BT-Drucksache 16/13550

Die Lage in Birma/Myanmar ein Jahr nach Zyklon Nargis

Vom 23. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13550
16. Wahlperiode 23. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder
Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Lage in Birma/Myanmar ein Jahr nach Zyklon Nargis

Der Zyklon Nargis hat am 2./3. Mai 2008 verheerende Schäden vor allem in
Birma/Myanmar hinterlassen. Die Zahl der Toten wird auf mindestens 138 000
geschätzt, 2,4 Millionen Menschen wurden obdachlos. Die internationale Ge-
meinschaft bot rasche Unterstützung an, doch die Militärjunta verweigerte fast
drei Wochen lang den Einlass internationaler Hilfskräfte ins Land. Nach gro-
ßem internationalen Druck und dem Besuch des Generalsekretärs der Vereinten
Nationen (VN) Ban Ki Moon gewährte die Regierung beschränkten Zugang,
wobei jedes einzelne Projekt strengster Kontrolle und Überprüfung ausgesetzt
war. Bis heute wird internationalen Hilfsorganisationen der Zugang nur zu be-
stimmten Teilen des Irrawaddy-Deltas gewährt. Expertinnen und Experten
schätzen, dass Birma/Myanmar noch mehrere Jahre auf internationale Hilfe an-
gewiesen sein wird.

Ausländische Journalistinnen und Journalisten erhalten selten Visa, und nicht
zuvor geprüftes Bildmaterial aus Birma/Myanmar auszuführen ist strengstens
untersagt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2008, erstellt von der Organisa-
tion Reporter ohne Grenzen, liegt Birma/Myanmar auf dem 170. von 173 Plät-
zen, nach Kuba und der Volksrepublik China. Fast alle, die mit ausländischen
Reporterinnen und Reportern gesprochen hatte, sitzen heute im Gefängnis. Bis
heute fahndet die Militärregierung nach jeder und jedem, die oder der Bilder
von den Schäden des Zyklons oder der gewaltsamen Niederschlagung des
Mönch-Aufstands im September 2008 ins Netz gestellt oder ins Ausland ge-
schafft hatte. 21 Menschen, die ohne Erlaubnis der Militärjunta auf eigene
Faust die betroffene Bevölkerung unterstützt oder Hilfe und Spenden organi-
siert hatten, sitzen in Haft.

Seit der Machtergreifung der Militärjunta 1962 werden Oppositionelle, Kritike-
rinnen und Kritiker und ethnische Gruppen verfolgt. Es gab und gibt schwere
Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Zwangsarbeit, Vertreibungen und
Rekrutierung von Kindersoldaten, wie jüngst im April 2009 ein VN-Bericht
darstellte.
Seit 1990 sitzt die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Daw
Aung San Suu Kyii mit kurzer Unterbrechung im Hausarrest. Seit 13 Jahren ist
ihr der Kontakt zur Außenwelt strengstens untersagt, und außer zu ihrem Arzt
hat sie keinen Außenkontakt. Eine der wenigen Ausnahmen war das Treffen
mit dem VN-Sonderbotschafter Ibrahim Gambari im Februar 2009. Ibrahim
Gambari hat seit seiner Ernennung 2006 zum Sonderbotschafter Birmas/

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Myanmars jedoch keine nennenswerten Ergebnissen in seinen bisher sechs Be-
suchen erreicht, ebenso nicht der von der EU ernannte Sonderberater für Birma/
Myanmar Piero Fassino. Zurzeit wird Daw Aung San Suu Kyii wieder der Pro-
zess gemacht, nachdem ein US-Amerikaner Anfang Mai 2009 zu ihrem Haus
vorgedrungen war. Das Militärregime sieht darin einen willkommenen Anlass,
sie von den Wahlen im kommenden Jahr sperren zu lassen, weil sie angeblich
gegen den Hausarrest verstoßen habe.

Die jahrzehntelange Vertreibung und Verfolgung ethnischer Minderheiten
führte zu ungelösten Flüchtlingsproblemen in den Grenzgebieten. Eine Gruppe
sind die vorwiegend christlichen Karen, die im thailändischen Grenzgebiet seit
Mitte der 1980er-Jahre den Großteil der 250 000 Flüchtlinge ausmachen. Die
thailändische Regierung verweigert ihnen das Verlassen der schlecht ausgestat-
teten Camps und somit auch Berufs- und Bildungsmöglichkeiten. Wahrschein-
lich halten sich in Thailand selbst etwa eine Million birmesischer Flüchtlinge
illegal auf. 2006 signalisierten einige westliche Länder Aufnahmebereitschaft,
und bisher haben z. B. die USA 14 000 dieser Flüchtlinge aufgenommen. Ins-
gesamt wurden auf diesem Wege bis Januar 2009 43 000 birmesische Flücht-
linge in den USA, Neuseeland, Australien, Kanada, Irland, Norwegen, Däne-
mark, Finnland, Schweden, den Niederlanden und Großbritannien aufgenom-
men. Eine andere verfolgte ethnische Minderheit sind die vorwiegend muslimi-
schen Rohingyas, die in Birma/Myanmar nicht als solche anerkannt sind, wobei
die birmesische Regierung ihnen auch die Staatsbürgerschaft verweigert. Die
Hälfte ihrer wahrscheinlich eine Million zählenden Volksgruppe ist auf Flücht-
lingslager in Bangladesch (hier mindestens 100 000), Indien, Thailand und In-
donesien verteilt und wurde jüngst bei dem ASEAN-Gipfel in Bali zum ersten
Mal als Thema angesprochen. Denn Anfang 2009 hatten thailändische Militärs
mehrere Boote und Schiffe mit geschätzten 1 000 Rohingyas-Flüchtlingen in
ihren Grenzgewässern aufgegriffen und ohne Verpflegung oder Wasser ins of-
fene Meer ausgesetzt.

Die EU-Ratspräsidentschaft und die Vereinten Nationen haben die Verhaftung
Aung San Suu Kyiis scharf verurteilt. Mehrere Gemeinsame Stellungnahmen
wurden seit 1996 von der EU verfasst (2006/318/GASP) und seit April 2004
mit Sanktionen verschärft. Erst im April 2009 wurden die Sanktionen neuerlich
verlängert, und sie beinhalten Reisebeschränkungen für Mitglieder der Militär-
junta und Handelsbarrieren (z. B. Hölzer, Edelsteine, Mineralien). Zurzeit ist
man sich innerhalb der EU über die weitere Vorgehensweise uneinig. Während
EU-Außenbeauftragter Javier Solana die Sanktionen als Reaktion auf die Ver-
haftung und den neuen Prozess gegen Suu Kyii Mitte Mai 2009 ausweiten
wollte, stellte Schwedens Außenminister Carl Bildt diese Mittel in Frage. Sinn-
vollen politischen und wirtschaftlichen Druck und Einfluss könnten nur die
asiatischen Staaten wie die Volksrepublik China oder Indien ausüben. Das
Regime Birmas/Myanmars zeigt sich bisher von den Sanktionen wenig be-
eindruckt, erlaubte allerdings ausgewählten Mitgliedern des ausländischen
Diplomatenkorps den Zugang zu dem Prozess gegen Aung San Suu Kyii.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand der Hilfs-
leistungen deutscher Organisationen in Birma/Myanmar nach dem Zyklon
Nargis?

a) Inwieweit werden diese fortgesetzt?

b) Welche Probleme gab es bei der Koordinierung der deutschen Hilfsleis-
tungen mit denen anderer Geber?
c) Wie schätzt die Bundesregierung die derzeitige humanitäre Lage im
Irrawaddy-Gebiet ein, auch fern vom Delta?

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2. Wie schätzt die Bundesregierung die Lage der Flüchtlinge in den Grenz-
gebieten Birmas/Myanmars ein, insbesondere der Karen und Rohingyas in
Thailand und Bangladesch?

3. Wieso wurden keine birmesischen Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet Thai-
lands in Deutschland aufgenommen, nachdem viele andere europäische
Staaten Flüchtlinge aufgenommen haben?

Gibt es Überlegungen der Bundesregierung, Karen-Flüchtlinge aufzuneh-
men, so wie es die EU-Länder Irland, Finnland oder Dänemark bereits getan
haben, und wenn nein, warum nicht?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg der EU-Sanktionen gegenüber
Birma/Myanmar, auch vor dem Hintergrund, dass diese nach wie vor kein
Verbot von Investitionen in Birmas/Myanmars große Gas- und Ölfelder für
Konzerne aus der EU bedeuten und der französische Konzern Total S.A. als
größter Investor aus der EU im Zeitraum von 1992 bis 2004 etwa 1 Mrd.
Euro in Birma/Myanmar investiert hat, und welche Konsequenzen zieht sie
daraus für die Zukunft?

5. Welche Länder unterstützen das Regime in Birma/Myanmar, und wie spricht
die Bundesregierung ihnen gegenüber die Lage in Birma/Myanmar an?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung das Problem des Opiumanbaus in Birma/
Myanmar?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einfluss von ASEAN auf die Ent-
wicklung in Birma/Myanmar?

Berlin, den 23. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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