BT-Drucksache 16/13469

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung -16/12850, 16/13125, 16/13411- Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13469
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz,
Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Erwin Lotter, Patrick Meinhardt, Jan
Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Frank
Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD sowie der Bundesregierung
– Drucksachen 16/12850, 16/13125, 16/13411 –

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie
in Kommunikationsnetzen

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hält den vorliegenden Gesetzentwurf nicht für geeig-
net, Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen erfolgreich zu bekämpfen.
Es muss alles daran gesetzt werden, dass den Opfern von Kindesmissbrauch
wirksam geholfen wird. Zudem verletzt der Gesetzentwurf verfassungsrecht-
liche Kompetenzen von Bund und Ländern.

II. Der Deutsche Bundestag stellt ferner fest:

Die dauerhaft wirksame Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern ist politi-

sche Verantwortung und rechtstaatliches Gebot zugleich. Aus diesem Grunde
hat der Gesetzgeber schon jetzt jeden Anreiz zur Produktion kinderporno-
graphischen Materials unter Strafe gestellt. Die Herstellung und Verbreitung
von pornografischen Schriften wie etwa Ton- und Bildträger, Datenspeicher,
Abbildungen und andere Darstellungen, die sexuelle Handlungen von, an oder
vor Kindern zum Gegenstand haben, sind nach § 184b des Strafgesetzbuchs
strafbar. Geben sie ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder,

Drucksache 16/13469 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ist zudem der Besitz beziehungsweise die Besitzverschaffung gemäß § 184b
Absatz 2 und 4 des Strafgesetzbuchs unter Strafe gestellt.

Auf Basis dieser klaren Bundesgesetzgebung stehen daher zunächst die zu-
ständigen Länder in der Pflicht, ihre jeweilige Polizeien, Staatsanwaltschaften
und Gerichte mit ausreichendem Personal und Sachmittel auszustatten. Nur so
können die bisherigen Ermittlungserfolge gefestigt und zukünftig noch ver-
bessert werden. Bisherige Defizite der dafür zuständigen Behörden ergeben sich
gegenwärtig unter anderem aus der eingeschränkten extraterritorialen Rechts-
durchsetzung hiesiger Normen. Hier bedarf es einer noch stärkeren operativen
Institutionalisierung von Melde- und Sanktionsverfahren über die nationalen
Grenzen hinaus, so dass auch im Ausland zum Abruf stehende Inhalte verfolgt
werden können.

Ein Missbrauch von Kindern stellt eine schwerwiegende Verletzung der
Menschenwürde dar. Das hiervon ausgehende, individuelle körperliche und
seelische Leid auch über den Missbrauchszeitpunkt hinaus ist unermesslich.
Kinderpornographisches Material birgt zudem das Potential für eine dauerhafte
Stigmatisierung und Traumatisierung der Opfer. Zunächst bedarf es daher eines
wirksamen Schutzes der Kinder gegen ihren Missbrauch als „Darsteller“. Staat-
liche Maßnahmen müssen daher konsequent einerseits auf aufklärende Präven-
tion und andererseits auf hohe Anzeige- und Aufklärungsquoten ausgerichtet
werden. Nur so lassen sich zukünftige Missbrauchsfälle vermindern. Der vor-
liegende Gesetzentwurf enthält keinerlei Maßnahmen gegen die Produktion
kinderpornographischen Materials durch Stärkung von Prävention und Auf-
klärung.

Ergänzend bedarf es eines effektiven und weltweiten Schutzes gegen die
Bereitstellung kinderpornographischer Angebote. Vereinzelt wird befürchtet,
dass derartige Darstellungen die einschlägige Nachfrage ortsunabhängig stimu-
lieren können und dadurch zu weiteren Missbrauchsfällen Anlass geben. Da-
rüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass entsprechendes Material
einzelne Konsumenten zu einem Missbrauch von Kindern veranlasst und die
Daten bisweilen auch genutzt werden, um entsprechende Verhaltensweisen bei
Kindern als „normal“ darzustellen und dadurch Hemmschwellen zu senken.
Diese Verbreitungseffekte enden nicht an nationalen Grenzen, sondern stellen
ein globales Problem dar.

Maßnahmenvorrang muss daher grundsätzlich die Löschung von Daten mittels
bestehender strafrechtlicher Verfahren vorrangig bei den Inhalteanbietern selbst
und, soweit dies nicht möglich ist, eine Löschung bei den so genannten Host-
Providern – den Speicherplatzanbietern – haben. Zugangssperrungen stellen
hingegen keinen effektiven Schutz gegen die Bereitstellung kinderpornographi-
scher Angebote dar. Auch die im Gesetz vorgesehene Subsidiaritätsklausel
kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es statt aktionistischer Symptom-
behandlung einer stringenten Ursachenabstellung bedarf. Die Lokalität der
Speichermedien muss dabei sekundär sein.

Andernfalls würden allenfalls orts- und medienkanalwirksame Zugangssperren
reine Placebo-Lösungen darstellen, da sich diese leicht von Anbietern und inte-
ressierten Nutzern umgehen lassen. Derartige Zugangssperren stellen ein nutzer-
basiertes und eben nicht angebotsbasiertes Filterkonzept dar, welches einen
marginalen Zugangsschutz gegenüber unwillentlichen Zugangssuchern (bei-
spielsweise über SPAM-Nachrichten) gewährt. Geschützt wird also nicht
primär das Opfer, sondern eher ein unbedarfter Internetnutzer, der kein eigenes
Interesse an einschlägigem Material hat. Die mit dem vorliegenden Gesetz ein-
hergehende Schutzwirkung adressiert somit den falschen Personenkreis.

Letztlich kann zudem nicht sichergestellt werden, dass Zugangssperren im

Inland nicht dem Grundsatz der Datenlöschung im Ausland entgegenstehen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13469

Dies ist etwa dann der Fall, wenn verfügbare Ressourcen auf die Identifizierung
von Sperrinhalten fokussiert werden, statt auf die Abstellung der eigentlichen
Rechtsverletzung. Daran ändert auch die vorgesehene Ermessenklausel im Ge-
setz nichts, nach dem das Bundeskriminalamt (BKA) weiterhin ohne Versuch
der tatsächlichen Löschung Internetangebote auf die Sperrlisten nehmen kann.
Die vorrangige Inanspruchnahme des Störers vor dem Nichtstörer stellt einen
allgemeinen polizeirechtlichen Grundsatz dar. Dieser darf nicht ausgehöhlt
werden.

Sachverständige haben zudem wiederholt auf die destruktive Wirkung der-
artiger WWW-Sperrungen hingewiesen, wonach neben Umgehungs- auch Ver-
lagerungseffekte erwartbar sind. Vor allem die nicht kontrollierbare Verbreitung
über Speicherträger (DVD, CD, USB), elektronische Post, Newsgroups, Peer-
to-Peer-Tauschbörsen, Chaträume und andere Wege würde spürbar aufgewertet.
Dadurch würden die Ermittlungsmöglichkeiten spürbar verschlechtert, was der
Zielsetzung des Gesetzesvorhabens entgegensteht. Dies ergibt sich schon daher,
dass der vorliegende Entwurf keinerlei Maßnahmen gegen die Verbreitung
kinderpornographischen Materials über diese Speicherwege beziehungsweise
Kommunikationsmedien enthält. Darüber birgt der Gesetzentwurf sogar die
Gefahr eines gesteigerten Interesses an oder höherer Nachfrage nach problema-
tischen Inhalten, zum Beispiel im Falle der nicht ausgeschlossenen ungewollten
Veröffentlichung einer Liste mit aus Sicht des Bundeskriminalamtes zu sperren-
den Seiten. Auch hier würde das Ziel staatlicher Aktivitäten zur Eindämmung
von Kinderpornographie konterkariert. Letztlich ist zu befürchten, dass durch
technische Mittel die auf der Sperrliste befindlichen Server ausgemacht werden
und dann die Anbieter gewarnt sind und ihre Spuren vertuschen können.

Aufgrund der – wenn überhaupt – eher marginalen Wirksamkeit der vor-
liegenden gesetzlichen Regelung beim Schutz von Kindern vor Missbrauch und
beim Schutz vor Verbreitung derartigen Materials stellt sich zudem die ver-
fassungsmäßig gebotene Frage der Verhältnismäßigkeit. Von den geplanten
Zugangssperrungen können auch legale Inhalte erfasst sein, wodurch die
Meinungs- und Berufsfreiheit von Inhaltsanbietern, Nutzern und Zugangs-
Providern in unzulässiger Weise eingeschränkt würde. Ein so genanntes over-
blocking lässt sich nicht vermeiden. Die vorgesehene Stichprobenkontrolle
durch ein Expertengremium beim Bundesbeauftragen für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit ist Augenwischerei. Nicht nur hat die Feststellung, ob
es sich um strafbare kinderpornographische Angebote handelt mit dem Ge-
schäftsbereich des Bundesdatenschutzbeauftragen nichts zu tun, sondern zudem
soll keine Einzelfallkontrolle stattfinden. Eine quartalsweise Stichprobe aber
schließt Over-blocking mitnichten aus. Statt einer bedenklichen Überdehnung
der Zuständigkeiten des BKA bedarf es einer Institutionalisierung der gericht-
lichen Prüfung gegebenenfalls notwendiger Sperrungen.

Weiterhin ist zu befürchten, dass die Sperr-Infrastruktur auf andere Inhalte aus-
gedehnt wird. Eine inhaltliche Durchregulierung des Internets ist aber mit den
Grundsätzen des Rechtsstaats nicht vereinbar. Schon jetzt wurden aber Forde-
rungen laut, auch andere Inhalte sperren zu lassen, wie zum Beispiel Glücks-
spielseiten wie Lotto im Internet, Computerspieleseiten, bestimmte politische
Inhalte etc. Mit jeder weiteren Sperrung steigt zudem die Gefahr, dass immer
mehr legale Inhalte mitgesperrt werden.

Die Nutzung geheimer Listen des BKA ist auch insoweit verfassungsrechtlich
bedenklich als betroffenen Anbietern allenfalls ein nachträglicher Rechtsschutz
eingeräumt wird. Eine vorherige Anhörungsrecht oder ähnliches ist nicht vor-
gesehen, sondern nur eine Mitteilung über die geplante Aufnahme, wobei hier
sogar dem BKA ein Ermessen eingeräumt wird, so dass im Falle einer unrecht-
mäßigen Sperrung nicht nur erheblicher Schaden für etwaige wirtschaftliche

Interessen einer gewerblich genutzten Website entstehen kann, sondern auch
ein nahezu nicht mehr rückgängig zu machende Stigmatisierung einträte.

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Letztlich wirft der vorliegende Gesetzentwurf erhebliche verfassungsrechtliche
und operative Zuständigkeitsfragen zwischen Bund und Ländern auf. Sowohl
Gefahrenabwehr als auch Regulierung von Medieninhalten liegen in der Zu-
ständigkeit der Länder. Letztere bietet den zuständigen Institutionen bereits
heute sämtliche Möglichkeiten des Vorgehens gegen strafbare Inhalte in Tele-
medien, im Falle der vorherigen Ausschöpfung aller effektiveren Mittel auch
die der Sperrverfügung. Die Landesgesetzgeber haben hier – insbesondere
durch § 59 Absatz 3, 4 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) – von ihrer Gesetz-
gebungskompetenz bereits Gebrauch gemacht. Der Bundesgesetzgeber ist also
verfassungsrechtlich für den vorgeschlagenen Regelungsinhalt ebenso wenig
zuständig wie das Bundeskriminalamt für Zusammenstellung einer Sperrliste
und die daran anknüpfenden Verfügungen von Netzsperren. Eine Kompetenz-
erweiterung des BKA auf die Gefahrenabwehr steht der Verfassung entgegen.
Die vorgesehene Regelungsausgestaltung würde zudem die Ermittlung insofern
erschweren, als es zu einer operativen Zuständigkeitsüberlagerung kommen
würde. Das eigentliche Ziel würde konterkariert.

Weiterhin wurde versäumt, das Notifizerierungsverfahren bei der EU anzu-
strengen, welches bei jedem Eingriff in die Telekommunikationsnetze erforder-
lich ist.

III. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. sich für die effektive Strafverfolgung von Anbietern kinderpornographischen
Materials gemeinsam mit den Ländern einzusetzen;

2. sich auch international für eine Verbesserung der Bekämpfung und eine
strikte weltweite Ächtung der Kinderpornographie einzusetzen;

3. Kindesmissbrauch und die Verbreitung von dessen Dokumentation in Bild
und Film konsequent zu verfolgen;

4. den Schutz von Kindern vor Missbrauch zu verbessern, indem gemeinsam
mit Eltern, Schulen, Kindergärten, Vereinen, Jugendämtern und anderen
effektive und wirksame Schutzmaßnahmen erarbeitet und die Sensibilität
verbessert wird;

5. die Prävention von Kindesmissbrauch dadurch zu stärken, dass potentielle
Täter frühzeitig erkannt und behandelt werden können, wie zum Beispiel im
Projekt „Kein Täter werden“ der Charité in Berlin;

6. Programme zu entwickeln, um Kinder stark zu machen, und darauf hin-
zuwirken, dass Kindern in Notsituationen, in denen ihnen sexueller Miss-
brauch droht, besserer und schneller Schutz zuteil wird;

7. die IT-Kompetenz der Sicherheitsbehörden zu verbessern, um eine effektive
Strafverfolgung im Internet zu gewährleisten;

8. die IT-Ausstattung der Sicherheitsbehörden nach dem Stand der Technik zu
verbessern, um die Strafverfolgung wirksam zu gewährleisten;

9. konsequent die bislang schon geltenden rechtlichen Möglichkeiten zur
Löschung kinderpornographischer Inhalte aus dem Internet zu nutzen.

Berlin, den 16. Juni 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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