BT-Drucksache 16/4151

Reformen für eine gerechte Globalisierung - Deutsche G8-Präsidentschaft für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung nutzen

Vom 31. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4151
16. Wahlperiode 31. 01. 2007

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln),
Dr. Gerhard Schick, Dr. Harald Terpe, Christine Scheel, Margareta Wolf (Frankfurt),
Marieluise Beck (Bremen), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reformen für eine gerechte Globalisierung – Deutsche G8-Präsidentschaft
für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutsche G8-Präsidentschaft erfolgt zu einer Zeit, in der weltweit mehr
Menschen für globale Gerechtigkeit, die Überwindung der Kluft zwischen
Arm und Reich und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen eintreten. Die
G8-Präsidentschaft und das Gipfeltreffen der acht führenden Industrieländer im
kommenden Sommer in Heiligendamm müssen genutzt werden, konkrete An-
sätze zur gerechteren Gestaltung der Globalisierung voranzubringen. Dazu ge-
hören die Armutsbekämpfung durch Unterstützung der Millenniumsziele der
Vereinten Nationen, der Erhalt der globalen Umwelt und der biologischen Viel-
falt, gemeinsame Antworten auf den Klimawandel und die Gestaltung eines ge-
rechteren Handelssystems. Erfolg und Misserfolg misst der Deutsche Bundestag
an konkreten Ergebnissen in diesen Bereichen.

Reformen der G8 selbst sind unerlässlich

Vor gut 30 Jahren traten in Frankreich auf Schloss Rambouillet unter dem Ein-
druck der ersten großen Ölkrise sechs Staaten zum ersten Weltwirtschaftsgipfel
zusammen. Aus diesen informellen Gesprächen über Währungs- und Finanzfra-
gen wurde eine permanente Kooperation auf Minister- und Regierungsebene.
Heute sehen sich die nunmehr acht Staaten zunehmend mit Fragen der Legitimi-
tät, aber auch der Reichweite ihrer Entscheidungen konfrontiert. Als exklusiver
Klub der Regierungschefs und diverser Ministertreffen, weitgehend jenseits par-
lamentarischer Beteiligung und mit abnehmender gesellschaftlicher Akzeptanz,
treffen die G8 Entscheidungen, die in ihren Wirkungen weit über diese acht
Staaten hinausgehen oder dies zumindest beabsichtigen.

Doch die G8 repräsentieren gerade mal ein Fünftel der Weltbevölkerung. Ohne

eine systematische Beteiligung der Entwicklungsländer kann mittlerweile kein
Weltproblem mehr zufrieden stellend bearbeitet werden. Die Debatte um eine
Transformation der G8 und die Reform der Vereinten Nationen müssen auf eine
neue Governance-Struktur zielen. Wir brauchen neue Politikansätze, um die
Vereinten Nationen gegenüber der G8 aufzuwerten.

Während der ehemalige kanadische Premierminister Paul Martin die G8 durch
Hinzuziehen der wichtigsten Schwellenländer auf eine G20 erweitern will, emp-

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fiehlt das Hochrangige Panel für systemweite Kohärenz in den Vereinten Natio-
nen in seinem jüngst vorgelegten Abschlussbericht ein Global Leaders Forum
(L27) im Rahmen des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) zu schaffen.

Als Governance-Forum von Staats- und Regierungschefs, das sich nach einem
regionalen Verteilungsschlüssel der Vereinten Nationen im Rotationsverfahren
aus 27 der 54 ECOSOC-Mitglieder zusammensetzt, soll es eine Koordinierungs-
und Führungsrolle in Fragen der Wirtschaft, der Entwicklung und bei globa-
len öffentlichen Gütern übernehmen. Dieser Vorschlag ist zielführend, weil er
das VN-System deutlicher stärkt und auch Entwicklungsländer in die Global
Governance Strukturen einbezieht.

Die Bundesregierung hat es versäumt, eine Reform der G8 selbst zum Thema
ihrer Präsidentschaft zu machen. Die Bundesregierung hat unter anderem mehr
Finanzmarktstabilität, einer verbesserte Investitionsordnung, Initiativen zum
Klimaschutz und zur Partnerschaft mit Afrika als Themen benannt. Sie hat bis-
lang allerdings nicht erkennen lassen, mit welchem konkreten Arbeitsplan und
welchen Vorschlägen sie in die Präsidentschaft eintreten wird. Fragen globaler
Sicherheit, wie atomare Abrüstung, sind komplett ausgeblendet. Ebenso findet
eine Debatte zur Entwicklungsfinanzierung offensichtlich nicht statt. Wir brau-
chen Fortschritte bei der Mobilisierung von mehr Geld für Entwicklung, Klima-
schutz und gerechtere Nord-Süd-Beziehungen.

Klimaschutz und nachhaltige Energieversorgung – Die Brücke zur Armuts-
bekämpfung

Die Klimakatastrophe schreitet schneller als erwartet voran. Sie gefährdet die
menschliche Gesundheit, die Landwirtschaft, große Städte und die wirtschaft-
liche Entwicklung weltweit. Dabei sind die Lasten des Klimawandels sehr un-
gleich verteilt. Die Hauptlast des Klimawandels tragen nicht die Reichen, die ihn
verursachen, sondern zuerst die Armen des Südens. Je ärmer und schwächer die
Menschen, Regionen oder Länder sind, desto geringer ihre Möglichkeiten sich
an den Klimawandel anzupassen, sich zu schützen, zu versichern und entstan-
dene Schäden zu beheben. In Teilen Afrikas südlich der Sahara muss aufgrund
von Wettermustern, die auf den menschlich verursachten Klimawandel zurück-
zuführen sind, mit Ernteeinbußen von über 25 Prozent gerechnet werden.

Der Deutsche Bundestag richtet an die deutsche Präsidentschaft den Anspruch,
Schritte zu vereinbaren, die uns „weg vom Öl“ bringen und unsere Abhängigkeit
von fossilen Rohstoffen verringern. Die jüngsten Auseinandersetzungen zwi-
schen Weißrussland und Russland über die Pipelinenutzung, die anhaltende
Instabilität in Regionen mit hohen Ölvorkommen, vor allem aber die Klimaun-
verträglichkeit fossiler Energieträger unterstreichen die Bedeutung des Themas
aktuell. Letztere wurde dramatisch unterlegt durch aktuelle Studien wie den
Stern-Bericht der britischen Regierung. Die Atomkraft bietet weder einen Aus-
weg aus der Klimaproblematik noch eine Lösung unserer Energieprobleme. Sie
schafft nur neue unkalkulierbare Risiken. Die Gefahr eines Supergaus lässt sich
nicht bannen. Die Entsorgungsfrage für den strahlenden Atommüll ist seit über
50 Jahren ungelöst. Hinzu kommt, dass Uran selbst eine Ressource mit sehr be-
grenzter Verfügbarkeit ist.

Alle G8-Staaten, auch die USA, müssen sich zu verbindlichen CO2-Minderun-
gen verpflichten, um die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Dies
ist auch eine Voraussetzung, um zukünftig Schwellenländer zur Reduzierung
von Emissionen bewegen zu können. Die G8 sollten in Heiligendamm ein Zei-
chen für die Fortsetzung des Kyoto-Prozesses setzen und eigene Reduktions-
ziele für die Zeit nach 2012 benennen.
Deutschland sollte die Präsidentschaft nutzen, um in der Klimapolitik eine Vor-
reiterrolle einzunehmen und eine Reduktionsverpflichtung für seine Treibhaus-

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gasemissionen von 40 Prozent bis 2020 und mindestens 80 Prozent bis 2050
einzugehen. Weiterhin sollte sie alles dafür tun, die EU auf ein verbindliches
CO2-Minderungsziel von mindestens 30 Prozent für die Zeit von 2012 bis 2020
festzulegen. Auch sollten die G8-Staaten ihren Einfluss nutzen und die Welt-
bank, sowie die regionalen Entwicklungsbanken zur Förderung von erneuer-
baren statt fossilen Energien drängen. Den Bestrebungen von Teilen der G8,
Atomenergie als alternative Energie oder „saubere Technologie“ ins Spiel zu
bringen, muss die Bundesregierung entschieden entgegentreten.

Der Einsatz erneuerbarer Energien, eine bessere Energieeffizienz und die Ein-
sparung von Energie sind dafür entscheidend. Effiziente Technologien, Fahr-
zeuge und Häuser, die weniger verbrauchen, ein notwendiger „grüner Innova-
tionszyklus“, sind ohne nachhaltige Energienutzung nicht darstellbar. Von den
G8-Staaten müssen Initiativen ausgehen zu erwarten, die Konsumenten und Un-
ternehmen Anreize setzen, sich klimafreundlicher zu verhalten. Zum Beispiel
bei der Setzung von Grenzwerten und Produktstandards (Verbrauch, Abgas-
werte) für Autos und andere Konsumgüter mit massiv geringerem Energiever-
brauch. Aufgrund weltweiter Produktionsketten hätte dies ebenfalls Auswir-
kungen auf die Produktion in anderen Teilen der Welt.

Die Präsidentschaft sollte zudem zum Ausgangspunkt eines institutionalisierten
Dialogs mit Schwellenländern über nachhaltige Energiesysteme werden. Deren
Verbrauchs- und Produktionsmuster nähern sich – mit allen negativen Konse-
quenzen – denen der Industrieländer an. Ohne einen „technologischen Sprung“
(leapfrogging) gerade auch in Schwellenländern, ist keine nachhaltige Entwick-
lung vorstellbar. Eine Fortsetzung der Energienutzung nach jetzigem Muster hat
globale Konsequenzen. Bei einer lediglich aufholenden Entwicklung der Ver-
brauchs- und Produktionsmuster in Staaten wie China und Brasilien würden die
ohnehin unzureichenden Klimaschutzbemühungen der OECD-Länder neutrali-
siert. Die ansteigenden Kosten des Klimawandels würden die Chancen auf er-
folgreiche Armutsbekämpfung in den wirtschaftlich ärmsten Ländern erheblich
senken. Es ist im eigenen Interesse der alten Industriestaaten, ihrer historischen
Verantwortung am Klimawandel gerecht zu werden und die neuen Industrie-
nationen bei der Bewältigung dieses Entwicklungssprungs zu unterstützen.

Von einigen Seiten wird angeregt, eine wirklich globale Energieorganisation zu
initiieren, in der auch China, Indien und andere Länder Mitglieder wären. An der
Regierungen, der Privatsektor und die Zivilgesellschaft beteiligt sind. Eine
solche globale Agentur solle sich, so die Idee, auf verbindliche Grundsätze be-
zogen auf Angebot und Zugang zu Energie einigen. Auch darüber müsste zu-
mindest intensiv diskutiert werden.

Entwicklungsländer sind am stärksten vom Klimawandel betroffen. Schon heute
ist der Klimawandel dort für erhöhte Temperaturen, Dürren und Überschwem-
mungen, starke Schwankungen der Regenmenge mit verantwortlich und ver-
schlechtert die Lebendbedingungen gerade der Ärmsten. Die Industriestaaten
als Hauptverursacher des Klimawandels sind dafür verantwortlich, die Betroffe-
nen in angemessener Weise bei der Anpassung an die veränderten Bedingungen
zu unterstützen.

Eine nachhaltige Energiepolitik ist nicht nur ein dringendes ökologisches Anlie-
gen. Sie ist auch entscheidend für die Armutsbekämpfung. Die G8-Staaten soll-
ten sich verpflichten, den Zugang zu nachhaltigen Energiesystemen in den ärms-
ten Entwicklungsländern durch die Aufstockung relevanter Programme zu un-
terstützen. Die erfolgreiche Konferenz zu erneuerbaren Energien 2004 in Bonn
braucht eine Fortsetzung. Die dort spürbare Aufbruchstimmung bedarf der wei-
teren Unterstützung durch die G8. Ebenso muss die Gründung einer internatio-
nalen Agentur für erneuerbare Energien stärker vorangetrieben werden. Die He-

rausforderung an ökologische Gerechtigkeit besteht darin, den steigenden Ver-
brauch von Energie möglichst klimaverträglich mit größerer Effizienz, geringe-

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rer Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung und einem besseren Zugang der
ärmsten Menschen zu Energie zu verbinden.

Tropenwälder und biologische Vielfalt schützen

Für den Klimaschutz kommt dem Ressourcenschutz und dem Erhalt der Biodi-
versität eine entscheidende Rolle zu. Der Amazonas, das Kongobecken und die
Tropenwälder Südostasiens sind dafür von hervorragender Bedeutung. Die
Weltbank geht davon aus, dass zwischen 20 bis 25 Prozent der Treibhausgase
durch Tropenwaldzerstörung entstehen. Durch den Schutz der Wälder können
zu vergleichbar geringen Kosten große Fortschritte im Klimaschutz erreicht
werden. Der Tropenwaldschutz ist vor allem für die Entwicklungsländer rele-
vant. Kompensationszahlungen für den Erhalt der Regenwälder könnten zudem
einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der MDGs leisten.

Die Frage von innovativen Ausgleichs- und Finanzierungsinstrumenten spielt
hier eine bedeutende Rolle. Entsprechende Vorschläge wurden auf den Klima-
konferenzen in Montreal und Nairobi durch unter anderem durch Papua-Neu-
guinea, Costa Rica und Brasilien unterbreitet.

Auf dem Weltgipfel von Johannesburg hat sich die Weltgemeinschaft zum Ziel
gesetzt, den Verlust an biologischer Vielfalt bis zum Jahre 2010 entscheidend zu
reduzieren. Trotzdem beschleunigt sich der Verlust an Arten in alarmierender
Weise. Pro Tag sterben etwa 100 Arten von Lebewesen aus. Deutschland wird
2008 die Vertragsstaaten-Konferenz der Konvention für Biologische Vielfalt
ausrichten. Im Vorfeld muss international der Aufbau eines globalen terrestri-
schen und maritimen Schutzgebietsnetzes vorangebracht werden.

Besonders sensibel ist der Schutz der Urwälder. Sie gehören zu den artenreichs-
ten und vielfältigsten Lebensräumen der Erde. Obwohl ihre Bedeutung bekannt
ist, setzt sich der Waldverlust nahezu ungebremst fort. Es muss verhindert wer-
den, dass durch Abholzung die Fortschritte in der Klimapolitik wieder zunichte
gemacht werden. Entscheidend für die Urwaldzerstörung ist der illegale Holz-
einschlag, aus dem gut die Hälfte des Holzes weltweit stammt. Die G8-Staaten
als wichtige Abnehmer müssen sich darauf verständigen, ein Verbot für den
Handel mit Holz und Holzprodukten zu beschließen, die aus illegalem Einschlag
kommen.

Für die Erreichung des Millenniumsziels, die Zahl der Hungernden und extrem
Armen bis 2015 zu halbieren, ist es unerlässlich, die Biodiversität zu erhalten
und den Zugang zu ihr zu garantieren. Darum muss sichergestellt werden, dass
die Konvention über biologische Vielfalt nicht durch das TRIPS-Übereinkom-
men ausgehöhlt wird. Eine Ausweitung geistiger Eigentumsrechte, die jegliche
Ausnahmen von der Patentierbarkeit, z. B. für Tiere, Pflanzen oder Gene, ein-
schränkt, ist für uns nicht akzeptabel. Patentschutz darf nicht dazu führen, dass
der freie Austausch von Saatgut – der für viele Kleinbauern die Existenzgrund-
lage darstellt – unterbunden wird. Die G8-Staaten sind aufgefordert zur Wieder-
herstellung und Absicherung der Rechte und Souveränität der indigenen Völker
und lokalen Gemeinschaften über ihre biologischen Ressourcen durch faire und
effektive Regelungen beizutragen.

Auch muss sichergestellt werden, dass keine biologischen Ressourcen ohne
Information und Einverständnis der Ursprungseigner gesammelt und außer Lan-
des gebracht werden dürfen. Die Verträge des „International Plant Exchange
Network, IPEN“, die von den deutschen Botanischen Gärten erarbeitet wurden,
sind ein positives Modell für mögliche vertragliche Grundlagen im Rahmen
taxonomischer Sammlungen, mit denen die Pflanzen- und Tierarten inventari-
siert werden können. Derartige Sammlungen sollten jedoch nur in Ländern an-

gelegt werden, die die Konvention über biologische Vielfalt unterzeichnet
haben, so dass zum Schutz die darin festgelegten Schutzregelungen – wie zum

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4151

Beispiel die Pflichten der Vertragsstaaten, die Rechte der Ursprungseigner der
biologischen Ressourcen anzuerkennen – greifen können.

Soziale und ökologische Leitplanken für die Globalisierung

In zahlreichen Erklärungen haben die G8-Staaten die Bedeutung einer besseren
Integration von Entwicklungsländern in den Welthandel betont. Gleichzeitig ha-
ben sie den Marktzugang für Produkte aus Entwicklungsländern – mit Aus-
nahme der ärmsten Entwicklungsländer – nicht wesentlich verbessert. Die Dop-
pelmoral der Regierungen von Industrieländern tritt besonders in der Landwirt-
schaft zu Tage. Ohne eine grundlegende Änderung der Subventionspolitik wird
die Welthandelsrunde nicht zum Abschluss kommen. Weiterhin wird mit sub-
ventionierten westlichen Agrarprodukten Dumping betrieben und die Existenz-
grundlage von Bauern und ihren Familien in Entwicklungsländern zerstört. Die
Agenda der deutschen Präsidentschaft im Bereich des Welthandels ist einseitig.
Solange es kein verbessertes Angebot zur Marktöffnung im Agrarbereich seitens
der Industrieländer und keine Abstriche bei den überzogenen Forderungen nach
überproportionaler Liberalisierung bei Industriegütern gibt, kann es keinen Fort-
schritt in der Welthandelsrunde geben. Die G8 ist aufgefordert, ihre Agenda ent-
wicklungsverträglicher zu gestalten und den Entwicklungsländern dabei auch
entsprechende Schutzmechanismen zuzugestehen.

Die Durchsetzung von Umwelt- und Sozialstandards im Welthandel ist ein zen-
traler politischer Gestaltungsbereich auf dem Weg zu einer gerechten Globali-
sierung. Besonders wichtig sind Standards im Rohstoffsektor. Die G8-Staaten
sind als Hauptabnehmer von Rohstoffen an einer verlässlichen Versorgung inte-
ressiert. Sie haben auch eine Verantwortung dafür, dass ihre Rohstoffnachfrage
nicht zu einer Verschärfung von Konflikten oder zu Umweltzerstörung führt.
Mit China, aber auch Indien, treten in Afrika, Zentralasien und Lateinamerika
neue Akteure als Abnehmer von Rohstoffen auf. Dies führt zu neuen Interes-
senskonstellationen und -konflikten, denen ohne verbindliche Standards Men-
schenrechte oder Umweltschutz schnell zum Opfer fallen können.

Gute Regierungsführung und Transparenz sind Voraussetzung dafür, dass die
Einnahmen aus der Rohstoffförderung tatsächlich den Menschen in den Ent-
wicklungsländern nützen. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich die Bun-
desregierung dafür einsetzt, die Transparenz von Rohstoffeinnahmen zu erhö-
hen. Den entscheidenden nächsten Schritt, die Einführung verbindlicher Stan-
dards, thematisiert sie jedoch nicht. Die G8 sollten Initiativen ergreifen, um bei
Rohstoffen verbindliche soziale und ökologische Standards zu erreichen. Der
skeptischen Haltung vieler Entwicklungsländer zu verbindlichen Standards
kann dadurch begegnet werden, dass diese gemeinsam mit den Entwicklungs-
ländern entwickelt werden. Deutschland kann in Hinblick auf verbindliche Stan-
dards eine Vorreiterrolle übernehmen und diese in der Außenwirtschaftsförde-
rung, bei Hermesbürgschaften und Investitionsgarantien, zu festen Bestandtei-
len machen.

Wir brauchen verbindliche soziale und ökologische Standards, um einen sinn-
vollen Ausgleich von etwaigen Zielkonflikten zwischen der Erhaltung von
natürlichen Lebensgrundlagen, der Entwicklung und Förderung erneuerbarer
Energien sowie dem Schutz des globalen Klimas herbeizuführen. So wächst bei-
spielsweise der Markt für Biotreibstoffe in allen G8-Staaten. Eine gute Entwick-
lung, die jedoch nicht dazu führen darf, dass der Anbau von Pflanzen für
Biotreibstoffe zur Abholzung von Regenwäldern, zur Vertreibung von indigener
Bevölkerung oder zur Gefährdung der Ernährungssicherheit beiträgt. Standards
für ökologische und soziale Nachhaltigkeit von Bioenergie müssen deshalb drin-
gend festgelegt und eingehalten werden.

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Zur Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele beitragen – Entwicklungs-
finanzierung sicherstellen

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich im September 2000 auf acht
Millenniums-Entwicklungsziele verständigt. Dazu gehören die Bekämpfung
von Armut und Hunger, der Zugang zu Bildung, die Gleichstellung der Ge-
schlechter und die Bekämpfung von HIV/Aids. Die G8 haben zwar diese Ziele
in der Vergangenheit unterstützt, geschehen ist aber zu wenig. Besonders die Be-
kämpfung des Hungers ist sträflich vernachlässigt worden. Die Zahl der bedroh-
lich chronisch Unterernährten ist in den letzten Jahren sogar gestiegen – beson-
ders in Subsahara Afrika.

Die Bundesregierung setzt in ihrem Präsidentschaftsprogramm einseitig auf
Verbesserung der Regierungsführung und auf private ausländische Direktinves-
titionen in den Entwicklungsländern. Unbestritten ihrer Bedeutung darf dies
nicht dazu führen, Finanzierungsfragen, die die Umsetzung der Entwicklungs-
ziele betreffen, auszublenden.

Mehr Geld für Entwicklung und notwendige innerstaatliche Reformen in den
Entwicklungsländern selbst stehen in keinem Konkurrenzverhältnis. Das eine
muss getan werden, ohne das andere zu lassen. Die Verantwortung der G8, die
Mittel zur Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttosozial-
produkts zu erhöhen, bleibt bestehen. Die Bundesregierung wie die anderen
G8-Staaten sind aufgefordert, die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungs-
ziele ausreichend finanziell abzusichern.

Über innovative Finanzierungsinstrumente wie eine Devisenumsatzsteuer, Flug-
ticketabgabe oder Kerosinsteuer können zusätzliche Mittel für eine Umsetzung
der Millenniumsziele mobilisiert werden. Dadurch könnten Programme zur
Armutsbekämpfung und des Umwelt- und Ressourcenschutzes in den Länder
des Südens finanziert werden. Frankreich und Belgien haben eine Flugticket-
abgabe zur Entwicklungsfinanzierung eingeführt. Deutschland sollte hierbei
nicht abseits stehen und sich dieser Initiative anschließen.

Die Zusammenarbeit mit Afrika ausbauen

Es ist an der Zeit, dass die Öffentlichkeit und die Politik den afrikanischen Kon-
tinent nicht mehr vorwiegend im Lichte negativer Nachrichten wahrnehmen. In
fast allen afrikanischen Ländern gibt es starke politische und zivilgesellschaft-
liche Kräfte, die sich für Demokratie, gute Regierungsführung, ökologische und
soziale Standards einsetzen. Mit den afrikanischen Partnern und den verstärkt
auf dem afrikanischen Kontinent agierenden Ländern wie Indien, China und
Brasilien sollte ein offener Dialog über die politische und wirtschaftliche Zu-
kunft des Kontinents auf den Weg gebracht werden. In einem solchen Dialog
müssen die zentralen Fragen der Förderung nachhaltiger Investitionen, der
Transparenz der Einnahmen aus Ressourcen und der Verankerung ökologischer
und sozialer Standards angesprochen werden.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Entscheidung, den Dialog und die Zu-
sammenarbeit mit den Staaten Afrikas auf dem kommenden G8-Gipfel weiter-
zuführen. Die G8 haben seit 1999 durch die Entschuldung der ärmsten Ent-
wicklungsländer und durch die Verpflichtung zu höherer Entwicklungshilfe
positive Impulse gegeben. Es sind bisher aber nicht alle Versprechen erfüllt
worden. Die Umsetzung vieler Ankündigungen, die vor allem auf dem G8-
Gipfel in Gleneagles erfolgten, steht noch aus.

Die afrikanischen Reformmaßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen, zum Kampf gegen Korruption und zur Einhaltung von
Rechtsstaatlichkeit sollten weiter unterstützt werden. Dazu gehört ebenso die

Achtung der Menschenrechte sowie Maßnahmen zur gewaltlosen Konfliktprä-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/4151

vention und zu Konfliktlösungen, insbesondere durch die Unterstützung für
Aufbau und Stärkung einer afrikanischen Sicherheits- und Friedensarchitektur.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Reformanstrengungen der afrikanischen
Staaten im Rahmen von NePAD und den G8-Afrika-Aktionsplan (GAA). Die
Reformanstrengungen der afrikanischen Staaten im Rahmen von NePAD bieten
einen guten Ausgangspunkt für die weitere Zusammenarbeit. Die NePAD-Staa-
ten sind ihrerseits gefordert, ihren Reformwillen weiterhin deutlich sichtbar zu
machen und die parlamentarische und zivilgesellschaftliche Partizipation zu er-
weitern und zu vertiefen.

Aufgrund der steigenden Zahl der Hungernden muss von den afrikanischen
Staaten selbst und von der G8 die Fragen der Ernährungssicherung und der Be-
kämpfung des Hungers ein deutlich größerer Stellenwert gegeben werden. Die
Verbesserung der wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Rahmenbedingun-
gen, gerade im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zur Überwindung des
Hungers, ist eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre.

Für die afrikanischen Staaten wären auch neue Angebote zur Belebung der Welt-
handelsrunde, ein verbesserter Marktzugang und der Abbau von Agrarsubven-
tionen in Industrieländern von besonderer Bedeutung.

HIV/Aids bekämpfen und die Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern
stärken

Jährlich sterben in Entwicklungsländern Millionen Menschen an den Folgen in-
fektiöser Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids und an wasser-
bedingten Krankheiten. Drei Viertel der HIV-Neuinfektionen unter jungen Men-
schen betreffen in Afrika Frauen. Auf die Feminisierung der HIV/Aids-Epide-
mie muss durch gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung reagiert werden. Es muss
darauf hingewirkt werden, dass die gesellschaftliche Stellung von Frauen ver-
bessert wird. Der Zugang von Mädchen und Frauen zu einer sexuellen Aufklä-
rung, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, muss verbessert werden.
Der Finanzierungsbedarf für die HIV/Aids-Bekämpfung ist gewaltig: Für 2007
besteht nach Angaben von UNAIDS immer noch eine Finanzierungslücke von
10 Mrd. US-Dollar. Die G8-Staaten müssen ihre finanziellen Versprechen einlö-
sen und zukünftig verstärken. Deutschland muss die G8-Präsidentschaft nutzen,
um deutlich mehr Geld für die bi- und multilaterale Aids-Bekämpfung zur Ver-
fügung zu stellen und besonders seine Zurückhaltung gegenüber dem Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) zu über-
winden. Dies zumal Ende September die 2. Wiederauffüllungskonferenz des
GFATM in Deutschland stattfindet und Deutschland auch ein materielles Signal
durch Erhöhung der Mittel setzen sollte.

Die G8-Staaten haben 2005 Vereinbarungen getroffen, um einen universellen
Zugang zur Aidsbehandlung und -prävention zu ermöglichen. Als Gastland hat
Deutschland eine besondere Verantwortung, die G8 Staaten zu Fortschritten in
diesem Bereich zu bewegen. Die Produktion von und der Handel mit Generika
für die Bedürfnisse in den Entwicklungsländern sollten grundlegend verbessert
werden. Die bürokratischen Hürden für den Import von Generika führen dazu,
dass gerade die ärmsten Länder an einer Versorgung mit lebenswichtigen Medi-
kamenten gehindert werden. Bisher schenkt die Pharmaindustrie der Forschung
an Medikamenten gegen HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Krank-
heiten nicht genügend Aufmerksamkeit. Ein Grund dafür sind mangelnde Ver-
dienstmöglichkeiten infolge der geringen Finanzkraft in Entwicklungsländern.

Aufgrund von mangelnden Absatzmöglichkeiten besteht in der Industrie häufig
kein Interesse, solche Darreichungsformen von Medikamenten zu entwickeln,
die für Entwicklungsländer geeignet sind.

Drucksache 16/4151 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die G8-Staaten müssen daher ein Pilotprojekt vorantreiben, das staatliche Ab-
nahme für privatwirtschaftlich entwickelte Impfstoffe garantiert. Die personelle
Ausstattung des Gesundheitssystems ist in Entwicklungsländern katastrophal.
Die Praxis einiger G8-Staaten, wie Großbritannien medizinisches Gesundheits-
personal abzuwerben, verstärkt den Mangel an Fachkräften und muss beendet
werden.

Ein besonderes Augenmerk soll die Bundesregierung auf die Umsetzung des
G8-„Aktionsplans Wasser“ richten, der 2003 auf dem Gipfel in Evian verab-
schiedet wurde. 80 Prozent der Krankheiten in Entwicklungsländern sind was-
serbedingt und hervorgerufen durch die meist enormen Defizite bei Wasserver-
sorgung und Abwasserentsorgung in Entwicklungsländern. Bemühungen zu de-
ren Beseitigung können einen enormen Beitrag zur Entlastung der Gesundheits-
systeme in Entwicklungsländern leisten.

Abrüstungsinitiativen während der Präsidentschaft voranbringen

Die G8-Staaten sind für die weltweit höchsten Militärausgaben, Rüstungsarse-
nale sowie Nuklear- und Rüstungsexporte verantwortlich. Das Gros der atoma-
ren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, der Streubom-
ben, Antipersonenminen und Kleinwaffen wird hier hergestellt, gelagert oder
von diesen Staaten exportiert. Den G8-Staaten kommt daher für den Abbau der
Rüstungspotentiale, die Nichtweiterverbreitung von Waffen jeglicher Art und
eine effektive Politik der zivilen Krisenprävention eine entscheidende Rolle zu.

Die bisherigen Aktivitäten im Rahmen der G8-Global-Partnerschaft reichen
nicht aus, um den Gefahren der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaf-
fen – auch an nichtstaatliche Akteure – wirksam zu begegnen. Die Krise um die
atomare Bewaffnung von Nordkorea, das Atomprogramm des Iran und das US-
indische Atomgeschäft verdeutlichen, dass wir vor einer entscheidenden welt-
politischen Weichenstellung stehen. Es droht ein neuer Rüstungswettlauf, an
dessen Ende eine Vielzahl neuer Atomwaffenstaaten, Nuklearterrorismus und
der Kollaps der vertragsgestützten Rüstungskontrolle stehen kann. Diese Ent-
wicklung lässt sich nur durch eine neue und ernsthafte Abrüstungs- und Nicht-
verbreitungsinitiative stoppen.

Um von Nicht-Kernwaffenstaaten glaubhaft den Verzicht auf Atomwaffen ver-
langen zu können, müssen die Atomwaffenstaaten ihren Verpflichtungen zur
nuklearen Abrüstung nachkommen. Hierzu gehören das rasche Inkrafttreten des
Atomteststoppvertrags und der überprüfbare Abbau der taktischen Atom-
waffenpotenziale Russlands und der USA, inklusive der in Deutschland und Eu-
ropa stationierten US-Atomwaffen. Dabei muss die Bundesregierung deutlich
machen, dass sie einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten US-
Atomwaffen unterstützt und bereit ist, aus der aktiven nuklearen Teilhabe bald-
möglichst auszusteigen. Der US-indische Vorschlag zur verstärkten Zusammen-
arbeit in Nuklearfragen und zur Aufhebung der jahrzehntelangen Nuklear-
sanktionen der Nuclear Suppliers Group ist nicht nur eine Belohnung für Indiens
nukleare Aufrüstung. Er ermutigt andere Staaten, dem indischen Beispiel zu fol-
gen und schadet damit den Bemühungen, den Nichtverbreitungsvertrag durch-
zusetzen. Israel und Pakistan beanspruchen nun ebenfalls, dass nukleare Rest-
riktionen aufgehoben werden. Deutschland muss in der nur im Konsens ent-
scheidenden Nuclear Suppliers Group darauf drängen, dass Indien umfassen-
dere Rüstungskontroll- und Abrüstungsverpflichtungen eingeht. Ein deutsches
JA zu den vorliegenden Vorschlägen darf es nicht geben.

Finanzmärkte stabilisieren – Hedge-Fonds regulieren
Die Risiken an den Finanzmärkten haben zugenommen: Wachsende Ungleich-
gewichte in den Zahlungsbilanzen großer Staaten und die daraus entstehenden

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/4151

Währungsrisiken, Knappheiten und starke Preisschwankungen auf den Roh-
stoffmärkten, die Gefahren des internationalen Terrors und Pandemierisiken, der
explodierende Markt der Kreditderivate und vor allem die wachsende Bedeu-
tung von Hedge- und Private-Equity-Fonds stellen wesentliche Risikofaktoren
für die Stabilität des internationalen Finanzsystems dar. Die Ungleichgewichte
in den Zahlungsbilanzen von Schwellenländern und das enorme Leistungs-
bilanzdefizit der USA können durch Währungsumschichtungen, zum Beispiel
vom Dollar zum Euro, zu starken Schwankungen auf den Devisenmärkten und
heftigen Reaktionen in ganzen Wirtschaftsräumen führen.

Es muss nach effizienten Mitteln gesucht werden, durch die einer Kasinowirt-
schaft zugunsten von Handel und Investitionen Grenzen gesetzt werden. In kei-
nem anderen Bereich der Weltwirtschaft hat die Globalisierung zu einer derarti-
gen Selbstaufgabe der Steuerungsfähigkeit der Politik geführt wie im Bereich
der internationalen Finanzmärkte. Die Bundesregierung muss ihre G8-Präsi-
dentschaft nutzen, um die internationale Zusammenarbeit in Währungsfragen zu
vertiefen. Entwicklungsländer müssen politisch unterstützt werden, kurzfristige
Kapitalzuflüsse und -abflüsse zu begrenzen, die die Stabilität des einheimischen
Finanzsystems bedrohen. Eine auf der Tobin-Steuer-Idee aufbauende Steuer auf
Devisentransaktionen könnte darüber hinaus einen Beitrag zur Stabilisierung
der globalen Finanzmärkte leisten.

Im Hinblick auf einen verbesserten Investitionsschutz muss darauf geachtet
werden, dass nicht nur die Rechte von Investoren geregelt werden, sondern diese
gleichzeitig verpflichtet werden, international vereinbarte Standards wie die
ILO-Kernarbeitsnormen und die OECD-Richtlinien für multinationale Kon-
zerne einzuhalten und damit die Investitionen zum Wohle der Menschen beitra-
gen.

Die Globalisierung hat dazu beigetragen, dass transnationale Unternehmen ihre
Verantwortung zur Finanzierung des Gemeinwesens leichter umgehen können.
Notwendig sind konsequente Schritte zur Austrocknung von „Steueroasen“, um
legale wie illegale Steuerflucht einzudämmen. Denn Steueroasen untergraben
eine gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen weltweit. Steuer-
flucht, aber auch Geldwäsche kann wirksam bekämpft werden, indem ein inter-
national abgestimmtes Verbot von Finanzgeschäften mit Banken und Fonds ver-
einbart wird, die in Offshore-Zentren registriert sind, in denen die Anwendung
internationaler Mindeststandards der Finanzaufsicht, der Markttransparenz und
der Kooperation zwischen Finanzbehörden verweigert wird.

Durch den enormen Mittelzufluss, den Hedge-Fonds und die Private-Equity-
Branche in der letzten Zeit hatten, sind sie zu einer bedeutenden und schwierig
kalkulierbaren Größe an den Finanzmärkten geworden. Dabei agieren sie in im-
mer stärkerem Maße kreditfinanziert und potenzieren so das Risiko einer welt-
weiten Finanz- und damit Weltwirtschaftskrise. Die Bundesregierung ist gefor-
dert, sich beim G8-Gipfel für eine verbesserte internationale Zusammenarbeit in
Finanzmarktfragen einzusetzen.

Die über nationalstaatliche Grenzen hinweg operierenden und bislang nicht
regulierten Kapitalsammelstellen wie Hedge- und Private-Equity-Fonds müssen
international kontrolliert werden. Es muss eine transnationale Aufsichtsstruktur
entstehen, deren Akteure mit ausreichenden Kompetenzen ausgestattet sind, um
auf Fehlentwicklungen adäquat reagieren zu können. International einheitliche
Transparenzanforderungen, wie sie die Bundesregierung derzeit fordert, reichen
dabei nicht aus. Beim G8-Gipfel muss der Grundstein gelegt werden für inter-
nationale Standards der Fonds-Regulierung. Dazu gehört die Festlegung von
Mindestanforderungen an die Risikostreuung und Begrenzung der Kreditrisi-
ken, damit Hedge-Fonds nicht mit einem hohen Kredithebel in hochriskante An-

lageprodukte investieren und dadurch die Finanzmarktstabilität gefährden. Die
Bundesregierung soll die USA im Rahmen der G8-Verhandlungen auffordern,

Drucksache 16/4151 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sich an die Basel-II-Vereinbarungen zur Bankenaufsicht zu halten und die ent-
sprechenden Standards in nationales Recht umzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Präsidentschaft zu nutzen, um eine Grundsatzdiskussion über die zu-
künftige Rolle der G8 zu führen und eine neue Governance-Struktur zur
Bearbeitung globaler Probleme, die zur Stärkung des Vereinten Nationen
beiträgt;

2. über die Auswirkungen informeller Zusammenschlüsse auf die Reform und
Stärkung der Vereinten Nationen und die notwendige Beteiligung aller VN-
Staaten zu debattieren;

3. den Kampf gegen die Klimaveränderung zum Kernthema der deutschen G8-
Präsidentschaft zu machen und alle G8-Staaten zur Fortführung des Kyoto-
Prozesses und ambitionierter, neuer Klimainitiativen aufzufordern;

4. den Tropenwaldschutz als wichtigen Ansatz des Klimaschutzes voranzu-
treiben und damit verbundene innovative Finanzierungsinstrumente zu ent-
wickeln und umzusetzen;

5. sich dafür einzusetzen, dass die G8 in Heiligendamm ein Zeichen für die
Fortsetzung des Kyoto-Prozesses setzen und eigene Reduktionsziele für die
Zeit nach 2012 benennen. Deutschland sollte sich zu einer Reduktionsver-
pflichtung von 40 Prozent bis 2020 und 80 Prozent bis 2050 bereit erklären;

6. den systematischen, kontinuierlichen Dialog mit Schwellen- und Entwick-
lungsländern einzurichten mit dem Ziel umfassende Initiativen zum Klima-
schutz und zum Aufbau nachhaltiger Energiesysteme zu vereinbaren;

7. sich dafür einzusetzen, dass die Abhängigkeit der G8-Staaten von fossilen
Rohstoffen verringert wird durch Zielvereinbarungen der G8 zur Steigerung
des Anteils erneuerbarer Energien, einer erhöhten Energieeffizienz und der
Einsparung von Energie;

8. den G8-Vorsitz zu nutzen, um die Verabschiedung von verbindlichen Finan-
zierungsmechanismen und finanziellen Ausgleichsmechanismen für den
Erhalt der Biologischen Vielfalt voranzutreiben;

9. sich für eine Ausweitung eines globalen terrestrischen und maritimen
Schutzgebietsnetzes einzusetzen;

10. sich bei der Patentierung von Pflanzen, Tieren und Genen im Rahmen der
internationalen Auseinandersetzung für eine Revision des TRIPs-Überein-
kommens sowie für eine Stärkung der Rechte der Ursprungsländer, für die
Rechte der indigenen und lokalen Gemeinschaften und für einen gerechten
Vorteilsausgleich bei der Nutzung biologischer Ressourcen einzusetzen;

11. Initiativen bei der Setzung von Grenzwerten und Produktstandards zu er-
greifen, die für Konsumenten und Unternehmen Anreize setzen, sich klima-
freundlicher zu verhalten;

12. in den G8-Staaten über ein Verbot des Handels mit Holz und Holzprodukten
zu beraten, die aus illegalem Einschlag kommen, und den in Singapur be-
gonnenen G8-Dialog mit waldreichen Ländern über den illegalen Holzein-
schlag in möglichst kurzer Zeit umzusetzen;

13. die Deutsche G8-Präsidentschaft zu nutzen, eine partnerschaftliche Zusam-
menarbeit mit Afrika auf allen politischen Feldern weiterzuentwickeln;

14. ihre Anstrengungen zur Umsetzung des G8-Afrika-Aktionsplans zur Unter-
stützung der NePAD-Reformen verstärken, ihre entwicklungspolitischen

Instrumente im Sinne einer besseren Reaktionsfähigkeit auf NePAD zu

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/4151

flexibilisieren, für die Vorlage nationaler Umsetzungsberichte zu sorgen
und sich dafür einzusetzen, dass beim African Peer Review Mechanism
(APRM) die Parlamente und die Zivilgesellschaft stärker beteiligt werden;

15. Impulse zu geben, die zu einer Stärkung des „Rechts auf Nahrung“ und zu
einer Aufwertung der ländlichen Entwicklung in der Entwicklungszusam-
menarbeit – vor allem mit den Staaten Afrikas Subsahara – führen;

16. einen afrikapolitischen Dialog mit verstärkt in Afrika engagierten Ländern,
allen vor China, aber auch Indien und Brasilien anstoßen;

17. die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit entsprechend dem EU-Stufen-
plan zügig auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, und
die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika – wie in der EU be-
schlossen – bis 2010 zu verdoppeln;

18. innovative Finanzierungsinstrumente einzuführen, die zur Unsetzung der
Millenniumsziele beitragen. Insbesondere kurzfristig in Deutschland eine
Flugticketsteuer einzuführen und sich für eine EU-weite Initiative zuguns-
ten einer Kerosin- und Devisenumsatzsteuer stark zu machen;

19. auf die besondere Herausforderung durch HIV/Aids und Malaria mit höhe-
rem Engagement zu reagieren, da anderenfalls grundlegende Entwicklungs-
erfolge nicht möglich sind;

20. auch finanziell dazu beizutragen, dass die Pharmaindustrie stärker die For-
schung an vernachlässigten Krankheiten und insbesondere die Entwicklung
von Impfstoffen gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose vorantreibt;

21. sich im Rahmen der G8 dafür einzusetzen, dass mehr Finanzmittel als bisher
für den Bereich der Gesundheitsfürsorge in Entwicklungsländern zur Verfü-
gung gestellt werden. Dies bedeutet auch deutlich mehr Geld für die bi- und
multilaterale Aids- und Malaria-Bekämpfung zur Verfügung zu stellen und
besonders seine Zurückhaltung gegenüber dem Globalen Fonds zur Be-
kämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) zu überwinden;

22. sich für eine Selbstverpflichtung der G8-Staaten einzusetzen, die eine ge-
zielte Abwerbung medizinischen Personals aus Entwicklungsländern ver-
hindert;

23. der Umsetzung des G8-„Aktionsplans Wasser“ einen neuen Schub verleihen
und sich bei der japanischen Regierung dafür einsetzen, dass diese unter
ihrer G8-Präsidentschaft 2008, Wasser und sanitäre Grundversorgung als
„Evian + 5“ zu einem Schwerpunkt zu machen und damit einen sichtbaren
Beitrag zum „Internationalen Jahr der sanitären Grundversorgung“ 2008 zu
leisten;

24. sich im Rahmen der G8 für ein vollständiges Verbot von Streumunition und
für ein Verbot der Stationierung von Waffen im Weltraum sowie den Stopp
der Lieferungen von Kleinwaffen in Krisengebiete einsetzen;

25. vor dem Hintergrund der Krise der nuklearen Abrüstung und der Gefahr der
Weiterverbreitung von Atomwaffen neue Initiativen zur verifizierbaren
nuklearen Abrüstung, auch im Bereich der taktischen Atomwaffen, zu star-
ten, und dabei auch eine Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands
und einen Abzug der in Deutschland stationierten Atomwaffen zu unterstüt-
zen;

26. vor einer Aufhebung der nuklearen Lieferbeschränkungen gegenüber In-
dien in der Nuclear Suppliers Group sicherzustellen, dass Indien weitere
rüstungskontroll- und abrüstungspolitischer Verpflichtungen eingeht, wie
z. B. die möglichst lückenlose Inspektion aller Atomanlagen, die Ratifizie-

Drucksache 16/4151 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
rung des Teststoppvertrags, den Stopp der Produktion von neuen Atomwaf-
fen bzw. waffenfähigem Spaltmaterial sowie eine Abrüstungsverpflichtung;

27. dass das G8-Programm zur Globalen Partnerschaft zum Abbau von Rüs-
tungsaltlasten im Bereich der Massenvernichtungswaffen ausgebaut und
auch auf andere Länder ausgeweitet wird und sich Russland künftig finan-
ziell stärker daran beteiligt;

28. sich für eine international abgestimmte Regulierung und Kontrolle von
Hedge- und Private-Equity-Fonds einzusetzen;

29. mit den G8-Staaten aktiver gegen Steuerhinterziehung und Steuerflucht
vorzugehen und den Druck gegenüber Steueroasen zur Einhaltung interna-
tionaler Standards zu erhöhen;

30. Entwicklungs- und Schwellenländer politisch dabei zu unterstützt kurzfris-
tige Kapitalzuflüsse und Kapitalabflüsse zu begrenzen, die die Stabilität des
einheimischen Finanzsystem bedrohen.

Berlin, den 31. Januar 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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