BT-Drucksache 16/3001

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen - Wirksamkeit sichern und Glaubwürdigkeit schaffen

Vom 18. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3001
16. Wahlperiode 18. 10. 2006

Antrag
der Abgeordneten Holger Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bismarck,
Michael Brand, Hartwig Fischer (Göttingen), Ute Granold, Hermann Gröhe,
Hubert Hüppe, Alois Karl, Hartmut Koschyk, Eduard Lintner, Dr. Norbert Röttgen,
Arnold Vaatz, Peter Weiß (Emmendingen), Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels
Annen, Klaus Brandner, Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Johannes
Jung (Karlsruhe), Ernst Kranz, Ute Kumpf, Christel Riemann-Hanewinckel, Sönke
Rix, Olaf Scholz, Rolf Stöckel, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen – Wirksamkeit sichern und
Glaubwürdigkeit schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem 19. Juni 2006 tagt in Genf der neue Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen. Wenn auch bisher erst zwei Sitzungsperioden stattgefunden haben
und es deshalb für eine endgültige Beurteilung noch zu früh ist, lassen sich
bereits jetzt erste Erwartungen an die Arbeitsweise des Gremiums formulieren,
um ein wirksames und glaubwürdiges Eintreten für die Menschenrechte zu
gewährleisten.

Nach den ersten Sitzungswochen des Menschenrechtsrates in diesem Jahr sind
sowohl positive wie auch negative Entwicklungen zu beobachten. Zu den Fort-
schritten des Rates gegenüber der alten Menschenrechtskommission kann
sicherlich gerechnet werden, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bei
dem interaktiven Dialog mit den Sonderberichterstattern stärker als bisher zu
Wort kommen können; allerdings schafft die höhere Tagungshäufigkeit für
NGOs aus ärmeren Ländern neue Probleme der Finanzierung eines Aufenthalts
in Genf.

Gut ist auch, dass die längeren und häufigeren Tagungsperioden die an der
Menschenrechtskommission kritisierte Schwerfälligkeit wenigstens teilweise
überwinden können; die Debatte über den Nahostkonflikt hat zudem gezeigt,
dass auch aktuelle Menschenrechtsverletzungen schnell aufgegriffen werden

können. Ebenso könnte der interaktive Dialog eine Möglichkeit bieten, die Be-
richte der Sonderberichterstatter im Plenum konstruktiv und lösungsorientiert
zu diskutieren. Schließlich ist auch erfreulich, dass der Rat nicht nur Verfah-
rensfragen diskutiert, sondern mit dem sehr eingehenden und auch von kritisch
bewerteten Staaten oft sachlich und konstruktiv geführten interaktiven Dialog
auch inhaltlich wichtige Akzente gesetzt hat.

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Andere Entwicklungen indes geben Anlass zur Sorge: So drängen einige Staa-
ten bzw. Staatengruppen darauf, die sogenannten Länderberichterstatter und
Länderresolutionen weitestgehend abzuschaffen und auch die thematischen
Sonderberichterstatter in ihrer Unabhängigkeit stark einzuschränken. Auch
zeichnet sich die Gefahr ab, andere nützliche Instrumente der früheren Kom-
mission für Menschenrechte nicht für die Arbeit des neuen Menschenrechts-
rates nutzbar zu machen.

In diesem Zusammenhang zeigt sich schon jetzt, dass die bereits in der Men-
schenrechtskommission zu beobachtende Blockbildung im neuen Rat verstärkt
zu Tage tritt. Sollte sich diese Entwicklung zur Blockbildung fortsetzen, würde
die Mehrheit der Staaten des Südens (G77, Non-Aligned Movement, Organi-
zation of the Islamic Conference) die Handlungsfähigkeit der Minderheit in
unerträglicher Weise einschränken: Selektivität, Schwächung der bisher in
Menschenrechtsfragen angelegten hohen Standards und damit ein Verlust von
Glaubwürdigkeit könnten die schädlichen Folgen sein.

Ungeklärt sind bislang noch mehrere zentrale Verfahrensfragen, die nicht nur
technisch, sondern auch inhaltlich von weitreichender Bedeutung sind. So ist
etwa unklar, wie Länder- bzw. thematische Resolutionen am Ende einer Sit-
zungsperiode verabschiedet werden sollen: in Form von einzelnen Resolutio-
nen oder als gemeinschaftliches Schlussdokument, wie vielfach gewünscht. Ein
gemeinsames Schlussdokument könnte sich positiv im Sinne einer kohärenten
Behandlung von Themen auswirken, könnte aber auch dazu führen, Probleme
nur auf der Ebene des kleinsten gemeinsamen Nenners anzusprechen und
außerdem einem fragwürdigen politischen Tauschhandel und der Vermischung
von unabhängig voneinander existierenden Problemfeldern Vorschub leisten.
Auch fehlt dem Menschenrechtsrat zurzeit noch ein alle Sitzungen eines Jahres
in einen sinnvollen Zusammenhang setzendes Arbeitsprogramm bzw. eine
entsprechende Tagesordnung. Nur durch eine gewisse Strukturierung und
Schwerpunktsetzung der verschiedenen Sitzungsperioden eines Jahres ist aber
eine gute inhaltliche Vorbereitung aller Teilnehmer, insbesondere auch der
NGOs, möglich.

Derzeit ebenfalls noch völlig offen ist die Ausgestaltung des neuen, besonders
wichtigen Instruments des sog. Universal Periodic Review (UPR), also der
periodischen Überprüfung der Menschenrechtssituation in den Mitgliedstaaten
der UN und insbesondere der Mitglieder des Menschenrechtsrates. Bei dieser
Frage gehen die Meinungen der Ratsmitglieder weit auseinander. Im Zusam-
menhang mit dem UPR ist u. a. offen, wie viele Länder in welcher Reihenfolge
im Rahmen des neuen Überprüfungsmechanismus geprüft werden sollen, ob es,
etwa zu einzelnen Aspekten der Menschenrechtssituation in einem Land,
außerhalb des regulären Rhythmus spezielle Berichte geben soll und ob, bei
bereits überprüften Staaten, Ergänzungsberichte ausreichen sollen. Wenn alle
Mitgliedstaaten der UN einmal im 5-Jahres-Turnus an die Reihe kommen, müs-
sen jährlich etwa 40 Länder überprüft werden.

Unklar beim UPR ist weiterhin, welche Informationen und Dokumente zur
Beurteilung der Situation verwendet und beigezogen werden können. Dabei
scheinen schon jetzt die Meinungen stark auseinander zu gehen: So vertreten
vor allem Staaten, deren Menschenrechtsbilanz durchaus kritisch zu bewerten
ist, die Auffassung, beim UPR als einem „Peer Review“ könnten nur offizielle
Dokumente der jeweiligen Regierung oder der von dieser autorisierten Stellen
Verwendung finden, nicht jedoch Unterlagen von dritter Seite, insbesondere
von den Vereinten Nationen, von NGOs oder von Oppositionsgruppen.

Schließlich ist auch streitig, ob die Benennung der Berichterstatter für die
jeweiligen Länder unmittelbar vom Menschenrechtsrat selbst, von dessen Prä-

sidium oder aus einem vorher zu erstellenden „Pool unabhängiger Experten“

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erfolgen soll, wobei auch Fragen der Unabhängigkeit, der Qualifikation und der
Rechtsstellung der Experten noch zu klären sind.

Von besonderer Bedeutung für eine Ausgestaltung des Rates zu einem wirk-
samen Gremium des Menschenrechtsschutzes ist auch, wie die Aufgabe des
„Review of Mechanisms“ gelöst wird. In diesem Verfahren, dessen Bedingun-
gen noch festgelegt werden müssen, soll vor allem das von der Menschen-
rechtskommission über Jahrzehnte entwickelte System der thematischen und
Länder-Sonderberichterstatter überprüft und nach Möglichkeit verbessert und
gestrafft werden. Zahlreiche Staaten haben bereits klar zum Ausdruck gebracht,
dass sie dabei die Länderberichterstatter nahezu vollständig abschaffen und
auch die Unabhängigkeit der thematischen Sonderberichterstatter erheblich ein-
schränken wollen.

Bekanntlich bemühen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union um ein
hohes Niveau bei der Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte.
Durch die Verkleinerung der Mitgliederzahl (53 in der Kommission, 47 im Rat)
ist der Einfluss der westlichen Ländergruppe schon zahlenmäßig zurückgegan-
gen. Somit müssen neue Wege gefunden werden, um die weltweite Anerken-
nung und Durchsetzung der Menschenrechte durch den Menschenrechtsrat
sichern zu können. Darum wird sich gerade auch die Bundesrepublik Deutsch-
land bemühen müssen, die 2007 sowohl die Ratspräsidentschaft in der EU als
auch den Vorsitz der G8 innehat.

II. Der Deutsche Bundestag

● bekräftigt seine in dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein-
gebrachten Antrag auf Bundestagsdrucksache 16/1891 zum Ausdruck ge-
brachte Überzeugung, dass der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Natio-
nen zentrale Bedeutung für den Menschenrechtsschutz auf internationaler
Ebene hat und dass daher alle Anstrengungen unternommen werden müssen,
um diesem Gremium zum Erfolg zu verhelfen;

● macht deutlich, dass hierfür Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit unabdingbar
sind und dass deshalb nicht Selektivität oder sinkende Maßstäbe für die An-
erkennung und Durchsetzung der universellen Menschenrechte das Handeln
des Rates bestimmen dürfen;

● zeigt sich erfreut darüber, dass NGOs sich an den ersten Beratungen des
Rates beteiligen konnten und fordert die Bundesregierung auf, zusammen
mit anderen Mitgliedern des Menschenrechtsrates geeignete Wege zu fin-
den, um auch Menschenrechtsorganisationen aus armen Ländern die Teil-
nahme an den Sitzungen des Rates in Genf zu ermöglichen;

● stellt fest, dass das Instrument des interaktiven Dialogs im Rat umfassend zur
Diskussion wichtiger inhaltlicher Fragestellungen genutzt werden konnte;

● bringt seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die sogenannten Länderreso-
lutionen, welche sich mit der menschenrechtlichen Situation in bestimmten
Ländern beschäftigen, ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit des Rates
bleiben müssen;

● betont, dass die Überprüfung der Mandate der Sonderberichterstatter zwar
zur Vermeidung von Redundanzen, nicht aber zur Einschränkung der Man-
date und damit der Handlungsfähigkeit der Berichterstatter führen darf;

● zeigt sich darüber besorgt, dass durch eine sich verstärkende Abgrenzung
von Ländergruppen (Blockbildung) die Möglichkeit einer universellen und
nicht selektiven Behandlung von Themenfeldern eingeschränkt wird, und
unterstützt die Bundesregierung in ihrem Bemühen, dieser Blockbildung

durch Unterstreichung der Menschenrechte als Maßstab für Entscheidungen
entgegenzuwirken;

Drucksache 16/3001 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● begrüßt den UPR als wichtiges Mittel zu Beurteilung der Menschenrechts-
situation in allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und unterstützt die
Bundesregierung in ihrem Bemühen, diesen Überprüfungsmechanismus als
effizientes Instrument zur Durchsetzung der Menschenrechte so flexibel
auszugestalten, dass nicht allein eine regelmäßige Überprüfung aller Mit-
gliedstaaten der UN, beginnend mit den Mitgliedern des Menschenrechts-
rates möglich wird, sondern dass darüber hinaus auch Ergänzungsberichte
und Anlass bezogene besondere Berichte eingesetzt werden können;

● gibt seiner Erwartung Ausdruck, dass für die Erstellung dieses Berichts eine
möglichst breite Informationsbasis von Regierungsdokumenten, Informatio-
nen der NGOs, der Oppositionsgruppen sowie anderer internationaler Orga-
nisationen genutzt wird und dass zur Sicherung der Qualität der Berichte
unabhängige Experten als Länderberichterstatter beigezogen werden;

● erwartet insbesondere von der Bundesregierung und den Ländern der Euro-
päischen Union, dass die unverzichtbar wichtige Arbeit der UN-Hochkom-
missarin für Menschenrechte gestärkt und unterstützt wird;

● dankt der Bundesregierung für die Bereitschaft, die Arbeit der Hochkom-
missarin finanziell angemessen zu unterstützen, und bittet die Bundesregie-
rung, darauf hinzuwirken, dass sich andere Länder ebenfalls entsprechend
engagieren;

● begrüßt die konstruktive Haltung der Bundesregierung während der ersten
Sitzungsperioden des Menschenrechtsrates;

● ersucht die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass die USA ihre Beob-
achterrolle im Menschenrechtsrat aufgeben und sich bei den nächsten Wah-
len zum Menschenrechtsrat für eine Kandidatur zur Verfügung stellen;

● fordert die Bundesregierung auf, während der EU-Ratspräsidentschaft
Deutschlands den Erfolg des Menschenrechtsrates zu einem Schwerpunkt
ihrer Arbeit zu machen;

● fordert die Bundesregierung auf, das Problem der Blockbildung im Men-
schenrechtsrat in bilateralen und multilateralen Gesprächen zum Thema zu
machen und damit einer Überwindung näher zu bringen;

● fordert die Bundesregierung auf, während des G8-Vorsitzes Deutschlands im
kommenden Jahr alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Anerkennung
und Durchsetzung der Menschenrechte weltweit zum Thema zu machen.

Berlin, den 18. Oktober 2006

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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