BT-Drucksache 16/4407

Keine militärische Eskalation gegenüber dem Iran - Konflikt um das Atomprogramm mit Verhandlungen lösen

Vom 28. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4407
16. Wahlperiode 28. 02. 2007

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder
Steenblock, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine militärische Eskalation gegenüber dem Iran –
Konflikt um das Atomprogramm mit Verhandlungen lösen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Konflikt um das iranische Atomprogramm gehört zu den zentralen inter-
nationalen Streitfragen. Die Bedeutung liegt nicht nur in der Sorge begründet,
dass Iran den Besitz einer Atombombe anstrebt, wiederholt Israel bedroht und
mit der Unterstützung von Hamas und Hisbollah seine Sicherheit gefährdet und
damit die Stabilität der Region massiv untergräbt. Es geht auch um die Relevanz
und Zukunft des Nichtverbreitungsvertrags (NVV), die daraus erwachsenden
Pflichten und Verantwortungen für alle Mitglieder und die Gefahr eines globalen
nuklearen (Rüstungs-)Wettlaufs. Die Weltgemeinschaft muss – auch vor dem
Hintergrund der Diskussionen um „Energiesicherheit“ und „Terrorismuspräven-
tion“ – grundsätzlich klären, wie sie den Missbrauch der Atomenergie für mili-
tärische und terroristische Zwecke zuverlässig verhindern will. Letztlich ist
jedoch jegliche Nutzung der Atomenergie nicht nur ökonomisch unsinnig und
ökologisch nicht verantwortbar, sondern birgt in sich die Gefahr zur militä-
rischen Nutzung. Mittel- und langfristig brauchen wir deswegen einen interna-
tionalen Diskurs, der zur grundsätzlichen Überwindung der Atomenergie führt
sowie auf die Entwicklung und den Einsatz erneuerbarer Energien setzt. Solche
Alternativen enthalten keinerlei Proliferationsrisiko.

Trotz vielfältiger internationaler Bemühungen und großzügiger Anreize ist es
bislang nicht gelungen den Iran, der über Jahre ein geheim gehaltenes Atom-
programm betrieb, zur Klärung offener Fragen und zum Verzicht auf die Uran-
anreicherung zu bewegen. Die internationale Gemeinschaft hat sich entschlos-
sen, darauf mit der in der Sicherheitsratsresolution 1737 beschlossenen Sanktion
zu antworten. Im Iran selbst hat eine Debatte darüber begonnen, wie die zukünf-
tige Politik in der Atomfrage aussehen soll. Pragmatiker befürchten eine dauer-
hafte Isolation des Landes, wenn an einer kompromisslosen Linie festgehalten

wird. Nach Ansicht von Experten treibt der Iran zwar sein Atomprogramm
voran, ist aber von der Produktion von Atomwaffen noch einige Jahre entfernt.
Tatsache ist auch, dass dem Iran nach dem von ihm ratifizierten Nichtverbrei-
tungsvertrag das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie zusteht – was
auch die Entwicklung und Nutzung der Urananreicherung beinhaltet. Allerdings
ist dieses Recht gebunden an eine Transparenz des Atomprogramms gegenüber

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Kontrolleuren der IAEO. Diese hat der Iran jedoch in entscheidenden Fragen
verweigert.

Die IAEO hat festgestellt, dass Russland dem Iran seit 2002 außer Uranbrenn-
stoffen auch Anreicherungstechnologie geliefert hat. Damit hat Russland
bewusst das Risiko militärischer Nutzung der Atomtechnologie durch den Iran
erhöht.

Stattdessen muss jetzt die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft zur
friedlichen Lösung des Atomstreits mit Iran gestärkt werden. Dabei müssen
parallel zu UN-Sanktionen aktive diplomatische Bemühungen erfolgen, um zu
einem Kompromiss in der Anreicherungsfrage zu kommen, damit direkte Ver-
handlungen möglich werden. Mit Druck alleine ist das Problem nicht zu lösen
und militärische Drohungen sind sogar völlig kontraproduktiv, um die iranische
Führung zu einem Eingehen auf das internationale Verhandlungsangebot zu
bewegen.

Die iranische Einmischung im Irak und teils pauschale Vorwürfe der USA, Iran
bedrohe massiv die US-Truppen im Irak, sowie Ankündigungen, vermutete ira-
nische Agenten zu „liquidieren“, sind beunruhigende Zeichen einer Eskalation.
Mitglieder der US-Administration – zuletzt Vizepräsident Dick Cheney – und
Vertreter Israels haben in der Vergangenheit eine militärische Lösung im Atom-
streit nicht ausgeschlossen. Die jüngsten Berichte über Planungen und Vorberei-
tungen für Militärschläge gegen Nuklearanlagen und Militärstützpunkte im Iran
sind alarmierend. Die Durchführung solcher Operationen würde die Hardliner in
der iranischen Führung stärken, eine iranische Atombombe auf Dauer nur wahr-
scheinlicher machen und hätte eine unkalkulierbare regionale und weltpolitische
Destabilisierung zur Folge. Nicht zuletzt der schwierige Stabilisierungsprozess
in Afghanistan wäre dadurch akut bedroht. Ein militärisches Vorgehen gegen
den Iran ist daher abzulehnen.

Zwar ist die Außenpolitik Irans von einem aggressiven regionalen Hegemonie-
streben geprägt, das auch die arabischen Nachbarstaaten besorgt. Doch IAEO-
Generalsekretär Mohamed al-Baradei hat die westlichen Staaten zu Recht auf-
gefordert, ebenso vorhandene legitime Sicherheitsinteressen des Iran ernst zu
nehmen. Sowohl Iran als auch die anderen Schlüsselakteure müssen alle Provo-
kationen, die direkten Verhandlungen entgegenstehen, vermeiden. Die Tür zu
Verhandlungen darf weder durch einen Automatismus in der Sanktionsfrage
noch durch militärische Drohszenarien geschlossen werden.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den von den EU-3 begonnenen Verhandlungsprozess zur Verhinderung einer
iranischen Atombombe auf Basis des umfassenden internationalen Verhand-
lungsangebots vom Juni 2006 parallel zu den Sanktionen der UN-Resolution
1737 konsequent weiterzuverfolgen, um schnellstmöglich zur Aufnahme
direkter Gespräche zu gelangen;

● gegenüber Iran alle diplomatischen und vertrauensbildenden Mittel auszu-
schöpfen sowie die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft zu
wahren;

● gegenüber den USA deutlich zu machen, dass ein militärischer Eskalations-
kurs diese Geschlossenheit massiv in Frage stellt;

● militärische Optionen oder Drohungen im Atomstreit mit Iran eindeutig als
kontraproduktive und gefährliche Mittel mit unabsehbaren Folgen auch für
deutsche und europäische Sicherheitsinteressen zurückzuweisen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4407

● den verschiedenen iranischen Akteuren die Anreize für eine Verhandlungs-
lösung zu verdeutlichen und legitime iranische Sicherheitsinteressen ernst zu
nehmen;

● die USA davon zu überzeugen – über ihr bestehendes Gesprächsangebot an
Iran bei Lösung des Problems der Urananreicherung und über das internatio-
nale Verhandlungsangebot hinaus –, Iran Sicherheitsgarantien und eine Auf-
hebung des einseitigen Wirtschaftsboykotts anzubieten, was im Falle Nord-
koreas entscheidend zur Lösung der Krise beigetragen hat;

● deutlich zu machen, dass sich die Bundesregierung an einer militärischen
„Lösung“ des Atomstreits unter keinen Umständen beteiligen wird;

● durch einen intensiven Dialog und Austausch mit der iranischen Zivilgesell-
schaft, großzügige Visavergabe und die Unterstützung in Menschenrechts-
fragen deutlich zu machen, dass sich gezielte Sanktionen nicht gegen die
iranische Bevölkerung richten, und damit nationalistischen Mobilisierungs-
versuchen der iranischen Führung entgegenzuwirken;

● darauf hinzuwirken, dass das Nichtweiterverbreitungsregime gestärkt, die
Urananreicherung und die Wiederaufarbeitung global internationalisiert und
unter Kontrolle der IAEO gestellt werden und der Missbrauch der Atom-
energie für militärische und terroristische Zwecke verhindert wird.

Berlin, den 28. Februar 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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