BT-Drucksache 16/4759

Politische Lösungen sind Voraussetzung für Frieden in Somalia

Vom 21. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4759
16. Wahlperiode 21. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Politische Lösungen sind Voraussetzung für Frieden in Somalia

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem Ende der gescheiterten UN-Friedensmission im Jahr 1995 stand
Somalia kaum mehr auf der Agenda der internationalen Politik, sondern galt im
Wesentlichen als Paradebeispiel für Staatsversagen. Im vergangenen Jahr än-
derte sich dies grundlegend, als die Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC)
Somalia, einschließlich der Hauptstadt Mogadischu, weitgehend unter ihre Kon-
trolle bringen konnte. Die internationale Politik und Weltöffentlichkeit schenk-
ten dem Konflikt in dem Staat am Horn von Afrika nunmehr wieder erhebliche
Aufmerksamkeit, vor allem aufgrund der Befürchtung, hier könne eine neue
Front des internationalen islamistischen Terrorismus entstehen. Anfang Dezem-
ber 2006 machte der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1725 formal den
Weg für eine Friedensmission der ostafrikanischen Regionalorganisation
„Intergovernmental Authority on Development“ (IGAD) frei. Doch Äthiopien
intervenierte Ende Dezember 2006 unilateral, entsandte Truppen zum Schutz
der somalischen Übergangsregierung und zerschlug die Union der Islamischen
Gerichtshöfe. Um ein Sicherheitsvakuum nach einem Abzug der äthiopischen
Truppen zu verhindern, beschloss der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrika-
nischen Union (AU) am 19. Januar 2007, AMISOM (Mandat für eine afrikani-
sche „Friedenstruppe“ für Somalia) als AU-Friedensmission nach Somalia zu
entsenden, deren Mandat der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1744 am
20. Februar 2007 der neuen Situation anpasste. Derzeit laufen Bemühungen, die
erforderliche militärische und finanzielle Unterstützung für die AU-Mission zu
erhalten und einen innersomalischen Versöhnungsprozess auf den Weg zu brin-
gen. Obwohl AMISOM weit davon entfernt ist, seine Sollstärke zu erreichen,
sind erste Truppen bereits nach Somalia entsandt worden. Ab dem 16. April
2007 hat der somalische Übergangspräsident Yusuf eine zweimonatige Versöh-
nungskonferenz einberufen.

Die internationalen Anstrengungen zur Wiederherstellung von Frieden in Soma-
lia sind zu begrüßen, doch wird laut Beobachtern einigen Aspekten des Kon-

flikts, insbesondere seinen regionalen Verflechtungsdimensionen bislang zu we-
nig Beachtung geschenkt. Alle Friedensbemühungen und Versuche zur Wieder-
herstellung der Staatsgewalt werden höchstens kurzfristige Erfolge erzielen,
wenn nicht auf eine Friedensstrategie hingearbeitet wird, die sowohl der inneren
Komplexität des Konflikts als auch seinen regionalen Verflechtungen gerecht
wird. Die Bundesregierung steht in ihrer Funktion als EU-Ratspräsidentschaft
hierfür in besonderer Verantwortung.

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Für die Situation in Somalia sind Interessen der Nachbarstaaten und die Insta-
bilität der Region von großer Bedeutung. Eine herausragende Rolle spielen da-
bei der äthiopisch-eritreische Konflikt und die Nichtanerkennung der äthio-
pisch-eritreischen Grenze durch Äthiopien. Nach einem äußerst blutigen Grenz-
krieg zwischen Eritrea und Äthiopien haben die Konfliktparteien im Juni 2000
ein Friedensabkommen in Algerien unterzeichnet. Die Haager Grenzkommis-
sion wurde eingesetzt, deren Grenzziehung im April 2002 unter anderem auch
festlegte, dass der besonders umstrittene Ort Badme innerhalb Eritreas liegt.
Entgegen der vorherigen Zusage beider Streitparteien, den Schiedsspruch, wie
immer er ausfallen möge, anzuerkennen, hat Äthiopien dies bisher verweigert,
ohne dass dies für das Land Konsequenzen gehabt hätte. Äthiopien unterstützt
die somalische Übergangsregierung, Eritrea hingegen die UIC. Damit stärken
diese Länder somalische Kontrahenten, weiten ihren eigenen Konflikt auf
Stellvertreter in Somalia aus und geben dem innersomalischen Konflikt weitere
Nahrung. Während die eritreische Unterstützung für die UIC aus dem Gegensatz
zu Äthiopien heraus zu erklären ist, sieht Äthiopien vor allem seine Sicherheits-
interessen gefährdet: Somalische Rebellengruppen erheben Ansprüche auf den
von ethnischen Somalis bewohnten äthiopischen Ogaden und islamistische
Gruppierungen riefen immer wieder zum „Jihad“ gegen Äthiopien und zur
Bekämpfung der Übergangsregierung auf. Es waren nicht zuletzt die Drohungen
der UIC, die zur frühzeitigen Stationierung äthiopischer Truppen zum Schutz
der Übergangsregierung führten. Diese Drohungen bilden zusammen mit den
amerikanischen Interessen im Antiterrorkampf auch den Hintergrund von
Äthiopiens Einmarsch in Somalia im Dezember 2006 und seiner militärischen
Zerschlagung der UIC. Die völkerrechtliche Legalität des unilateralen Einmar-
sches ist umstritten.

Die insgesamt weitreichenden regionalen Verflechtungen des Konflikts werden
besonders durch die Vielzahl der Staaten deutlich, die in der langen Geschichte
des Somaliakonflikts Vermittlungsversuche unternommen haben. So luden
Ägypten, Äthiopien, Dschibuti, Kenia, Jemen und der Sudan in der Vergangen-
heit zu Gesprächen zwischen den Konfliktparteien ein. Diese Länder verfolgten
dabei verschiedene Ansätze und auch Eigeninteressen, besitzen unterschiedliche
Sympathien für die verschiedenen politischen Akteure in Somalia und haben
teils divergierende Auffassungen bezüglich der Statusfrage für Somaliland, das
1991 seine Unabhängigkeit von Somalia erklärt hat. Daher bedarf es einerseits
Abstimmungsprozessen, um die Positionen im Sinne einer kohärenten interna-
tionalen Haltung einander anzunähern, und zum anderen aktiver Bemühungen,
die gesamte Region des Horns von Afrika zu stabilisieren.

Über die regionalen Verflechtungsdimensionen hinaus spielen im Somaliakon-
flikt internationale Sicherheitsszenarien und Konfliktperzeptionen eine große
Rolle: der Antiterrorkampf, ein erstarkender politischer Islam und islamistischer
Terrorismus sowie die Wahrnehmung von Teilen der muslimischen Welt, gegen-
über dem Westen in die Defensive gedrängt zu sein. Während sich die Über-
gangsregierung Somalias als neue Front im globalen Antiterrorkampf präsen-
tiert, um die Unterstützung westlicher Staaten zu gewinnen, mobilisieren Teile
der islamischen Gerichte Sympathien in der muslimischen Welt, indem sie sich
als Opfer westlicher „Islamophobie“ und äthiopischer Hegemonieansprüche
darstellen. Trotz dieser Gemengelage sollte aber nicht übersehen werden, dass
sich moderate Führer der islamischen Gerichtshöfe intensiv um einen Dialog
auch mit Akteuren außerhalb des arabisch-islamischen Raums bemühten, so
zum Beispiel mit der EU. Auf diese Gesprächswünsche hat die EU leider nicht
positiv reagiert, wodurch die Chance eines Dialogs jenseits des wahrgenomme-
nen Konflikts zwischen islamischer und westlicher Welt verspielt wurde.

Zahlreiche externe Akteure haben auf die Entwicklung Somalias Einfluss ge-

nommen, wobei Staaten des arabisch-islamischen Raums die islamistischen
Kräfte und Staaten der „christlich-westlichen“ Welt die Übergangsregierung un-

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terstützten. Es wäre jedoch eine unzulässige Vereinfachung, die Beweggründe
hierfür auf religiöse Faktoren zurückzuführen, etwa eine innerislamische oder
christlich motivierte Solidarität. Vielmehr spielen Eigeninteressen der betreffen-
den Staaten eine wesentliche Rolle. Für die Seite der islamischen Bewegung
haben nach Angaben von UN-Experten von Oktober 2006 Dschibuti, Iran,
Libyen, Saudi Arabien und Syrien Partei ergriffen und diese unter Verletzungen
des UN-Waffenembargos militärisch aufgerüstet.

Unter den nichtislamischen Staaten ist neben der direkten Beteiligung Äthiopi-
ens das Somalia-Engagement Kenias hervorzuheben. Dort wurden 2004 die Ver-
handlungen über die somalische Übergangscharta für Somalia abgeschlossen,
auf deren Grundlage die somalische Übergangsregierung entstand. Auch die
USA unterstützen die Übergangsregierung, und sie haben die UIC bekämpft.
Aktivitäten der von den Vereinigten Staaten finanzierten und ebenfalls unter
Verletzung des UN-Embargos aufgerüsteten somalischen „Allianz für die Wie-
derherstellung des Friedens und gegen Terrorismus“ haben allerdings Kämpfe
ausgelöst, die 2006 zum Zusammenbruch dieser Allianz und zum Aufstieg der
islamischen Gerichte führten. Nachdem Anfang dieses Jahres die Vereinigten
Staaten noch Luftangriffe auf Ziele in Somalia mit vermuteten Terroristen
richteten, haben sie ihr enges Verständnis von der Bekämpfung terroristischer
Gruppierungen in Somalia aufgegeben und bemühen sich nun darum, dass die
somalische Übergangsregierung gemäßigte Teile der UIC in den nationalen
politischen Dialog einbezieht.

Die Auseinandersetzungen in Somalia im Sinne des Kampfes zwischen der isla-
mischen und der christlich-westlichen Kultur zu betrachten, ist nicht nur verein-
fachend, sondern auch konfliktverschärfend. Um dem entgegenzuwirken, bedarf
es eines differenzierten Umgangs mit dem politischen Islam in Somalia und
proaktiver Bemühungen, derartigen Wahrnehmungsschemata keine Nahrung
zu liefern und sie zu durchbrechen. Deshalb sollten Staaten des arabisch-isla-
mischen Raums angemessen in internationale Bemühungen um die friedliche
Entwicklung Somalias eingebunden werden. Denn in der Vergangenheit haben
mit Äthiopien, Kenia und den USA Länder mit einer mehrheitlich christlichen
Bevölkerung wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung Somalias genommen.

Alle internationalen Versuche, eine friedliche Entwicklung Somalias zu beför-
dern, können nur eine unterstützende Rolle einnehmen. Ein tragfähiger Frie-
densprozess kann nur von innen kommen. Daher ist es an den Somalis selbst,
eine politische Einigung über eine friedliche Entwicklungsperspektive für ihr
Land zu erzielen. Die von der AU beschlossene Friedensmission AMISOM
kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle relevanten politischen Kräfte die
Entsendung der AU-Mission akzeptieren. Auch muss der Dialogprozess in die
Bildung einer Regierung einmünden, die die Wertschätzung aller gesellschaft-
lichen Gruppen und Klans genießt. In die Verhandlungen sind besonders Vertre-
ter des Hawiye-Klans angemessen einzubeziehen, die die Übergangsregierung
als Interessenvertretung des rivalisierenden Darod-Klans betrachten und eng mit
den islamischen Gerichtshöfen verbunden sind. Darüber hinaus sind auch Ver-
treter der islamischen Gerichtshöfe in den Dialog einzubeziehen. Sie haben sich
trotz Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Anerkennung weiter Teile der
Bevölkerung erworben, indem sie im letzten Jahr in großen Teilen des Landes
ein Mindestmaß an öffentlicher Sicherheit hergestellt sowie zur Bereitstellung
von sozialen Leistungen beigetragen haben, was auch die IGAD in ihrem Com-
muniqué vom 2. Dezember 2006 entsprechend würdigt. Da Vertreter des radika-
len Minderheitenflügels der UIC ein hohes Potential haben, den Dialogprozess
zu stören und die politische und die Sicherheitslage durch bewaffnete Angriffe
in Somalia weiter zu verschlechtern, wäre es politisch unklug, sie von vornher-
ein aus dem Dialogprozess auszuschließen. Dies würde sie aus der Verantwor-

tung für eine friedliche Lösung entlassen und ihnen neue Mobilisierungs-
chancen eröffnen, während die moderaten und pragmatischen Kräfte der UIC

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geschwächt würden. Stattdessen sollten Vertreter der UIC aufgefordert werden,
ihre Erklärung einzuhalten und zu erneuern, den Terrorismus zu verurteilen, die
territoriale Integrität der Nachbarstaaten zu respektieren und ausländische be-
waffnete Gruppen nicht auf somalischem Boden zu dulden. Vertreter der UIC,
die sich dazu bereitzeigen, sollten aus dem nationalen Dialog nicht ausgeschlos-
sen bleiben. Neben der Inklusivität des politischen Dialogs ist die Handlungs-
fähigkeit seiner Teilnehmer eine Voraussetzung dafür, dass der Prozess erfolg-
reich verlaufen und tragfähige Ergebnisse zeitigen kann. Doch diese Handlungs-
fähigkeit ist durch die äthiopische Truppenpräsenz geschwächt. Nicht nur wurde
die zentrale Organisationsstruktur der islamischen Gerichtshöfe zerschlagen,
sondern auch die Übergangsregierung hat durch den äußerst unpopulären Ein-
marsch massiv an Vertrauen in der Bevölkerung verloren, das ohnehin sehr ge-
ring war. Auch die Tatsache, dass die Übergangsregierung den Parlaments-
sprecher entlassen, einen zweimonatigen Ausnahmezustand verhängt und die
Versöhnungskonferenz nur unter Druck von außen einberufen hat, lässt Zweifel
an ihrer Bereitschaft zu einem echten Dialog aufkommen.

Die Zustimmung aller relevanten politischen Kräfte zur Entsendung der im
Januar dieses Jahres von der AU beschlossenen AMISOM ist auch nach der er-
folgten Stationierung des ugandischen Kontingents eine notwendige Voraus-
setzung dafür, dass diese von der Mehrzahl der politischen Kräfte in Somalia als
Friedenstruppe und nicht als Gegner empfunden werden. Zudem müssen sich
die weithin als Gegner und Besatzer wahrgenommenen äthiopischen Truppen
vollständig aus Somalia zurückziehen, damit sich die Feindseligkeit gegenüber
diesen nicht auf AMISOM überträgt und sich die Wahrnehmung der AU-Frie-
densmission und der äthiopischen Interventionsarmee nicht vermischen. Wenn
diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, läuft AMISOM Gefahr, zu einer weite-
ren Konfliktpartei zu werden. Damit würde sie zwischen den somalischen Kon-
trahenten aufgerieben und sich in erhöhtem Maße der Gefahr aussetzen, Ziel-
scheibe von – bereits begonnenen – Anschlägen zu sein. AMISOM kann Frieden
in Somalia nicht militärisch von außen erzwingen.

Unter der Erfolgsvoraussetzung der breiten innersomalischen Akzeptanz von
AMISOM ist es von zentraler Bedeutung, dass die Mission ihre Sollstärke er-
reicht und eine tragfähige und angemessene Finanzierung und Ausstattung
sichergestellt ist. Nichtafrikanische Staaten sind entsprechend dem „Burundi-
Modell“ aufgerufen, „Patenschaften“ für afrikanische Kontingente zu überneh-
men. Dies könnte auch dazu beitragen, dass die Truppenzusagen von AU-Mit-
gliedstaaten auf die erforderliche Höhe anwachsen. Darüber hinaus sollte die in-
ternationale Gemeinschaft Maßnahmen ergreifen, um das UN-Waffenembargo
durchzusetzen. Der Grenzverkehr, einschließlich der Seehandelswege, muss zu
diesem Zweck wirkungsvoll überwacht werden.

Um die somalische Kriegswirtschaft in eine Friedenswirtschaft zu transformie-
ren, gilt es, die weite Verbreitung von Kleinwaffen einzudämmen, die bewaff-
neten Gruppen zu demobilisieren und die Soldaten und Kämpfer wieder in das
zivile Leben einzugliedern. Experten weisen darauf hin, dass dies nur auf frei-
williger Grundlage geschehen kann, denn versuchte man, dies gewaltsam durch-
zusetzen, triebe das Land in eine neue Konflikteskalation hinein. Die Bereit-
schaft zur freiwilligen Abgabe von Waffen wird in dem Maße wachsen, wie sich
die Bevölkerung aufgrund der Sicherheitslage nicht mehr auf die Waffen ange-
wiesen sieht und ökonomische Zukunftsperspektiven für sich erkennt. Daher
soll die internationale Gemeinschaft im Rahmen eines Wiederaufbauplans für
Somalia Anreize für einen tragfähigen Friedensprozess setzen. In dessen Mittel-
punkt muss die Schaffung von Rahmenbedingungen stehen, die eine Entfaltung
der somalischen Wirtschaft und des somalischen Handels erlauben. Dann wer-
den sich die Erfolgschancen der Maßnahmen zur Demobilisierung, zur Sicher-

heitssektorreform und zur Reintegration von Soldaten wesentlich erhöhen. Es ist
darauf zu achten, dass der Wiederaufbauplan nicht ein Finanzvolumen erlangt,

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das die politischen Kräfte dazu verleitet, ihre Aufmerksamkeit von der Gestal-
tung eines Friedens- und Entwicklungsprozesses abzuwenden und ihre Energien
auf die Akquise, die Zweckentfremdung oder die Nutzung der Mittel zum eige-
nen Machterhalt zu richten. Strukturen, die anfällig sind für Korruption und
„rent-seeking“, bergen die Gefahr, einer erneuten Konflikteskalation Vorschub
zu leisten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass erfolgreiche
Staatsbildungsprozesse in Somalia wie zum Beispiel in Somaliland und Punt-
land ohne erhebliche ausländische Unterstützung zustande gekommen sind.

Eine in den aktuellen Diskussionen häufig übersehene und äußerst diffizile
Facette des Somaliakonflikts ist die Statusfrage der Republik Somaliland, die
am 18. Mai 1991 ihre Unabhängigkeit von Somalia erklärt hat. Somaliland war
als ehemalige britische Kolonie 1960 bereits für kurze Zeit unabhängig. Es hat
dann in der Hoffnung auf ein „Großsomalia“, welches Teile Nordkenias, Fran-
zösisch-Somaliland/Dschibuti und den Ogaden in Äthiopien einschließen sollte,
eine Entscheidung zugunsten eines „einzigen“ Somalias gefasst. Nach der Un-
abhängigkeitserklärung von 1991 hat sich in Somaliland eine funktionierende
Demokratie entwickelt; von internationalen Beobachtern als frei und fair be-
zeichnete Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen sind abgehalten
worden. Der dort herrschende Friede und die Stabilität stehen in starkem Kon-
trast vor allem zur Entstaatlichung und Gewalt in Süd- und Zentralsomalia. Im
Dezember 2005 hat der Präsident von Somaliland, Dahir Rayale Kahin, einen
Antrag auf Mitgliedschaft Somalilands bei der Afrikanischen Union gestellt,
worin Somaliland als Territorium innerhalb der kolonialen Grenzen von
Britisch-Somalia definiert ist. Vielerorts wird der Angst Ausdruck verliehen,
dass eine Anerkennung Somalilands zu einer weiteren Zersplitterung Somalias
oder gar der AU führen könnte und die „Büchse der Pandora“ öffnen würde.
Eine AU-Erkundungsmission kam hingegen zu dem Ergebnis, dass die Situation
Somalilands im Kontext der ostafrikanischen Geschichte „einmalig und in der
Sache gerechtfertigt“ sei. Die AU hat hierüber nicht entschieden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. aktiv an bereits eingeleiteten Initiativen mitzuwirken, den Konflikt zwischen
Äthiopien und Eritrea einer dauerhaften friedlichen Lösung zuzuführen,
Äthiopien zur Anerkennung der im April 2002 von der internationalen
Grenzkommission festgelegten Grenze zu bewegen und wieder konstruktive
zwischenstaatliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu etablieren;

2. auf einen regionalen Dialog zwischen Nachbarstaaten und Regionalmächten
hinzuwirken, in dem die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Staaten aufge-
griffen werden;

3. aktive Beiträge zur Umsetzung des von der EU vorgelegten und auf der EU-
Afrika-Strategie basierenden Konzepts für eine „Regionale politische Part-
nerschaft der EU zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung am
Horn von Afrika“ vom 20. Oktober 2006 zu leisten;

4. darauf hinzuwirken, dass ein aufrichtiger, alle relevanten politischen Kräfte
einschließender politischer Dialogprozess in Gang kommt, auf dessen Basis
ein Übereinkommen über die Entsendung von AMISOM und über die Trans-
formation der Übergangsregierung in eine wirklich repräsentative und damit
auch handlungsfähige Regierung der nationalen Einheit erzielt werden kann.
Die Bundesregierung soll sich darum bemühen, dass ein solcher Prozess
von Staaten und internationalen Organisationen moderiert wird, die die
Akzeptanz der Verhandlungspartner genießen. Als EU-Ratspräsident soll sie
dafür Sorge tragen, dass die EU eine internationale Initiative dafür ergreift,
dass der Dialogprozess international aktiv begleitet wird und für die Verhand-

lungspartner die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden;

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5. dazu beizutragen, dass AMISOM auf Grundlage einer innersomalischen
Akzeptanz der Mission schnell vollständig entsandt werden kann, adäquat
finanziert und ausgerüstet ist und ihrer Zusammensetzung nach als unpartei-
isch wahrgenommen wird;

6. sich für einen differenzierten Umgang mit dem politischen Islam in Somalia
einzusetzen. Hier soll die Bundesregierung Akzente setzen, indem sie ers-
tens – wie bereits im IGAD-Communiqué vom 2. Dezember 2006 gesche-
hen – international deutlich macht, dass sie jenseits menschenrechtlicher
Bedenken zum einen die Leistungen der UIC im letzten Jahr zur Schaffung
eines Mindestmaßes an öffentlicher Sicherheit sowie zur Bereitstellung von
sozialen Leistungen würdigt und gleichzeitig die UIC zur Erneuerung und
Einhaltung ihrer Erklärung auffordert, den Terrorismus zu verurteilen, die
territoriale Integrität der Nachbarstaaten zu respektieren und ausländische
bewaffnete Gruppen nicht auf somalischem Boden zu dulden. Zweitens soll
sie darauf hinwirken, dass in den innersomalischen politischen Dialogpro-
zess, in dem die Klans eine tragende Rolle spielen werden, auch Vertreter
der UIC, insbesondere ihrer politisch-moderaten Strömung, offensteht, aber
auch radikale Repräsentanten der UIC nicht ausgeschlossen bleiben, wenn
sie sich erneut auf die Zusagen aus dem IGAD-Communiqué verpflichten
und diese konsequent einhalten. Zweitens soll sie die USA ermutigen, so-
wohl den Weg der Unterstützung eines Dialogs zwischen der Übergangsre-
gierung und islamischen Kräften weiterzugehen als auch beim Einsatz der
Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus eine sorgfältige Risikoabwägung
vorzunehmen. Unbedachte und übereilte einzelne Antiterrormaßnahmen
können sowohl ungewollte negative Auswirkungen auf den innersomali-
schen Friedensprozess haben als auch im Ausland Muslime mobilisieren, an
einem „Jihad“ in Somalia teilzunehmen;

7. Initiativen und Maßnahmen zu unterstützen, den Grenzverkehr sowie die
See- und Luftverkehrswege wirkungsvoller zu überwachen, damit das
UN- Waffenembargo nicht unterlaufen wird;

8. die Initiative zur Ausarbeitung eines finanziell angemessen ausgestatteten,
konfliktsensiblen internationalen Wiederaufbauplans zu ergreifen. Darin
müssen geeignete Rahmenbedingungen für das Wirtschafts- und Handels-
leben im Vordergrund stehen. Zudem sollte ein besonderes Augenmerk auf
der Wiederherstellung der zentralen Kontrolle über den Besitz von und den
Handel mit (kleinkalibrigen) Waffen, der Reform des Sicherheitssektors,
die Entwaffnung von Klans und Milizen sowie der Demobilisierung und
Reintegration ehemaliger Soldaten liegen;

9. Somalia in Aussicht zu stellen, es in die Liste der Kooperationsländer für die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen und Verhandlungen
über wirtschaftliche, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Ko-
operation aufzunehmen, nachdem eine von allen maßgeblichen politischen
Kräften getragene Übergangsregierung errichtet ist;

10. darauf hinzuwirken, Gefährdungen für die Stabilität Somalilands abzuwen-
den, die sich aus der aktuellen Situation ergeben könnten. Daher soll die
Bundesregierung sorgfältig prüfen, ob derzeit Initiativen friedenspolitisch
sinnvoll sind, die den Klärungsprozess in Bezug auf eine internationale An-
erkennung eines unabhängigen Somalilands fördern sowie die Übergangs-
regierung von Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed in die Pflicht nehmen,
keine unilateralen Schritte zu unternehmen, die diese Frage betreffen und
eine Verschlechterung der Sicherheitslage in der Republik Somaliland pro-
vozieren könnten.
Berlin, den 21. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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