BT-Drucksache 16/13998

Situation im Lager "Camp Ashraf" und Politik der Bundesregierung

Vom 7. September 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13998
16. Wahlperiode 07. 09. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Situation im Lager „Camp Ashraf“ und Politik der Bundesregierung

Mitte 2009 hat die US-Armee im Rahmen ihres Rückzugsplanes die Verant-
wortung für die irakischen Städte an die irakische Armee übergeben. Im Zuge
dessen wurden auch Einheiten abgezogen, die zum Schutz des Lagers „Camp
Ashraf“ eingesetzt waren. In dem 60 km nördlich von Bagdad befindlichen
Lager lebten 2005 nach Angaben der US-Armee 3 534 Angehörige der Volks-
mudschahedin (Mujahedin-eKhalq, MEK). Bei den MEK handelt es sich um
eine Kaderorganisation, die in der Vergangenheit auch mit terroristischen Mit-
teln gegen die Islamische Republik Iran gekämpft hat. Berichten zufolge haben
die USA die Kämpfer 2003 entwaffnet.

Die Gruppierung wird von den Vereinigten Staaten als terroristische Organi-
sation eingestuft. 2009 wurde die Organisation von der Terrorliste der EU ent-
fernt, da einige Gerichte Verfahrenstransparenz bemängelten. Beobachter
bezweifeln, dass sich die Gruppierung, die zahlreiche Tarnorganisationen gebil-
det hat, vom Terrorismus distanziert hat und bemängeln die inneren undemo-
kratischen Strukturen. Die Gruppierung wird in Deutschland vom Verfassungs-
schutz beobachtet.

Am 28. Juli 2009 kam es nach Presseberichten zu Übergriffen irakischer Sicher-
heitskräfte auf das Lager „Camp Ashraf“ in Irak. Die irakische Regierung hat
selbst eingeräumt, dass es dabei zu sieben Todesfällen kam. Die genauen Um-
stände sind ungeklärt. Das Lager diente als Ausbildungscamp und Propaganda-
stätte der MEK, die unter Saddam Hussein eingerichtet und finanziell und
logistisch massiv unterstützt wurde. Aufgrund der engen Kooperation mit
Saddam Husseins Sicherheitsapparat existiert in Irak ein großes Vergeltungs-
potential gegenüber MEK-Angehörigen seitens der bis 2003 gewaltsam unter-
drückten Kurden und Schiiten. Dadurch sind jetzt möglicherweise die Bewoh-
ner von Camp Ashraf, darunter ehemalige Terroristen und Politaktivisten der
MEK, aber auch deren Angehörige, darunter Kinder und Alte, gefährdet.

Die internen Strukturen des Lagers gelten als problematisch, von Seiten der
MEK wurde Druck auf Mitglieder ausgeübt, Aussteiger wurden gegen ihren
Willen festgehalten (Human Rights Watch: No Exit. Human Rights Abuses
Inside the Mojahedin Khalq Camps, http://www.hrw.org/legacy/backgrounder/
mena/iran0505/).

Während unter US-Präsident George W. Bush die Existenz des Lagers und die
Aktivitäten der MEK auch als Drohpotential gegenüber dem Iran gebilligt bzw.
unterstützt wurde, obwohl die USA selbst die MEK seit 1997 als Terrororgani-
sation einstufen, ist die Zukunft des Lagers und der Bewohner unter US-Präsi-

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dent Barack Obama, der den Abzug aller US-Truppen bis Ende 2011 angekün-
digt hat, ungewisser denn je.

Die irakische Regierung ist nicht gewillt, die Fortexistenz des Lagers in der bis-
herigen Form hinzunehmen. Einige hundert MEK-Mitglieder konnten nach
Meldungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) mit hu-
manitärer Unterstützung durch das IKRK nach Iran zurückkehren. Iran fordert
eine Auslieferung von MEK-Kämpfern, vielen MEK-Mitgliedern könnten
drastische Strafen drohen. Aufgrund der terroristischen Vergangenheit zahl-
reicher Mitglieder ist es besonders schwer, andere Aufnahmeländer zu finden.
Eine Lösung, die dem Wunsch nach Auflösung des Lagers entgegenkommt,
ohne die Bewohner zu gefährden steht noch aus.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie schätzt die Bundesregierung die Aktivitäten der MEK in Deutschland
und Europa ein?

2. Gibt es eine EU-interne Diskussion über eine erneute Aufnahme der MEK
auf die Terrorliste der EU, und wie steht die Bundesregierung zu dieser
Frage?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über irakische Übergriffe im
Lager „Camp Ashraf“ gegen Personen und Einrichtungen der MEK und
Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Armee und Kampfein-
heiten der MEK?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung den völkerrechtlichen Status der Ein-
wohner von Camp Ashraf?

5. Welche Kenntnisse hat sie über einen fortgesetzten Schutz des Lagers
„Camp Ashraf“ durch US-Sicherheitskräfte oder irakische Sicherheits-
kräfte, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die Gefahr einer akuten
Bedrohung der Bewohner ein?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine finanzielle, logis-
tische oder personelle Unterstützung für die MEK in Irak seitens der USA
oder anderer Regierungen, um sie als oppositionelle Kraft gegen die ira-
nische Regierung zu unterstützen?

7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die anhaltende Bewaff-
nung von MEK-Einheiten?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit einer Rückkehr von
MEK-Mitgliedern nach Iran bzw. die Möglichkeit eines dauerhaften Ver-
bleibs in Irak?

9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verfolgung von ak-
tuellen oder ehemaligen MEK-Mitgliedern in Iran und anderen Staaten?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die MEK und ihre Unter-/Tarnorganisa-
tionen in Hinblick auf Menschenrechte und Demokratie innerhalb der
Organisation, und welche Kenntnisse hat sie über Menschenrechtsverlet-
zungen seitens MEK-Mitgliedern in Camp Ashraf?

11. Auf welche Weise hat die Bundesregierung bisher eine Lösung für Camp
Ashraf mit den Vereinigten Staaten, mit der irakischen oder iranischen
Regierung oder anderen Regierungen thematisiert oder konkrete eigene
Beiträge zu einer Lösung angeboten?

Berlin, den 7. September 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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