BT-Drucksache 16/4404

Wirksame Unterstützung für die Verfolgten des DDR-Regimes

Vom 28. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4404
16. Wahlperiode 28. 02. 2007

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Cornelia Behm, Katrin Göring-Eckardt,
Peter Hettlich, Undine Kurth (Quedlinburg), Monika Lazar, Jerzy Montag,
Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Hans-Christian Ströbele,
Dr. Harald Terpe, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksame Unterstützung für die Verfolgten des DDR-Regimes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Anfang der 90er Jahre erlassenen Unrechtsbereinigungsgesetze haben es
nicht vermocht, den Verfolgten des DDR-Regimes eine angemessene Aner-
kennung für das erlittene Schicksal auszudrücken. Daran hat auch die Ehren-
erklärung des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 1992 nichts geändert. Die
Rehabilitierungsgesetze haben die persönliche Würdigung der Betroffenen für
ihr Schicksal und ihre Lebensleistung eines Widerstands gegen die Diktatur
nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht. Sie haben weder den materiellen
Status der Betroffenen ausreichend verbessert noch die unbefriedigende gesell-
schaftliche Stellung der ehemaligen Verfolgten in gebührendem Umfang ange-
hoben.

Dieser Mangel gilt insbesondere für das Berufliche Rehabilitierungsgesetz mit
seiner unzureichenden Regelung der Rentenansprüche. Die ehemaligen Ver-
folgten empfinden es mit Recht als demütigend und ungerecht, für jeden Euro
Anträge zu stellen und für die Anerkennung von Haftfolgeschäden entwürdi-
gende Gesundheitsüberprüfungen über sich ergehen lassen zu müssen. Diese
Verbitterung wird noch dadurch gesteigert, dass es die Träger des alten SED-
Systems vermocht haben, vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verbesse-
rung ihrer Rentensituation durchzusetzen.

Unter der von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebildete
frühere Bundesregierung wurden wenigstens einige Härten und Ungerechtig-
keiten der unter der Regierung von Helmut Kohl erlassenen Unrechtsbereini-
gungsgesetze abgemildert. Hier wurden im Rahmen der Reform des Strafrecht-
lichen Rehabilitierungsgesetzes die Höhe der Haftentschädigung auf 600 DM
im Monat verdoppelt und die Leistungen für die Hinterbliebenen erheblich er-
weitert. Für die verfolgten Schülerinnen und Schülern wurde die Möglichkeit
einer Förderung der Ausbildung verbessert. Die Stiftung für ehemalige politi-

sche Häftlinge konnte höhere Leistungen an die Zivildeportierten auszahlen.
Die Zahlungen in besonderen Härtefällen wurden – wenngleich bescheiden –
von 300 DM (= 153,39 Euro) auf 184 Euro monatlich aufgestockt. Einen

Anspruch auf Leistungen haben nun auch die Hinterbliebenen der Opfer der
Volkserhebung vom 17. Juni 1953. Die Bedeutung dieser Verbesserungen wird
auch von der Bundesregierung ausdrücklich anerkannt (Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion der FDP vom 18. Juli 2006; Antrag der Fraktionen der

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CDU/CSU und SPD vom 31. Juli 2006). Die materielle Lage vieler ehemaliger
Häftlinge ist aber nach wie vor oftmals äußerst schwierig. Viele leiden auch
körperlich und seelisch unter den Folgen der erlittenen Haft und der Behand-
lung durch die DDR-Behörden.

Trotz der deutlichen Aufstockung der Leistungen nach 1998 ist einzuräumen,
dass die genannten zusätzlichen Leistungen hinter den berechtigten finanziellen
Erwartungen der Betroffenen zurückgeblieben sind. Auch der rot-grünen Koali-
tion ist es nicht gelungen, die Betroffenen vor bürokratischen Antragsverfahren,
Gesundheitsüberprüfungen und Kontrollen der finanziellen Leistungsfähigkeit
zu schützen. Es bestehen nach wie vor erhebliche Lücken in den gesetzlichen
Regelungen, die bei den Betroffenen zu tiefer Verbitterung geführt haben. Die
Renten vieler Menschen, die in der DDR Opfer von Verfolgung wurden, sind
vielfach zu niedrig. Zeiten von Haft und Verfolgung sowie berufliche Benach-
teiligungen werden bei der Berechnung der Renten nicht hinreichend berück-
sichtigt.

Noch immer haben viele Anspruchsberechtigte keine Anträge auf strafrecht-
liche, berufliche oder verwaltungsrechtliche Rehabilitierung gestellt. Der Gesetz-
geber hat hier zu respektieren, dass sich die Betroffenen beim Umgang mit
ihrer Biographie von höchstpersönlichen Grundsätzen leiten lassen. Das Be-
dürfnis der Verwaltungen, Vorgänge in einer begrenzten Zeit abzuschließen,
muss hier hinter dem Anspruch der Betroffenen zurückstehen. Es macht von
daher wenig Sinn, ständig neue Fristverlängerungen zu beschließen, denen wie-
derum die nächste auf dem Fuße folgen wird. Auch eine erneute Verlängerung
der zum 31. Dezember 2007 auslaufenden Fristen um weitere drei Jahre, wie
sie vom Bundesrat in seinem Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 16/3653
vom 30. November 2006) gefordert wird, verschiebt die Probleme, löst sie aber
nicht.

Die Praxis der Feststellung von Gesundheitsschäden als Folge erlittener Haft
und Verfolgung verläuft in der Praxis nach wie vor höchst unbefriedigend.
Viele Gutachter verfügen über unzulängliche Kenntnisse der geschichtlichen
Zusammenhänge, so dass die Opfer nach wie vor beweispflichtig sind. Dies
kann angesichts des zeitlichen Abstands zur Inhaftierung und auf Grund des
hohen Alters der Betroffenen nicht gelingen.

Es hat sich daher gezeigt, dass neben der Haftentschädigung, Maßnahmen zur
Wiedereingliederung in den Beruf und einer materiellen Entschädigung für er-
littene Vermögensverluste auch eine regelmäßige Entschädigungszahlung ohne
aufwändige bürokratische Verfahren dringend nötig ist. Nur so können wenigs-
tens einige der groben Verwerfungen auch gegenüber den Trägern des SED-
Systems gelindert werden. Die Lösung dieses Problems sollte unabhängig vom
Rentenrecht in einer laufenden Ehrenpension als Entschädigung und zugleich
Anerkennung für die erlittene Verfolgung gesucht werden. Angesichts der großen
Not vieler ehemaliger Verfolgter kann aber eine monatliche Opferpension von
lediglich 250 Euro den berechtigen Erwartungen der Betroffenen in keiner
Weise genügen. Zudem wird nach den Vorstellungen der großen Koalition der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD nur ein viel zu kleiner Personenkreis von
lediglich ca. 6 000 Betroffenen von dieser kleinen Lösung berücksichtigt. Da-
mit bleibt der Antrag der Regierungsfraktionen weit hinter den Versprechen der
damaligen Fraktion der CDU/CSU zurück, die den Verfolgten in Anlehnung an
die Höhe der VVN-Rente eine Ehrenpension von 511 Euro (1 000 DM) ver-
sprochen hatte (Bundestagdrucksache 14/3665 vom 27. Juni 2000).

Es gibt keinen sachlichen Grund, den Kreis der Bezugsberechtigten auf die
wenigen überlebenden Häftlinge vor allem aus den 50er und 60er Jahre zu
beschränken, die zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden waren. Die vor-

gesehene Mindestdauer der für einen Entschädigungsanspruch erforderlichen
Inhaftierung von mehr als einem halben Jahr missachtet das Schicksal derer,

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die zwar „nur“ wenige Wochen im Stasi-Gefängnis misshandelt wurden, da-
durch aber systematisch in ihrer Menschenwürde verletzt wurden. Gerade die
ersten Wochen und Monate in der Haft waren oftmals besonders brutal und ge-
kennzeichnet durch den Versuch der Staatsmacht, den Willen der Inhaftierten
zu brechen. Ausgeschlossen von der Opfer- und Verfolgtenentschädigung sind
nach diesem Konzept auch die Opfer der berüchtigten „Zersetzungsmaßnah-
men“ des Ministeriums für Staatssicherheit. Diese verdeckten und perfiden Me-
thoden wurden sehr gezielt angewandt, um Menschen zu zerstören. Ausge-
schlossen sind auch verfolgte Schülerinnen und Schüler, die in ihrem gesamten
Berufsleben Nachteile in Kauf zu nehmen hatten. Ausgeschlossen sind auch die
Zwangsausgesiedelten nach § 1 Abs. 3 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetzes.

Die Betroffenen der Verfolgungsmaßnahmen des SED-Regimes mussten oft-
mals ein Leben voller Schikanen und Diskriminierungen am Rande der Gesell-
schaft führen. Perfide waren auch die Diskriminierungen von Schülern aus
politischen Gründen. Sie wurden von ihren Lehrern denunziert und schon als
Minderjährige aus politischen Gründen daran gehindert, eine ihren Fähigkeiten
entsprechende Ausbildung zu erhalten. Es kann nicht angehen, all diese Schick-
sale bei der Zuerkennung einer Opferpension unberücksichtigt zu lassen.

Mit ihren neuen Plänen für ein Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz löst
die Bundesregierung keines dieser Probleme. Die große Koalition ruft vielmehr
neue Verbitterung hervor und leistet auch keinen Beitrag für eine verbesserte
Anerkennung der ehemaligen Verfolgten für den Aufbau der Demokratie in
Deutschland. Es ist aber unabdingbar, eine solche angemessene materielle und
symbolische Anerkennung zu schaffen. Dieser politische Anspruch muss am
Verfolgungsschicksal der Betroffenen ansetzen und nicht ausschließlich an
ihrer aktuellen wirtschaftlichen Situation. Die Betroffenen empfinden diese
Praxis der Bittstellerei als Demütigung. Sie haben Anspruch auf eine dauer-
hafte Ehrenpension als Entschädigung und zugleich Anerkennung für die erlit-
tene Verfolgung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Höhe der monatlichen Zahlungen für die Ehrenpension über den vorge-
sehenen monatlichen Höchstbetrag von 250 Euro hinaus aufzustocken. Die
Summe könnte sich an einem Betrag von 511 Euro (1 000 DM) orientieren;

2. den Anspruch auf die Opferpension nicht auf die Menschen zu begrenzen,
die länger als ein halbes Jahr zu Unrecht in Haft verbringen mussten;

3. insbesondere die Opfer von „Zersetzungsmaßnahmen“ grundsätzlich in den
Kreis der Anspruchsberechtigten aufzunehmen und ihnen die Möglichkeit
zu eröffnen, ebenfalls die „Opferpension“ zu erhalten;

4. auf eine Bedürftigkeitsprüfung bei den Anspruchsberechtigten zu verzichten
und den oftmals hoch betagten früheren Verfolgten die entwürdigende Prü-
fung der persönlichen Lebensverhältnisse zu ersparen;

5. eine generelle Aufhebung der gesetzlichen Fristen für Anträge nach dem
Strafrechtlichen, dem Verwaltungsrechtlichen und dem Beruflichen Rehabili-
tierungsgesetz vorzusehen; das gilt auch für die Frist nach § 8 des Beruflichen
Rehabilitierungsgesetzes. Zusätzlich ist eine Anpassung der Aufbewahrungs-
frist nach § 64b Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes erforderlich;

6. eine gesetzliche Vermutung von Gesundheitsschäden analog der Regelung in
§ 31 Abs. 2 des Bundesentschädigungsgesetzes festzulegen. Dem Vorschlag
mehrerer Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

der ehemaligen DDR entsprechend sollte für die Anerkennung des Renten-
anspruchs die gesetzliche Vermutung für die Betroffenen regelmäßig dann

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gelten, wenn der ehemalige Verfolgte länger als ein Jahr zu Unrecht inhaftiert
war und die Erwerbsfähigkeit um 25 Prozent oder mehr gemindert ist;

7. das Häftlingshilfegesetz für die von der Roten Armee verschleppten Zivil-
deportierten (insbesondere für zur Zwangsarbeit verschleppte Frauen) zu
öffnen;

8. eine tragfähige Zukunftsperspektive für die Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge in Bonn zu entwickeln und die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erfor-
derliche Finanzierung sicherzustellen.

Berlin, den 28. Februar 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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