BT-Drucksache 16/4044

Vollständige Öffnung der Postmärkte stoppen - Universaldienstverpflichtung absichern

Vom 17. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4044
16. Wahlperiode 17. 01. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll,
Dr. Diether Dehm, Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Herbert Schui,
Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Vollständige Öffnung der Postmärkte stoppen – Universaldienstverpflichtung
absichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die EU-Kommission hat am 18. Oktober 2006 einen Richtlinienvorschlag
(KOM/2006/594) vorgelegt, der die vollständige Marktöffnung der Postdienste
bis 2009 vorsieht. Durch die in dem Richtlinienvorschlag vorgesehene Abschaf-
fung des sog. reservierten Bereiches – einem Monopol für Postsendungen bis
max. 50 Gramm – wird die Finanzierung der Universaldienstverpflichtung zur
regelmäßigen und flächendeckenden Zustellung von Postsendungen als auch der
Zugang zu Postdienstleistungen für Postkundinnen und -kunden gefährdet.

Die Bundesregierung hat angekündigt im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft
die vollständige Liberalisierung, und das heißt vor allem den kompletten Zugang
der Deutsche Post AG und anderer Postbetreiber auf andere EU-Märkte, zum
Schwerpunkt zu machen. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Liberalisierung
des deutschen Postmarktes weiter fortgeschritten ist als in anderen europäischen
Ländern. Frankreich, Griechenland, Italien und Luxemburg als auch die euro-
päischen Dienstleistungsgewerkschaften haben sich gegen diesen Vorschlag aus-
gesprochen.

Der Deutsche Bundestag vertritt die Position, dass der Vorschlag der Kommis-
sion im Widerspruch steht zum erklärten Ziel flächendeckend und qualitativ
hochwertige Universalpostdienste zu erhalten.

Zudem steht der Vorschlag im Widerspruch zum Artikel 16 des EG-Vertrages,
der die nationalstaatliche Zuständigkeit und Begrenzung des Wettbewerbsprin-
zips im Bereich der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse fest-
schreibt: „Unbeschadet der Artikel 73, 86 und 87 und in Anbetracht des Stellen-
werts, den Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der ge-
meinsamen Werte der Union einnehmen, sowie ihrer Bedeutung bei der Förde-
rung des sozialen und territorialen Zusammenhalts tragen die Gemeinschaft und

die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungs-
bereich dieses Vertrags dafür Sorge, dass die Grundsätze und Bedingungen für
das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nach-
kommen können.“

Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass die von der Kommission vorgelegten
Studien über die Entwicklung der Postdienstleistungsmärkte und mögliche Fol-
gen der vollständigen Marktöffnung völlig unzureichend sind. Sie vertrauen

Drucksache 16/4044 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

blind auf den freien Wettbewerb, der eine flächendeckende Versorgung mit
Postdienstleistungen sichern und Arbeitsplätze schaffen soll. Trotz dieser
Behauptung enthalten die Studien keine brauchbaren Angaben zu den Beschäf-
tigungsfolgen und der flächendeckenden Versorgung. Vielmehr geht die Pros-
pektivstudie der Kommission (KOM/2006/596) davon aus, dass nach der voll-
ständigen Marktöffnung Umstrukturierungsmaßnahmen zur ‚Anpassung‘ des
Beschäftigungsniveaus ergriffen werden sollten.

Für die Bundesrepublik Deutschland hat die Bundesnetzagentur in ihrer neunten
Marktuntersuchung für den Bereich der lizenzpflichtigen Postdienstleistungen
festgestellt, dass in der Zeit von 1999 bis Ende 2004 13 000 Arbeitsplätze im
Briefbereich abgebaut wurden. Alleine bei der Deutsche Post AG wurden nicht
zuletzt über eine Ausdünnung des Filialnetzes und den verstärkten Einsatz von
Sub-Unternehmen bzw. Postshops zwischen 1999 und 2004 insgesamt 30 000
Stellen abgebaut. Die zusätzlichen Stellen bei den neuen Briefdienstleistern sind
vor allem als sog. Minijobs geschaffen worden. 2004 waren dort rund 61 Prozent
geringfügig beschäftigt. Viele Beschäftigte sind im Postbereich auf zusätzliche
Leistungen aus dem ALG II angewiesen. Der Vorstandsvorsitzende der Deut-
sche Post AG geht davon aus, dass mit dem Ende des Briefmonopols weitere
32 000 Stellen wegfallen werden. EU-weit weist Deutschland die viertgrößte
Abbaurate bei der Zahl der unternehmenseigenen Filialen auf, die Brieflaufzei-
ten haben sich in den letzten Jahren verschlechtert und die Unterversorgung des
ländlichen Raumes wurde trotz der Selbstverpflichtung der Deutsche Post AG
nicht beseitigt. Zudem droht die Deutsche Post AG nach dem Wegfall des Brief-
monopols mit einer weiteren Reduktion des Serviceangebots in den Filialen und
einem Rückzug aus der flächendeckenden Versorgung. Gleichzeitig starten
Unternehmensverbände aus dem Postsektor eine Kampagne zur Diffamierung
der Universaldienstverpflichtung des Grundgesetzes.

Der Deutsche Bundestag stellt deshalb fest, dass die Möglichkeit eines reservier-
ten Bereiches sich als Finanzierungsquelle für die Universaldienstverpflichtung
und damit für hochwertige Postdienstleistungen bewährt hat. Staatliche Bei-
hilfen würden dazu führen, dass der Steuerzahler Defizite in Bereichen deckt, in
denen Unternehmen Gewinne erzielen können. Gleichzeitig zeigt sich an der
Beschäftigungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ein deutlicher
Bedarf an sozialpolitischer Regulierung, der bisher von der Bundesnetzagentur
nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen wurde, obwohl dies im Postge-
setz § 6 (3) klar geregelt ist: „Die Lizenz ist zu versagen, wenn (…) Tatsachen
die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die wesentlichen Arbeits-
bedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich unter-
schreitet.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft dafür einzutreten, dass die Mit-
gliedstaaten weiterhin die Möglichkeit der Aufrechterhaltung eines reservier-
ten Bereiches bis 50 g behalten, um die Finanzierung der Universaldienstver-
pflichtung zu sichern;

2. im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft für eine neue EU-Richtlinie ein-
zutreten, die eine EU-weite Harmonisierung der Universaldienstverpflich-
tungen auf hohem Niveau bezüglich flächendeckender und qualitativ hoch-
wertiger Versorgung sowie hochwertiger Beschäftigungsbedingungen fest-
schreibt;

3. die Bundesnetzagentur stärker auf die Kontrolle von Arbeitsbedingungen im
lizenzpflichtigen Postbereich zu verpflichten;
4. nicht zuletzt aufgrund der Arbeitsbedingungen im Postbereich einen gesetz-
lichen Mindestlohn von mindestens 8 Euro Brutto zu schaffen;

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5. die Exklusivlizenz der Deutsche Post AG am 31. Dezember 2007 zu verlän-
gern, dem Deutschen Bundestag umgehend Vorschläge für eine Neufassung
der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) und des Postgesetzes
zu unterbreiten, in der die Interessen der Postkundinnen und -kunden ge-
stärkt, die Zahl der Filialen und Briefkästen festgeschrieben und die Zustel-
lung an 6 Werktagen garantiert als auch qualitativ hochwertige Beschäfti-
gungsbedingungen im Postsektor festgeschrieben werden;

6. der Forderung der Monopolkommission nachzukommen, dass entsprechend
den Anforderungen aus § 10 Abs. 2 des Postgesetzes die interne Rechnungs-
legung der Deutsche Post AG so ausgestaltet wird, dass sowohl die Gewinne
aus dem reservierten Bereich als auch die Kosten aus der Universaldienst-
verpflichtung transparent gemacht werden;

7. dafür zu sorgen, dass die Gewinne der Deutsche Post AG aus dem reservier-
ten Bereich ausschließlich für den Ausbau der Universaldienstverpflichtung
eingesetzt werden und damit an die Beschäftigten als auch die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher zurückgegeben werden.

Berlin, den 16. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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