BT-Drucksache 16/13295

Nachwirkungen des russisch-ukrainischen Gaskonflikts

Vom 4. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13295
16. Wahlperiode 04. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Hans-Josef Fell, Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nachwirkungen des russisch-ukrainischen Gaskonflikts

Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland im Energiebereich bleiben
auch mehrere Monate nach Beilegung des Gasstreits vom Januar 2009
problematisch, mit direkten Auswirkungen auf die Beziehungen der EU zu bei-
den Ländern. Die Lieferverträge, mit denen Russland und die Ukraine am
19. Januar 2009 den mehr als zweiwöchigen Gasstreit beilegten, haben nicht
alle kontroversen Fragen gelöst. Nach Einschätzungen von Kommentatoren
enthält der neue Vertrag Konditionen, die sich für die Ukraine aufgrund drohen-
der Verschuldung negativ auf die ohnehin schon schlechte Wirtschaftslage aus-
wirken werden. Eine Wiederholung des Szenarios vom Januar ist damit nicht
ausgeschlossen. Zugleich verfolgen EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze
zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit, insbesondere hinsichtlich
neuer Pipeline-Projekte, aber auch in Bezug auf den Umgang mit Russland
und mit der Ukraine. Die Kontroverse um das Energie-Memorandum zur
Modernisierung der ukrainischen Gasinfrastruktur, das die EU-Kommission bei
einer Investorenkonferenz am 23. März 2009 mit der Ukraine unterzeichnete,
zeigt, wie groß das Konfliktpotenzial in diesem Bereich nach wie vor ist.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung von Energieexperten,

dass die beiden am 19. Januar 2009 zwischen der Ukraine und Russland ab-
geschlossenen Lieferverträge über Erdgastransit und -import eine Asym-
metrie zum Nachteil der Ukraine aufweisen, da der Gaspreis im Verhältnis
zum Transitpreis wesentlich stärker angehoben wurde?

2. Welche Auswirkungen wird diese Vereinbarung nach Ansicht der Bundes-
regierung auf die Zahlungsfähigkeit und die weitere wirtschaftliche Ent-
wicklung der Ukraine haben?

3. Hält die Bundesregierung angesichts eines beinahe erneuten Gaskonflikts
zwischen Russland und der Ukraine Anfang März 2009, der durch Beglei-
chung von Schulden in Höhe von 360 Mio. US-Dollar knapp abgewendet
werden konnte, an ihrer Einschätzung fest, dass mit dem Liefervertrag „die
Voraussetzungen für eine langfristige Sicherung der Lieferung und der
Durchleitung des Gases geschaffen (sind)“ (Antwort auf die Kleine Anfrage
der Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 16/11957)?

Drucksache 16/13295 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der EU-Kommission, dass es
in den kommenden Monaten zu einem neuen Gaskonflikt kommen wird, da
die Ukraine sich derzeit aus ihren Gasspeichern bedient, spätestens im
Sommer aber neues Gas aus Russland wird kaufen müssen und dann erneut
in Zahlungsschwierigkeiten geraten wird (zitiert im Handelsblatt, 6. März
2009), und welche Auswirkungen auf Transitlieferungen erwartet sie?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Russland mög-
licherweise nicht hätte die Gasmengen liefern können, die vertraglich zu-
gesichert waren, angesichts der extrem tiefen Temperaturen im Januar 2009
in ganz Europa und dem dadurch verursachten erhöhten Gasbedarf, sowohl
in Russland selbst wie auch in ganz Europa?

6. Wie wird sich nach Ansicht der Bundesregierung der innerukrainische
politische Konflikt, der sich unter anderem im Streit um die Verzollung der
vom ehemaligen Zwischenhändler Rosukrenergo an den ukrainischen
Energiekonzern Naftogas abzutretenden Gasmenge in Höhe von 11 Mrd.
Kubikmeter manifestierte, auf die Zuverlässigkeit der Ukraine als Transitland
sowie auf die Problemlösungskompetenz der Ukraine im Falle erneut
auftretender Lieferstreitigkeiten auswirken?

7. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Rolle von Zwischenhändlern im
Gasgeschäft generell als problematisch an, und welche Kontrollmöglich-
keiten wendet sie gegenüber Zwischenhändlern an, um eine größtmögliche
Transparenz sicherzustellen und vertragsgerechte Abläufe zu garantieren?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Initiative des russischen Präsidenten
Dimitri Medwedew, ein neues Basisdokument über multilaterale Energie-
beziehungen zu entwerfen, in dem es auch um die Regelung von Transit-
fragen gehen soll?

9. Welche Auswirkungen hätte ein solches Dokument auf die Bemühungen
der EU, die wichtigsten Prinzipien des Energiechartavertrags im Energie-
kapitel des neuen EU-Russland-Abkommens zu verankern?

10. Wie begründet die Bundesregierung ihre Kritik am Energiememorandum
zwischen der EU-Kommission und der Ukraine vom 23. März 2009, unter
Hinweis auf eine Nichtbeteiligung Russlands angesichts der Aussage der
EU-Kommission, dass Russland wie alle anderen Konferenzteilnehmer
eingeladen gewesen sei, der Erklärung beizutreten?

11. Wie bewertet die Bundesregierung angesichts der aktuellen Wirtschafts-
krise die perspektivischen Möglichkeiten des russischen Gaskonzerns
Gazprom, insbesondere im Hinblick auf sein Investitionsprogramm zur
Modernisierung der Infrastruktur und Erschließung neuer Felder, und welche
Auswirkungen sieht sie für die zukünftige Energieversorgung der EU mit
russischem Gas?

12. Vergleicht die Bundesregierung die mögliche russische Gasförderung mit
dem rasant zurückgehenden Fördervolumen im restlichen Europa und den
Bedarfszuwächsen in der EU, und kann die Bundesregierung hierfür eine
exakte Analyse vorlegen und dem Deutschen Bundestag zugänglich
machen?

13. Liegen der Bundesregierung exakte Einzelfeldanalysen der russischen Gas-
felder vor, aus denen sie auf zukünftige russische Lieferkapazitäten in die
EU schließen kann?

a) Wennja, kann die Bundesregierung Angaben über aktuelles Fördervolu-
men, den Förderverlauf der kommenden Jahre, sowie verlässliche Zahlen
über die Förderung aus neu zu erschließenden Gasquellen machen, und
welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus für die zukünftige Versorgung
der EU mit russischem Gas?

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b) Wenn nein, teilt die Bundesregierung die Sorge, dass keine sicheren
Prognosen über zukünftige russische Gaslieferungen möglich sind?

14. Wie gestaltet sich der Abstimmungsprozess innerhalb der EU bezüglich
der Pipeline-Projekte „Nabucco“ und „South Stream“, und wie hat sich der
Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine auf die Realisierungschancen
beider Projekte ausgewirkt?
a) Wie begegnet die Bundesregierung angesichts ihrer Unterstützung für

beide Projekte der in der öffentlichen Wahrnehmung verbreiteten Ein-
schätzung, dass die beiden Pipeline-Projekte in Konkurrenz zueinander
stehen, zumal das am 15. Mai 2009 zwischen Gazprom und den an
South Stream beteiligten italienischen, griechischen, bulgarischen und
serbischen Energiekonzernen abgeschlossene Abkommen eine Verdop-
pelung der ursprünglich geplanten Gasliefermenge von 31 auf 63 Mrd.
Kubikmeter vorsieht?

b) Welche Rolle soll aus Sicht der Bundesregierung der Irak für die Belie-
ferung der geplanten Nabucco-Pipeline spielen angesichts einer geplanten
Beteiligung der Firmen OMV (Österreich) und MOL (Ungarn) an einem
Konsortium zur Erschließung irakischer Gasfelder, die allerdings derzeit
von politischen Unsicherheiten und Rivalität zwischen Zentralregierung
und kurdischer Regionalregierung in Frage gestellt wird?

c) Hat die Bundesregierung verlässliche Kenntnis darüber, dass die geplante
Nabucco-Pipeline auch ohne Erdgas aus dem Iran vollständig ausgelastet
werden kann?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung die politische Akzeptanz sowie die
Verlässlichkeit iranischer Erdgaslieferungen über die Nabucco-Pipe-
line?

e) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Verhandlungsstand
zwischen Russland und Aserbaidschan über Lieferungen von Gas aus
Aserbaidschan nach Russland, und welche Auswirkungen hätten kon-
krete Lieferverträge zwischen den beiden Ländern für die Realisierung
der Nabucco-Pipeline?

15. Sieht die Bundesregierung im großflächigen Aufbau einer europäischen
Biogasgewinnung einen Beitrag zur Gasversorgungssicherheit?
a) Verfolgt die Bundesregierung gegenüber Russland, der Ukraine und

anderen Ländern der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) eine
europäische Biogasstrategie?

b) Welche EU-Mitgliedstaaten unterstützen die Bundesregierung im Auf-
bau einer europäischen Biogasstrategie?

Berlin, den 4. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (0221)97 66 83 40, Telefax (0221)97 66 8344

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