BT-Drucksache 16/2977

Für eine verbraucherfreundliche und Qualität sichernde EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste

Vom 18. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2977
16. Wahlperiode 18. 10. 2006

Antrag
der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Uschi Eid, Ekin Deligöz, Kai Boris Gehring,
Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk,
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine verbraucherfreundliche und Qualität sichernde EU-Richtlinie
für audiovisuelle Mediendienste

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Kommission hat am 20. Dezember 2005 einen Vorschlag zur
Änderung der EG-Richtlinie 89/552/EWG des Europäischen Parlaments und
des Rates vorgelegt (KOM (2005) 646 endg.).

Die so genannte Fernsehrichtlinie bildet seit 1989 den Rechtsrahmen für den
freien Dienstleistungsverkehr von Fernsehdiensten in der Europäischen Union.
Die geltende Fernsehrichtlinie basiert jedoch auf den Gegebenheiten der acht-
ziger Jahre. Seitdem haben sich die Rahmenbedingungen infolge technischer
Entwicklungen wesentlich verändert und die neuen Technologien konkurrieren
mit konventionellen Fernsehdiensten.

Die Novellierung der Richtlinie zielt darauf ab, der Digitalisierung und Konver-
genz der Medien gerecht zu werden. Das Zusammenwachsen von Kommunika-
tionsnetzen, Inhalten, Diensten und Geräten bringt einen Wettbewerb zwischen
Anbietern unterschiedlicher Übertragungswege bei gleichen Inhalten mit sich.

Durch die Neufassung sollen Diensteanbieter im Binnenmarkt der Europäischen
Union einheitlichen Regelungen unterliegen. Wettbewerbsverzerrungen zwi-
schen klassischen Fernsehdiensten und anderen audiovisuellen Mediendiensten
sollen verhindert werden. Die Novellierung sieht die Zusammenführung der
Rahmenbedingungen für audiovisuelle Mediendienste vor, was in dem neuen
Namen „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ deutlich wird. Darüber
hinaus strebt die EU-Kommission insbesondere die Lockerung der Werbezeit-
regelungen im Fernsehen sowie die Legalisierung von Produktplatzierung an.

Das Europäische Parlament wird sich voraussichtlich Mitte Dezember 2006 in
erster Lesung mit dem Richtlinienentwurf befassen. Das Gesetzgebungsverfah-
ren wird voraussichtlich Mitte 2007 auf europäischer Ebene abgeschlossen sein.
Auch der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass die digitale Konvergenz
der Medien einheitliche Regelungen für die audiovisuellen Mediendienste in der
Informationsgesellschaft notwendig macht. Eine Reform der geltenden Fernseh-
richtlinie ist daher sinnvoll. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass
bestehende Standards in Bezug auf die Unabhängigkeit von Redaktionen und
Produktionen nicht herabgesetzt werden. So darf eine Reform der Richtlinie
nicht einhergehen mit einer Liberalisierung von Schleichwerbung.

Drucksache 16/2977 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich insbesondere
im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft bei den weiteren Beratungen dafür
einzusetzen, dass folgende Ziele berücksichtigt werden:

1. Keine Liberalisierung bei der Produktplatzierung und Schleichwerbung

Der Deutsche Bundestag spricht sich klar für die Beibehaltung des Tren-
nungsgebotes zwischen Werbung und Programminhalten aus. Dieses darf
nicht durch ein schlichtes Erkennbarkeitsgebot ersetzt oder aufgeweicht
werden. Produktplatzierung ist Werbung – und solange der Zuschauer suchen
muss, wo sich diese befindet, handelt es sich um Schleichwerbung. Auch
fiktionale Formate wie Serien und Spielfilme sind meinungsbildend. Das
Verbot der Produktplatzierung muss deshalb nicht nur in Nachrichten- und
Kindersendungen, sondern im gesamten Programm aufrechterhalten werden.
Die bereits praktizierte Produktplatzierung von Fernsehveranstaltern, die
nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallen, darf hier keinesfalls als Maßstab
mit der Begründung der Wettbewerbsverzerrung herangezogen werden.
Produktionsbeihilfen, wie sie derzeit im Europäischen Parlament diskutiert
werden, sind ebenfalls abzulehnen. Bislang existiert keine klare Definition
des Begriffs. Dies kann dazu führen, dass auch Produktionsbeihilfen wie
Produktplatzierungen den Programminhalt sowie die redaktionelle Unabhän-
gigkeit beeinflussen. Produktionen liefen Gefahr, in Zukunft noch stärker
von der Bereitstellung teurer Requisiten abhängig zu sein. Für Zuschauerin-
nen und Zuschauer ist im Zweifel Produktplatzierung wie Produktions-
beihilfe nicht zu erkennende Werbung. Die Bundesregierung muss sich dieser
Folgen bewusst sein und weiterhin jeglicher Art der Produkt- und Themen-
platzierung aber auch der Produktionsbeihilfe entschieden eine Absage
erteilen.

2. Klare Definition von unabhängigen Produzenten

Der Deutsche Bundestag spricht sich für eine klare Definition des Begriffes
„unabhängiger Produzent“ im Rahmen der Richtlinie aus. Der Begriff „unab-
hängige Produzenten“ existiert zwar bereits in den Bestimmungen verschie-
denster Mitgliedsländer, wird aber zumeist sehr unterschiedlich und zum
Nachteil jener unabhängigen Produzenten definiert, die über Landesgrenzen
hinweg tätig sind. Es bedarf daher einer einheitlichen europäischen Defini-
tion dieses Begriffes unter Berücksichtigung eindeutiger Kriterien. Zu diesen
zählen:

● Freie Wahl der Produktionseinrichtungen und des internationalen Ver-
triebs durch den Produzenten

● (Crossmediale) Beteiligungen, Eigentumsverhältnisse und Aktienbesitz
des Produzenten

● Verfügbarkeit über Lizenzen und (Sekundär-)Rechte durch den Produzen-
ten.

3. Recht auf Kurzberichterstattung verbindlich einführen und Bedingungen
definieren

Die geltende EU-Fernsehrichtlinie kennt bislang kein europaweites Recht auf
Kurzberichterstattung. Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, das
Recht auf Kurzberichterstattung über Ereignisse, die von öffentlichem Inte-
resse sind, europaweit verbindlich festzuschreiben. Dazu müssen klare Be-
dingungen für die Ausübung dieses Rechts in die Richtlinie aufgenommen
werden.

4. Recht auf Gegendarstellung konsequent umsetzbar machen
Der Deutsche Bundestag spricht sich für eine Ausweitung des Rechts auf
Gegendarstellung auf nichtlineare audiovisuelle Mediendienste aus. Dabei

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2977

muss sichergestellt werden, dass die Gegendarstellung durch die Wahl des
Ortes und der Art und Weise dem gleichen Nutzerkreis zur Verfügung gestellt
wird, der auch die Fehlmeldung zur Kenntnis genommen hat.

5. Klare Definition des Begriffes audiovisuelle Mediendienste

Durch den EG-Vertrag unterliegen Dienstleistungen von allgemeinem wirt-
schaftlichen Interesse, d. h. Dienstleistungen, die marktbezogen sind, grund-
sätzlich den für den Binnenmarkt, den Wettbewerb und den staatlichen Bei-
hilfen geltenden Vorschriften. Dies betrifft auch die audiovisuellen
Mediendienste inklusive der öffentlich-rechtlichen Unternehmen. Um den
Anbietern audiovisueller Dienste, die nicht unter diese Definition fallen (wie
Internetblogs und -foren) mehr Rechtssicherheit zu ermöglichen, muss klar
benannt werden, auf wen die Richtlinie nicht zutrifft.

Berlin, den 18. Oktober 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Eine Erkennbarmachung von Produktplatzierung zu Beginn oder am Ende des
Programms ist intransparent und wenig nutzergerecht. Zuschauer müssen wis-
sen, wann sie mit platzierten Firmenangeboten umworben werden. Es reicht
nicht aus, im Vorspann der jeweiligen Sendung anzukündigen, dass Produkt-
platzierung enthalten ist und der Zuschauer dann rätseln darf, wo diese tatsäch-
lich stattfindet. Gerade erst ist am Beispiel des öffentlich-rechtlichen und
privaten Rundfunks in Deutschland deutlich geworden, wo überall Werbung
enthalten ist, ohne dass die Zuschauer dies erkennen konnten.

Durch erlaubte Schleichwerbung besteht die Gefahr für Sender und unab-
hängige Journalisten, käuflich zu werden – nämlich immer dann, wenn die
Erstellung eines Produkts von finanziellen Zuschüssen abhängt. Dies würde ei-
nen herben Qualitäts- und Vertrauensverlust bedeuten. Nicht vergessen werden
darf auch, dass audiovisuelle Mediendienste gegenüber Print und Radio durch
erlaubte Schleichwerbung einen enormen Vorteil im Wettbewerb um Werbe-
kunden hätten. Forderungen nach Gleichbehandlung würden nicht ausbleiben.
Dadurch befänden sich unabhängige Berichterstattung und die journalistische
Qualität insgesamt in Gefahr. Gerade weil heutzutage auch Unterhaltungs-
angebote und Ratgebersendungen zur Information oder Bildung beitragen, kann
das Trennungsgebot nicht auf Nachrichten oder Kinderprogramme beschränkt
bleiben. Hinzu kommt, dass eine Einflussnahme der Werbeträger auf den
Programminhalt in der Praxis nicht zu vermeiden wäre – insofern also der
Grundsatz, dass der Sponsor keinesfalls den redaktionellen Inhalt des von ihm
gesponserten Dienstes beeinflussen darf, nicht praxistauglich ist. Die mit Pro-
dukt- und Themenplatzierung einhergehenden Gefahren für die Programmauto-
nomie und die redaktionelle Unabhängigkeit können nicht ausgeschlossen wer-
den. Fraglich ist insbesondere auch, ob Mediendiensteanbieter durch eine Auf-
hebung des Verbots der Produkt- und Themenplatzierung tatsächlich besser
gestellt würden als bislang. Es ist davon auszugehen, dass sich das Werbebudget
lediglich den geplanten Regelungen entsprechend anders verteilt, aber nicht
größer wird. Selbst in den USA machen Platzierungen nur 1,7 Prozent des

Werbemarktes aus.

Drucksache 16/2977 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Zu Nummer 2

Durch eine klare Definition – verbunden mit Anreizen zur Förderung der
Produktion und des Vertriebs europäischer Koproduktionen – können kulturelle
Vielfalt und ökonomischer Wettbewerb gefördert werden. In einigen Mitglieds-
ländern wird sogar noch derjenige als „unabhängiger Produzent“ bezeichnet, der
nationale Beihilfen in Anspruch nehmen darf. Diese Fälle wollen wir aus-
schließen. Der Richtlinienvorschlag hält eine Programm- und Budgetquote zu
Gunsten unabhängiger Produzenten fest. Diese können allerdings nur umgesetzt
werden, wenn eine eindeutige Definition des Begriffes vorliegt.

Zu Nummer 3

Das in Deutschland bereits existente Recht auf Kurzberichterstattung hat sich
bewährt. Es ist sinnvoll, dieses Recht europaweit verbindlich festzuschreiben
und damit Sendeanstalten und deren Beauftragte (etwa Nachrichtenagenturen),
die keine Exklusivrechte innehaben, den Zugang zu Informationen über Ereig-
nisse von öffentlichem Interesse zu gewähren. Dadurch sollen der grenzüber-
schreitende Verkehr von Informationen und das Grundrecht auf Information
gestärkt werden. Um Unklarheiten in der Umsetzung zu vermeiden, muss in der
Richtlinie klar festgelegt werden, unter welchen Bedingungen dieses Recht
ausgeübt werden können soll. Dazu zählen u. a. eine Beschränkung des zeit-
lichen Umfangs, die Angabe der Quelle und eine Beschränkung auf Nachrich-
tensendungen. Die Mitgliedstaaten müssen sich darüber verständigen, zu
welchen Ereignissen Zugang zu gewähren ist.

Zu Nummer 4

Es ist sinnvoll, das Recht auf Gegendarstellung generell auf die audiovisuellen
Mediendienste auszuweiten. Im Bereich der linearen Mediendienste soll das
Recht auf Gegendarstellung innerhalb einer angemessenen, aber möglichst
kurzen Frist auf begründetes Verlangen hin wahrgenommen werden können.
Nichtlineare Medien sind hingegen aufgrund der technischen Voraussetzungen
in der Lage, Fehlinformationen unmittelbar zu korrigieren. Angemessenheits-
regelungen und Fristen sind daher hier nicht von Nöten.

Zu Nummer 5

Der Begriff audiovisuelle Mediendienste erfasst alle Dienste der audiovisuellen
Massenmedien, die auf redaktioneller Gestaltung beruhen. Der EG-Vertrag
regelt jedoch nur die Dienstleistungen, die auf wirtschaftlicher Tätigkeit beru-
hen. Die Beurteilung, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, rich-
tet sich vor allem danach, ob ein Entgelt geleistet wird. Für mehr Rechtssicher-
heit muss bereits in der Richtlinie klargestellt werden, dass Inhalte ohne wirt-
schaftliche Zielsetzung wie Blogs, Foren oder auch alle Formen privater Kom-
munikation wie E-Mails, Webseiten o. Ä. nicht in den Anwendungsbereich der
Richtlinie fallen.

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