BT-Drucksache 16/3661

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/2581, 16/3635- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3661
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Ulla Lötzer, Dr. Herbert Schui,
Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Hans-Kurt Hill, Dr. Petra Sitte
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/2581, 16/3635 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher
Vorschriften

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Privatisierung der Telekom und die Liberalisierung der Telekommunika-
tionsmärkte werden in der Öffentlichkeit gern als Beispiel für den Erfolg der
Privatisierung öffentlicher Aufgaben dargestellt. Nun zeigen sich jedoch die
negativen Auswirkungen eines marktgetriebenen Telekommunikationssektors.
Bei der aktuellen Diskussion um die Reform des Telekommunikationsgesetzes
wurden die widersprüchlichen Interessen einer gewinnorientierten Telekommu-
nikationswirtschaft einerseits, und dem gesellschaftlichen Anspruch auf ein
modernes, flächendeckendes, verbraucherfreundliches und arbeitsplatzschaf-
fendes Telekommunikationswesen andererseits deutlich.

1. Im Telekommunikationssektor wird ein Marktversagen immer offensicht-
licher:

Von der Privatisierung und der Liberalisierung versprachen sich alle bisheri-
gen Bundesregierungen die Entstehung eines Wettbewerbs, der Innovationen
und Investitionen in neue Technologien vorantreiben sollte. Diese Erwartung
erfüllt sich beim aktuell anstehenden Ausbau des Glasfasernetzes und der
darauf aufbauenden Verbreitung von schnellen VDSL-Internet-Verbindun-
gen nicht. Im Bereich dieses VDSL-Netzes, das die Deutsche Telekom AG in
50 Großstädten ausbauen will, kann es aus technischen und ökonomischen
Gründen auf absehbare Zeit keinen Wettbewerb geben – diese Teile des Net-
zes stellen ein natürliches Monopol dar.
Um Konkurrenten zu ermöglichen, selbst VDSL-Dienste anzubieten, könnte
die Bundesnetzagentur den Zugang zu diesen Märkten und die Nutzung des
Telekom-Netzes regulieren. Die Deutsche Telekom AG droht jedoch diese
Netze nur auszubauen, wenn dieser Bereich für Jahre von der Regulierung
ausgenommen wird, sie über die Bedingungen für den Netzzugang also selbst
bestimmt. Die Bundesregierung legt mit dem neuen § 9a im Telekommuni-

Drucksache 16/3661 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

kationsgesetz den Grundstein für solche „Regulierungsferien“ für die Tele-
kom AG. Sie fördert dadurch ein privates Monopol und bestätigt zugleich,
dass der Wettbewerb auf einem regulierten Markt nicht in der Lage ist, für be-
deutende Infrastrukturinvestitionen zu sorgen. Insgesamt ist zu bedenken,
dass der Zustand eines vollkommenen Wettbewerbs bei Telekommunika-
tionsnetzen wegen technischer und ökonomischer Besonderheiten nicht zu
erreichen ist.

Die Diskussion um das Für und Wider des neuen § 9a TKG weicht der Frage
aus, wie auf Marktversagen im Bereich der Telekommunikationsnetze rea-
giert werden soll und geht damit am Grundproblem vorbei.

Außer beim Ausbau der VDSL-Technik zeigt sich das Marktversagen im
Telekommunikationssektor auch in der Unterversorgung entlegener Regio-
nen und ländlicher Räume mit DSL-Anschlüssen. In 1 481 von insgesamt
12 657 Gemeinden in Deutschland ist praktisch kein DSL verfügbar, in wei-
teren 2 130 Gemeinden besteht laut Bericht zum Breitbandatlas des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie eine „schlechte Versorgung“.
Bei einer rein marktwirtschaftlich organisierten DSL-Versorgung konzentrie-
ren sich die Unternehmen auf den profitablen Ausbau in Ballungsgebieten
und vernachlässigen weniger gewinnbringende Regionen. Ein Vertreter der
Deutschen Telekom AG bestätigte bei einer Anhörung im Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, dass man beim flächendeckenden Ausbau des
DSL-Netzes an die „Grenze des ökonomisch Machbaren“ stoße. Damit wer-
den die vorhandene digitale Kluft ausgeweitet und die Bildungschancen auf
dem Land reduziert.

Bei anderen Diensten – etwa der Versorgung mit Telefonanschlüssen und der
Bereitstellung von Münz- und Kartentelefonen begrenzen gesetzlich vorge-
schriebene Mindeststandards für Unternehmen, die so genannten Universal-
dienste, eine Unterversorgung in der Fläche. Ähnliche Mindeststandards sind
im Bereich der neuen Medien zu treffen.

2. Im Telekommunikationssektor werden beständig Arbeitsplätze abgebaut und
Arbeitsbedingungen verschlechtert:

Laut Bundesnetzagentur sank die Beschäftigtenzahl auf dem Telekommuni-
kationsdienstemarkt in Deutschland von 240 700 im Jahr 2000 auf 225 100
im Jahr 2004 – und das in einer Branche, die gemeinhin als wichtige Basis
für Wachstumsmärkte gilt und die ständig steigende Umsatzzahlen aufweist
(von 1998 bis 2005 stieg der Umsatz auf dem Markt für Telekommunika-
tionsdienste um rund 55 Prozent auf mehr als 68 Mrd. Euro). Besonders stark
baut die Telekom AG Arbeitsplätze ab. 1998 waren in Deutschland rund
180 000 Menschen dort beschäftigt. Mitte 2005 waren es nur wenig mehr als
169 000. Jetzt will der Konzern 32 000 weitere Stellen abbauen und sein
Angebot an Ausbildungsplätzen zurückfahren.

Die verbliebenen Beschäftigten stehen unter Druck und sollen Einschnitte bei
Gehalt und Arbeitsbedingungen hinnehmen: Die Deutsche Telekom AG etwa
hat angekündigt, 45 000 Mitarbeiter in Untergesellschaften auszugliedern, in
denen sie zum Teil nur die Hälfte ihres bisherigen Einkommens bekämen und
keine Beschäftigungsgarantie erhalten sollen.

3. Im Telekommunikationssektor geht Profit vor Verbraucherschutz:

Die Preiskontrolle und -transparenz bei Telefondiensten insbesondere im
Mobilfunk ist in vielen Bereichen unzureichend oder fehlt. Für Verbrauche-
rinnen und Verbraucher gestalten sich Preise und Abrechnung von Telefon-
diensten oftmals unübersichtlich, wie Berichte der Verbraucherzentrale und
des Verbraucherservices der Bundesnetzagentur zeigen. Dies gilt beispiels-

weise für den Rufnummernmissbrauch, eine fehlende Preisansage, die Wei-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3661

gerung von Anbietern einen Einzelverbindungsnachweis zu erbringen und
überhöhte Preise bei Premium-Diensten wie Klingeltönen, Logos und so
genannten SMS-Flirts.

Die fehlende Preiskontrolle und -transparenz wird von einzelnen Unter-
nehmen missbraucht. Durch überhöhte Handyrechnungen fließen jährlich
Milliardenbeträge unberechtigt in die Kassen von Mobilfunkanbietern. Die
Verschuldung durch hohe Handyrechnungen, insbesondere unter jugend-
lichen Nutzerinnen und Nutzern, bildet die Kehrseite dieser Entwicklung.
Deshalb muss der Verbraucherschutz bei dem Gesetz zur Änderung telekom-
munikationsrechtlicher Vorschriften eine zentrale Rolle spielen und entspre-
chend den Forderungen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes nachge-
bessert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Unternehmen zu verpflichten, auch ländliche Räume mit DSL-Anschlüs-
sen zu versorgen, indem Internetanschlüsse mit schnellen Übertragungsraten
als Mindeststandard in die Regelungen zum Universaldienst aufgenommen
werden;

2. über ihren Aktienanteil an der Deutsche Telekom AG, sowie über ihren Ver-
treter und den Vertreter der KfW-Bankengruppe im Aufsichtsrat der Telekom
AG, Einfluss auf den Konzern auszuüben, den Abbau und die Ausgliederung
von Arbeitsplätzen zu verhindern und für eine Beibehaltung der bisherigen
Anzahl an Ausbildungsplätzen bei der Telekom AG zu sorgen;

3. verbraucherfeindliche Regelungen rückgängig zu machen und stattdessen
den Empfehlungen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes nachzukom-
men und folgende Änderungen im Gesetz zur Änderung telekommunika-
tionsrechtlicher Vorschriften einzufügen:

– eine Verpflichtung zum Angebot einer netzseitigen, unentgeltlichen und
selektiven Sperre auch für den Mobilfunk,

– die Einführung des Anspruchs auf einen unentgeltlichen Einzelverbin-
dungsnachweis auf Prepaid-Verträge im Mobilfunk,

– eine Festlegung von Mindestanforderungen an die Teilnehmeranschluss-
sperre im Mobilfunk,

– effektive Schutzvorkehrungen gegen missbräuchliche Angebote über
Kurzwahlnummern im Mobilfunk,

– die Erweiterung der Begriffsdefinition für „Premium-Dienste“ um solche
Dienste, die über die Telekommunikationsdienstleistung hinaus erbracht
werden, jedoch durch den Inhalteanbieter gesondert abgerechnet werden,

– die Erweiterung der Verpflichtung zur Übermittlung eines Warnhinweises
beim Überschreiten eines Schwellenwerts von 20 Euro auf sämtliche
Kurzwahldiensteangebote, also nicht nur auf Abonnementverträge,

– die Einführung einer gesetzlich normierten Tarif- bzw. Preisansagepflicht
für Call-by-Call-Anbieter im Festnetz und für den Mobilfunk,

– ein Absenken der Auslöseschwelle für die Preisansage bei sprachgestütz-
ten Auskunfts- und Kurzwahlsprachdiensten sowie bei sprachgestützten
Neuartigen Diensten auf einen Euro/min beziehungsweise pro Inan-
spruchnahme,

– ein Absenken der Auslöseschwelle für die Preisanzeige bei Kurzwahl-
Datendiensten und nicht sprachgestützten Neuartigen Diensten auf einen

Euro pro Inanspruchnahme,

Drucksache 16/3661 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
– Einführung einer einheitlichen netzunabhängigen Preisobergrenze für
zeitabhängig abgerechnete Premium-Dienste von zwei Euro/min,

– ein Verbot des Angebots entgeltlicher telekommunikationsgestützter
Dienste über kostenfreie (0)800er-Rufnummern,

– eine eindeutige und faire Beweislastregelung im Fall von Kundeneinwen-
dungen gegen Entgeltforderungen für Leistungen, die über die Verbin-
dungsdienstleistung hinausgehen,

– eine wirksame Sanktionierung unlauterer Telefonwerbung;

4. das Telekommunikationsnetz in öffentliches Eigentum zu übertragen, insbe-
sondere die Teile, bei denen durch einen Anbieter de facto ein natürliches
Monopol besteht, und öffentliche Organe zur Kontrolle der Netze zu schaf-
fen, die sich am Gemeinwohl orientieren und eine aktive Mitbestimmung der
Produzenten und Verbraucher ermöglichen.

Berlin, den 28. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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