BT-Drucksache 16/4204

Bürokratieabbau in Europa - Kein Freibrief zum Abbau von Arbeits- und Umweltschutz

Vom 31. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4204
16. Wahlperiode 31. 01. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus,
Ulla Lötzer, Kornelia Möller, Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

Bürokratieabbau in Europa – Kein Freibrief zum Abbau
von Arbeits- und Umweltschutz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Europäische Union erleben derzeit viele Menschen als bürgerfern. Ein Grund
dafür ist der aktuelle Verfassungsentwurf. In Deutschland wurde dieser über die
Köpfe der Menschen hinweg beschlossen statt ihn zur Volksabstimmung zu stel-
len. Viele verbinden mit der EU auch Bürokratie und Gesetze, die an den Bedürf-
nissen der Menschen vorbeigehen. Deshalb ist zunächst jede Initiative für ein bür-
gernahes Europa und in diesem Sinne für „Bessere Gesetze“ zu begrüßen.

2. Die Initiative der Europäischen Kommission zur „Bessere Rechtsetzung“ (Eng-
lisch: „Better Regulation“) leidet aber wie die Politik in Europa insgesamt an
einer sozialen Schieflage. Gesetze und Vorschriften werden zu allererst als büro-
kratische Belastungen für Unternehmen aufgefasst, nicht als gesellschaftlich
notwendige Regelungen, die soziale und ökologische Standards in den Mitglieds-
ländern gewährleisten sollen. Beispielhaft war der Streit um die EU-Arbeits-
schutzrichtlinie zur optischen Strahlung. Diese sollte Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer unter anderem vor Sonneneinstrahlung und damit möglichen Haut-
krebs-Erkrankungen schützen. Im September 2005 zog die Kommission den
ursprünglichen Entwurf der Richtlinie mit der Begründung des Bürokratieabbaus
zurück. Die neue im April 2006 in Kraft getretene Richtlinie spart nun die Risi-
ken übermäßiger UV-Strahlenbelastung aus. Dieser „Bürokratieabbau“ führt zu
einem schlechteren Schutzniveau für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

3. Die soziale Schieflage des „Bürokratieabbaus“ in Europa wurde durch die neue
Leitlinie der Kommission zur Gesetzesfolgenabschätzung vom 15. Juni 2005 ver-
schärft (Europäische Kommission SEK (2005) 791). Neue Regelungen werden
danach zunächst nach Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit beurteilt, so-
zial- und umweltpolitische Aspekte zweitrangig behandelt. Der Generalsekretär
des Europäischen Gewerkschaftsbunds John Monks nennt deshalb die Initiative
zur „Besseren Rechtsetzung“ eine „deregulierende Übung“. Er warnt zu Recht,

das Vorhaben von EU-Kommissar Günter Verheugen, die EU-Gesetzgebung zu
vereinfachen, beeinflusse Gesundheit und Sicherheit negativ.

4. Darüber hinaus hat die EU-Kommission die Rechte des Europäischen Parlaments
missachtet, in dem sie das Parlament über ihre neuen Vorhaben der Initiative zur
„Besseren Rechtssetzung“ oftmals zu spät und unzureichend informiert. Das
Europäische Parlament kritisiert „eine unpassende und unangebrachte Ein-
mischung seitens der Europäischen Kommission in die Gesetzgebung“.

Drucksache 16/4204 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
5. In zahlreichen EU-Mitgliedsländern werden unter dem Schlagwort Büro-
kratieabbau gesellschaftlich notwendige soziale und ökologische Standards ab-
gebaut – so auch in Deutschland. Ein Beispiel ist das „Erste Gesetz zum Abbau
bürokratischer Hemmnisse“ vom Juni 2006. Damit wurde der betriebliche Daten-
schutzbeauftragte in Kleinbetrieben abgeschafft. Der Bundesbeauftragte für den
Datenschutz, Peter Schaar, kritisierte die „Reduzierung des Datenschutzes“ in
weiten Teilen des Handels, des Handwerks und der freien Berufe. In der Modell-
region „Bürokratieabbau und Deregulierung“ Ostwestfalen-Lippe kündigten Ge-
werkschaften und Umweltverbände im April 2006 ihre Mitarbeit auf. Die Be-
gründung: Die Initiative verkommt zum Lobbyismus der Wirtschaft, soziale
Rechte von Arbeitnehmern und der Umweltschutz werden demontiert.

6. Die Ankündigung der Bundesregierung, Bürokratieabbau zu einem Eckpfeiler
der Deutschen Ratspräsidentschaft zu machen, droht die falsche Politik der
Vergangenheit fortzuschreiben. Mit der beabsichtigten Einrichtung eines euro-
päischen Normenkontrollrats, um so mittelfristig 25 Prozent der Kontroll- und
Statistikpflichten abzuschaffen, werden Gesetze und Vorschriften zuallererst als
Belastungen für Unternehmen und als Kosten gesehen, statt nach deren gesell-
schaftlicher Notwendigkeit zu fragen.

7. Eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft im Interesse der Mehrheit der Menschen in
Europa muss die einseitige Ausrichtung der Initiative „Bessere Rechtsetzung“ an
den Interessen der Wirtschaft beenden. Die Interessen der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer sowie das Allgemeininteresse am Umweltschutz sind als Maß-
stab für eine bessere Rechtsetzung heranzuziehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– im Rahmen der Deutschen Ratspräsidentschaft auf einen sozialen Kurswechsel
der Initiative „Bessere Rechtsetzung“ zu drängen. Arbeits- und Umweltschutz
darf wirtschaftlichen Interessen nicht untergeordnet werden;

– sich dafür einzusetzen, dass die Vorschläge der EU-Kommission für eine „Bes-
sere Rechtsetzung“ künftig auch eine Abschätzung der sozialen und ökologischen
Folgen beinhalten und diese Aspekte nicht wirtschaftlichen Interessen unter-
geordnet werden;

– neue Instrumente der Bürokratiekostenmessung zu entwickeln, die auch den
gesellschaftlichen Nutzen einer Rechtsvorschrift messen. Der Vorschlag des
Europäischen Gewerkschaftsbundes, die Kosten eines Regulierungsverzichtes zu
messen, ist aufzunehmen;

– Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände in die Vorhaben zum Bürokratie-
abbau systematisch einzubeziehen. Soweit ein europäischer Normenkontrollrat
eingerichtet wird, ist dafür zu sorgen, dass diese Organisationen Einfluss auf die
Benennung der Mitglieder erhalten;

– im Europäischen Rat und den Fachräten darauf hinzuwirken, dass die EU-Kom-
mission das Europäische Parlament zukünftig rechtzeitig und umfassend über
ihre Absichten bezüglich der Initiative zur „Besseren Rechtsetzung“ informiert;

– Vorschläge zu unterbreiten, wie Bürgerinnen und Bürger stärker Einfluss auf das
Vorhaben einer „Besseren Rechtsetzung“ nehmen können.

Berlin, den 31. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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