BT-Drucksache 16/4823

Sofortangebote von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung an Antragstellende auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Vom 23. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4823
16. Wahlperiode 23. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky,
Diana Golze, Kornelia Möller, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Sofortangebote von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung
an Antragstellende auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Im Rahmen des Fortentwicklungsgesetzes zum Zweiten Buch Sozialgesetz-
buch (SGB II) wurde beschlossen, dass „erwerbsfähigen Personen, die inner-
halb der letzten zwei Jahre laufende Geldleistungen, die der Sicherung des
Lebensunterhalts dienen, weder nach diesem Buch noch nach dem Dritten
Buch bezogen haben, (…) bei der Beantragung von Leistungen nach diesem
Buch unverzüglich Leistungen zur Eingliederung in die Arbeit angeboten wer-
den“ sollen (§ 15a SGB II).

In der Begründung zum Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD (Bundestagsdrucksache 16/1410) heißt es: „Die frühzeitige Unterbreitung
von Eingliederungsangeboten ist ein geeignetes Mittel, Hilfebedürftigkeit zu
vermeiden bzw. einer länger andauernden Zeit der Hilfebedürftigkeit vorzubeu-
gen sowie die Bereitschaft des Hilfesuchenden zur Arbeitsaufnahme zu über-
prüfen.“

In § 17 Abs. 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) werden die Leis-
tungsträger verpflichtet, dass der Zugang zu den Sozialleistungen möglichst
einfach zu gestalten ist. Weiterhin wird in § 41 SGB I geregelt, dass Sozialleis-
tungsansprüche mit ihrem Entstehen fällig werden.

In § 1 Abs. 1 Satz 4 SGB II wird ausgesagt: „Die Leistungen der Grundsiche-
rung sind insbesondere darauf auszurichten, dass 1. durch eine Erwerbstätigkeit
Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt, die Dauer der Hilfebedürftigkeit
verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird.“

In § 3 Abs. 1 SGB II sind sechs Kriterien für die Erbringung von Leistungen
zur Eingliederung in Arbeit festgelegt. Zu berücksichtigen sind bei den Leis-
tungen 1. die Eignung, 2. die individuelle Lebenssituation, insbesondere die
familiäre Situation, 3. die voraussichtliche Dauer der Hilfebedürftigkeit und
4. die Dauerhaftigkeit der Eingliederung der hilfebedürftigen Person. 5. Es sol-
len vorrangig Eingliederungsmaßnahmen eingesetzt werden, die die unmittel-
bare Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermöglichen. 6. Es sind bei der Leis-

tungserbringung die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu
beachten.

Aus Arbeitsgemeinschaften (Argen), zum Beispiel der Arbeitsgemeinschaft
Neumünster, ist bekannt, dass Personen, die ein Antragsformular auf Leistun-
gen nach dem SGB II in der Arge erhalten wollen, sofort und ohne ein Ge-
spräch mit einem Fallmanager eine Zuweisung zu einer Arbeitsgelegenheit mit

Drucksache 16/4823 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mehraufwandsentschädigung erhalten. Das betrifft zum Teil auch Personen, die
zuvor Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) er-
halten haben. Die Hilfebedürftigkeit bzw. mögliche Dauer der Hilfebedürftig-
keit der den Antrag stellen wollenden Personen wird vor der Zuweisung nicht
überprüft, ebenfalls nicht die Eignung, die individuelle Lebenssituation, insbe-
sondere die familiäre Situation. Es wird auch nicht die Dauerhaftigkeit der Ein-
gliederung bei der Zuweisung berücksichtigt.

Es werden in der Zuweisung keine genauen Beschreibungen der Tätigkeit, son-
dern z. B. nur „Hilfsarbeiter/Hilfsarbeiterin ohne nähere Tätigkeitsangabe“,
„Arbeitsgelegenheiten für Jugendliche in Neumünster“ und keine genaue An-
gabe des Ortes der Tätigkeit, z. B. nur „Neumünster“, gegeben.

Aus internationalen Studien (z. B. Lodemel, Ivar/Trickey, Heather (eds): „An
offer you can’t refuse“ – Workfare in international perspective, Bristol: The Po-
licy Press 2001) zu Ländern, in denen schon länger mit „Sofortmaßnahmen“
operiert wird, ist bekannt, dass zahlreiche Antragsteller und Antragstellerinnen
nach einem Sofortangebot nicht wieder bei den Leistungsstellen auftauchen.
Dies gilt insbesondere für Jugendliche; hier werden Zahlen bis zu 30 Prozent
der ursprünglichen Antragstellerinnen und Antragsteller genannt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung diese Praxis der Sofortangebote im
Rahmen des SGB II insgesamt?

2. Wie bewertet die Bundesregierung den Fakt, dass eine Eingliederungsleis-
tung zugewiesen wird, obwohl der Leistungsanspruch des Hilfesuchenden
noch gar nicht geprüft ist, dies insbesondere vor dem Hintergrund des
Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsprinzips?

3. Sieht die Bundesregierung in dieser Praxis einen Verstoß gegenüber den
genannten Festlegungen im SGB I zum Zugang und zur Fälligkeit hinsicht-
lich der Sozialleistung?

4. Sieht die Bundesregierung in dieser Praxis einen Verstoß gegenüber der
Festlegung hinsichtlich der in § 15a SGB II beschriebenen Personen-
gruppe?

5. Sieht die Bundesregierung in dieser Praxis einen Verstoß gegenüber der
Festlegung hinsichtlich der in § 1 SGB II beschriebenen Leistungsgrund-
sätze?

6. Sieht die Bundesregierung in dieser Praxis einen Verstoß gegenüber den in
§ 3 Abs. 1 SGB II genannten zu berücksichtigenden Kriterien bei der Leis-
tungserbringung zur Eingliederung in Arbeit (bitte für jedes genannte Kri-
terium begründen)?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Nichtbeschreibung einer konkreten
Tätigkeit und eines konkreten Ortes der Tätigkeit im Rahmen der Einglie-
derungsmaßnahme?

8. Welche Dienstanweisungen bzw. Richtlinien existieren, die die Umsetzung
des § 15a SGB II näher regeln (bitte diese der Antwort beifügen)?

9. Welche Maßnahmen und Schritte hält die Bundesregierung für notwendig,
um die Praxis gemäß ihren Bewertungen zu verändern?

10. Sind der Bundesregierung die internationalen Studien zu den individuellen
Reaktionen auf Sofortangebote von Eingliederungsmaßnahmen bekannt,
und wie bewertet sie die Ergebnisse der Studien?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4823

11. Wie bewertet die Bundesregierung den international erkennbaren Trend,
dass insbesondere Jugendliche durch das Verfahren der Sofortangebote
häufig aus der Förderungsfähigkeit durch öffentliche Maßnahmen heraus-
fallen?

12. Sind der Bundesregierung nationale Studien zu den individuellen Reaktio-
nen auf Sofortangebote von Eingliederungsmaßnahmen im Rahmen des
alten Bundessozialhilfegesetzes bekannt, und wie bewertet sie die Ergeb-
nisse der Studien?

13. Sind der Bundesregierung analoge Reaktionsweisen auf Sofortangebote im
Rahmen des SGB II bekannt?

Wenn nicht, welche Schritte unternimmt sie, um ihren diesbezüglichen
Kenntnisstand zu verbessern?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Lebenssituation und
-perspektiven derjenigen, die sich Sofortangeboten im Rahmen des SGB II
verweigern?

Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse, in welchem Umfang sich
Leistungsberechtigte zurückziehen, und wie bewertet sie deren Motivation
dazu?

Berlin, den 21. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.