BT-Drucksache 16/4049

Für ein Turkmenistan mit Zukunft

Vom 17. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4049
16. Wahlperiode 17. 01. 2007

Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein Turkmenistan mit Zukunft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 21. Dezember 2006 starb unerwartet der turkmenische Präsident Saparmu-
rat Nijasow. Saparmurat Nijasow, der sich selbst „Turkmenbaschi“, Führer der
Turkmenen, nennen ließ, führte sein Land in einer diktatorischen Terrorherr-
schaft an den Rand des Abgrundes. Bildungswesen und Gesundheitssystem
wurden komplett abgewirtschaftet, Zivilgesellschaft, Medien und Parteien
massiv unterdrückt, jede Opposition ausgeschaltet. Seinen Bürgern verweigerte
er alle Grundrechte und Grundfreiheiten.

Wahlen sind für den 11. Februar 2007 festgesetzt. Die Zeichen dafür, dass diese
Wahlen nach demokratischen Standards durchgeführt werden, sind rar. Keiner
der sechs Präsidentschaftskandidaten, unten ihnen der Übergangspräsident Gur-
banguly Berdymuchammedow, gehört der Opposition an. Zwar hat die Über-
gangsregierung Reformen in den Bereichen Erziehung, Kommunikation, Land-
wirtschaft und Sozialsysteme angekündigt, jedoch sind bisher keine konkreten
Schritte zur Umsetzung dieser Versprechungen erfolgt. Nach wie vor wird die
politische Opposition unterdrückt, ihre Akteure bedroht und misshandelt, Presse
und Internet werden streng kontrolliert und die Vereinigungs- und Versamm-
lungsfreiheit aufs äußerste eingeschränkt. Gurbanguly Berdymuchammedow
stellte sich in einer Wahlrede am 12. Januar 2007 in direkte Nachfolge des
„großen Turkmenbaschi“, der offizielle Wahlleiter hat bereits angekündigt alles
zu unternehmen, um einen Sieg von Gurbanguly Berdymuchammedow sicher-
zustellen.

Die internationale Gemeinschaft muss jetzt mit Nachdruck und Klarheit auf die
Umsetzung umfassender politischer Reformen drängen. Turkmenistan besitzt
Öl-, aber vor allem große Erdgasreserven. Wirtschaftliche Interessen an den
Ressourcen auf Seiten der internationalen Handelspartner dürfen aber nicht dazu
führen, dass die Augen vor der inneren und menschenrechtlichen Situation im
Land verschlossen werden. Deutschland trägt in seiner EU-Ratspräsidentschaft

eine besondere Verantwortung. Die Bundesregierung muss sich daher innerhalb
der EU – Zentralasienstrategie konsequent dafür einsetzen, dass durch die Wah-
len im Februar in Turkmenistan keine neue Diktatur abgesegnet wird. Die OSZE
und ihre Teilnehmerstaaten müssen die demokratischen Anforderungen an einen
OSZE-Teilnehmerstaat wie Turkmenistan klar vertreten, und Turkmenistan
muss sich aktiv in allen Bereichen der OSZE, auch in der menschlichen Dimen-
sion, engagieren.

Drucksache 16/4049 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Corruption Perception Index 2006 der Organisation Transparency Internati-
onal führt Turkmenistan als eines der korruptesten Länder. Auch hier muss die
Bundesregierung unterstützend für ein Aufbrechen der totalitären Staatsstruktu-
ren und für eine nachhaltige Entwicklung aktiv werden. Eine Möglichkeit bietet
sich mit dem Einfrieren des Kontos, das die turkmenische Regierung nach Re-
cherchen von Nichtregierungsorganisationen bei der Deutschen Bank hält, und
auf dem Gewinne aus dem Gasexport eingehen. Der tote Diktator Saparmurat
Nijasow hatte über dieses Konto die absolute Verfügungsgewalt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf die Durchführung von freien, geheimen und nicht manipulierten Wahlen
zu drängen;

2. einzufordern, dass die Übergangsregierung einer OSZE/ODIHR Mission
zur Analyse der Lage vor den Wahlen umfassenden Zugang zu allen staat-
lichen Stellen und der Zivilgesellschaft gewährt;

3. sich dafür einzusetzen, dass die Kandidaten der demokratischen Opposition
Chudaiberdy Orasow und Nurberdy Nurmamedow an den Präsidentenwah-
len teilnehmen können;

4. darauf zu drängen, dass alle Verfahren politischer Gefangener untersucht
und die Opfer politischer Repressalien rehabilitiert werden;

5. sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass Turkmenistan die Repressalien
gegenüber politischen Oppositionellen einstellt, die Arbeit von Nichtregie-
rungsorganisationen zulässt und die Bildung politischer Parteien und bürger-
licher und religiöser Vereinigungen ermöglicht;

6. Turkmenistan zu drängen, Reise- und Bewegungsfreiheit aller Turkmenen
sowohl im Land selber als auch ins Ausland zu gewährleisten und die Ein-
reise oppositioneller Turkmenen, die unter Saparmurat Nijasow geflohen
sind, ins Land zu ermöglichen;

7. gegenüber der turkmenischen Übergangsregierung auf einer umfassenden
Reform des Justizwesens zu bestehen und die Gründung einer eigenen Ver-
fassungsgerichtsbarkeit anzumahnen;

8. eine freie Presse zu fördern und gegenüber Turkmenistan auf der Aufhe-
bung aller Einschränkungen für Medien und hinsichtlich des freien Internet-
Zugangs zu bestehen;

9. die Verpflichtung Turkmenistans einzufordern, einen konstruktiven Dialog
mit der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte aufzunehmen;

10. darauf zu drängen, dass Turkmenistan internationale Menschenrechts-
abkommen wie die Konvention gegen Genozid, der VN-Anti-Folter-Kon-
vention oder das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert und
umsetzt;

11. darauf zu bestehen, dass die VN-Sonderberichterstatter zu Folter und will-
kürlichen Verhaftungen in Turkmenistan einreisen und unbehinderte Ermitt-
lungen zu Foltervorwürfen und Todesfällen in turkmenischen Gefängnissen
durchführen können;

12. Turkmenistan gegenüber darauf zu bestehen, dass das Internationale Komi-
tee des Roten Kreuzes freien Zugang zu allen Haftanstalten in Turkmenistan
erhält;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4049

13. darauf zu bestehen, dass eine vollständige unabhängige Untersuchung der
Foltervorwürfe im Zusammenhang mit den festgenommen Personen nach
dem angeblichen Attentatsversuch auf Saparmurat Nijazow im Jahr 2002
sowie in den Fällen von Ogulsapar Muradowa, Sapardurdy Hadschijew and
Annakurban Amanklytschew durchgeführt wird;

14. auf die Einreisegewährung für Emmanuel Decaux zu drängen, der 2002
zum Berichterstatter des in der OSZE zu Turkmenistan eingeleiteten Mos-
kau-Mechanismus ernannt worden war;

15. sich gemeinsam mit den anderen Signataren des Moskau-Mechanismus zu
Turkmenistan – Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Kanada, Nor-
wegen, Österreich, Schweden und die Vereinigten Staaten – für eine Initia-
tive zur Umsetzung der Empfehlungen des Decaux-Berichts zu engagieren;

16. sich für eine aktive Beteiligung Turkmenistans an der Umsetzung des
Ministerratsbeschlusses vom 5. Dezember 2006 gegen Intoleranz und Dis-
kriminierung einzusetzen, dessen Ziel auch die Aufhebung der Strafbarkeit
von Homosexualität – wie in Turkmenistan noch der Fall – in der gesamten
OSZE sein muss;

17. sich dafür einzusetzen, dass der spanische OSZE-Vorsitz – in der Tradition
früherer Vorsitze – unverzüglich einen Persönlichen Beauftragten für Zen-
tralasien ernennt, der einen konsequenten Dialog mit Turkmenistan in der
OSZE auf politischer Ebene gewährleisten kann;

18. sich in der Verantwortung als EU-Präsidentschaft dafür einzusetzen, dass
der EU-Sonderbeauftragte für Zentralasien, Pierre Morel, der kurz vor dem
Tod von Präsident Saparmurat Nijasow in Aschgabat Gespräche geführt
hatte, unverzüglich einen Folgebesuch einleitet;

19. Turkmenistan zu drängen, das Verfahren gegen den Umweltaktivisten
Andrej Satoka sofort einzustellen;

20. in der internationalen Gemeinschaft, aber vor allem gegenüber den Mit-
gliedstaaten des Europarates darauf zu drängen, dass keine turkmenischen
Staatsangehörigen nach Turkmenistan abgeschoben werden, solange Turk-
menistan nicht die VN-Anti-Folter-Konvention ratifiziert und umgesetzt
hat;

21. sich für das Einfrieren des bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main
geführten und bisher unter Verfügungsgewalt des gestorbenen Saparmurat
Nijasow stehenden turkmenischen Regierungskontos einzusetzen, wobei
die Sperrung auf ein halbes Jahr befristet und eine Verlängerung der Sper-
rung vor Ablauf dieser Frist geprüft werden sollte.

Berlin, den 17. Januar 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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