BT-Drucksache 16/13515

Konzept der Bundesregierung zur Flugabwehr und Luftverteidigung

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13515
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer, Michael
Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Dr. h. c. Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Konzept der Bundesregierung zur Flugabwehr und Luftverteidigung

Das Weißbuch zur Deutschen Sicherheitspolitik und die Verteidigungspoli-
tischen Richtlinien bestimmen, dass Struktur, Personal, Ausrüstung und Aus-
bildung der Bundeswehr sich an den wahrscheinlichen Einsätzen der Gegen-
wart und der Zukunft orientieren müssen. Obwohl das Staatsgebiet der Bundes-
republik Deutschland absehbar keiner konventionellen Bedrohung ausgesetzt
ist und die im Ausland eingesetzten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
überwiegend durch asymmetrisch agierende Kräfte bedroht werden, die nur
über eingeschränkte Luftangriffspotenziale verfügen, plant die Bundesregie-
rung gleich mehrere hochkomplexe Systeme zur Flugabwehr und zur Luft-
sicherheit einzuführen.

Die Entwicklung des Medium Extended Air Defence System (MEADS) wurde
unter der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2005 beschlossen. Seither ent-
wickelt Deutschland gemeinsam mit den USA und Italien dieses Raketen-
abwehrsystem. Der Abschluss des Entwicklungsvertrages mit einem deutschen
Anteil am Vertragsvolumen in Höhe von zunächst 855 Mio. Euro war von An-
fang an umstritten. MEADS ist ein bodengestütztes, voll bewegliches Flug-
abwehrraketensystem gegen Ziele von sehr tiefen bis sehr hohen Flugberei-
chen. Es soll insbesondere Kampfflugzeuge, Hubschrauber, Marschflugkörper,

taktisch-ballistische Flugkörper der Reichweitenklasse bis 1 000 km sowie
unbemannte Trägersysteme und Abstandswaffen abwehren können. Nach heu-
tiger Konfiguration soll MEADS nicht nur das klassische Spektrum der Luftbe-
drohung bekämpfen können, sondern auch gegen ballistische Flugkörper wir-
ken. Neben einigen technischen Innovationen (bessere Radarauflösung als
Patriot, 360-Grad-Schwenkoption der Antennen, Fähigkeit zur Abwehr von
Marschflugkörpern) waren vor allem auch industriepolitische Erwägungen ein

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Grund, sich an der Entwicklung von MEADS zu beteiligen. So versprach sich
die rot-grüne Bundesregierung die Sicherung von 450 Hochtechnologie-Ar-
beitsplätzen allein in Deutschland.

Die Schätzungen über die System-Gesamtkosten gingen schon 2005 weit
auseinander. Sie reichten von 3,84 Mrd. Euro (Bundesregierung) bis zu 10 bis
12 Mrd. Euro (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung).

Bereits 2005 stand fest, dass MEADS keinen Schutz gegen die tatsächlichen
Bedrohungen, denen deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen ausgesetzt sind,
nämlich Minen, einfache Mörser, Raketen mit geringer Reichweite, bieten
wird. Die Bundesregierung hat es bisher aufgrund ihrer eigenen Bedrohungs-
analyse zu keiner Zeit für notwendig erachtet, zum Schutz von Soldaten im
Einsatz PATRIOT- oder Heeresflugabwehrsysteme in den Einsatz zu bringen.
Darüber hinaus verfügt MEADS im Vergleich zum etablierten PATRIOT-
System über eine deutlich geringere Reichweite und damit über keine Befähi-
gung zum Schutz des Territoriums.

Aufgrund von Management-Fehlern und der Uneinigkeit der Partnernationen
traten 2008 Verzögerungen im Programmablauf des Entwicklungsprojekts auf.
Es wurde durch die Partner festgestellt, dass die Programmziele erreicht wer-
den können, allerdings nicht im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen. Daher
soll eine Anpassung des Entwicklungsvertrages in Kürze erfolgen. Derzeit geht
die Industrie von einer Verzögerung von 18 Monaten aus. Belastbare Kosten-
angaben sind derzeit offenbar nicht verfügbar und sollen durch ein verbind-
liches Angebot der Industrie durch die NATO MEADS Management Agency
(NAMEADSMA) geschaffen werden. Parallel dazu beauftragte der US-ameri-
kanische Rüstungsdirektor eine eigene Kostenschätzung durch die „Cost Ana-
lysis Improvement Group“ des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums.
Außerdem wurden Pläne des US-amerikanischen Bedarfsträgers bekannt, zu-
künftig MEADS-Systemkomponenten in einer Weise nutzen zu wollen, die
über die gemeinsamen Systemziele hinausgehen. Abweichend von den verein-
barten Nutzerforderungen beabsichtigt die US-Army das im Programm trilate-
ral zu entwickelnde Führungs- und Waffeneinsatzsystem durch das im Rahmen
des „Integrated Air and Missile Defense“-Programms (IAMD) rein US-ameri-
kanische „Battlefield Management System“ zu ersetzen und darüber hinaus das
Vorhaben MEADS bis zum Abschluss des Critical Design Reviews (CDR) im
August 2010 in ein US-geführtes Programm zu überführen. Diese Position
scheint jedoch noch keine abgestimmte Position der US-Regierung zu sein.

Neben MEADS plant die Bundesregierung zusätzlich ohne die Partnernationen
einen Zweitflugkörper (IRIST-SL) sowie ein nationales System zur Flugabwehr
(SysFla) zu entwickeln und zu beschaffen. Neben einem primär zu beschaffen-
den Nächstbereichsschutz für Feldlager (NBS C-RAM) sollen sukzessive in
drei weiteren Phasen die Blöcke „stationär“, „mobil“ und „leicht“ entwickelt
und beschafft werden. SysFla soll den Schutz von stationären Objekten und
hochmobilen Kräften im Nahbereich (bis 10 km) und Nächstbereich (ca. 3 km)
über das gesamte operationelle Einsatzspektrum sicherstellen. Breiten poli-
tischen Konsens findet bisher die vorrangige Schaffung eines C-RAM-Schutzes
für den Nächstbereichsschutz von Feldlagern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche grundsätzlichen konzeptionellen Vorstellungen zur Entwicklung und
Beschaffung eines Flugabwehr- und Luftverteidigungssystems hat die Bun-
desregierung?

2. Welcher grundsätzlichen Bedrohungsanalyse liegen Entwicklung und die

eventuelle Beschaffung von MEADS zugrunde?

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3. Wurden in der Vergangenheit in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr
Flugabwehr- und Luftsicherheitssysteme eingesetzt, und wenn ja, welche
in welchen Einsätzen?

4. Welche Studien und Forschungsaufträge zur Flugabwehr und Luftsicher-
heit im Allgemeinen und zu MEADS im Besonderen wurden durch die
Bundesregierung bisher vergeben bzw. sind in der Planung (bitte Nennung
von Jahr, Auftragsvolumen, Auftragnehmer, beteiligte Unternehmen/For-
schungsinstitute, Gegenstand des Projektes)?

5. Was sind die bisher vorliegenden Ergebnisse dieser Studien und For-
schungsaufträge?

6. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen Ergebnissen?

7. Wie viele Haushaltsmittel sind bisher insgesamt und rein national für die
Entwicklung von MEADS (einschließlich Zweitflugkörper) ausgegeben
worden?

8. Wie hoch beziffert die Bundesregierung derzeit den Finanzbedarf für die
Entwicklung und Beschaffung von MEADS (bitte aufschlüsseln nach Ge-
samtkosten und nationalem Anteil einschließlich Zweitflugkörper)?

9. Inwiefern weicht diese Kostenprognose vom ermittelten Finanzbedarf ab,
der vor der parlamentarischen Entscheidung über die Entwicklung des Sys-
tems im Jahr 2005 ermittelt worden ist?

10. Mit welchen zeitlichen Verzögerungen im Programm rechnet die Bundes-
regierung derzeit?

11. Mit welchen Kostensteigerungen bei Entwicklung und Beschaffung rech-
net die Bundesregierung derzeit (bitte aufschlüsseln nach Gesamtkosten
und nationalem Anteil einschließlich Zweitflugkörper)?

12. Wie hoch werden die Entwicklungs- und Beschaffungskosten für die
Integration von IRIS-T sein?

13. Wer trägt die finanzielle Hauptlast der Integration?

14. Welche eigenen Vorstellungen möchte die Bundesregierung bei der ersten
Anpassung des Entwicklungsvertrages durchsetzen?

15. Welche eigenen Vorstellungen möchte die Bundesregierung im für den
August 2010 zu fixierenden nächsten Programm-Meilenstein „Critical
Design Review“ (CDR) durchsetzen?

16. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass der CDR innerhalb des bis-
herigen vertraglichen Gesamtkostenrahmens umgesetzt wird?

17. Welche eigenen Vorstellungen möchte die Bundesregierung in der Post-
CDR-Phase durchsetzen?

18. Inwiefern gehen die bisher bekannten Nutzungspläne der US-Army zur
zukünftigen Nutzung der MEADS-System-Komponenten über die gemein-
samen Programmziele hinaus?

19. Inwiefern sind sie mit gemeinsamen Programmzielen unvereinbar, und
welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

20. Besteht die Gefahr, dass MEADS von US-Seite dazu genutzt wird, trilateral
ein Führungs- und Waffeneinsatzsystem zu entwickeln, um dieses dann im
rein nationalen US-amerikanischen Programm „Integrated Air and Missile
Defense-Programms (IAMD“) einzubinden?

21. Welche Kompensationsforderungen sehen die vertraglichen Vereinbarun-

gen für einen solchen Fall vor?

Drucksache 16/13515 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
22. Welche Kompensationsforderungen seitens Italien und Deutschland gegen-
über den USA sehen die vertraglichen Regelungen bisher vor, und sollen
diese ggf. angepasst werden?

23. Soll das ursprünglich im Rahmen von MEADS zu entwickelnde Führungs-
und Waffeneinsatzsystem durch das US-amerikanische Battlefield Manage-
ment Systems ersetzt werden?

24. Trifft es zu, dass das Vorhaben MEADS bis zum CDR im August 2010 in
ein US-geführtes Programm überführt werden soll?

25. Wenn ja, welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus ziehen?

26. Welche Alternativen zu MEADS prüft die Bundesregierung derzeit?

27. Welche vertraglichen und finanziellen Konsequenzen hätte ein Ausstieg
aus MEADS für die beteiligten Partner?

28. Was versteht die Bundesregierung unter den „überschaubaren Risiken“
(vgl. FAZ vom 19. Mai 2009), die sie bereit sei einzugehen, um die gefor-
derten Fähigkeiten bei MEADS zu erreichen?

29. Wie beurteilt die Bundesregierung die Leistungs- und Aufwuchsfähigkeit
von Stinger, LeFlaSys und PATRIOT (PAC 2/3), IRIST-SL?

30. Wurden Möglichkeiten der modularen Modernisierung der eingeführten
Luft- und Flugabwehrsysteme geprüft, und wenn ja, welche und mit wel-
chem Ergebnis?

31. Welche Konsequenzen hat dies für die zukünftige Bundeswehr- und Haus-
haltsplanung?

32. Wurde geprüft, den Flugabwehrpanzer „Gepard“ mit moderner Sensorik zu
modernisieren, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

33. Hätten durch eine solche Modernisierung ggf. hohe Plattformkosten einge-
spart werden können?

34. Welche internationalen Partner planen vergleichbare Flugabwehrsysteme
zu entwickeln und/oder zu beschaffen?

Berlin, den 17. Juni 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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