BT-Drucksache 16/3763

Überwachung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages durch den Verfassungsschutz (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/1590)

Vom 6. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3763
16. Wahlperiode 06. 12. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, Cornelia Hirsch,
Sevim Dag˘delen, Kornelia Möller, Heike Hänsel, Dorothee Menzner, Karin Binder,
Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Lothar Bisky, Alexander Ulrich,
Jan Korte, Bodo Ramelow, Wolfgang Gehrcke und der Fraktion DIE LINKE.

Überwachung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages durch den
Verfassungsschutz (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/1590)

Abgeordnete des Deutschen Bundestages werden nachrichtendienstlich über-
wacht.

Zwar erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der
Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Kersten Naumann und der Fraktion DIE
LINKE. zur Überwachung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages durch
den Verfassungsschutz auf Bundestagsdrucksache 16/1590, Fraktionen des
Deutschen Bundestages seien nicht Gegenstand nachrichtendienstlicher Beob-
achtung. Dies gelte auch für die parlamentarische Tätigkeit der Fraktion DIE
LINKE. Den Ausführungen der Bundesregierung ist darüber hinaus zu entneh-
men, dass sie durch die Beobachtung von Bundestagsabgeordneten durch den
Verfassungsschutz keine Beeinträchtigung der Mandatsausübung von Mitglie-
dern des Deutschen Bundestages befürchte.

Dennoch ist bekannt, dass der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE., Oskar
Lafontaine, vom saarländischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet
wird. Der Abgeordnete Bodo Ramelow wurde oder wird vom Bundesamt und
vom thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Außerdem
hatte der Militärische Abschirmdienst eine nachträglich als „irrtümlich“ zustan-
de gekommene Akte über ihn angelegt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) hat mehreren anderen Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE. mit
Schreiben vom 26. September 2006, die den Fragestellern vorliegen, mitgeteilt,
dass Informationen „im Zusammenhang mit Ihrer Zugehörigkeit zu der Fraktion
‚DIE LINKE.‘ im 16. Deutschen Bundestag in einer Sachakte enthalten sind.
Diese gehen jedoch nicht über die Angaben zu Ihrer Person im ‚Amtlichen
Handbuch des Deutschen Bundestages (16. Wahlperiode)‘ hinaus.“ Gegenüber
der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Cornelia Hirsch hat das Bundes-
amt für Verfassungsschutz eingeräumt, dass in einer „Sachakte“ Informationen
über ihre Person gespeichert werden, die in diesem Fall über die Angaben im

Amtlichen Handbuch hinausgehen (Schreiben des BfV vom 10. Oktober 2006
liegt den Fragestellern vor). Der Abgeordneten Dorothee Menzner teilte das nie-
dersächsische Landesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 5. Oktober
2006 mit, ihm seien „Erkenntnisse über extremistische Aktivitäten bekannt“,
ohne jedoch nähere Auskunft hierzu zu erteilen.

Drucksache 16/3763 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Dies wirft den dringenden Verdacht auf, dass noch weitere Abgeordnete des
Deutschen Bundestages oder sogar die komplette Fraktion DIE LINKE. durch
den Verfassungsschutz beobachtet werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck hat das Bundesamt
für Verfassungsschutz eine Sachakte über die Fraktion DIE LINKE. ange-
legt?

2. Welche Art von Daten beinhaltet die Sachakte über die Fraktion DIE
LINKE. beim Bundesamt für Verfassungsschutz?

3. Enthält die Sachakte Informationen über jedes Mitglied der Fraktion DIE
LINKE., und wenn nein, über welche Mitglieder enthält sie Informationen
und nach welchen Kriterien wurden die Fraktionsmitglieder ausgewählt?

4. Enthält die Sachakte Informationen über die Angestellten der Fraktion und
die persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten, und
wenn ja, in welchem Umfang?

5. Enthält die Sachakte personenbezogene Verweise auf bereits bestehende
Akten der Betroffenen beim Bundesamt für Verfassungsschutz, bei Landes-
ämtern oder anderen Nachrichtendiensten?

6. Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Erstellung der Sachakte nach-
richtendienstliche Mittel angewandt, und wenn ja, welche, in welchem Zeit-
raum und gegen welche Personen bzw. Gremien?

7. Über wie viele Abgeordnete sind in der Sachakte Informationen enthalten,
die über die Angaben im Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages
hinausgehen?

a) Um welche Angaben handelt es sich dabei?

b) Um welche Abgeordnete handelt es sich dabei?

8. Über wie viele Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. hat das Bundesamt
für Verfassungsschutz vermeintliche Erkenntnisse „über extremistische
Aktivitäten“?

9. Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz oder ein anderer Nachrichten-
dienst in der laufenden und in vergangenen Legislaturperioden auch über
andere Fraktionen des Deutschen Bundestages Sachakten angelegt?

a) Wenn nein, auf Grund welcher Verdachtsmomente oder konkreter Er-
kenntnisse wurde eine solche Sachakte ausschließlich über die Fraktion
DIE LINKE. angelegt?

b) Wenn ja, beinhalten die Sachakten über diese Fraktionen die gleiche Art
von Daten wie die Sachakte über die Fraktion DIE LINKE.?

10. Glaubt die Bundesregierung ausschließen zu können, dass eine Auswirkung
auf die Ausübung des Mandats und damit die Funktionsfähigkeit des Parla-
ments vorliegt, wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter dieser Abgeordneten sowie Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter von Fraktionen befürchten müssen, im Rahmen einer „Sach-
akte“ erfasst zu werden und sich dadurch möglicherweise veranlasst sehen,
ein Vermeidungsverhalten zu entwickeln (bitte begründen)?

11. Berücksichtigen das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie andere Nach-
richtendienste die Ausführungen des Gutachtens des Wissenschaftlichen
Dienstes vom 8. Mai 2006 („Parlamentarische Kontrolle der Beobachtung

von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz“) auch hinsichtlich der

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3763

Anlage von Sachakten über Fraktionen des Deutschen Bundestages, und
wenn ja, in welchem Umfang?

12. Beabsichtigt die Bundesregierung, das Bundesamt für Verfassungsschutz
anzuweisen, die Sachakte zur Fraktion DIE LINKE. umgehend zu schließen
und den Betroffenen die Inhalte mitzuteilen, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 5. Dezember 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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