BT-Drucksache 16/4807

Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus dauerhaft verankern und Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung berücksichtigen

Vom 22. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4807
16. Wahlperiode 22. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Sevim
Dag˘delen, Diana Golze, Katja Kipping, Jan Korte, Kersten Naumann, Wolfgang
Neskovic, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Frank
Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus dauerhaft verankern und
Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung berücksichtigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag lehnt den Entwurf des neuen Programms des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) „För-
derung von Beratungsnetzwerken – Mobile Kriseninterventionsteams gegen
Rechtsextremismus“ als ungeeignet für die Fortsetzung und Verstetigung der
erfolgreichen und kontinuierlichen Arbeit der Civitas-Strukturprojekte (Mo-
bile Beratung gegen Rechtsextremismus und Beratung für Opfer rechtsextre-
mer Gewalt) ab. Insbesondere die Ausgestaltung der Mobilen Interven-
tionsteams“, die „anlassbezogene, unmittelbare und zeitlich befristete Hilfe-
stellungen“ im Falle rechtsextremer Vorkommnisse leisten sollen, konterka-
rieren aus Sicht des Bundestages die Grundsätze der bisherigen, langfristig
angelegten, Beratungsarbeit und die Ergebnissen der Civitas-Begleitfor-
schung.

2. Die vom BMFSFJ erteilte Absage an das Angebot der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung, Zukunft“, die ihre Trägerschaft für ein Förderprogramm „Be-
ratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ und eine Aufstockung der
Bundesmittel um 0,5 Mio. Euro pro Jahr angeboten hatte, ist absolut unver-
ständlich und beschädigt die Arbeit gegen Rechtsextremismus nachhaltig.
Neben einer bewährten Trägerstruktur werden auch noch zusätzliche Mittel
für diese Arbeit ausgeschlagen.

3. Der Bundestag sieht mit Besorgnis, dass mit der möglichen Anbindung von
Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus an staatliche Stellen (Lan-
desministerien) die von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages gefor-
derte und von allen Fachleuten angemahnte Stärkung der demokratischen
Zivilgesellschaft aufgegeben und die Zusammenarbeit zwischen kommuna-
len Initiativen und Beratungsstellen erschwert würde.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Bundestag in Kürze ein neues Konzept für ein Förderprogramm „Bera-
tungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ vorzulegen, dem die Essentials
der wissenschaftlichen Begleitforschung – Langfristigkeit der Beratungsar-
beit; Anbindung an Strukturen der demokratischen Zivilgesellschaft – zu-

Drucksache 16/4807 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

grunde gelegt werden und das den Erhalt der vorhandenen Beratungsstruktu-
ren (Mobile Beratung und Opferberatung) absichert;

2. die Träger der bisherigen Beratungsarbeit gegen Rechtsextremismus ebenso
wie die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, den Verein
„Gegen Vergessen – für Demokratie“ sowie weitere geeignete Vereine und
Stiftungen in die Planung und Erarbeitung eines neuen Konzeptes von An-
fang an mit einzubeziehen;

3. dem Bundestag einen Zeitplan vorzulegen, der eine schnelle Übertragung
der erfolgreichen Beratungsstrukturen aus Ostdeutschland auf westdeutsche
Bundesländer vorsieht, und möglichen zusätzlichen Finanzierungsbedarf zu
benennen.

Berlin, den 22. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Mit dem Entwurf „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Interven-
tionsteams gegen Rechtsextremismus“ verabschiedet sich die Bundesregierung
von einem präventiven Ansatz der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Es handelt
sich in Form und Inhalt um einen Paradigmenwechsel, der die Diskussionen der
letzten Jahre auf den Kopf stellt. Die Bundesregierung missachtet mit diesem
Entwurf sowohl die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung zum
Civitas-Programm als auch den politischen Willen der Mehrheit des Deutschen
Bundestages, der sich in der zusätzlichen Bewilligung von 5 Mio. Euro gerade
für den Erhalt bewährter Beratungsstrukturen ausdrückte.

Die dauerhafte, kommunal verankerte und auf lokale Vernetzung angelegte Ar-
beit der Strukturprojekte wurde von allen Seiten der wissenschaftlichen Begleit-
forschung als das entscheidende Erfolgskriterium angesehen. Im Abschluss-
bericht des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ heißt es, eine
sinnvolle Förderpolitik müsse Projekte fördern, „die von Akteurinnen und
Akteuren der Zivilgesellschaft verantwortet werden und auf die lokalen Kon-
textbedingungen abgestimmt sind. An die Stelle permanenter Förderung von im-
mer neuen ‚Modellen‘ sollte eine Förderungspolitik treten, die sicherstellt, dass
Bewährtes erhalten bleibt und verstetigt werden kann.“ (Abschlussbericht
S. 64). Prof. Roland Roth schreibt in seiner Stellungnahme zur Anhörung des
Familienausschusses des Deutschen Bundestages „Arbeit gegen Rechtsextre-
mismus – Auswertung und Weiterentwicklung“ (20. November 2006): „Die An-
kündigung, künftig an Stelle der ‚alten‘ Strukturprojekte zentrale Beratungs-
kompetenzen im Sinne einer ‚task force‘ aufzubauen, verkennt die Kompliziert-
heit der lokalen und regionalen Aufgaben. Es ist zwar durchaus sinnvoll, für
spezifische Felder und Konzepte (z. B. ‚Schule ohne Rassismus‘, ‚Exit‘) bun-
desweite Unterstützungsstrukturen aufzubauen bzw. zu erhalten. Aber die Mehr-
zahl der Strukturprojekte konnte nur deshalb Erfolge verbuchen, weil sie sich
über einen längeren Zeitraum spezifisches ‚lokales Wissen‘, sowie soziales
Kapital, Vertrauen und Anerkennung erworben hat. Dies ist zentralisiert in der
gleichen Qualität nicht möglich.“

Während mit dem neuen Bundesprogramm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und

Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemi-
tismus“ ausgewählte Kommunen in den Bundesländern in der Arbeit gegen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4807

Rechtsextremismus gefördert werden, bricht diese dauerhafte Arbeit für alle an-
deren Kommunen mit dem Ende der vorhandenen Beratungsstrukturen weg. Die
vom Bundesministerium anvisierten „Mobilen Interventionsteams“ wider-
sprechen allen angeführten Empfehlungen einer dauerhaften Arbeit gegen die
extreme Rechte. Diese völlige Missachtung aller Erfahrungen, sowohl der
Wissenschaft als auch der bisherigen Projektträger, lässt auf einen politischen
Willen zur Zerschlagung der Strukturprojekte in ihrer bewährten Art schließen.
Anstelle eines zivilgesellschaftlichen Ansatzes soll jetzt eine administrativ von
oben gesteuerte Arbeit gegen Rechtsextremismus treten.

Dieser Eindruck der bewussten Zerschlagung der etablierten Beratungsprojekte
wird durch Ablehnung des Angebots der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ und des Vereins „Gegen Vergessen“, die Strukturprojekte zu über-
nehmen und deren Mittel um 0,5 Mio. Euro zu erhöhen, untermauert.

Für die notwendige Verstetigung und Ausweitung der Arbeit gegen Rechts-
extremismus ist eine Überarbeitung der vom Bundesministerium vorgelegten
Konzeption nötig, die sich an den Ergebnissen der wissenschaftlichen For-
schung orientiert, den zivilgesellschaftlichen Ansatz fortführt und eine Aus-
dehnung auf die westdeutschen Bundesländer vorsieht.

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