BT-Drucksache 16/3695

Kein Börsengang der Ruhrkohle AG - Bei der Zukunft des Steinkohlenbergbaus soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen

Vom 30. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3695
16. Wahlperiode 30. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter,
Lutz Heilmann, Oskar Lafontaine, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Ulla Jelpke, Karin Binder, Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Kirsten
Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Kein Börsengang der Ruhrkohle AG – Bei der Zukunft des Steinkohlenbergbaus
soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Ruhrkohle AG (RAG) plant für das Jahr 2007 den Börsengang mit
ihrem so genannten weißen Bereich (Chemie, Energie, Immobilien). Der
schwarze Bereich (Deutsche Steinkohle AG, RAG Coal International, RAG-
Bildung) soll davon ausgenommen sein und in eine Stiftung überführt wer-
den. Diese hat dann die Aufgabe, den Steinkohlenbergbau vorerst weiterzu-
führen, abzuwickeln und die Ewigkeitskosten – also die sozialen und öko-
logischen Folgen – des Bergbaus zu tragen.

Völlig offen ist, ob das Kapital der Stiftung ausreicht, die Finanzierung der
Ewigkeitskosten zu bewältigen. Reichen die Mittel der Stiftung nicht aus,
muss der Steuerzahler einspringen. Jede Variante des Verkaufs der RAG
führt dazu, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert wer-
den. Für die Beschäftigten stellt sich die Abtrennung des weißen Bereichs
als ein Angriff auf soziale Standards dar, die in einer besonderen Unterneh-
menskultur und auf Grundlage einer ausgeprägten Mitbestimmung in Jahr-
zehnten gewachsen sind. Dramatische soziale Auswirkungen hätte ein Ver-
kauf der weit über 100 000 Wohnungen aus dem RAG-Bestand an einen
Finanzinvestor. Deutlich höhere Mieten und ein Anstieg des Mietspiegels
wären die Folge.

2. Die Subvention der Steinkohle wird weiter zurückgehen. Die europäische
Gemeinschaft hat sich 2002 auf einen „nennenswerten Abbau“ staatlicher
Finanzhilfen für Bergbauunternehmen verständigt. Auch mit Blick auf den
bedrohlichen Klimawandel ist die Verfeuerung von Steinkohle zur Energie-
erzeugung langfristig problematisch. Die Sozialverträglichkeit des Auslau-

fens der Subventionen wird durch den Börsengang bzw. Verkauf in hohem
Maße gefährdet, weil sie damit ebenfalls vom damit erzielten Erlös bzw. Ka-
pital der Stiftung abhängig gemacht wird. Der von der Bundesregierung an-
gestrebte Rückbau der heimischen Steinkohlenerzeugung verbietet geradezu
auch den Börsengang.

Drucksache 16/3695 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Aufgabe des Bundes muss es sein, mittels einer Aus- und Weiterbildungs-
offensive den verbliebenen Beschäftigten in der deutschen Steinkohle eine
Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Dazu müssen auch die Bundes-
länder in die Pflicht genommen werden. Der Wandel hin zu einer nach-
haltigen Energiepolitik, basierend auf Energieeffizienz und erneuerbaren
Energien bietet dabei große Chancen. Um die Kompetenz der Bergbautech-
nologie zu erhalten, sollte eine Grundfördermenge an Steinkohle erhalten
bleiben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Trennung des weißen vom schwarzen Bereich sowie den Börsengang
oder einen anders gearteten Verkauf des weißen Bereichs der RAG abzuleh-
nen;

2. die Bildungskapazitäten der RAG-Bildung zu erhalten und zukunftsgerecht
auszubauen. Die Subventionen für den Steinkohlenbergbau müssen auch in
eine Aus- und Weiterbildungsoffensive fließen. Die Arbeitnehmer sollen in
den betroffenen Bereichen einen Teil ihrer Arbeitszeit für Fort- und Um-
schulungen nutzen können, um für sich neue Perspektiven auf dem Arbeits-
markt zu finden;

3. den Rückbau des Steinkohlenbergbaus ohne betriebsbedingte Kündigungen
zu organisieren;

4. Ein Konzept vorzulegen, das eine Grundfördermenge an heimischer Stein-
kohle erhält;

5. bis Anfang 2007 verlässliche und nachprüfbare Zahlen über die Höhe der
Ewigkeitskosten vorzulegen;

6. ein Ansiedlungsprogramm im Bereich der erneuerbaren Energien speziell
für Kohlenbergbauregionen aufzulegen. Ziel dieses Programms muss sein,
vorrangig den Anlagenbau und die industrielle Zulieferung zu stärken und
den hohen Standard und das Innovationspotential in der Region zu sichern;

7. die Mittel zur Förderung von erneuerbaren Energien in den Bereichen For-
schung, Entwicklung, Pilotvorhaben, Markteinführung und Exportförderung
um jährlich 100 Mio. Euro bis 2020 aufzustocken. Ziel ist es, die Beschäfti-
gungseffekte in diesem Sektor zu sichern und, wo möglich, auszubauen.

Berlin, den 17. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Stiftung soll durch bisher angehäufte Rücklagen aus Subventionen, die
Erlöse des Börsengangs der RAG und Zinserträge finanziert werden. Das Bun-
desministerium für Wirtschaft und Technologie lässt derzeit in einem Gutach-
ten prüfen, wie der Verkauf des weißen Bereichs der RAG zu organisieren sei,
um einen höchstmöglichen Ertrag zu erzielen. Untersucht werden der Verkauf
der RAG im Ganzen oder in Unternehmensteilen, der Börsengang sowie der
Verkauf an einen strategischen Investor oder an einen Finanzinvestor.

Doch auch nach einem weitgehenden Ausstieg aus der Steinkohle entstehen für

einen sehr langen und noch nicht absehbaren Zeitraum Folgekosten. Neben

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3695

Aufwendungen der Bergbauberufsgenossenschaft und Renten sind dies vor
allem Kosten für Bergschäden und die Abpumpkosten für das Grubenwasser.
Diese sind entgegen anderer Verlautbarungen der RAG oder den Zahlen des
KPMG-Gutachtens nur unzureichend berücksichtigt worden. Das hat seinen
Grund auch darin, dass Kosten z. B. durch Bergschäden, Kontaminierungen des
Grundwassers durch Sondermüll in den Zechen oder mögliche Deichbrüche
durch die Verwendung von Abraummaterial der Zechen (Waschberge), dessen
Eignung als Deichbaumaterial nicht geklärt ist, nicht berücksichtigt wurden.

Die Spekulationen über Erlöse des Börsengangs haben bereits dazu geführt,
dass ein Hauptaktionär, die Arcelor-Gruppe, nicht mehr bereit ist, die Stiftung
aus dem Börsengang mitzufinanzieren. Des Weiteren wurde der geplante Anteil
der Stiftung an dem neuen DAX-Unternehmen in Höhe von 25,1 Prozent als
verkaufshemmender staatlicher Einfluss bezeichnet.

Der Steinkohlenbergbau ist laut dem 20. Subventionsbericht der Bundesregie-
rung (Bundestagsdrucksache 16/1020) nach wie vor mit 1,7 Mrd. Euro im Jahr
2006 größter Empfänger bei den Finanzhilfen des Bundes. Das sind 29 Prozent
aller Subventionen. Gleichwohl ist die Belegschaft im Bergbau laut dem
20. Subventionsbericht der Bundesregierung zwischen 2003 und 2006 um
10 900 Beschäftigte auf 34 720 zurückgegangen. Zur Unterstützung der erneu-
erbaren Energien hat der Bund im gleichen Zeitraum 0,7 Mrd. Euro ausgege-
ben. Hier ist die Zahl der Beschäftigten in Deutschland um 40 000 von 130 000
im Jahr 2003 auf jetzt 170 000 gestiegen.

Der Steinkohlenbergbau hat für Nordrhein-Westfalen wie auch für das Saarland
noch immer wirtschaftliche Bedeutung. Die acht deutschen Zechen und eine
Kokerei der Ruhrkohle AG beschäftigen allein noch rund 34 000 Menschen,
insgesamt hängen vom Steinkohlenbergbau ca. 100 000 Arbeitsplätze ab. Die
Bergbautechnologie führt zu Innovationen im Anlagenbau. Das Wissen im in-
dustriellen Anlagenbau kann in neuen Technologiebereichen, wie der Entwick-
lung und dem Bau von Systemen und Komponenten für die Offshore-Wind-
energie, genutzt werden. Dazu gehört eine gezielte Ansiedelungsstrategie.

Die Arbeitnehmer sollen in den betroffenen Bereichen 50 Prozent ihrer Arbeits-
zeit für Fort- und Umschulungen nutzen können, um für sich neue Perspektiven
auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Die verbleibende Zeit im Bergbau und in den
Kraftwerken kann damit auf doppelt so viele Arbeitskräfte verteilt werden. Das
sichert die Zahl der bisherigen Beschäftigungsverhältnisse.

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