BT-Drucksache 16/3274

Verdeckte Armut im Rechtsbereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Vom 7. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3274
16. Wahlperiode 07. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Kornelia Möller, Elke Reinke, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Verdeckte Armut im Rechtsbereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Im Oktober 2006 veröffentlichte die Sozialwissenschaftlerin Irene Becker die
Ergebnisse einer Studie zur verdeckten Armut (Irene Becker: Armut in Deutsch-
land: Bevölkerungsgruppen unterhalb der ALG-II-Grenze, Arbeitspapier des
Projekts „Soziale Gerechtigkeit“ Nr. 3, Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt a. M., gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung). In dieser Studie
wird eine hohe Anzahl von verdeckt Armen festgestellt, also von Menschen, die
unterhalb des politisch festgelegten und als Rechtsanspruch garantierten Exis-
tenzminimums leben und ihren Anspruch auf staatliche Unterstützung nicht gel-
tend machen.

Die Studie kommt zu folgenden konkreten Ergebnissen:

Statt der ca. 10 Millionen potenziell Berechtigten auf Leistungen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen im Juli 2005 nur ca. 6,8 Mil-
lionen und im Mai 2006 nur ca. 7,4 Millionen Berechtigte die ihnen zustehenden
Leistungen.

Bei den Bedarfsgemeinschaften (BG) bezogen statt ca. 5 Millionen anspruchs-
berechtigter Bedarfsgemeinschaften im Juli 2005 nur ca. 3,8 Millionen Bedarfs-
gemeinschaften und im Mai 2006 nur ca. 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften
die ihnen zustehenden Leistungen nach dem SGB II.

Bezüglich bestimmter Personengruppen wird festgestellt:

„Das Problem der verdeckten Armut betrifft insbesondere Erwerbstätige; die
Zahl der Bedürftigen (etwa 2,8 Millionen) beläuft sich hier auf etwa das Drei-
fache der Zahl der so genannten Aufstocker (0,9 Millionen).“ „Bei Alleinerzie-
henden ergibt sich dagegen eine gegenüber denjenigen mit faktischem ALG-II-
Bezug etwa doppelt so hohe Zahl der bedürftigen BGs.“ (Irene Becker ebenda,
S. 36 ff.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Studie von Irene

Becker zur verdeckten Armut im Rechtsbereich des SGB II?

2. Sind der Bundesregierung weitere Studien zur verdeckten Armut im Rechts-
bereich des SGB II bekannt?

Welche Ergebnisse zeigen diese?

Drucksache 16/3274 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
3. Welche empirischen Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über die
Entwicklung verdeckter Armut beim Übergang vom alten System (Arbeits-
losenhilfe und Sozialhilfe) zum neuen System (Grundsicherung für Arbeit-
suchende)?

4. Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung angesichts der nach wie
vor hohen Anzahl der in verdeckter Armut lebenden Menschen im Rechts-
bereich des SGB II zu ziehen?

5. Wie hoch sind nach Ansicht der Bundesregierung die finanziellen Aufwen-
dungen einzuschätzen, die zur Realisierung des Rechtsanspruchs auf die
Leistungen nach dem SGB II für alle Bedürftigen in diesem Rechtsbereich
nötig wären (finanzielle Leistungen für die Bedürftigen und Leistungen für
die Information und Aufklärung der Betroffenen über ihre Rechtsansprüche
bitte gesondert aufführen)?

Berlin, den 6. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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