BT-Drucksache 16/3526

Humanitäre Katastrophe in Darfur

Vom 22. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3526
16. Wahlperiode 22. 11. 2006

Große Anfrage
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck
(Bremen), Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Rainder
Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Humanitäre Katastrophe in Darfur

Die Lage in der westsudanesischen Provinz Darfur ist dramatisch: seit Beginn
der Kämpfe im Februar 2003 starben ca. 300 000 Menschen, mehr als 2 Millio-
nen wurden vertrieben, Massenvergewaltigungen sind an der Tagesordnung und
ganze Familien und Dörfer werden dahingemetzelt. Seit Juli 2006 wurden auch
etliche Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen bei Überfällen ermordet
und große Gebiete sind inzwischen unzugänglich für die dringend benötigte
humanitäre Hilfe, einige Hilfsorganisationen wurden auch des Landes verwie-
sen. Nach UNO-Angaben handelt es sich um die gegenwärtig schwerste huma-
nitäre Krise weltweit.

Seit der Unterzeichnung des Darfur Friedensabkommens (DPA) in Abuja am
5. Mai 2006 hat sich entgegen anfänglichen Hoffnungen die Lage in Darfur
erheblich verschlimmert. Ganze Regionen sind von der Versorgung abgeschnit-
ten, neue Kämpfe ausgebrochen. Erstmalig kam es zu massiven Kämpfen
zwischen Rebellengruppen untereinander, schließlich zu einer andauernden
sudanesischen Militäroffensive vor allem gegen die aus DPA-Nichtunterzeich-
nern gegründete Rebellenfront NRF. Dabei bombardiert die sudanesische
Armee auch zivile Ziele aus der Luft, regierungstreue Djanjaweed-Milizen über-
fallen immer wieder Dörfer und Zivilisten außerhalb der Flüchtlingslager und
richten dabei grausame Massaker an. Die Kämpfe haben sich auch auf die Nach-
barländer Tschad und die Zentralafrikanische Republik ausgeweitet und desta-
bilisieren die gesamte Region. Insbesondere ist auch das Nord-Süd-Friedens-
abkommen (CPA), das den Nord-Süd-Bürgerkrieg im Sudan beendet hat und
von der UNO-Friedensmission UNMIS – mit deutscher Beteiligung – über-
wacht wird, akut in Gefahr.

Die Friedensmission AMIS der Afrikanischen Union (AU) ist mit 7 000 Soldaten
in Darfur stationiert, kann aber wegen unzureichenden Mandats, zu geringer
Größe, chronischer Unterfinanzierung und mangelnder Erfahrung den Schutz
von Zivilisten nicht gewährleisten. Am 31. August 2006 beschloss der VN-
Sicherheitsrat daher mit Resolution 1706, den Auftrag von UNMIS auf Darfur
auszuweiten und unter Artikel VII der UNO-Charta zu stellen. Bei Zustimmung

der Regierung des Sudans sollen 20 000 VN-Soldaten und -Polizisten mit einem
robusten Mandat in Darfur stationiert werden. In der Abstimmung über die
UNO-Resolution 1706 haben China und Russland sich enthalten. Die sudane-
sische Regierungspartei NCP, die die Regierung der Nationalen Einheit im
Sudan faktisch dominiert lehnt im Gegensatz zur ebenfalls an der Regierung be-
teiligten südsudanesischen SPLM eine UNO-Friedensmission in Darfur katego-
risch ab. Die chinesische Führung hat zuletzt ihre Unterstützung der Regierung

Drucksache 16/3526 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

in Karthoum auf dem China-Afrika-Gipfel in Peking im Oktober 2006 bekräf-
tigt. Sowohl China als auch Russland verfolgen im Sudan eigene Öl-Interessen.

Auf dem internationalen Krisengipfel in Addis Abeba mit VN-Generalsekretär
Kofi Annan erklärten Vertreter der sudanesischen Regierung am 16. November
2006 ihre Bereitschaft, AMIS durch UNO-Unterstützung zu verstärken. Jedoch
bleibt die sudanesische Regierungspartei NCP bei ihrer strikten Ablehnung
eines UNO-Kommandos und es bleibt unklar, inwieweit sie lediglich techni-
scher und logistischer Unterstützung durch die UNO oder auch der Stationie-
rung eines UNO-Kontingents unter AU-Kommando zustimmen wird.

Die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, sagte am 6. September 2006 vor dem
Deutschen Bundestag: „Wir haben uns für ein Engagement im Kongo entschie-
den und wir leisten beispielsweise in Darfur Logistikhilfe. Ich sehe aber im Au-
genblick keine Möglichkeit, dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein
zusätzliches Engagement in Darfur übernehmen.“ SPD-Fraktionsvorsitzender
Dr. Peter Struck sagte dagegen am 16. November 2006 im Deutschlandfunk, die
Bundesregierung müsse eine Darfur betreffende UNO-Anfrage ernsthaft prüfen
und ergänzte, dass dies ein „brisantes Mandat“ wäre, dass „auch mit Kampfein-
sätzen der Soldaten verbunden sein könnte“.

Wir fragen die Bundesregierung:

I.

1. Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung bezüglich der
humanitären Situation in Darfur?

2. Welche internationalen und nationalen Hilfsorganisationen sind derzeit
noch in Darfur tätig?

3. Welche Gebiete in Darfur sind derzeit für Hilfsorganisationen nicht zugäng-
lich?

4. Wie ist die Nahrungsmittelversorgung in Darfur, wie viele Menschen in
Darfur können derzeit mit Nahrungsmitteln von Hilfsorganisationen ver-
sorgt werden, wie viele werden nicht erreicht?

5. Mit welchen Maßnahmen und in welcher Höhe ist Deutschland an der
humanitären Hilfe für Darfur beteiligt?

II.

6. Welche politischen Initiativen ergreift die Bundesregierung, um die huma-
nitäre Katastrophe in Darfur abzuwenden?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Planungsstand einer
neuen Friedenskonferenz der sudanesischen Regierung und der Darfur-
Rebellengruppen in Asmara/Eritrea?

Wer soll an den Gesprächen teilnehmen und welche Rolle hat die interna-
tionale Gemeinschaft?

8. Welche Rolle misst die Bundesregierung dem so genannten Darfur-Darfur-
Dialog bei und unterstützt sie dessen Umsetzung?

9. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Regie-
rung in Karthoum zu einer Zustimmung zur UNO-Resolution 1706 zu
bewegen?

10. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um China und
Russland zu bewegen, ihren Einfluss auf Karthoum im Sinne einer Zustim-
mung zur UNO-Resolution 1706 auszuüben?
11. Wie und in welchem Umfang unterstützen die UNO die Mission AMIS
schon jetzt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3526

12. Wie bewertet die Bundesregierung die am 16. November 2006 in Addis
Abeba bekundete Bereitschaft Khartoums, AMIS durch UNO-Beteiligung
zu stärken?

Wird dadurch ein schneller und effektiver Schutz der Zivilbevölkerung in
Darfur zu gewährleisten sein?

Wie schnell ist eine solche effektive Aufstockung von AMIS unter UNO-
Beteiligung zu erwarten?

13. Wie werden die Kosten für die geplante AMIS-UNO-Mission international
aufgeteilt?

Welchen Beitrag wird die EU übernehmen?

Ist die Bundesregierung bereit, AU und UNO zusätzliche Unterstützung für
ihre Mission in Dafur zukommen zulassen?

Wenn ja, in welcher Form und Höhe?

Wenn nein, wieso?

14. Ist die Bundesregierung vor dem Hintergrund der deutlich voneinander
abweichenden Äußerungen der Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und des
SPD-Fraktionsvorsitzenden, Dr. Peter Struck, hinsichtlich einer möglichen
Bundeswehrbeteiligung an einer internationalen Friedensmission in Darfur,
prinzipiell bereit, auch einen militärischen Beitrag in Darfur zu leisten?

Wenn ja, in welcher Form?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Pläne, UNO-Friedens-
missionen in die Länder Tschad und Zentralafrikanische Republik zu ent-
senden, um von dort eine Stabilisierung der Region zu erreichen?

16. Beurteilt die Bundesregierung die Vorgänge in Darfur als einen Völker-
mord?

Falls nein, wie beurteilt die Bundesregierung die Vorgänge?

Falls ja, welche völkerrechtlichen Verpflichtungen ergeben sich daraus für
die internationale Gemeinschaft?

17. Welche Verpflichtungen hat die internationale Gemeinschaft in Bezug auf
Darfur nach Meinung der Bundesregierung angesichts der Übernahme einer
„responsibility to protect“ auf dem UNO-Gipfel 2005?

18. Welche Initiativen gedenkt die Bundesregierung während ihrer EU-Ratsprä-
sidentschaft im Rahmen der EU und der UNO zu ergreifen, wenn die suda-
nesische Führung in absehbarer Zeit doch keine effektive Unterstützung von
AMIS durch die UNO zulässt und die Kämpfe und das Sterben in Darfur un-
vermindert weitergehen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung die Verhängung gezielter Sanktionen ge-
genüber Regierungsmitgliedern in Karthoum, um eine Zustimmung zur
UNO-Resolution 1706 zu erreichen?

Wenn es im UNO-Rahmen nicht zur Verhängung von Sanktionen kommt,
wird die Bundesregierung Initiativen zur Verhängung einseitiger EU-Sank-
tionen ergreifen?

Gab es bereits Initiativen der Bundesregierung hierzu?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung außerdem die Einrichtung einer Flugver-
botszone über Darfur?

Berlin, 22. November 2006
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.