BT-Drucksache 16/3696

Heimbericht im Bundestag diskutieren - Missstände offenlegen und bekämpfen

Vom 30. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3696
16. Wahlperiode 30. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina
Bunge, Diana Golze, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Volker Schneider (Saarbrücken),
Frank Spieth und der Fraktion DIE LINKE.

Heimbericht im Bundestag diskutieren – Missstände offenlegen und bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffent-
lichte im Oktober dieses Jahres mit zweijähriger Verspätung den ersten Be-
richt über die Situation der Heime und der Betreuung ihrer Bewohnerinnen
und Bewohner auf ihrer Internetseite. In diesem Heimbericht ist erwähnt,
dass auf eine offizielle Weiterleitung des Berichts an den Deutschen Bundes-
tag verzichtet wird, da nach der Föderalismusreform das Heimrecht nicht
mehr in Bundeskompetenz liege. Das Heimgesetz gilt aber (inklusive der in
§ 22 genannten Berichtspflicht an die gesetzgebenden Organe) so lange fort,
bis die Länder eigene Heimgesetze beschlossen haben. Das ist bisher nicht
der Fall. Die Bundesregierung ist also weiterhin an das Heimgesetz ge-
bunden.

2. Der Heimbericht weist darauf hin, dass Qualitätsmängel in den unterschied-
lichen Bereichen des Heimgeschehens sowie in verschiedenen Schwere-
graden auftreten. Das Spektrum reicht von Gewalt bis hin zu gefährlicher
Pflege. Repräsentative Daten dazu liegen bislang nicht vor. Einer jährlichen
Prüfung werden nicht alle Heime unterzogen, obwohl dies in § 15 des Heim-
gesetzes gesetzlich vorgeschrieben ist. Die genaue Prüfquote ist nicht be-
kannt. Der Anteil unangemeldeter – und damit effektiver – Prüfungen
schwankt in den Bundesländern erheblich.

3. Internationale Menschenrechtsausschüsse kritisierten bereits die sehr un-
befriedigenden Zustände in deutschen Pflegeheimen. So äußerte 2001 der
UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR),
der die Einhaltung des UN-Sozialpakts überwacht, seine „große Besorgnis
über die menschenunwürdigen Zustände in Pflegeheimen“ und forderte die
Bundesrepublik Deutschland auf, „Sofortmaßnahmen“ zur Verbesserung der
Situation zu ergreifen. Große soziale Verbände dokumentieren immer wieder,
dass sich die Situation in vielen Heimen noch immer nicht verbessert hat und

Pflegebedürftige – häufig aus Personalmangel – menschenunwürdig be-
handelt werden. Für den Bereich Menschenrechte/Menschenwürde ist die
Bundesregierung weiterhin – auch nach der Föderalismusreform – zuständig.

Drucksache 16/3696 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Bericht über die Situation der Heime und der Betreuung ihrer Bewohne-
rinnen und Bewohner, wie in § 22 des Heimgesetzes vorgeschrieben, offiziell
dem Deutschen Bundestag zuzuleiten,

2. eine ausführliche Debatte im Deutschen Bundestag aufzusetzen, die ins-
besondere die im Heimbericht aufgeführten Qualitätsmängel in der Pflege
und das Problem diesbezüglicher mangelhafter Datenlage thematisiert,

3. in absehbarer Zeit Maßnahmen zur Überwindung struktureller Mängel (Per-
sonalknappheit, Überforderung des Personals etc.) mit dem Ziel vorzulegen
und im Deutschen Bundestag zu debattieren, menschenwürdige Behandlung
in Pflegeheimen zu gewährleisten.

Berlin, den 29. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Deutschland hat sowohl aus menschenrechtlicher Perspektive als auch aus aus
dem Grundgesetz (Artikel 1 Abs. 2) abgeleiteten Prinzipien eine staatliche Ge-
währleistungspflicht für die Achtung der Menschenwürde in allen Lebensberei-
chen. Das wird nicht nur in verschiedenen rechtlich unverbindlichen Erklärungen
gefordert. Über die Diskriminierungsverbote des völkerrechtlich verbindlichen
Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte
(UN-Sozialpakt) von 1966 sowie über die Bestimmungen in der von Deutschland
ratifizierten Europäischen Sozialcharta von 1961 sind auch Menschen im Bereich
der Altenpflege zu schützen. Zu den staatlichen Schutzverpflichtungen gehört die
Überwachung der Pflegesituation Älterer besonders dann, wenn die Erbringung
von Pflegeleistungen privaten Dritten überlassen wird.

Die Regierung ist dieser Pflicht nicht nachgekommen. Nach der Aufforderung
des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR),
die Bundesrepublik Deutschland möge Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der
Situation ergreifen, ist dies nicht geschehen. Auf eine daraufhin eingebrachte
Kleine Anfrage der Fraktion der PDS in der 14. Wahlperiode verwies die Bun-
desregierung in ihrer Antwort (Bundestagsdrucksache 14/7567) auf das Pflege-
Qualitätssicherungsgesetz und die Novellierung des Heimgesetzes, die 2002 in
Kraft treten und voraussichtlich zu Verbesserungen führen würden. Zu einer
Debatte im Plenum kam es damals nicht. Seit Einführung der Gesetze 2002
dokumentieren soziale Verbände wie der Pflege-Selbsthilfeverband sowie Be-
troffene und deren Angehörige/Betreuer immer wieder, dass sich die Situation
in den Heimen weiter verschlechtert hat. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie
des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Im ersten Heimbericht der Bundesregierung wird ebenfalls auf Qualitätsmängel
wie Gewalt, Freiheitsentziehung, Folgekosten durch Dekubiti, fehlende aktivie-
rende Angebote, mangelnde Essensversorgung und Personalausstattung hinge-
wiesen. Fast immer werden laut Bericht Mängel in der Pflegedokumentation bei
den Heimprüfungen festgestellt. Die Bundesregierung darf sich nicht mit Ver-
weis auf die Föderalismusreform ihrer Verantwortung entziehen.

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