BT-Drucksache 16/2148

Bewertung der Fahruntüchtigkeit bei Cannabiskonsum

Vom 29. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2148
16. Wahlperiode 29. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
Kerstin Andreae, Volker Beck (Köln), Anna Lührmann, Irmingard Schewe-Gerigk,
Dr. Gerhard Schick, Silke Stokar von Neuforn, Hans-Christian Ströbele, Josef
Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bewertung der Fahruntüchtigkeit bei Cannabiskonsum

Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht sind sich darüber
einig, dass bei einem einmaligen oder gelegentlichen Konsum von Cannabis
keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Konsument grund-
sätzlich nicht mehr in der Lage ist, seine Fahruntüchtigkeit zu erkennen (BVerfG
vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96; BVerwG, NJW 2002, 78 ff.). Die Einlei-
tung eines Verwaltungsverfahrens zur Eignungsüberprüfung nach § 14 Abs. 1
der Fahrerlaubnisverordnung bedarf vielmehr zusätzlicher Verdachtsmomente,
welche die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen. In der
Rechtsprechung werden insbesondere genannt: das Führen eines Kraftfahrzeugs
unter Drogeneinfluss, ein erheblicher Cannabismissbrauch über einen längeren
Zeitraum hinweg oder die Zugehörigkeit zu einer sog. Risikogruppe.

Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen stimmen Wirkungsdauer und
Nachweisdauer bei Cannabis nicht notwendig überein. Aufgrund des techni-
schen Fortschritts in der Medizin ist Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut
inzwischen wesentlich länger nachweisbar als die berauschende Wirkung des
Cannabis anhält. Der bloße Nachweis des Konsums von Cannabis reicht nach
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 2652/03) nicht für die
Annahme einer Ordnungswidrigkeit aus; es muss zudem ein enger zeitlicher
Zusammenhang zwischen dem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs
im Straßenverkehr vorliegen.

Zur Feststellung, ob die Menge des konsumierten Cannabis zu einem erhöhten
Risiko für die Verkehrssicherheit führt, werden von der Rechtsprechung unter-
schiedliche THC-Blutwerte herangezogen: Zum Teil wird bereits ab einem Wert
von 1,0 ng/ml ein erhöhtes Risiko angenommen, andere sehen erst bei einem
Wert über 2,0 ng/ml die Verkehrssicherheit als gefährdet an.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellt in seiner Entscheidung vom
25. Januar 2006 (Az. 11 CS 05.1711) aufgrund dieser Erkenntnisse die Frage, ob
das Risiko durch Cannabiskonsum im Straßenverkehr nicht möglicherweise

geringer sei als bislang angenommen.

Drucksache 16/2148 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Beabsichtigt die Bundesregierung, die in der Rechtsprechung bestehende
Unsicherheit bei der Beurteilung von Verkehrsdelikten im Zusammen-
hang mit Cannabiskonsum durch die Festlegung bestimmter THC-Grenz-
werte zu beseitigen?

b) Wenn ja, wie könnten diese Grenzwerte lauten?

c) Auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse stützt sich die Festlegung
dieser Grenzwerte?

d) Gibt es Erkenntnisse, dass sich die Festlegung eines bestimmten Grenz-
werts positiv auf die Unfallstatistiken auswirken würde?

2. a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Praxis der Straßenverkehrsbehör-
den, ein Verfahren auf Entzug der Fahrerlaubnis bei Cannabiskonsumen-
ten schon dann einzuleiten, wenn diese so genannten Risikogruppen ange-
hören?

b) Wer sind diese Risikogruppen?

c) Auf welche Erkenntnisse stützt sich die Bildung dieser Risikogruppen?

d) Sieht die Bundesregierung dadurch die Gefahr einer möglichen Umge-
hung der Anforderungen, die Bundesverfassungsgericht und Bundesver-
waltungsgericht an die Einleitung eines solchen Verfahrens stellen?

3. a) Wie sollte nach Auffassung der Bundesregierung der in der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung erwähnte gelegentliche und regelmäßige Can-
nabiskonsum definiert werden?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung einheitliche Grenzwerte für die Be-
stimmung dieser Konsummuster?

4. a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die Einordnung einer
Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss als Straftat bzw.
Ordnungswidrigkeit im Wesentlichen von der Frage abhängt, ob die damit
befassten Polizeibeamten Fahrunsicherheiten und Ausfallerscheinungen
feststellen?

b) Welche Initiativen ergriff die Bundesregierung, um eine entsprechende
Schulung der Beamten in den jeweiligen Ländern zu unterstützen?

c) Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um mögliche Fehlein-
schätzungen oder willkürliche Beurteilungen zu verhindern?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen
des vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Auf-
trag gegebenen Gutachtens „Fahrt unter Drogen – Auswirkungen neuerer
straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ (FE 82.173/2000) insbesondere

a) zur hohen Zahl angeordneter medizinisch-psychologischer Untersuchun-
gen,

b) zur hohen Zahl der Untersuchungen, welche die Fahrtauglichkeit der Be-
troffenen bestätigten,

c) zur Forderung nach einer einheitlichen Definition und Abgrenzung zwi-
schen gelegentlichem und regelmäßigem Konsum?

6. a) Warum wurde das genannte Gutachten noch nicht veröffentlicht?

b) Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Veröffentlichung des Gutach-
tens?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2148

7. Welche über das genannte Gutachten hinausgehenden Erkenntnisse liegen
der Bundesregierung vor zur Praxis der Fahrerlaubnisbehören nach den Ur-
teilen des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (1 BvR 2062/96)
und vom 8. Juli 2002 (1 BvR 2428/95)?

8. a) Sieht die Bundesregierung aufgrund der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 21. Dezember 2004 (1 BvR 2652/03) mit den Frage-
stellern die Notwendigkeit, den § 24a des Straßenverkehrsgesetzes bezüg-
lich des Bezugs von Cannabis neu zu fassen?

b) Wenn nicht, warum nicht?

c) Wenn ja, mit welchem Regelungsinhalt?

Berlin, den 29. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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