BT-Drucksache 16/4821

Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch für ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher

Vom 23. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4821
16. Wahlperiode 23. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Inge Höger, Jan Korte, Kersten Naumann,
Petra Pau, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch für ALG-II-Bezieherinnen und
-Bezieher

Das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz führt in den § 6 Abs. 1 Satz 2 SGB II
(Zweites Buch Sozialgesetzbuch) einen neuen Halbsatz ein, der die zuständigen
Träger der Leistungen nach dem SGB II auffordert, einen Außendienst zur Be-
kämpfung von Leistungsmissbrauch einzurichten. Nach einem Bericht des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales vom 5. Mai 2006 über die finanziellen
Auswirkungen des SGB-II-Fortentwicklungsgesetzes werden durch diese Maß-
nahme Einsparungen in Höhe von rd. 350 Mio. Euro in Aussicht gestellt. Die
Fraktion DIE LINKE. erreichen nun vermehrt Berichte von Betroffenen über
den Außendienst und dessen Bestrebungen zur Offenlegung der kompletten
Lebensverhältnisse. Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird bestritten und
Zugang zur Wohnung wird verlangt, der Vorwurf mangelnder Kooperation wird
zum Anlass für Leistungskürzungen genommen und die privaten Lebensver-
hältnisse der Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher werden durch sys-
tematische und geradezu konspirative Befragungen von Nachbarn und Bekann-
ten ausgeforscht. Beschwerden und Widerstand von betroffenen Personen
scheinen zudem in der Praxis vor Ort als Indiz gedeutet zu werden, dass die
Person etwas zu verbergen habe. Diese Einschätzung löst dann weitere – von
den betroffenen Personen als Schikane empfundene – Aktivitäten der Außen-
dienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und der örtlichen Behörden aus. Grund-
rechte der betroffenen Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher wie die
Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG – Grundgesetz) sowie die Wah-
rung ihrer Privatsphäre (Artikel 2 GG) werden dabei beeinträchtigt, um die
geforderten Einsparungen durch die Aufdeckung von unterstelltem Leistungs-
missbrauch zu realisieren.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung zu der Schlussfolge-

rung, dass sich durch die flächendeckende Einführung von Außen- und Prüf-
diensten Einsparungen in Höhe von 350 Mio. Euro erzielen ließen?

2. Wie hoch sind die zusätzlichen Verwaltungs- und Personalkosten für den
Auf- und Ausbau des Außendienstes?

3. Wie hoch sind die bislang realisierten Minderausgaben auf Grund von auf-
gedeckten Missbrauchsfällen?

Drucksache 16/4821 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Stellen die ggf. erreichten Minderausgaben in den Augen der Bundesregie-
rung eine hinreichende Rechtfertigung für die Beeinträchtigungen der Frei-
heitsrechte der betroffenen Menschen dar?

5. Wie viele Fälle von Beschwerden über das Verhalten der Außendienstmit-
arbeiterinnen und -mitarbeiter sind der Bundesregierung und der Bundes-
agentur für Arbeit bekannt geworden, und wie viele Widerspruchsverfahren
gibt es gegen Bescheide der BA/Argen/Kommunen, die sich auf Erkennt-
nisse von Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern stützen?

6. Welche Ermittlungsinstrumente wurden dem Außendienst zugewiesen?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Recht auf Unverletz-
lichkeit der Wohnung auch uneingeschränkt für ALG-II-Bezieherinnen
und -Bezieher gilt?

Wenn nein, warum nicht?

8. Mit welchen Initiativen gedenkt die Bundesregierung sich dafür einzuset-
zen, dass das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch für ALG-II-
Bezieherinnen und -Bezieher im Falle des Tätigwerdens des Außendiens-
tes gewährleistet wird?

9. Welche Maßnahmen (z. B. interne Gesprächsleitfäden) wurden eingeleitet,
um für ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher die Unverletzlichkeit der
Wohnung zu garantieren?

10. Haben nach Auffassung der Bundesregierung Außendienstmitarbeiter die
Pflicht, sich zuerst auszuweisen, auch um Betroffene vor möglichen Trick-
betrügern zu schützen (bitte begründen)?

11. Welche Richtlinie gibt es, die die Voraussetzungen klärt, bevor eine Beein-
trächtigung der allgemeinen Freiheit der Person (Artikel 2 GG) durch die
Befragung der Nachbarn erfolgen darf?

Berlin, den 22. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.