BT-Drucksache 16/4628

Für die Beendigung des Pachtvertrages zwischen Kuba und den USA über Guantanamo Bay

Vom 8. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4628
16. Wahlperiode 08. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Dr. Lothar Bisky, Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Kornelia Möller,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und
der Fraktion DIE LINKE.

Für die Beendigung des Pachtvertrages zwischen Kuba und den USA über
Guantánamo Bay

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Aussagen des in Bremen beheimateten Türken Murat Kurnaz nach fast
fünf Jahren Haft im Gefängnis Guantánamo haben die Vorwürfe gegen die
menschenrechtswidrigen Haftbedingungen noch einmal bestätigt. Die Um-
stände der Inhaftierung zeigen alle Merkmale der Folter, der Missachtung der
Menschenrechte und der gezielten Entwürdigung. Noch immer sind 450 Ge-
fangene Opfer dieses völkerrechtswidrigen Systems, und die USA lassen
keine Initiative erkennen, es aufzuheben oder grundsätzlich entsprechend den
international anerkannten Rechtsstaatsregeln zu verändern.

2. Die Möglichkeit, ein solches Gefängnis außerhalb des Territoriums der USA
einzurichten, beruht auf der Verfügung über die seit über 100 Jahren von
Kuba gepachteten Guantánamo-Bucht. Diese Bucht hatten die USA im Krieg
gegen Spanien im Jahre 1898 besetzt. Im Frieden von Paris vom 10. Dezem-
ber 1898 erlangte Kuba zwar die Unabhängigkeit, geriet jedoch unter Mili-
tärverwaltung der USA. Diese sicherten sich 1901 durch das sog. Platt-
Amendment, welches in die kubanische Verfassung aufgenommen wurde,
ein Interventionsrecht im Falle innerer Unruhen und die Abtretung kuba-
nischen Territoriums als Flottenbasis. Am 23. Februar 1903 wurde auf der
Basis des Platt-Amendments von der verfassungsgebenden Versammlung
Kubas ein Leihvertrag über das 117,6 km²große Gebiet mit den USA über
99 Jahre vereinbart. Kuba behielt die Souveränität über das Gebiet, wenn
auch die USA die „vollständige Jurisdiktion und Kontrolle“ über das Gebiet
ausüben konnte. In Artikel II des Vertrages war festgelegt, dass das Gebiet
„ausschließlich als Kohleverladestation und Marinebasis zu nutzen“ ist.
3. 1934 stimmten die USA in einem neuen Vertrag vom 29. Mai der Streichung
des Platt-Amendments zu, ohne allerdings den Status von Guantánamo-Bay
zu verändern. In Artikel II des Pachtvertrages wurden die amerikanischen
Ansprüche auf den Stützpunkt auf unbefristete Zeit „bis die beiden Vertrags-
parteien eine Änderung des Übereinkommens vereinbaren“ festgelegt. Auch
der Zweck der Pacht „ausschließlich als Verladestation für Kohle und
Marinebasis“ blieb bestehen.

Drucksache 16/4628 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Seit der Revolution von 1958 steht die kubanische Regierung auf dem
Standpunkt, dass die Pachtverträge von 1903 und 1934 nichtig seien und
Guantánamo illegal gegen den Willen des kubanischen Volkes besetzt gehal-
ten werde. Die kubanische Regierung begründet ihre Ansicht zum einen da-
mit, dass es sich um „ungleiche Verträge“ handele, die Kuba seinerzeit mit
militärischem Druck aufgenötigt worden seien und der USA einseitig Vor-
teile verschaffen, denen auf der kubanischen Seite keine adäquate Gegenleis-
tung entspreche. Zum anderen seien die USA mit der Einrichtung kommer-
zieller Anlagen und des Gefängnisses weit über die vereinbarte Nutzung
hinausgegangen. Seit 1960 verzichtet die Regierung darauf, die Überweisung
des jährlichen Pachtzinses von 4 085 US-Dollar anzunehmen. Die USA da-
gegen halten an dem Anspruch auf ein unbefristetes Pachtverhältnis mit den
garantierten Rechten fest.

5. Die kubanische Regierung hat den Stützpunkt in den 1960er Jahren vom
Elektrizitäts- und Wassernetz abgekoppelt. Seitdem wird er von den USA aus
mit Schiffen und Flugzeugen versorgt. Ein 28 km langer Grenzzaun mit
44 Türmen sowie ein Minenfeld umschließen die Bucht. Mit der Begrün-
dung, die Minen um Guantánamo seien nötig, hat Kuba die Ottawa-Konven-
tion zur Ächtung von Landminen nicht unterzeichnet.

6. Die ursprüngliche militärische Bedeutung des Stützpunktes für die USA als
Nachschubbasis für den Kohle-, Wasser- und Munitionsbedarf der Dampf-
schiffe der US-Flotte ist mit Ende der Dampfschifffahrt nicht mehr gegeben.
Dieses berechtigt eine Vertragspartei nach der in Artikel 62 des Wiener Ab-
kommens über das Recht der Verträge (WRV) kodifizierten clausula rebus sic
stantibus zur Beendigung des Vertrages, wenn eine grundlegende, nicht vor-
aussehbare Veränderung von Umständen vorliegt, die beim Vertragsschluss
gegeben waren. Die ursprüngliche Nutzung des Stützpunktes in relativer Nähe
US-amerikanischer Häfen ist aufgrund der technischen Entwicklung entfal-
len, sodass Kuba sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann.

7. Die aktuelle Nutzung von Guantánamo-Bay vor allem als Gefängnisstation
angeblicher Terroristen stellt einen erheblichen Verstoß gegen den ursprüng-
lichen Vertrag dar. Er ermöglicht eine Beendigung des Vertrages nach Arti-
kel 60 I WRV als Reaktion. Die allgemein geforderte restriktive Auslegung
von Artikel 60 WRV erlaubt eine Beendigung des Vertrages nur bei einer er-
heblichen Verletzung. Diese liegt jedoch eindeutig in den ungeheuren men-
schenrechtswidrigen Umständen und Bedingungen des ganzen Gefängnis-
komplexes.

Da die US-Regierung bisher nicht zu erkennen gegeben hat, die vertragswidrige
Nutzung von Guantánamo-Bay aufzugeben, ist eine Beendigung des Pachtver-
hältnisses insgesamt und eine Rückgabe des Gebietes in die volle Souveränität
Kubas notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die US-Regierung zu ersuchen, in Verhandlungen mit der kubanischen Re-
gierung einzutreten mit dem Ziel, den Pachtvertrag zu beenden und Gu-
antánamo-Bay an Kuba zurückzugeben;

2. die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu ersuchen, gemäß Arti-
kel 96 der UNO-Charta ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof in
Den Haag über die Nichtigkeit des Pachtvertrages aufgrund seiner Unver-
einbarkeit mit dem geltenden Völkerrecht bzw. über die Beendigungsmög-
lichkeiten durch die kubanische Regierung wegen erheblicher Verletzung
des Pachtvertrages durch die USA erstellen zu lassen.

Berlin, den 6. März 2007
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4628

Begründung

Die Haftbedingungen in Guantánamo stellen eine äußerst schwerwiegende Ver-
letzung der justiziellen sowie anderer Menschenrechte der Gefangenen dar. Sie
sind ein direkter und andauernder Angriff auf die Menschenwürde der Gefange-
nen. Die USA haben sich bisher nicht bereit erklärt, diesen offensichtlichen
Missstand zu beseitigen. Appelle an die Herstellung rechtsstaatlicher Verhält-
nisse sind bisher ohne ausreichende Reaktion geblieben und nichts deutet darauf
hin, dass die US-Regierung ihnen in Zukunft Rechnung tragen wird.

Auch wenn sich derzeit offensichtlich keine in Deutschland lebenden Bürger in
dem Gefängnis befinden, ist der Komplex Guantánamo eine Herausforderung an
das mit der UNO seit 1945 neu definierte System universeller Menschenrechte.
Jeder Staat, und insbesondere Deutschland aufgrund seiner Kriegsgeschichte, ist
daher aufgefordert, gegen einen derartigen Rückfall hinter die einmal erreichten
Menschenrechtsstandards aktiv Stellung zu beziehen.

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