BT-Drucksache 16/3243

Verbindliche Unterrichtungspflichten im Rahmen der Operation Enduring Freedom und Evaluation und Kontrolle von Auslandseinsätzen

Vom 2. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3243
16. Wahlperiode 02. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin
Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbindliche Unterrichtungspflichten im Rahmen der Operation Enduring Freedom
und Evaluation und Kontrolle von Auslandseinsätzen

Vorbemerkung der Fragesteller:

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die halbjährliche, kontinuierliche
Unterrichtung über alle den Einsatz betreffenden Fragen war und ist eine parla-
mentarische Grundvoraussetzung für die Bewertung der Operation ENDURING
FREEDOM (OEF) und die Fortsetzung der deutschen Beteiligung. Die Bundes-
regierung hat nach Auffassung der Fragesteller in den vergangenen zwölf Mo-
naten ihre Informations- und Berichtspflichten gegenüber dem Deutschen Bun-
destag auch hinsichtlich der Operation ENDURING FREEDOM mehrfach und
grob verletzt. Die Ankündigung der Bundesregierung (Antrag der Bundesregie-
rung auf Bundestagsdrucksache 16/3150), „den Deutschen Bundestag entspre-
chend bisheriger Praxis regelmäßig über Einsätze auf der Grundlage dieses
Mandats zu unterrichten“, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig.

Auf Drängen der damaligen Regierungsfraktionen hat am 14. November 2001
der Bundesminister des Auswärtigen im Namen der Bundesregierung zu Proto-
koll gegeben (Bundestagsdrucksache 14/7447): „Die Bundesregierung sichert
dem Deutschen Bundestag und den beteiligten Ausschüssen kontinuierliche
Unterrichtung über alle den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rah-
men dieses Mandats betreffende Fragen zu. Spätestens nach der Hälfte des in
Ziffer 4 des Antrags der Bundesregierung genannten Zeitraums wird die Bun-
desregierung dem Deutschen Bundestag einen bilanzierenden Gesamtbericht
über den Einsatz der bewaffneten deutschen Streitkräfte vorlegen.“

Diese Protokollnotiz ist Bestandteil der Anträge zur Fortsetzung der Bundes-
wehrbeteiligung an OEF, so auch der Bundestagsdrucksache 16/26 (v. 3. Novem-
ber 2005) und der Bundestagsdrucksache 16/3150 (v. 25. Oktober 2006). Die
siebte und letzte Fortschreibung der „Gemeinsamen Unterrichtung durch das
Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung zum Stand der
Beteiligung deutscher bewaffneter Streitkräfte an der Operation ENDURING

FREEDOM“ stammt vom Oktober 2005 und umfasst den Zeitraum vom
16. April 2005 bis zum 15. Oktober 2005. Die Bundesregierung unter Führung
der Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, hat dem Deutschen Bundestag bis zum
heutigen Tage keine Unterrichtung mehr vorgelegt. Damit hat die Bundesregie-
rung nach Auffassung der Fragesteller eine zentrale Zusage gebrochen, die
Pflichten gegenüber dem Deutschen Bundestag grob verletzt und das Vertrauen
erschüttert.

Drucksache 16/3243 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Vor dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklung in Afghanistan haben Abge-
ordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Bundesregierung in den
vergangenen Monaten die Bundesregierung wiederholt darum gebeten, das Par-
lament gründlicher über Einzelheiten im Zusammenhang mit der Operation
ENDURING FREEDOM, den Einsatz des KSK und das militärische Vorgehen
anderer NATO-Staaten im Rahmen der ISAF-Mission zu unterrichten. Ein
Schreiben der zuständigen Fachpolitiker vom 5. September 2006 an die Bundes-
minister des Auswärtigen, der Verteidigung, des Innern sowie die Bundesminis-
terin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung blieb bis zum heuti-
gen Tage unbeantwortet (http://www.nachtwei.de/index.php/articles/news/395).

In § 6 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vom März 2005 hat der Gesetzgeber
die Bundesregierung verpflichtet, regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und
über die Entwicklung im Einsatzgebiet zu unterrichten. In der Begründung
(Bundestagsdrucksache 15/2742) zu § 6 fordert er die Bundesregierung auf:
„Sie soll darüber hinaus dem Deutschen Bundestag jährlich einen bilanzieren-
den Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz bewaffneter Streitkräfte und die
politische Entwicklung im Einsatzgebiet vorlegen. … Die Bundesregierung soll
nach Beendigung des Einsatzes einen Evaluierungsbericht erstellen, der sowohl
die militärischen als auch die politischen Aspekte des Einsatzes darstellt und be-
wertet.“

Die Regelungen im Parlamentsbeteiligungsgesetz erfolgten auf Vorschlag der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und in Anlehnung an die umfangreichen
schriftlichen Unterrichtungen des niederländischen Parlaments. Hierzu gehören
auch Zwischen- und Abschlussevaluierungen aller Einsätze. Neben Auswertun-
gen zum ISAF-Einsatz oder der niederländischen Beteiligung an der OEF-
Mission am Horn von Afrika unterrichtet die niederländische Regierung – im
Gegensatz zur Bundesregierung – das Parlament auch über den Einsatz der
Spezialkräfte. Das „Angebot“ der niederländischen Regierung, das Parlament
im kleinen Kreis und nur vertraulich zu unterrichten, wurde vom Parlament ab-
gelehnt. In der Vorbemerkung zum Evaluationsbericht zum Einsatz nieder-
ländischer Special Operation Forces im Rahmen von OEF (April 2005 bis April
2006) heißt es, dass man angesichts des Wunsches des Parlaments, die Ver-
traulichkeit auf ein Minimum zu beschränken, eine öffentliche Evaluation ge-
wählt habe. Damit liefern die Niederlande ein Beispiel, wie parlamentarische
Kontrolle und Schutz der Mission ohne übertriebene Geheimhaltung vereinbart
werden können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wer wacht in der Bundesregierung darüber, dass die „Unterrichtung des
Parlaments“ sowie die Berichtspflichten aus den Protokollnotizen und dem
Parlamentsbeteiligungsgesetz eingehalten sowie zeit- und fachgerecht vor-
gelegt werden?

2. Wer ist innerhalb der Bundesregierung federführend für die Erstellung des
bilanzierenden Gesamtberichts zu OEF verantwortlich?

3. Warum hat die Bundesregierung unter Führung der Bundeskanzlerin,
Dr. Angela Merkel, die Unterrichtungspflichten und -zusagen nicht erfüllt
und dem Deutschen Bundestag weder im April noch im Oktober den gefor-
derten bilanzierenden Gesamtbericht zu OEF vorgelegt?

4. Handelt es sich bei der Nichtvorlage des bilanzierenden Gesamtberichts zu
OEF um einen bürokratischen Kontrollverlust, und wenn ja, wie ist dieser
Kontrollverlust angesichts mehrfacher Nachfragen aus dem parlamenta-
rischen Raum zu erklären?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3243

5. Welche bilanzierenden Gesamtberichte hat die Regierung seit ihrem Amts-
antritt dem Deutschen Bundestag vorgelegt, und wann kommt die Bundes-
regierung der Aufforderung des Gesetzgebers nach, „dem Deutschen Bun-
destag jährlich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen
Einsatz bewaffneter Streitkräfte und die politische Entwicklung im Einsatz-
gebiet“ vorzulegen?

6. Gibt es weitere Zusagen aus den einsatzrelevanten Protokollnotizen, die die
Bundesregierung nicht eingehalten hat, und wenn ja, welche?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Nichteinhaltung der
Unterrichtungspflichten geeignet ist, das Vertrauen des Deutschen Bundes-
tages und der Öffentlichkeit gegenüber den Zusagen der Bundesregierung
zu untergraben, und wenn nein, warum nicht?

8. Was ist vor dem Hintergrund der in den obengenannten Bereichen defizitä-
ren Unterrichtung über Auslandseinsätze im Allgemeinen und dem OEF-
Einsatz im Besonderen darunter zu verstehen, wenn die Bundesregierung in
ihrem Antrag (Bundestagsdrucksache 16/3150) ankündigt, „den Deutschen
Bundestag entsprechend bisheriger Praxis regelmäßig über Einsätze auf der
Grundlage dieses Mandats zu unterrichten“?

9. Wird die Bundesregierung im Fall der EUFOR-Mission in der DR Congo
dem Wunsch des Gesetzgebers folgen und „nach Beendigung des Einsatzes
einen Evaluierungsbericht erstellen, der sowohl die militärischen als auch
die politischen Aspekte des Einsatzes darstellt und bewertet“?

10. Ist der Bundesregierung die niederländische Praxis der Parlamentsunter-
richtung zu Auslandseinsätzen bekannt, und ist die Bundesregierung bereit,
im Sinne einer Best Practice, dem niederländischen Beispiel zu folgen?

11. Ist die Bundesregierung bereit, dem niederländischen Beispiel folgend, dem
Deutschen Bundestag einen schriftlichen Evaluationsbericht über den bis-
herigen Einsatz des Kommandos Spezialkräfte im Rahmen der Operation
ENDURING FREEDOM in Afghanistan vorzulegen und damit vielen Ge-
rüchten und Spekulationen über die Aktivitäten des KSK entgegenzutreten?

Wenn nein, warum nicht?

12. Welche anderen Bündnispartner in NATO und EU unterrichten nach Kennt-
nis der Bundesregierung deren Parlamente hinsichtlich von Auslandsein-
sätzen umfassender und besser als die Niederlande oder Deutschland, und
ist die Bundesregierung bereit, sofern eine zufriedenstellende Antwort auf
diese Frage in der für die Beantwortung der Anfrage vorgesehenen Frist
nicht möglich ist, die Antwort schnellstmöglich nachzureichen?

Berlin, den 2. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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