BT-Drucksache 16/1975

Menschenrechte in Usbekistan einfordern

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1975
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender,
Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechte in Usbekistan einfordern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Regime des usbekischen Präsidenten IslamKarimow verletzt massiv und
systematisch die Menschenrechte. Demokratie und Rechtsstaat existieren
nicht. Die unverhältnismäßigen und wahllosen Reaktionen der usbekischen
Regierung auf die Unruhen von Andijan imMai haben deutlich gemacht, mit
welcher Brutalität das Regime in Usbekistan vorgeht. Hunderte der Demonst-
rantenwurden von den Sicherheitsdiensten getötet. Die usbekischeRegierung
weigert sich weiterhin, die Vorfälle in Andijan aus dem Jahr 2005 von einer
unabhängigen internationalen Kommission untersuchen zu lassen. Die Pro-
zesse gegen die angeblichen Unruhestifter im Oktober und November 2005
beruhten auf erpressten Geständnissen. Sie verstießen damit gegen jegliche
rechtsstaatliche Grundsätze. Derzeit laufen noch immer Gerichtsverfahren
gegen über 100 Personen. Ihnen drohen bis zu 20 Jahren Haft.

Die Berichterstattung der Medien in Usbekistan ist einseitig, und der Zugang
zu Informationsquellen wie dem Internet ist nur beschränkt möglich. Seit den
Ereignissen in Andijan ist die Zensur noch verschärft worden. Internetseiten
der Opposition und Nachrichtenseiten können nicht abgerufen werden. Dar-
stellungen zu den Ereignissen in Andijan, die von der offiziellen Regierungs-
linie abweichen, werden als Verleumdung von den Strafverfolgungsbehörden
geahndet. Dazu kommen zahlreiche Verurteilungen von Menschenrechtsver-
teidigern und Oppositionellen. Die Entwicklung einer Zivilgesellschaft und
einer demokratischen Opposition ist kaum mehr möglich. Die Arbeit usbe-
kischer, aber auch internationaler, gesellschaftlicher Organisationen wird
durch staatliche Repressionen massiv beeinträchtigt, wenn nicht verboten.
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) musste
zu Beginn dieses Jahres das Land verlassen, auch das Büro der Menschen-
rechtsorganisation Human Rights Watch in Taschkent wird in seiner Arbeit
behindert. Die einzige deutsche noch in Usbekistan aktive Nichtregierungs-
organisation ist die Deutsche Welthungerhilfe. Eine Reihe ausländischer
Medien musste zudem im letzten Jahr das Land verlassen.

Nach denVorfällen inAndijan sind vieleMenschen ausUsbekistan in benach-
barte Staaten geflohen. Vor allem in Kirgisien und Kasachstan halten sich
nach wie vor viele Flüchtlinge aus Furcht vor einer Überführung zurück nach

Drucksache 16/1975 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Usbekistan und einer dortigen Verfolgung versteckt. Auch in der Russischen
Föderation und anderen Staaten der GUS sollen sich Flüchtlinge befinden.
Der UNHCR hat Kasachstan und die Ukraine aufgefordert, keine Flüchtlinge
nach Usbekistan zurückzuführen. Gleichwohl finden solche Rückführungen
statt.

Die International Crisis Group bezeichnete in einem Bericht von Mitte
Februar 2006 Usbekistan angesichts der Unruhen von Andijan und der ge-
walttätigen Reaktionen der Regierung als Gefahr für die Stabilität der gesam-
ten zentralasiatischen Region.

2. Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf die Ereignisse in Andi-
jan waren und sind z. T. sehr unterschiedlich. Als Konsequenz der usbe-
kischen Weigerung, eine unabhängige Untersuchungskommission zu den
Vorfällen in Andijan zuzulassen, beschloss die EU ab Oktober 2005 die par-
tielle Aussetzung des Partnerschaftsabkommens mit Usbekistan sowie Sank-
tionen gegen Personen, die von Regierungsseite verantwortlich für die blutige
Niederschlagung der Unruhen sowie die Verhinderung einer unabhängigen
Untersuchung waren. In den USA wird im Kongress ein Gesetzentwurf dis-
kutiert, der vergleichbare Sanktionen wie die der EU gegenüber Usbekistan
fordert.

Die russische Regierung dagegen hält an ihrer Unterstützung des Regimes des
Präsidenten Islam Karimov fest. Präsident Wladimir Putin demonstrierte im
Mai 2006 erneut sein enges Verhältnis zu Islam Karimov. Das Regime Islam
Karimovs baut auch auf die wohlwollende Haltung Chinas. Unmittelbar nach
den Ereignissen in Andijan hatte China international sichtbar Solidarität mit
dem Regime Islam Karimovs demonstriert.

Usbekistan ist Mitglied in der Organisation für Sicherheit und Zusammen-
arbeit in Europa (OSZE). Die Strukturen der OSZE bieten die Möglichkeit,
eine unabhängige internationale Untersuchungskommission kooperativ ein-
zusetzen. Diese Möglichkeit hat das Regime Islam Karimovs nicht genutzt.
Das Regime Islam Karimovs hat auch eine Unterstützung der OSZE/ODIHR
Untersuchung über die Ereignisse in Andijan verweigert. Das Mandat des
OSZE-Zentrums in Taschkent ist auf Verlangen der usbekischen OSZE-Dele-
gation nur bis zum 30. Juni 2006 verlängert worden. Das Zentrum ist ein
wichtiger Akteur im Dialog mit der usbekischen Regierung auf der einen und
der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite.

3. Im Rahmen der Übernahme der Ratspräsidentschaft 2007 hat die Bundes-
regierung angekündigt, eine Partnerschaft mit den zentralasiatischen Staaten
eingehen und ausgestalten zu wollen. Dabei müssen menschenrechtliche Pro-
bleme und rechtsstaatliche Defizite in diesen Ländern umfassend adressiert
werden. Die Bundesregierung in Gestalt des Parlamentarischen Staatssekre-
tärs beim Bundesminister der Verteidigung, Dr. Friedbert Pflüger, hat mit der
usbekischen Seite bereits im Dezember 2005 einen Dialog über Menschen-
rechte und Demokratie vereinbart. Eine klare Strategie hinsichtlich dieses Di-
alogs ist jedoch nicht erkennbar: es wurden weder zeitliche und inhaltliche
Zielvereinbarungen getroffen noch festgelegt, ob Vertreter der Zivilgesell-
schaft an diesem Dialog beteiligt werden sollen. Ohne einen konkreten Plan
zur Umsetzung dieses Dialogprojektes und ohne ausgehandelte Zielverein-
barungen mangelt es diesem Vorhaben bisher an Glaubwürdigkeit. Ein
Menschenrechtsdialog als bloßes Feigenblatt wäre aber ein fatales Signal
hinsichtlich der Ernsthaftigkeit der deutschen Menschenrechtspolitik sowie
eine vergebene Chance im Umgang mit der usbekischen Seite.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1975

Deutschland nutzt als eines von nur noch wenigen Ländern den einzigen ver-
bliebenen Luftwaffenstützpunkt der ISAF-Truppenstellerstaaten für Afgha-
nistan, Termez in Usbekistan. Auch angesichts der daraus resultierenden
engen bilateralen Verbindung kommt der Bundesrepublik Deutschland eine
Verantwortung für die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich weiterhin bilateral und im Rahmen der EU sowie der OSZE nachdrück-
lich für die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission ein-
zusetzen;

2. gegenüber der usbekischen Regierung bilateral und im Rahmen der EU auf
rechtsstaatlichen Verfahren in den Prozessen zu Andijan zu bestehen;

3. sich bilateral und im Rahmen der EU für eine massive Verbesserung der
Haftbedingungen in Usbekistan einzusetzen;

4. die Förderung der Presse- und Meinungsfreiheit in Usbekistan durch Pro-
jekte zur Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten in der Region zu
unterstützen;

5. im Rahmen der EU zu prüfen, inwieweit Nachrichtenprogramme über Satel-
lit und über Internet für Usbekistan gefördert werden können;

6. sich für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern
durch kurzfristige Aufnahmeprogramme in der Bundesrepublik Deutsch-
land einzusetzen;

7. denAusbau von gezielten Stipendienprogrammen für Studierende ausUsbe-
kistan und Zentralasien in der Bundesrepublik Deutschland voranzutreiben;

8. bilateral und im Rahmen der EU ein Ende der Beeinträchtigungen und Be-
hinderungen internationaler und usbekischerNichtregierungsorganisationen
zu fordern;

9. sich dafür einzusetzen, dass keine Flüchtlinge zurück nach Usbekistan ge-
führt werden, und gegenüber der usbekischen Seite auf Auskünften über be-
reits Zurückgeführte zu bestehen;

10. imRahmen der EU die Entwicklung in Usbekistan weiter zu beobachten und
eine gezielte Ausweitung der Sanktionen zu prüfen;

11. bei der russischen und der chinesischen Regierung darauf zu drängen, ihren
jeweiligen Einfluss auf den usbekischen Präsidenten dahingehend geltend
zu machen, die Arbeit der von der EU geforderten unabhängigen Untersu-
chungskommission zu ermöglichen;

12. die OSZE als wichtiges Dialogforum weiter zu nutzen und darauf zu beste-
hen, dass das Mandat des OSZE-Zentrums in Usbekistan ohne Einschrän-
kungen verlängert wird;

13. im Rahmen der Partnerschaft mit Zentralasien das Thema Menschenrechte
und Demokratieförderung prioritär zu besetzen und dazu eine umfassende
Strategie zu erarbeiten;

14. für den angekündigten Menschenrechtsdialog mit der usbekischen Seite
konkrete inhaltliche und zeitliche Zielvereinbarungen auszuhandeln.

Berlin, den 28. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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