BT-Drucksache 16/1434

Probearbeiten im Rahmen eines so genannten Einfühlungsverhältnisses

Vom 5. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1434
16. Wahlperiode 05. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller,
Dr. Axel Troost, Dr. Herbert Schui und der Fraktion DIE LINKE.

Probearbeiten im Rahmen eines so genannten Einfühlungsverhältnisses

Immer mehr Menschen, die eine Arbeit suchen, müssen ohne oder nur mit ge-
ringer Bezahlung „zur Probe arbeiten“ und sich „testen“ lassen. Dies geschieht
zum Teil in Form von so genannten unbezahlten Einfühlungsverhältnissen.

Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema, muss im ersten Schritt fest-
gehalten werden, dass es unabhängig von solchen Formen unentgeltlichen Pro-
bearbeitens nach geltendem Recht (Kündigungsschutzgesetz, Bürgerliches Ge-
setzbuch) bereits die Möglichkeit gibt, Probearbeitsverhältnisse von bis zu
sechs Monaten zu vereinbaren. Zweck eines Probearbeitsverhältnisses ist es,
sowohl den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern als auch den Beschäftigten die
Möglichkeit zu geben, die Arbeitsstelle kennen zu lernen, sich ein Bild vom
Vertragspartner zu machen und die Zusammenarbeit zu prüfen. Nach § 612 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs führt die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses
grundsätzlich zu einem Vergütungsanspruch, weswegen die Unentgeltlichkeit
ausdrücklich vereinbart werden muss. Dies veranschaulicht, dass es bereits
rechtlich abgesicherte Möglichkeiten gibt, Probearbeitsverhältnisse zu begrün-
den, die allerdings grundsätzlich zu einem Vergütungsanspruch führen.

Von einem Probearbeitsverhältnis zu unterscheiden ist daher das so genannte
Einfühlungsverhältnis. Einem Urteil des Landesarbeitsgerichtes Hamm (Urteil
Landesarbeitsgericht Hamm vom 24. Mai 1989, 15 Sa 18/89) zufolge ist es
möglich, ein unbezahltes sog. Einfühlungsverhältnis zu vereinbaren, wenn es in
der Regel nicht länger als eine Woche dauert und keine Pflicht zur Arbeitsleis-
tung besteht. Die Zulässigkeit wird mit der Vertragsfreiheit begründet. Das
Landesarbeitsgericht Bremen neigt in einem Urteil vom 25. Juli 2002 zu der
Auffassung, dass während kurzer Einfühlungsverhältnisse auch dann kein
Lohnanspruch besteht, wenn während dieser Zeit für den Arbeitgeber verwert-
bare bzw. nützliche Tätigkeiten verrichtet werden (Urteil Landesarbeitsgericht
Bremen vom 25. Juli 2002, 3 Sa 83/02).

Durch die Möglichkeit, ein sog. Einfühlungsverhältnis zu vereinbaren, besteht
die Gefahr der Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten und die Gefahr von
Lohnwucher (auffälliges Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Entgelt).
Zudem können Betriebe die Zwangslage von Erwerbslosen ausnutzen, um

kurzfristig unbezahlte Arbeitskräfte zu erhalten, die nach dem sog. Einfüh-
lungsverhältnis nicht weiter beschäftigt werden. Vor dem Hintergrund, dass
aufgrund der angespannten Arbeitsmarktlage Arbeitsuchende ein sog. Einfüh-
lungsverhältnis kaum verweigern können, wenn sie im selben Betrieb später
eine Festanstellung bekommen möchten, leiten sich hieraus einige grundsätz-
liche Fragen ab. Hinzu kommt als Schwierigkeit, dass während eines sog. Ein-
fühlungsverhältnisses der Arbeitgeber nicht in die Sozialversicherung einzahlt,

Drucksache 16/1434 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

was zu einer weiteren Erosion der Einnahmebasis der Sozialversicherungen
und auch der Steuern führt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Ist nach Auffassung der Bundesregierung mit der Möglichkeit, ein un-
bezahltes so genanntes Einfühlungsverhältnis zu vereinbaren, die Umge-
hung von Arbeitnehmerschutzrechten verbunden?

b) Besteht nach Auffassung der Bundesregierung die Gefahr von Lohn-
wucher?

Wenn ja, welche Schritte sollen zur Einschränkung dieser Möglichkeit
eingeleitet werden?

Wenn nein, bitte begründen.

2. a) In welchem Verhältnis steht nach Auffassung der Bundesregierung die
Unentgeltlichkeit eines sog. Einfühlungsverhältnisses zum grundsätzli-
chen Vergütungsanspruch nach § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuchs?

b) Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Zulässigkeit aufgrund der
Vertragsfreiheit eine hinreichende Begründung für die Unentgeltlichkeit
(bitte begründen)?

3. Hat nach Auffassung der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Massen-
arbeitslosigkeit das Fehlen einer Arbeitspflicht im Rahmen eines sog. Ein-
fühlungsverhältnisses nicht hypothetischen Charakter?

Werden angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage die Beschäftigten,
die einen Job haben wollen, nicht trotzdem arbeiten – und dies unentgelt-
lich?

Inwiefern erscheint es der Bundesregierung legitim, dass Arbeitnehmer
ohne Lohn arbeiten müssen (bitte die Antworten begründen)?

4. a) Worin begründet sich nach Auffassung der Bundesregierung angesichts
der rechtlich abgesicherten Möglichkeit, ein Probearbeitsverhältnis zu
vereinbaren, die Notwendigkeit eines sog. Einfühlungsverhältnisses?

b) Erachtet die Bundesregierung ein solches sog. Einfühlungsverhältnis als
unzulässig, da es nichts anderes als ein Probearbeitsverhältnis darstellt,
aber zwingendes Arbeitsrecht umgangen wird?

Wenn ein sog. Einfühlungsverhältnis als unzulässig betrachtet wird,
welche Schritte plant die Bundesregierung, die rechtlichen Grundlagen
zur Vermeidung solcher sog. Einfühlungsverhältnisse zu präzisieren?

Wenn ein sog. Einfühlungsverhältnis nicht als unzulässig betrachtet wird,
warum nicht?

5. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Branchen und in welchem Um-
fang so genannte Einfühlungsverhältnisse vereinbart werden?

Wenn nicht, plant die Bundesregierung diesbezügliche Erhebungen?

Wenn sie keine Erhebungen plant, warum nicht?

6. Ist der Bundesregierung bekannt, wie sich die Zahl von so genannten
Einfühlungsverhältnissen in den letzten Jahren entwickelt hat (bitte nach
Branchen aufschlüsseln)?

Wenn nicht, plant die Bundesregierung diesbezügliche Erhebungen?

Wenn sie keine Erhebungen plant, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1434

7. Ist der Bundesregierung bekannt, wie lange in der Regel in der Praxis
solche unentgeltlichen Einfühlungsverhältnisse dauern?

Wenn nicht, plant die Bundesregierung diesbezügliche Erhebungen?

Wenn sie keine Erhebungen plant, warum nicht?

8. a) Stellt es nach Auffassung der Bundesregierung eine Verletzung der gel-
tenden Rechtslage dar, wenn in der Praxis die so genannten Einfüh-
lungsverhältnisse länger als eine Woche dauern (im Urteil des Landes-
arbeitsgerichtes Hamm aus dem Jahr 1989 wird zur Rechtmäßigkeit
eines „Einfühlungsverhältnisses“ verlangt, dass es nicht länger als eine
Woche dauert), und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffas-
sung?

b) Welche Schritte plant die Bundesregierung, falls eine Verletzung der
geltenden Rechtslage vorliegt, um diese zu verhindern?

Wenn sie keine geeigneten Schritte plant, warum nicht?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Höhe durch derartige Einfüh-
lungsverhältnisse die sozialen Sicherungssysteme und die Steuersysteme
durch entgangene Beiträge bzw. Steuern belastet werden?

Wenn nicht, plant die Bundesregierung diesbezügliche Erhebungen?

Wenn sie keine Erhebungen plant, warum nicht?

10. Ist der Bundesregierung bekannt, in wie vielen Fällen prozentual ein sog.
Einfühlungsverhältnis zu einem anschließenden Probearbeits- oder Arbeits-
verhältnis führt?

Wenn nicht, plant die Bundesregierung diesbezügliche Erhebungen?

Wenn sie keine Erhebungen plant, warum nicht?

Berlin, den 5. Mai 2006

Werner Dreibus
Dr. Barbara Höll
Kornelia Möller
Dr. Axel Troost
Dr. Herbert Schui
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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