Russland längst die strategische Bedeutung seiner Rohstoffe er-
kannt und weiß sie auch für politische Ziele zu nutzen. Die EU drängt auf Rati-
fizierung des Energiechartavertrags, was von Russland abgelehnt wird. Beson-
ders strittig ist das Transitprotokoll – Russland müsste sein Pipelinenetz für
ausländische Investoren zugänglich machen. Dies widerspräche der 2003 erar-
beiteten russischen Energiestrategie 2020, die vor allem auf staatliche Regulie-
rung setzt. In diesem Zusammenhang stoßen die Pläne der EU-Kommission zu
einer Liberalisierung des Energiemarkts auf Kritik Moskaus. Deutschland als
„Energiedrehscheibe“ für russisches Öl und Gas kommt bei der Formulierung
einer gemeinsamen EU-Energiepolitik gegenüber Russland eine wichtige Rolle
zu. Das Ziel einer „gemeinsamen Stimme“ der EU in Energiefragen wird auch
im Aktionsplan des Europäischen Rates vom Gipfel am 8./9. März 2007 („Eine

Energiepolitik für Europa“) besonders hervorgehoben. Die vollständige Her-
stellung des Binnenmarkts im Bereich der Energie, eine gemeinsame Energie-
außenpolitik sowie die Freiheit des Energiemixes der einzelnen Mitgliedstaaten
sind die Folie, vor der die Entscheidung über den Bau einer deutsch-russischen
Gaspipeline durch die Ostsee zu bewerten ist, die von der rot-grünen Bundes-
regierung im Jahr 2005 mit Zustimmung der damaligen Opposition getroffen
wurde.

Drucksache 16/4932 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

In außenpolitischen Fragen gilt für die EU, im Rahmen der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gegenüber Russland geschlossen aufzu-
treten, um zu einer Lösung verschiedener internationaler Konflikte beizutragen.
Dies gilt u. a. für die Frage nach dem Status des Kosovo und für die „frozen
conflicts“ in einigen GUS-Staaten, die Bestandteil der EU-Nachbarschaftspoli-
tik sind. Hier praktiziert Russland eine De-facto-Unterstützung für die Separa-
tisten, obgleich es offiziell die Anerkennung der territorialen Integrität der be-
troffenen Staaten vertritt.

Die innenpolitischen Entwicklungen Russlands sind ebenfalls von entscheiden-
der Bedeutung für die Zukunft der EU-Russland-Beziehungen. Dies betrifft
insbesondere Demokratisierung und den Schutz von Menschenrechten. Seit
Amtsantritt Wladimir Putins lassen sich verstärkt autoritäre Tendenzen beob-
achten. Die Medienfreiheit wird immer weiter eingeschränkt, die Justiz verliert
zunehmend an Unabhängigkeit. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“
stuft Russland auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 147 von insgesamt
168 Plätzen ein. Durch Maßnahmen wie das neue russische Gesetz über die
Nichtregierungsorganisationen und eine veränderte Wahl- und Parteiengesetz-
gebung werden Elemente zur Lenkung des politischen Systems gesetzlich ver-
ankert. Um in die Duma einzuziehen, braucht eine Partei nunmehr 7 Prozent
statt bisher 5 Prozent, für eine Zulassung sind 50 000 Mitglieder landesweit
oder mindestens 500 Mitglieder in 45 Regionen erforderlich. Die bevorstehen-
den Dumawahlen im Dezember 2007 werden damit voraussichtlich auf ein Du-
ell innerhalb der Eliten reduziert, zwischen den beiden vom Kreml initiierten
Parteien „Einiges Russland“ und „Gerechtes Russland“.

Die Lage in Tschetschenien gibt nach wie vor Anlass zu großer Besorgnis, wie
auch eine seltene öffentliche Erklärung des Anti-Folter-Komitees des Europa-
rates vom 13. März 2007 mit scharfer Kritik an der Lage der Menschenrechte in
Tschetschenien zeigt. Der langjährige Krieg gilt offiziell als beendet, von Frie-
den und Stabilität ist man jedoch weit entfernt.

Die Zusammenarbeit Russlands mit dem Europarat wird derzeit auch dadurch
beeinträchtigt, dass Russland das wichtige 14. Zusatzprotokoll zur Europäi-
schen Menschenrechtskonvention, das den Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte effektiver machen soll, nicht ratifiziert.

In den EU-Russland-Beziehungen schlagen sich diese Entwicklungen nieder.
So betonte das 1994 ausgehandelte PKA die Wahrung von Demokratie und
Menschenrechten wesentlich stärker als die 2003 erstellte Wegekarte für den
Gemeinsamen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts. Das Folgeabkom-
men sollte gegenüber dem PKA von 1994 aber zumindest die gleichen Demo-
kratie- und Menschenrechtsstandards einfordern.

Dabei kann es nicht darum gehen, Russland an den Pranger zu stellen oder pau-
schal zu verurteilen, sondern seinen schwierigen wirtschaftlichen, politischen
und sozialen Transformationsprozess kritisch und aufmerksam zu begleiten und
daraus Folgerungen über die Gestaltung der Beziehungen zwischen der EU und
Russland zu ziehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Energie und Umwelt

A. Energiepartnerschaft zwischen der EU und Russland

1. Auf welcher Basis lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung eine gleich-
berechtigte Energiepartnerschaft zwischen der EU und Russland realisieren,
wenn Russland weiterhin die Ratifizierung des Energiechartavertrags ab-

lehnt und auf zunehmende staatliche Regulierung und Monopolisierung sei-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4932

nes Energiemarkts setzt, während in der EU eine Liberalisierung des Ener-
giemarkts angestrebt wird?

2. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-
Präsidentschaft zu unternehmen, um die Blockade der Verhandlungen über
das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu überwin-
den, nachdem Polen wegen des russischen Importstopps für Fleisch aus
Polen gegen die Aufnahme dieser Verhandlungen ein Veto eingelegt hat?

3. Wie lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung der für ein neues EU-Russ-
land-Abkommen vorgesehene Schlichtungsmechanismus für Energiefragen
gestalten, und welches Verfahren könnte so ein Mechanismus vorsehen im
Falle von Konflikten zwischen Russland und Drittländern, wie etwa den
zwischen der EU und Russland liegenden Transitländern?

4. Welche konkreten Projekte hat es bisher im Rahmen der von der EU und
Russland im Mai 2006 initiierten gemeinsamen Energie-Effizienz-Initiative
gegeben, und wie werden diese evaluiert?

5. Gibt es jenseits der bisherigen Schwerpunkte des Europäisch-russischen
Zentrums für Energie-Technologien, die laut dem 7. Fortschrittsbericht des
EU-Russland-Energie-Dialogs vom November 2006 in einer Analyse der
Bereiche Gasnutzung, Sicherheit von Kohleminen, Ölverarbeitung und
Mini-Hydroenergie bestehen, bereits die Umsetzung konkreter Projekte in
der Technologiezusammenarbeit, und wenn ja, wie werden diese evaluiert?

6. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, auch die Förderung
erneuerbarer Energien zu einem Schwerpunkt einer Energiepartnerschaft
zwischen der EU und Russland zu machen, angesichts Russlands enormer,
bisher nicht annähernd ausgeschöpfter Potenziale in den Bereichen Hydro-
energie, Geothermie, Wind- und Solarenergie (W. Nikitenko, A. Dippel, In-
formationszentrum der deutschen Wirtschaft, 14. November 2006)?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die einzige Ölraffine-
rie des Baltikums, die litauische Mazeikiai Nafta, seit August 2006, kurz vor
der Übernahme durch den polnischen Konzern Orlen, wegen angeblicher
Schäden in einer Abzweigung der Druschba-Pipeline nicht mehr mit russi-
schem Öl versorgt wird?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass laut Aussage von
Transneft-Chef Semjon Wainschtok diese Pipelineabzweigung aus Kos-
tengründen nicht mehr repariert werden soll, während Transneft gleich-
zeitig an einer kostspieligen neuen Pipeline zum Ostseehafen Primorsk
arbeitet, mit der Öl unter Umgehung von Belarus nach Europa gebracht
werden soll (Süddeutsche Zeitung, 19. Februar 2007)?

b) Sieht die Bundesregierung als EU-Ratspräsidentin eine Aufgabe darin,
im Konflikt um die unterbrochene Versorgung der litauischen Ölraffine-
rie Mazeikiai Nafta durch den russischen Konzern Transneft zu vermit-
teln?

Wenn ja, welche Schritte hat sie bisher unternommen?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Initiative des litauischen Präsiden-
ten Valdas Adamkus, mit Belarus und der Ukraine im Bereich der Ölver-
sorgung zusammenzuarbeiten, um sich „gegen Ölblockaden seitens Russ-
lands abzusichern“ (Kommersant, 15. Februar 2007)?

8. Ist das trinationale Abkommen zwischen Griechenland, Bulgarien und
Russland vom 15. März 2007 zum Bau der Ölpipeline Burgas–Alexandro-

polis aus Sicht der Bundesregierung kompatibel mit einer beschleunigten

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„Entwicklung eines gemeinsamen Konzepts für die Energieaußenpolitik“
der EU, wie sie der Europäische Rat am 8./9. März 2007 im Aktionsplan
dargelegt hat?

9. Entspricht aus Sicht der Bundesregierung der Bau der Ölpipeline Burgas–
Alexandropolis der im Aktionsplan des Europäischen Rates vom 8./9. März
2007 außerdem festgeschriebenen Strategie einer weiteren Diversifizie-
rung von Quellen und Routen, wenn Bau und Betrieb von einem grie-
chisch-bulgarisch-russischen Konsortium ausgeführt wird, bei dem russi-
sche Staatskonzerne den Mehrheitsanteil halten?

10. Hält die Bundesregierung das Abschließen bilateraler Verträge einzelner
EU-Länder mit Gazprom mit der Entwicklung einer gemeinsamen EU-
Energieaußenpolitik für vereinbar?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Beteiligung deutscher Energiever-
sorgungsunternehmen an Gazprom?

B. Entwicklungen auf dem russischen Energiemarkt

12. Wie bewertet die Bundesregierung die zunehmende Monopolisierung in-
nerhalb des russischen Energiesektors?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass ein russisches
Schiedsgericht das im September 2005 verhängte Verbot für die Über-
nahme inländischer Gasproduzenten durch Gazprom aufhob?

b) Teilt die Bundesregierung das Ergebnis der Analyse von Experten,
demzufolge Gazprom weitaus ineffizienter arbeitet als die privaten
russischen Öl- und Gasförderer (Wladimir Milow, The Power of Oil and
Energy Insecurity, Januar 2006)?

c) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Experten, dass Gaz-
prom nun auch die letzten unabhängigen Gasproduzenten Nowatek und
Itera, die zu den effizientesten gehören, übernehmen wird, um sein
angekündigtes Förderwachstum von 10 Mrd. Kubikmetern pro Jahr
zu ermöglichen (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, 16. Januar
2007)?

d) Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das neue
russische Gasexportgesetz vom Juli 2006, das vorsieht, russisches Gas
nur noch durch staatlich betriebene Pipelines zu exportieren und damit
Gazproms Exportmonopol gesetzlich verankert?

13. Sieht die Bundesregierung im Ausbau der Vormachtstellung staatlicher
russischer Energiekonzerne und in ihrer engen personellen Verknüpfung
mit der russischen Politik ein Risiko für eine Energiepartnerschaft der EU
mit Russland?

14. Teilt die Bundesregierung die Kritik von Anatoli Tschubais, dem Vorsit-
zenden des größten russischen Stromversorgers EES Rossii, dass Gazprom
zu wenig in die Gasförderung investiere und sich stattdessen ins Öl-
geschäft, in die Petrochemie, die Medienbranche und nun auch die Kohle-
förderung einkaufe (Berliner Zeitung, 15. Februar 2007), im Hinblick auf
die Zuverlässigkeit des Unternehmens als größter europäischer Gasversor-
ger?

15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des russischen Energieministe-
riums, dass es in diesem Jahr zu einem Gasdefizit von 4 Mrd. Kubikmetern

kommen wird (Deutsche Welle, 2. Januar 2007) und die Prognose der In-
ternationalen Energieagentur (IEA) über ein russisches Gasdefizit von bis

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4932

zu 126 Mrd. Kubikmetern im Jahr 2010, hinsichtlich der Versorgungs-
sicherheit des russischen und europäischen Markts durch russisches Gas
(International Energy Agency, „Optimising Russian Natural Gas: Reform
and Climate Policy“, 2006)?

Wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus für die Entwicklung einer
EU-Energiestrategie?

16. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung von Experten, dass Gazprom
nicht über die finanziellen Kapazitäten verfügt, um die dringend notwen-
dige Erschließung neuer Gasfelder (Jamal, Schtokman) zu ermöglichen
und dadurch die rückläufigen Fördermengen der großen Felder der Nadym-
Pur-Taz-Region zu kompensieren (A. Riley, „The Coming of the Russian
Gas Deficit“, Centre for European Policy Studies, Oktober 2006)?

17. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die unerwar-
tete Ankündigung Gazproms, das abgelegene Schtokman-Gasfeld ohne
ausländische Beteiligung erschließen zu wollen, hinsichtlich der Realisier-
barkeit einer solchen Erschließung durch Gazprom allein?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerungen des Gazprom-Auf-
sichtsratschefs Alexei Miller am 18. April 2006 vor EU-Botschaftern, in
denen er davor warnt, Gazproms Aktivitäten auf dem EU-Markt zu behin-
dern und auf neue lukrative Abnehmermärkte verweist?

19. Sieht die Bundesregierung ein Ungleichgewicht zwischen den Bestrebun-
gen russischer Energiekonzerne nach Beteiligungen bei europäischen
Firmen und direktem Zugang zum Endverbraucher einerseits und dem Vor-
haben Russlands, Auslandsinvestitionen in „strategisch wichtigen“ Berei-
chen, darunter auch Energie, mit einem neuen Gesetzentwurf zu begrenzen
(Handelsblatt, 1. Februar 2007), andererseits?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Umstände (siehe Antrag auf
Bundestagsdrucksache 16/1668), unter denen Royal Dutch Shell von
seinem Mehrheitsanteil am Konsortium zur Erschließung des weltweit
größten Flüssiggasprojekts Sachalin-2 die Hälfte an Gazprom abtrat?

b) Erwartet die Bundesregierung eine Verbesserung der Einhaltung von
Umweltstandards durch den neuen Mehrheitseigner Gazprom?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung, vor dem Hintergrund des Verstoßes
gegen Umwelt- und Sozialstandards der beteiligten Unternehmen am
Projekt Sachalin-2, die Möglichkeit, einen Verhaltenskodex für europäi-
sche, international agierende Unternehmen zu initiieren?

d) Wie bewertet die Bundesregierung den möglichen Lizenzverlust für
TNK-BP für die Öl- und Gasfelder im nordsibirischen Jamal-Gebiet
und das Gasfeld Kowykta (NZZ, 17. Juni 2006)?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtssicherheit von Investitionen
in Russland für internationale Unternehmen?

C. Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP)

21. Liegen der Bundesregierung inzwischen Informationen zum genauen Tras-
senverlauf der NEGP vor?

22. Welche der drei von der Bundesregierung in ihrer Antwort auf Bundestags-
drucksache auf Frage 18 genannten Strategien für den Umgang mit den
sich in der Ostsee befindenden Munitionsaltlasten (die Umgehung betref-

fender Stellen/Regionen, die Freiräumung oder das Heben und Entsorgen
entsprechender Altlasten) wird Anwendung finden?

Drucksache 16/4932 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Bedenken der EU-Mitgliedstaaten
Polen, Litauen, Estland, Schweden und Finnland gegenüber der NEGP?

Insbesondere:

a) Welche Möglichkeiten sieht sie, einen Teil dieser Bedenken auszuräu-
men, wie vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael
Glos nach dem Treffen des EU-Energierates (15. Februar 2007) ange-
kündigt?

b) Welchen Transitländern erwachsen aus den Durchleitungsentgelten der
existierenden Landpipelines für Öl und Gas aus Russland Einnahmen,
wie hoch sind diese, und welche Folgen haben diese für den Gaspreis in
den Transitländern und in Deutschland?

c) Welche Anschlüsse/Abzweigungen der NEGP hält die Bundesregierung
für möglich, um Polen an der Gasversorgung zu beteiligen, und wie be-
urteilt sie die Gründe für die Ablehnung entsprechender Vorschläge
durch Polen?

d) Wie bewertet die Bundesregierung die von Politikern verschiedener
Ostseeanrainerstaaten geäußerten ökologischen Bedenken hinsichtlich
der NEGP (DIE WELT, 2. Februar 2007; FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND, 28. Februar 2007)?

e) Wie bewertet die Bundesregierung die sicherheitspolitischen Bedenken
der schwedischen Regierung, die vorgibt, dass die Überwachung der
NEGP durch russische Marine zur Möglichkeit für Spionage werden
könnte (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, 15. November 2006)?

D. Umwelt

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Auflösung des russischen Staats-
komitees für Umweltschutz im Jahr 2000 und die Übertragung seiner
Funktionen an das Ministerium für Naturressourcen, dessen Hauptaufgabe
in der Erschließung und wirtschaftlichen Nutzung der Umwelt besteht?

25. Wie bewertet die Bundesregierung das im Dezember 2006 verabschiedete
„Gesetz über Veränderungen der Stadtbaugesetzordnung und einige andere
gesetzgebende Richtlinien“, das die staatliche Umweltverträglichkeitsprü-
fung und die Verpflichtung zu öffentlichen Anhörungen abschafft?

26. In welcher Form werden diese Entwicklungen im Bereich des Umwelt-
schutzes, dem angesichts massiver Umweltprobleme in Russland eine
bedeutende Rolle zukommen sollte, seitens der EU gegenüber Russland
thematisiert?

27. Wie beurteilt die Bundesregierung die Realisierbarkeit der Pläne Russ-
lands, der steigenden Inlands- und Auslandsnachfrage nach Energieträgern
damit beizukommen, einen Teil der gasbetriebenen russischen Kraftwerke
auf Kohle umzustellen und das eingesparte Gas zu exportieren?

28. Wie beurteilt die Bundesregierung die Pläne Russlands, in diesem Zusam-
menhang auch verstärkt auf Atomkraft zu setzen?

Insbesondere:

a) Hält die Bundesregierung die Pläne Russlands, bis 2015 zehn neue
Atomkraftwerke (AKWs) zu bauen und bis 2030 den Anteil der Kern-
energie von 14 auf 25 Prozent zu erhöhen, für überhaupt realistisch
sowie für eine wirksame Maßnahme zur Kompensation des Gasdefizits?

b) Welcher Investitionsbedarf wäre dafür notwendig, und welche Bauzeiten

müssten für die Erreichung eines solchen Ziels eingehalten werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/4932

c) Wie bewertet die Bundesregierung diese Pläne im Hinblick auf die
Sicherheitsprobleme russischer AKWs, zuletzt illustriert durch den Vor-
fall im wichtigsten AKW Balakowo Ende Januar 2007?

d) Wie bewertet die Bundesregierung die Pläne Russlands, bis zum Jahr
2012 sieben schwimmende Atomreaktoren für den Einsatz in weit abge-
legenen Küstenregionen zu bauen und zu exportieren, und sieht sie ein
mögliches Risiko in der Tatsache, dass diese Technologie auch für den
Bau von Atom-U-Booten adaptiert werden kann?

29. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung russischer Umweltgruppen,
dass diese Pläne zur vermehrten Nutzung von Kohle und Atom keine nach-
haltige Lösung des Energiedefizits darstellen?

30. Sieht die Bundesregierung angesichts umfassender Exporte abgereicherten
Urans aus mehreren EU-Ländern nach Russland, davon laut der Umwelt-
organisation Ecodefense allein 20 000 Tonnen Uran aus Gronau von 1996
bis 2006, von denen nach erfolgter Wiederanreicherung ca. 90 Prozent als
Atommüll in Russland bleiben, auf nationaler und europäischer Ebene
politischen Handlungsbedarf?

31. Welche konkreten Ergebnisse hat es im Rahmen der im EU-Programm
TACIS durchgeführten Maßnahmen zur Erhöhung der nuklearen Sicher-
heit und Weiterentwicklung von Sicherheitsstandards in Russland bereits
gegeben?

II. Außenpolitik

32. Auf welche Art und Weise wird die Bundesregierung unter ihrer EU-Rats-
präsidentschaft und darüber hinaus Russland in die weitere Entwicklung
einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einbeziehen?

33. Wie bewertet die Bundesregierung die Rolle Russlands und seine Koopera-
tion in den Bemühungen zur Lösung der „frozen conflicts“?

Insbesondere:

a) Teilt sie die Einschätzung des Europäischen Parlaments (Entschließung
0456 von 2006) der Konflikte in Georgien, wonach Russland einerseits
formal die territoriale Integrität Georgiens anerkennt, andererseits aber
Abchasien und Südossetien u. a. durch die Ausgabe von russischen Päs-
sen an deren Bewohner sowie insgesamt die Separierungsbewegungen
in diesen Regionen unterstützt?

b) Teilt sie die Einschätzung des Europäischen Parlaments (Entschließung
0455 von 2006) des Konflikts in der Republik Moldau, wonach Russ-
land das Vorgehen der Führung Transnistriens im Allgemeinen und das
so genannte Unabhängigkeitsreferendum vom 17. September 2006 im
Besonderen unterstützt sowie die mehrfach bekräftigten Verpflich-
tungen durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE), seine Truppen vom Hoheitsgebiet der Republik
Moldau abzuziehen, nicht erfüllt?

34. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die beschriebene Haltung
Russlands zu den „frozen conflicts“ einerseits und zu dem Konflikt in
Tschetschenien andererseits widersprüchlich erscheint dadurch, dass in
Georgien und der Republik Moldau Separatisten unterstützt, gleichwohl
eine Internationalisierung der Bemühungen um eine Lösung der Konflikte
mitgetragen wird, in Tschetschenien jedoch ähnliche Bemühungen zurück-
gewiesen und gleichzeitig jede Verhandlung mit den Separatisten abge-
lehnt und diese stattdessen ausschließlich militärisch bekämpft werden

bzw. wurden?

Drucksache 16/4932 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

35. Mit welcher Argumentation begegnet die Bundesregierung der mehrfach
von Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow geäußer-
ten Haltung Russlands, wonach eine Unabhängigkeit des Kosovo die Frage
nach dem gleichen Recht für Abchasien, Südossetien und Transnistrien,
nicht aber für Tschetschenien aufwerfen würde?

36. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen den ökono-
mischen Sanktionen Russlands gegenüber Georgien und der Republik
Moldau, und wenn ja, welche gemeinsamen Motive erkennt sie darin?

III. Demokratie und Rechtsstaat

A. Zivilgesellschaft und Menschenrechte

37. Welche Bedeutung hat nach Ansicht der Bundesregierung die Diskrepanz
zwischen den in der Wegekarte für den Gemeinsamen Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts festgehaltenen Prinzipien der freien Medien
und unabhängigen Justiz einerseits und den Entwicklungen in Russland an-
dererseits für die von der EU angestrebte „strategische Partnerschaft“ mit
Russland?

38. Welche konkreten Ergebnisse hatten bisher die zweimal pro Jahr stattfin-
denden EU-Russland-Menschenrechtskonsultationen?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass von russischer
Seite ausschließlich Vertreter des Außenministeriums mittleren Ranges
an den Menschenrechtskonsultationen teilnehmen, und gibt es seitens
der EU Bemühungen, die russische Seite zur Entsendung von Entschei-
dungsträgern verschiedener Ministerien zu bewegen?

b) Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dem Wunsch russischer
und internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nach einer
Teilnahme an den Konsultationen nachzukommen?

39. Wie bewertet die Bundesregierung die zunehmende Einschränkung der
Medien- und Pressefreiheit in Russland?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die steigende Zahl von Gerichtskla-
gen gegen kritische russische Journalistinnen und Journalisten (45 pro
Jahr laut World Association of Journalists) wegen „Diffamierung“, „Be-
leidigung“ und „Beleidigung von Regierungsvertretern“ auf Basis der
Paragraphen 129, 130 und 319 des Strafgesetzbuches?

b) Wie wird seitens der Bundesregierung und der EU das Problem der feh-
lenden Sicherheit kritischer Journalistinnen und Journalisten themati-
siert und die Tatsache, dass keiner der mindestens 13 seit dem Jahr 2000
an Journalisten verübten Mordfälle bisher aufgeklärt wurde (Human
Rights Watch: „The pen put to the sword“, 7. März 2007)?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die russische Position, dargelegt in
der Antwort des Rates der Europäischen Union auf die schriftliche
Frage E-4594/06 („Pressefreiheit in Russland“), der zufolge nur in fünf
Fällen von ermordeten Journalisten ein Zusammenhang zwischen ihrem
Tod und ihrem Beruf bestanden habe und die Fälle im generellen Kon-
text von Kriminalität und mangelnder Rechtsstaatlichkeit zu sehen
seien?

40. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass im Zuge der Span-
nungen zwischen Russland und Georgien von Oktober bis Dezember 2006

etwa 2 000 Georgierinnen und Georgier, von denen zwei in Untersuchungs-
haft umkamen, aus Russland deportiert wurden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/4932

41. In welcher Form haben die Bundesregierung und die EU auf diese Depor-
tationen reagiert, die unter Verletzung menschenrechtlicher Standards voll-
zogen wurden und als solche von den Berichterstattern der Monitoring-
Komitees des Europarates für Russland und Georgien, Matyas Eorsi und
Luc van den Brande, verurteilt wurden?

42. Würde die Bundesregierung nach diesen neuen Entwicklungen an ihrer
Aussage festhalten, dass „eine gezielte staatliche Diskriminierung gegen
Minderheiten in Russland nicht festzustellen sei“ (Antwort auf Frage 6 auf
die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundes-
tagsdrucksache 16/2032)?

43. In welcher Form thematisiert die Bundesregierung in Gesprächen mit der
russischen Regierung die Diskriminierung von Homosexuellen?

a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des russischen Präsiden-
ten Wladimir Putin auf der Jahrespressekonferenz im Kreml am 1. Feb-
ruar 2007, Homosexuelle seien „Teil eines demographischen Problems“
(http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,463783,00.html)?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die Moskauer
Staatsanwaltschaft die Aussage des Professors der Soziologischen Fa-
kultät der Moskauer Universität, I. A. Antonow, „Homosexuelle seien
keine soziale, sondern eine deviante Gruppe wie Kriminelle und Dro-
genabhängige“ (Schreiben von D. A. Sabolotnij, stellv. Staatsanwalt an
der Twerskaja Bezirksübergreifenden Staatsanwaltschaft Moskau), als
Grundlage für die Ablehnung eines Strafverfahrens genommen hat?

44. Wie bewertet die Bundesregierung die steigende Anzahl fremdenfeind-
licher Übergriffe in Russland, die laut dem Moskauer Informationszentrum
Sova allein im Jahr 2006 zu 43 Toten und 386 Verletzten geführt haben,
was einen Anstieg von 30 Prozent zum Vorjahr bedeutet?

a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des russischen Menschen-
rechtsbeauftragten Wladimir Lukin, dass fremdenfeindliche Straftaten
nur unzureichend strafrechtlich verfolgt und meist als „Hooliganismus“
verharmlost werden?

b) Welche Maßnahmen trifft die russische Regierung, um der zunehmen-
den Fremdenfeindlichkeit Einhalt zu gebieten?

c) In welcher Form unterstützt die EU mit ihrer Expertise Russland bei der
Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus?

45. Wie viele Bürgerinnen und Bürger ehemaliger Sowjetrepubliken leben auf
dem heutigen Staatsgebiet der Russischen Föderation, und wie ist deren
tatsächliche und rechtliche Situation, insbesondere nach Inkrafttreten des
neuen Migrationsgesetzes am 15. Januar 2007?

46. Wie bewertet die Bundesregierung die Lage in der russischen Armee an-
gesichts der Tatsache, dass nach Einschätzungen der NGO „Recht der
Mutter“ jährlich 3 000 Armeeangehörige sterben und schätzungsweise 50
bis 80 Prozent aller Rekruten und junger Militärangehörigen auf Befehl
ihrer Vorgesetzten physischer Gewalt bis hin zu Misshandlungen und Ver-
gewaltigungen ausgesetzt sind (Parlamentarische Versammlung des Euro-
parates, Dok. 10861, „Human rights of members of the armed forces“)?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Effektivität des Systems straf-
rechtlicher Ermittlungen durch Armee und Justiz in der russischen
Armee angesichts der Tatsache, dass es den Kommandeuren der Militär-

einheiten obliegt, die Ermittlungen im Hinblick auf alle Straftaten, die

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von ihren Untergebenen begangen wurden, durchzuführen (Artikel 40
der russischen Strafprozessordnung)?

b) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Berichterstatters der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates Alexander Arabadjiev,
dass die Situation der Wehrdienstpflichtigen in der russischen Armee
„besonders besorgniserregend“ ist?

c) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Situation von
Homosexuellen in der Armee?

d) Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die Menschenrechtslage
in der russischen Armee auf die Tagesordnung der EU-Russland-Men-
schenrechtskonsultationen gesetzt wird?

47. Wie bewertet die Bundesregierung das zunehmend systematische Vorge-
hen der russischen Behörden gegen Nichtregierungsorganisation unter dem
Vorwand, dass sie ein Sicherheitsrisiko für das System darstellen, doku-
mentiert in einem Bericht des Moskauer Zentrums für die Entwicklung von
Demokratie und Menschenrechten (Persecution of NGOs and Human
Rights Defenders in Russia)?

48. Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen des neuen NGO-Ge-
setzes auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen?

Insbesondere:

a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die zahlreichen neuen
bürokratischen Anforderungen ein großes Problem für NGOs darstel-
len?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Umstände, unter denen die Rus-
sisch-Tschetschenische Freundschaftsgesellschaft als erste NGO nach
dem neuen NGO-Gesetz liquidiert wurde?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die NGO Russian
Justice Initiative, die Tschetschenen bei Gerichtsklagen vor dem Euro-
päischen Gerichtshof für Menschenrechte unterstützt, erst im dritten
Anlauf registriert wurde und somit vom 18. Oktober 2006 bis
20. Februar 2007 nicht ihrer Arbeit nachgehen konnte?

d) Sieht die Bundesregierung die Tatsache, dass mit diesen beiden Organi-
sationen ausgerechnet solche von den Änderungen in der NGO-Gesetz-
gebung besonders betroffen sind, die sich mit politisch sensiblen The-
men beschäftigen, als Anzeichen dafür, dass das neue Gesetz vor allem
gegen „unbequeme“ NGOs angewandt wird?

49. Wie bewertet die Bundesregierung die zahlreichen Änderungen des Par-
teien- und Wahlrechts, wie die Anhebung der Hürde auf 7 Prozent und
erschwerte Zulassungskriterien, die bereits zur Auflösung von zwölf
Parteien geführt haben?

50. Wie lassen sich nach Ansicht der Bundesregierung diese Änderungen mit
der Aussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei der Münchener
Sicherheitskonferenz vereinbaren: „Alle unsere Schritte im Inland, darun-
ter auch die Korrektur der Wahlordnung der Staatsduma, des russischen
Parlaments, sollen gerade das Mehrparteiensystem stärken“?

51. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass bei den russischen
Regionalwahlen am 11. März 2007 in mehreren Regionen demokratische
Oppositionsparteien wegen angeblich ungültiger Unterschriften nicht zu-
gelassen wurden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/4932

a) Teilt die Bundesregierung die Ansicht der St. Petersburger Gouverneu-
rin Valentina Matwijenko, dass „es nicht ganz gelungen sei, saubere
Wahlen abzuhalten“ (FAZ, 13. März 2007)?

b) Sieht die Bundesregierung vor diesem Hintergrund eine Gefährdung für
freie und faire Dumawahlen Ende 2007?

52. Wie bewertet die Bundesregierung den Stand der Gewährung der Ver-
sammlungs- und Demonstrationsfreiheit in Russland?

Insbesondere:

a) Wann und wie oft hat in der russischen Hauptstadt seit 2005 eine geneh-
migte laufende Demonstration stattgefunden, und wie viele Demonstra-
tionen wurden angemeldet und nicht genehmigt?

b) Wie bewertet die Bundesregierung das gewaltsame Eingreifen von Ord-
nungs- und Sicherheitskräften beim „Marsch der Nichteinverstande-
nen“ am 3. März 2007 in St. Petersburg?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund das erneute
Verbot der sog. Gay-Pride-Demonstration in Russland?

53. Ist seitens der EU in Gesprächen gegenüber der russischen Regierung das
neue Extremismusgesetz, das am 8. Juli 2006 von der Duma verabschiedet
wurde und Extremismus als Straftatbestand u. a. durch die „öffentliche
Verleumdung einer Person, die ein Staatsamt in der RF oder einer der
Regionen bekleidet“ erweitert, hinsichtlich seiner Auswirkungen für die
Meinungsfreiheit thematisiert worden, etwa im Bereich des EU-Russland-
Menschenrechtsdialogs?

54. Wie bewertet die Bundesregierung die russische Anti-Terror-Gesetz-
gebung, die die Liquidierung von als Terroristen bezeichneten Personen
innerhalb und seit kurzem auch außerhalb Russlands erlaubt?

B. Tschetschenien/Nordkaukasus

55. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Europäischen Parlaments
(Entschließung 0026 von 2006), wonach Russland durch Übertragung
vieler Zuständigkeiten an lokale Behörden in Tschetschenien den Eindruck
erwecken wollte, es handle sich dort um einen innertschetschenischen statt
um einen Konflikt zwischen Russland und Tschetschenien, in dem es zu
einer Brutalisierung des Vorgehens der Konfliktparteien und allgegenwär-
tiger Angst und Unsicherheit unter der Zivilbevölkerung gekommen sei?

56. Wie bewertet die Bundesregierung die Haltung der russischen Regierung zu
den Verpflichtungen der europäischen Anti-Folter-Konvention angesichts
der Tatsache, dass das Anti-Folter-Komitee des Europarates am 13. März
2007 bereits zum dritten Mal nach 2001 und 2003 zum ungewöhnlichen
Mittel einer öffentlichen Erklärung zum gravierenden Problem der Folter in
Tschetschenien gegriffen hat?

57. Wie bewertet die Bundesregierung die Ernennung Ramsan Kadyrows zum
tschetschenischen Präsidenten angesichts der Tatsache, dass Menschen-
rechtsorganisationen wie die Internationale Helsinki Föderation in den
letzten Jahren schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen der Ramsan
Kadyrow unterstellten Sicherheitsorgane dokumentiert haben?

58. Welche Organisationen sind an der Umsetzung der EU-Hilfen für Tschet-
schenien (220 Mio. Euro seit 1999) vor Ort beteiligt, und wie wird die Ver-
wendung dieser Hilfen evaluiert?

Drucksache 16/4932 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

59. Wie viele Flüchtlinge aus Tschetschenien haben in der EU und insbeson-
dere in Deutschland Asyl erhalten?

Insbesondere:

a) Wie hoch war die Quote der Anerkennung nach § 60 Abs. 1 des Aufent-
haltsänderungsgesetzes, und warum wurden so wenig Abschiebehinder-
nisse anerkannt?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die
Schließung von Lagern für tschetschenische Flüchtlinge in Ingusche-
tien?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung die Zurückweisung von Flüchtlingen
innerhalb des Schengener Rahmenübereinkommens in die Russische
Föderation vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Verpflichtungen
der Nichtzurückweisung wie sie sich aus dem so genannten Zivilpakt,
dem Antifolterpakt und dem Gewohnheitsrecht der Europäischen Men-
schenrechtskonvention ergeben?

60. In welcher Form thematisiert die EU, etwa im Rahmen der halbjährlichen
Menschenrechtskonsultationen, die drohende Ausweitung des Tschetsche-
nienkonflikts in die Nordkaukasusrepubliken Inguschetien, Northossetien,
Dagestan und Kabardino-Balkarien, dokumentiert von der russischen
Menschenrechtsorganisation Memorial („Conflict Spill-Over Outside the
Chechen Republic in 2004 – 2005“)?

C. Europarat und OSZE

61. Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen des russischen Vor-
sitzes im Ministerkomitee des Europarates von Mai bis November 2006
angesichts der Tatsache, dass Russland bis heute nicht die wichtigen
Zusatzprotokolle 6 (Abschaffung der Todesstrafe), 13 (Abschaffung der
Todesstrafe zu Kriegszeiten) und 14 (Effizienzsteigerung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte) zur Europäischen Menschenrechtskon-
vention ratifiziert hat?

62. Wie bewertet die Bundesregierung die Zusammenarbeit Russlands mit
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?

Insbesondere:

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Russland als ein-
ziges Land das 14. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechts-
konvention nicht ratifiziert hat und damit die dringend notwendige
Reform des Europäischen Gerichtshofes blockiert?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Russland bis
heute das „European Agreement relating to Persons Participating in
Proceedings of the European Court of Human Rights“ vom 5. März
1996, das Mitgliedstaaten verpflichtet, Klägern und ihren Anwälten den
freien Brief- und Reiseverkehr zum Europäischen Gerichtshof zu garan-
tieren und sicherzustellen, dass ihnen keine Nachteile aus der Klage ent-
stehen, weder gezeichnet noch ratifiziert hat?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass, laut Berichten der
Menschenrechtsorganisationen Amnesty International, Human Rights
Watch sowie des European Human Rights Advocacy Centre, Kläger
und Anwälte aus Tschetschenien und anderen Nordkaukasusrepubliken
sich in zahlreichen Fällen Einschüchterung und Bedrohungen seitens
der russischen Behörden (Militär, Polizei und Geheimdienst FSB) aus-

gesetzt sehen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/4932

63. Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerungen Wladimir Putins bei
der Münchener Sicherheitskonferenz: „Das Gleichgewicht ist gestört. Es
wird versucht, die OSZE in ein vulgäres Instrument für die Wahrnehmung
der außenpolitischen Interessen eines Landes oder einer Gruppe von Län-
dern gegenüber anderen Ländern zu verwandeln“?

64. Wie bewertet die Bundesregierung die vermehrte russische Kritik am Büro
für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der Orga-
nisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wie etwa durch den
Sprecher des russischen Außenministeriums, Michail Kamynin, der am
22. Februar 2006 im Vorfeld der belarussischen Präsidentschaftswahlen
äußerte, die Regularien der Langzeitbeobachter bei Wahlbeobachtungen
des ODIHR wären nicht transparent und nachvollziehbar und würden für
voreingenommene Beurteilungen sprechen?

Insbesondere:

a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Methodologie des ODIHR, auf
deren Basis die Bewertungen von Wahlen erstellt werden und die von
russischer Seite kritisiert werden, wie vom russischen Außenminister
Sergej Lawrow am 26. Juni 2006 nach einem Treffen mit dem belgi-
schen Ministerratsvorsitzenden der Organisation Karel de Gucht?

b) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Kritik des Prä-
sidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Göran
Lennmarker, auf der Winterkonferenz am 22. Februar 2007 an der
Methodologie des ODIHR anlässlich der Beobachtungsmission zu den
Parlamentswahlen in Serbien am 21. Januar 2007 eine Unterstützung
der russischen Kritik an den Wahlbeobachtungsmissionen darstellt?

c) Wird sich die Bundesregierung in der OSZE für eine Schlichtung des
Konflikts zwischen dem Präsidenten der Parlamentarischen Versamm-
lung der OSZE und ODIHR einsetzen, um die russischen Angriffe auf
die Wahlbeobachtungsmissionen nicht zu unterstützen?

65. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Rolle der OSZE im
Transformationsprozess Russlands hin zu Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit wichtig und positiv ist, und wie begegnet sie der russischen Forderung,
den Fokus der Organisation von der menschlichen Dimension hin zu mili-
tärpolitischen und ökonomischen Aktivitäten zu verschieben, wie vom
Sprecher des russischen Außenministeriums, Michail Kamynin, am 1. De-
zember 2006 im Vorfeld des Treffens des Ministerrates der OSZE gefor-
dert?

Berlin, den 29. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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