BT-Drucksache 16/13231

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/12410, 16/13221- Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d)

Vom 27. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13231
16. Wahlperiode 27. 05. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Bodo Ramelow, Klaus Ernst, Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll,
Katrin Kunert, Wolfgang Neskovic, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 16/12410, 16/13221 –

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. In der zweiten Stufe der Föderalismusreform wurde eine Modernisierung der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen versprochen. Mit den nun vorliegenden
Gesetzentwürfen sind jedoch in der Hauptsache keine Verbesserungen für die
finanziellen Gestaltungsspielräume des Bundes und der Länder verbunden.
Vielmehr werden die Ergebnisse der großen Finanzreform von 1969 zurück-
genommen. Die damals in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes er-
öffneten finanzverfassungsrechtlichen Spielräume, eine aktive Konjunktur-
politik und öffentliche Investitionen regulär durch Kredite zu finanzieren,
soll durch die Einführung einer sogenannten Schuldenbremse stark einge-
schränkt werden. Diese „Schuldenbremse“ wirkt nicht nur wie eine Investi-
tionsbremse, sondern kann vor allem die Länder zu kontraproduktiven Spar-
maßnahmen im öffentlichen Sektor zwingen. Es ist nicht nachvollziehbar,
warum die Länder, deren Rolle als Investoren namentlich im Bildungs-, Wis-
senschafts- und Kulturbereich viel bedeutsamer ist als die des Bundes, künf-
tig auf eine strukturelle Kreditaufnahme verzichten müssen. Der Einführung
einer „Schuldenbremse“ in das Grundgesetz liegt außerdem eine verfehlte
Analyse der Ursachen des Verschuldungsproblems zugrunde. Die Staatsver-
schuldung ist in den letzten zwei Jahrzehnten nicht wegen fehlender finanz-
verfassungsrechtlicher Schranken für die Kreditaufnahme gestiegen, sondern
weil Steuergeschenke für Vermögende und Kapitalbesitzer in großem Maß-
stab auf Pump finanziert wurden. Diese Steuersenkungspolitik ist maßgeb-
lich für das Anwachsen der Verschuldung von Bund, Ländern und Kommu-

nen verantwortlich. Mit der Neufassung der Artikel 109 und 115 des
Grundgesetzes im Zuge der Föderalismusreform II wird so zwar ein neues
Staatsverschuldungsrecht geschaffen, die Ursachen des Problems werden
aber nicht angepackt. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Länder, die ihre In-
vestitionsprojekte nicht mehr in dem bisherigen Umfange über Kredite finan-
zieren können, gezwungen sein werden, auf Public Private Partnership und
andere private Finanzierungsformen zurückzugreifen. Die Einführung der

Drucksache 16/13231 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

„Schuldenbremse“ bedeutet damit auch die Fortsetzung der Privatisierungs-
und Entstaatlichungspolitik neoliberalen Zuschnitts. Sie ist abzulehnen.

2. Die Vorgaben in Artikel 109 Absatz 3 (neu) des Grundgesetzes zum Verbot
der strukturellen Neuverschuldung in den Länderhaushalten greifen tief in
die Verfassungen der Länder und in die Budgetrechte der Länderparlamente
ein. Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft der
Länder, die auch Wesensmerkmale ihrer in Artikel 79 Absatz 3 des Grundge-
setzes geschützten Eigenstaatlichkeit sind, wird damit beeinträchtigt. Auch
wenn unstrittig ist, dass Bund und Länder gemeinsame Grundsätze für die
Haushaltswirtschaft haben müssen, sind doch die einzelnen Bestandteile der
„Schuldenbremse“ so detailliert ausgestaltet, dass sie die Einschätzungsprä-
rogative der Haushaltsgesetzgeber der Länder in Bezug auf die Höchstbe-
träge, Bedingungen und Zeitfolge der strukturellen Kreditaufnahme außer
Kraft setzen. Weiterhin ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten
hoch problematisch, dass mit der Neufassung des Artikels 109 des Grundge-
setzes der Grundsatz der Gleichbehandlung von Bund und Ländern im Hin-
blick auf das Staatsverschuldungsrecht ausgehebelt wird. Für den Bund soll ab
2011 eine strukturelle Verschuldungsgrenze von 0,35 Prozent des Bruttoin-
landsproduktes (BIP) gelten, für die Länder ab 2020 von 0,0 Prozent des BIP.

3. In der Föderalismuskommission bestand Einvernehmen darüber, dass eine
funktionale Voraussetzung für die „Schuldenbremse“ in ausgeglichenen
Haushalten in Bund und Ländern besteht. Offensichtlich gehen auch die Bun-
desregierung und die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD davon
aus, dass nicht alle Bundesländer die finanzielle Leistungsfähigkeit haben,
bis 2020 einen Haushaltsausgleich aus eigener Kraft zu erreichen. Deswegen
soll in Artikel 143d i. V. m. Artikel 109b des Grundgesetzes die Gewährung
von Konsolidierungshilfen für fünf Bundesländer geregelt werden. Zur
Finanzierung der Konsolidierungshilfen müssen die Länder gemäß Artikel 7
des Begleitgesetzes (Änderung des Finanzausgleichsgesetzes) Umsatzsteuer-
anteile an den Bund abgeben. Dies ist für die finanzschwachen Länder abzu-
lehnen. Umfang und politische Rahmenbedingungen dieser Finanzhilfen sind
nicht geeignet, den Ländern neue haushaltspolitische Spielräume zu erschlie-
ßen. Sie müssen, um die Konsolidierungshilfen zu erhalten, zusätzlichen Ein-
sparungen in ihren Etats zustimmen. Die Einfügung von Artikel 143d in das
Grundgesetz sowie die entsprechenden Vorschriften im Begleitgesetz (Arti-
kel 3 und 7) sind daher abzulehnen. Bereits jetzt ist absehbar, dass die krisen-
bedingten Steuerausfälle in den genannten Bundesländern höher ausfallen als
die Finanzhilfen. Auch die anderen Bundesländer werden aufgrund der Krise
ebenso wenig wie der Bund einen ausgeglichenen Haushalt bis 2011 aufwei-
sen können. Die „Schuldenbremse“ wird so an den selbst definierten Voraus-
setzungen scheitern.

4. Gegenwärtig erlebt die Welt die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren.
Die deutsche Wirtschaft ist hiervon besonders stark betroffen, da die Wirt-
schaftspolitik seit Jahrzehnten einseitig den Exportsektor stärkt, indem
Sozialleistungen gekürzt und Lohndumping gefördert werden. In der Folge
ist die konsumtive Binnennachfrage viel zu schwach. Geht die Nachfrage aus
dem Ausland zurück, wie seit Oktober 2008 der Fall, bricht auch die Produk-
tion im Inland drastisch ein. Die fehlende Nachfrage aus dem Ausland kann
im Inland nicht aufgefangen werden. Hinzu tritt, dass nach jüngsten Schät-
zungen ohne ein entschlossenes Gegensteuern bis zum Jahre 2013 mit einem
Steuerausfall von 316 Mrd. Euro gerechnet werden muss. In dieser Situation
zügig die Staatsverschuldung reduzieren zu wollen, ohne die Dauer und die
Auswirkungen der Krise auch nur annähernd überblicken zu können, läuft
auf mehr als eine weitere Schwächung der Binnennachfrage hinaus. Was als

„Schuldenbremse“ installiert werden soll, stellt sich als Demontage einer
Bremse gegen wirtschaftliche Talfahrten heraus. Ein entschlossenes Gegen-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13231

steuern verlangt hingegen ein Konjunkturprogramm von jährlich 100 Mrd.
Euro. Diese Mittel gilt es zielgerichtet für den sozial-ökologischen Umbau
der Industrie und dringend benötigte öffentliche Investitionen zu verwenden.
In Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs muss diesem mit dem Instrument
der Kreditaufnahme entgegengewirkt werden, um möglichst zügig wieder
auf den Pfad wirtschaftlicher Prosperität zu gelangen. Unabhängig von kon-
junkturellen Wirtschaftszyklen gilt es weiterhin die verteilungspolitische
Schieflage in der Sozial- und Steuerpolitik zu überwinden und damit die pri-
vate Binnennachfrage zu stärken, was ebenfalls aus dem Konjunkturpro-
gramm zu finanzieren ist.

5. Der Auftrag des Stabilitätsrats, der gemäß Artikel 109a (neu) des Grund-
gesetzes zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen und zur Überwachung der
Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern eingerichtet werden soll, ist zu
eng auf Ausgabensenkungen ausgerichtet. Sein Verhältnis zum bestehenden
Finanzplanungsrat ist ungeklärt. Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne
finanzschwache Länder in dem Stabilitätsrat majorisiert werden. Diese Kon-
struktion ist unausgereift und daher einschließlich der Errichtungsvorschrif-
ten zum Stabilitätsrat in Artikel 1 des Begleitgesetzes abzulehnen.

6. Das Anliegen der Föderalismuskommission, die IT-Verwaltung von Bund
und Ländern zu effektivieren, ist grundsätzlich zu unterstützen. Die in Arti-
kel 91c (neu) des Grundgesetzes gewählten Regelungen, die es dem Bund und
den Ländern erlauben sollen, den Ausbau, die Erweiterung, die Festlegung
von Standards und den Betrieb von IT-Netzen zur Behördenvernetzung
gemeinsam durch Vereinbarung zu betreiben, sind jedoch verfassungs-
rechtlich problematisch. Diese Grundgesetzänderung ist vor dem Hinter-
grund des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum gemeinsamen Betrieb der
Jobcenter – Hartz-IV-ARGEn – als Absicherung erforderlich, denn wenn
Bund und Länder ihre Behördennetze verbinden und die Kommunikation
standardisieren wollen, liegt wieder eine verfassungsrechtlich bedenkliche
Mischverwaltung vor.

7. Die vorliegenden Ergebnisse der Arbeit der Föderalismuskommission sind
differenziert zu betrachten. Alle Ansätze, die geeignet sind, die Finanzkraft
bzw. die finanz- und haushaltspolitische Handlungsfähigkeit des Bundes-
staates zu stärken, sind zu unterstützen. Dies betrifft insbesondere die im
Begleitgesetz enthaltenen konkreten Maßnahmen des Steuervollzugs. Insge-
samt sind folgende Bestandteile des Gesetzespaketes zustimmungsfähig:

Im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 91d
(Benchmarking)

Im Entwurf eines Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform – Bundes-
tagsdrucksache 16/12400 die folgenden Artikel:

5 (Bundeskrebsregisterdatengesetz)
6 (Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes)
8 (Änderung des Einkommensteuergesetzes)
9 (Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung)

10 (Änderung des Versicherungsteuergesetzes)
11 (Änderung der Versicherungsteuer-Durchführungsverordnung)
12 (Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes).

8. Aus den dargelegten Gründen ist dem vorliegenden Gesetzespaket, außer in
den unter Nummer 7 aufgelisteten Punkten, nicht zuzustimmen. Gleichwohl
besteht bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen ein erheblicher Reform-
bedarf, insbesondere im Hinblick auf eine Verbesserung der Bildungsfinan-
zierung. Diese Reform sollte auch mit tatsächlich wirksamen Maßnahmen

zur Eindämmung der Staatsverschuldung verbunden werden.

Drucksache 16/13231 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

8.1 Um ein Steueraufkommen in Bund und Ländern sicherzustellen, das eine
aufgabengerechte Finanzierung der öffentlichen Aufgaben und eine wirk-
same Eindämmung der Verschuldung gewährleistet, soll das Grundgesetz
um eine Steuersenkungsbremse ergänzt werden, die in Artikel 109a (neu)
wie folgt gefasst werden kann: „Der Bund hat die Aufgabe, durch gesetzge-
berische Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass für Bund und Länder eine
auskömmliche gesamtwirtschaftliche Steuerquote gewährleistet wird. Für
Gesetze, die eine Senkung der Steuereinnahmen an einer Stelle bezwecken,
ist an anderer Stelle ein steuerlicher Ausgleich zu erbringen.“

8.2 Das Kooperationsverbot in Artikel 104b ist aufzuheben. Die Einschrän-
kung, dass der Bund den Ländern Finanzhilfen für bedeutsame Investi-
tionen nur in Bereichen gewähren kann, für die er die gesetzgeberische
Zuständigkeit hat, verhindert den erforderlichen Ausbau insbesondere der
Kita- und Ganztagsschulangebote.

8.3 In Artikel 91b ist eine neue Gemeinschaftsaufgabe Bildung einzufügen, die
es dem Bund ermöglicht, in allen Bereichen der Bildung bei Aufgaben von
überregionaler Bedeutung, insbesondere durch die Gewährung von Finanz-
hilfen beim Ausbau einer einheitlichen Bildungsinfrastruktur in bester Qua-
lität, mitzuwirken.

8.4 Mittelfristig müssen so Voraussetzungen geschaffen werden, um zu einem
nationalen Bildungspakt von Bund und Ländern zu gelangen. Bund und
Länder sollten sich in diesem Pakt per Staatsvertrag verpflichten, die Bil-
dungsausgaben dauerhaft an einem Anteil des BIP zu indexieren, der
Deutschlands öffentliche Bildungsausgaben zunächst an den Durchschnitt
der OECD-Staaten heranführt, dabei aber eine Senkung der Bildungsausga-
ben aufgrund sinkendem BIP ausschließt. Diese Indexierung der Bildungs-
ausgaben könnte zu einer Entlastung des Bildungsbereiches von kontra-
produktiven Sparzwängen beitragen. Mit einem nationalen Bildungspakt
sollen Maßnahmen für die Einrichtung eines flächendeckenden gebühren-
freien Netzes von Kindertagesstätten und Gemeinschaftsschulen sowie die
Steigerung der Anzahl der Studienplätze und der Absolventinnen und Ab-
solventen ergriffen werden.

8.5 Artikel 28 des Grundgesetzes ist so zu gestalten, dass die kommunalen Spit-
zenverbände bei Gesetzen oder Verordnungen, welche die Belange der Ge-
meinden oder Gemeindeverbände betreffen, ein Anhörungsrecht erhalten.

8.6 Es besteht weiterhin Handlungsbedarf für eine sozialverträgliche Entschul-
dungsstrategie für Bund und Länder. Dazu sollte eine Bundesschulden-
verwaltung eingerichtet werden, die einen Teil der Altschulden von Bund,
Ländern und Gemeinden übernimmt. Die gesetzliche Grundlage muss sich
am Prinzip des Lastenausgleichs orientieren. Des Weiteren sollte ein Teil
der Goldvorräte der Deutschen Bundesbank für eine zielgerichtete Ent-
lastung finanzschwacher Länder und Kommunen eingesetzt werden.

8.7 Die im Rahmen der Föderalismuskommission II eingeleiteten Maßnahmen
zur Verbesserung des Steuervollzuges sind Schritte in die richtige Richtung,
reichen aber nicht aus, um die mittelfristigen Potenziale vollzugsbedingter
Steuermehreinnahmen von bis zu 11 Mrd. Euro zu erschließen, die sich
durch die Einführung einer Bundesteuerverwaltung ergeben. Die Länder
sollen dabei verbindlich in die Standortplanung der Finanzämter einbe-
zogen werden. Übergangsweise sollen bis zur Einführung der Bundes-
steuerverwaltung die Personalkosten der Landessteuerverwaltungen so
beim Länderfinanzausgleich berücksichtigt werden, dass eine Aufstockung
der Personalkapazitäten, z. B. bei Betriebsprüferinnen und -prüfern sowie
Steuerfahnderinnen und -fahndern, für die Länder keine zusätzliche finan-

zielle Belastung bedeutet.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/13231

8.8 Eine Ausdehnung des Steuerwettbewerbs zwischen den Ländern, etwa durch
eine Übertragung von Hebesatz- oder Abschlagsrechten auf Gemeinschafts-
steuern, sind aus Rücksicht auf das Prinzip der Gleichwertigkeit der Lebens-
verhältnisse abzulehnen. Wettbewerbsföderalistische Positionen stellen ins-
gesamt keine sinnvolle Orientierung für die Fortentwicklung des deutschen
Föderalismus dar.

Berlin, den 26. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Im Zentrum der Föderalismusreform II steht die Einführung einer „Schulden-
bremse“ im Grundgesetz.

Ab 2011 soll für den Bund eine strukturelle Verschuldungsgrenze i. H. v. 0,35
Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gelten. Den Ländern ist eine struk-
turelle Verschuldung ab 2020 verboten (Artikel 109 – neu – des Grundgesetzes).
Darüber hinaus können sich Bund und Länder aus konjunkturellen Gründen ver-
schulden. Bei einer akkumulierten Neuverschuldung im Volumen von 1,5 Pro-
zent des BIP gilt für den Bund Tilgungsverpflichtung (Artikel 115 – neu – des
Grundgesetzes). In Reaktion auf das „Berlin“-Urteil des Bundesverfassungsge-
richtes wurde mit dem Stabilitätsrat (Artikel 109a des Grundgesetzes) ein Gre-
mium eingerichtet, das die Haushaltslage des Bundes und der Länder überwa-
chen soll, um möglichen Haushaltsnotlagen entgegenzuwirken, außerdem soll
es die Sanierungsprogramme der Länder überwachen, die Konsolidierungshil-
fen gemäß Artikel 143d (neu) des Grundgesetzes erhalten. Fünf finanzschwache
Länder sollen beim Abbau ihrer Altschulden von 2011 bis 2019 mit jährlich 800
Mio. Euro unterstützt werden. Diese insgesamt 7,2 Mrd. Euro teilen sich Bund
und Länder je zur Hälfte. Bremen soll 300 Mio. Euro jährlich erhalten, das Saar-
land 260 Mio. Euro und Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt jeweils
80 Mio. Euro. Die Länder erhalten das Geld nicht automatisch, sondern nur nach
Abschluss eines Staatsvertrages, der ein Sanierungsprogramm verbindlich vor-
schreibt. Das heißt, nur wenn sie sich zu zusätzlichen Kürzungen im laufenden
Etat verpflichten. Details sollen in dem Staatsvertrag geregelt werden.

Die „Schuldenbremse“ wird gegen den Rat namhafter Wirtschaftswissenschaft-
lerinnen und -wissenschaftler sowie Verfassungsjuristinnen und -juristen und
schwere Bedenken aus dem Kreis der Länder eingeführt. Jedoch ist bemerkens-
wert, dass auch Sachverständige der Föderalismuskommission, die der Einfüh-
rung der „Schuldenbremse“ zustimmen, eine Reihe von Kritikpunkten bestä-
tigen.

So erklärte Prof. Kai Konrad auf der gemeinsamen Anhörung des Rechtsaus-
schusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates
am 4. Mai 2009, dass mit der Einführung der „Schuldenbremse“ eine Abkehr
von einer aktiven Konjunktur- und Investitionspolitik verbunden sei. Die
Professoren Lars Feld und Clemens Fuest brachten zum Ausdruck, dass mit der
Einführung der „Schuldenbremse“ neue Einsparungen vor allem für die finanz-
schwachen Länder verbunden sein werden.

Der Sachverständige Prof. Gustav Horn hat die „Schuldenbremse“ auf der
Anhörung vom 4. Mai 2009 aus volkswirtschaftlicher Sicht einer umfassenden

Kritik unterzogen. Zwar teile er das „Ziel, den Staatshaushalt zu konsolidieren.“
Die „Schuldenbremse“ sei aber das falsche Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.

Drucksache 16/13231 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Seine weiteren Kritikpunkte stellen dem Schuldenbremsenmodell ein vernich-
tendes Zeugnis aus.

– Die Trennung von strukturellen und konjunkturellen Schulden sei nicht exakt
durchführbar. Das auf EU-Ebene angewandte ähnliche Verfahren führe regel-
mäßig dazu, „dass das strukturelle Defizit auch in konjunkturellen Schwä-
chephasen zunimmt, ohne dass sich sonst etwas an der Haushaltslage ändert.
In konjunkturellen Schwächephasen verengt sich also der Spielraum der öf-
fentlichen Haushalte, die Konjunktur zu fördern.“

– „Wir haben durchgerechnet, was passiert wäre, wenn ein ähnliches Modell
wie das vorgeschlagene zwischen 2001 und 2004 in der Praxis angewendet
worden wäre. Dann wäre das Bruttoinlandsprodukt bis zu 2,5 Prozent niedri-
ger ausgefallen, und es wären Beschäftigungsverluste in einer Größenord-
nung von 500 000 Arbeitsplätzen entstanden.“

Die beiden Abgeordneten der Fraktion der SPD Petra Merkel und Ortwin Runde
sprechen in einer schriftlichen Stellungnahme vom März 2008 von einer „Ge-
fahr“, die mit einer „Schuldenbremse“ entsteht, wenn Einnahmeausfälle nicht
mehr durch Kredite ausgeglichen werden können und so nur noch Ausgabenkür-
zungen im Sozial- und Jugendbereich bleiben, um den Haushaltsausgleich zu er-
reichen. Sie schreiben: „Institutionell dürfte die neue Schuldenregel mehr als
bislang den Druck erzeugen, gegebenenfalls entstehende Einnahmeausfälle
durch Ausgabenkürzungen im Arbeits- und Sozialetat, bei der Jugendhilfe, bei
Bildung und Forschung zu finanzieren.“ Genau dieser Zwang wird jetzt aufge-
baut, und noch verschärft, weil mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein struk-
turelles Neuschuldungsverbot für die Bundesländer durchgesetzt werden soll.
„Ein neues Schuldenregime für Deutschland darf keine verschärfte Übernahme
der EU-Defizitregeln von Maastricht sein“, schreiben Petra Merkel und Ortwin
Runde im März 2008 und genau das wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
im Mai 2009 präsentiert. Zu erinnern ist auch an eine Feststellung des Sachver-
ständigenrates, der ein generelles Verschuldungsverbot als „ökonomisch ähnlich
unsinnig, wie Privatleuten oder Unternehmen die Kreditaufnahme zu verbie-
ten“, einschätzte.

Das Deutsche Institut für Urbanistik schätzt allein den Investitionsbedarf im
Bereich der kommunalen Infrastrukturen auf 700 Mrd. Euro bis 2019. Dieser
Bedarf ist mit einer „Schuldenbremse“ nicht zu bewältigen.

Die Föderalismuskommission hat die Einführung der „Schuldenbremse“ immer
unter der Voraussetzung diskutiert, dass der Bund und die Mehrheit der Bundes-
länder ihre Defizite zügig abbauen, bis 2011 ausgeglichene Haushalte erreichen
und auf absehbare Zeit auf diesem Konsolidierungspfad bleiben. Diese Rahmen-
bedingungen sind unter dem Druck der Wirtschaftskrise völlig zusammenge-
brochen. Wenn die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten, dass
Deutschland die Verschuldungsgrenze der EU von 3 Prozent nicht einhalten
kann, wie sollen Bund und Länder dann die noch schärferen Regeln der „Schul-
denbremse“ einhalten. Für 2009 rechnet Deutschland mit einem Haushalts-
defizit von 89 Mrd. Euro, d. h. 3,7 Prozent des BIP. Im Jahr darauf sind es schon
132 Mrd. Euro bzw. 5,5 Prozent des BIP.

Das Argument der nachhaltigen Finanzpolitik, die ausschließen soll, dass künf-
tigen Generationen nicht tragbare Lasten aufgebürdet werden, kann zur Begrün-
dung der „Schuldenbremse“ nicht überzeugen. Hier ist z. B. Claus Matecki vom
DGB-Bundesvorstand zuzustimmen, wenn er feststellt, dass die „Schulden-
bremse“ dem Staat eine wesentliche Möglichkeit nehme, für die Zukunft vor-
zusorgen. Die „Schuldenbremse“ legt insbesondere die Länder als wichtige Trä-
ger der Bildungspolitik auf einen haushaltspolitischen Kurs fest, der sie an den
nötigen Steigerungen der Ausgaben für die Verbesserung der Ausstattung des

Schul- und Kita-Sektors ebenso hindert wie bei den Universitäten und Hoch-
schulen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/13231

Der Sachverständige Prof. Joachim Wieland sieht in der „Schuldenbremse“ ei-
nen tiefen Eingriff in die Landesverfassungen. Der Bundesverfassungsrichter
a. D. Hans-Joachim Jentsch hält das Verfahren der Übertragung der „Schulden-
bremse“ auf die Länder für verfassungswidrig: ,Der Bund hat keine Regelungs-
befugnis, eine konkrete Verschuldungsgrenze einzuführen. Im Grundgesetz
heißt es: „Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und
voneinander unabhängig.“ Das kann nicht verändert werden, weil es Ausdruck
des Bundesstaatsprinzips ist. (…) Zwar kann der Gesetzgeber eingreifen und
Grundsätze aufstellen. Und die Länder sind nicht ganz frei; sie haben Ver-
haltenspflichten. Die kann der Bund auch einfordern, wenn sich ein Land nicht
bundestreu verhält. Der Bund darf aber keine „Nulllinien“ für alle Länder vor-
geben – auch nicht mit Zustimmung der Länder.‘ (FAZ vom 9. Februar 2009).
Die Vertreter der Länderparlamente in der Föderalismuskommission haben
mehrfach gegen dieses Verfahren protestiert und ihre Rechtsposition in einem
Gutachten von Prof. Hans Peter Schneider untermauert. Der Landtag von
Schleswig-Holstein hat daran anknüpfend die Landesregierung aufgefordert,
eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen.

Da in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen ein erheblicher Reformbedarf be-
steht, wird für die weitere Debatte in Nummer 8 des Entschließungsantrags, der
dringlichen Handlungsbedarf aufgezeigt.

Steuersenkungsbremse

Im Jahre 2008 belief sich die gesamtwirtschaftliche Steuerquote auf 22,6 Pro-
zent. Der damalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin hat der Föderalismus-
kommission am 2. März 2009 mitgeteilt, dass diese Quote nicht wesentlich
unterschritten werden dürfe, sollte das Ziel ausgeglichener Haushalte „ernst-
haft“ verfolgt werden. Einen ähnlichen Vorschlag hatte zuvor bereits Prof. Peter
Bofinger gemacht.

Aufhebung des Kooperationsverbotes, Gemeinschaftsaufgabe Bildung und na-
tionaler Bildungspakt

Die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sind zu gering. Dies betrifft
sowohl die Unterfinanzierung des Bildungssystems (fehlende Kindergarten- und
Studienplätze; ungenügende Sachmittel- und Personalausstattung) als auch den
erheblichen Mehrbedarf für den Ausbau zu einem sozial gerechteren System.
Deutschland liegt im OECD-Vergleich der öffentlichen Bildungsausgaben weit
zurück. Der haushaltspolitische Handlungsbedarf wird von Expertinnen und
Experten auf bis zu 43 Mrd. Euro beziffert. Ohne eine andere Steuerpolitik ist
der bildungspolitische Reformbedarf nicht zu finanzieren. Bundestag und Bun-
desrat haben sich mit der Föderalismusreform II die Aufgabe gestellt, die Bund-
Länder-Finanzbeziehungen mit dem Ziel der Verbesserung von Wachstum und
Beschäftigung zu modernisieren. Die Mobilisierung der Ressourcen für den
Umbau des Bildungssystems ist die zentrale haushaltspolitische Aufgabe der
Bundesrepublik Deutschland. Es gibt im deutschen Föderalismus Anreize für
die Bundesländer, geringe Ausgaben für Bildung zu tätigen und diese Ausgaben
auf andere Bundesländer abzuwälzen („Trittbrettfahrer-Verhalten“). Außerdem
gibt es Hinweise auf einen innerdeutschen Brain Drain in die südlichen Bundes-
länder. Darauf muss die Föderalismuskommission reagieren. Der aufkommende
Wettbewerbsföderalismus birgt das Risiko des „Bildungsdumpings“. Die starke
Verlagerung der Bildungsfinanzierung auf die Gliedstaaten, die durch die Föde-
ralismusreform I gestärkt wurden, ist ein deutscher Sonderweg. In anderen
föderalen Staaten trägt die zentrale Ebene im höheren Maße die Finanzierung
von Bildungsausgaben. Alternativ werden die Kosten über Lastenausgleichs-
regelungen auf die einzelnen Gliedstaaten verteilt. Dies gilt auch für Österreich

und die Schweiz, die ähnlich wie Deutschland über ein starkes duales System
verfügen. Als erster Schritt für eine bessere Finanzierung der Bildung sollte im

Drucksache 16/13231 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Rahmen der Föderalismusreform II die Möglichkeit geschaffen werden, Pro-
gramme der Bildungsfinanzierung als neue Gemeinschaftsaufgabe in das
Grundgesetz (Artikel 91b) zu übernehmen. Das Kooperationsverbot in Artikel
104b muss fallen. Mittelfristig müssen so Voraussetzungen geschaffen werden,
um zu einem nationalen Bildungspakt von Bund und Ländern zu gelangen. Bund
und Länder sollten sich in diesem Pakt verpflichten, die Bildungsausgaben dau-
erhaft an einem Anteil des BIP zu indexieren, der Deutschland zunächst an den
Durchschnitt der Industriestaaten heranführt. Die Bundesrepublik Deutschland
hat sich bereits 1975 im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte auf die Gewährleistung des Rechts auf Bildung verpflichtet.
Damit ist die Verwirklichung dieses Rechtes Staatsziel. Jedes Land hat die
Pflicht, sein Bildungssystem entsprechend zu öffnen und seiner Bevölkerung
das Recht auf Bildung chancengleich zu ermöglichen.

Anhörungsrecht für Kommunale Spitzenverbände

Die Einführung eines kommunalen Anhörungsrechtes im Gesetzgebungsverfah-
ren des Bundes in Artikel 28 Absatz 2 ist eine bereits seit 1973 erhobene For-
derung der Kommunalen Spitzenverbände. Sie soll sicherstellen, dass die Kom-
munen bei allen Gesetzen, die unmittelbar ihre Belange berühren, verbindlich
beteiligt werden. Durch diese festgeschriebene und damit einklagbare Betei-
ligung würde nicht nur Sachverstand aus der Praxis in den Gesetzgebungspro-
zess einfließen, sondern dies würde wesentlich zur Qualifizierung von Gesetzen
beitragen. Zudem erwerben die Kommunen im Gesetzesvollzug eigene Exper-
tisen und fundierten Sachverstand über die Praxistauglichkeit der Gesetze.

Entschuldungsstrategie

Die Goldreserven der Deutschen Bundesbank, die den durch die Deutsche Bun-
desbank zum Stichtag 2000 ermittelten Wert des Goldbestandes i. H. v. 32,676
Mrd. Euro übersteigen, sind auf der Grundlage einer Änderung des Bundesbank-
gesetzes einem Sondervermögen von Bund und Ländern zuzuführen. Dies wä-
ren ca. 30 Mrd. Euro. Es geht nicht darum, der Deutschen Bundesbank generell
die Aufgabe, Goldreserven im Rahmen ihrer in Artikel 105 Absatz 2 des EG-
Vertrages übertragenen währungspolitischen Zuständigkeiten zu halten, zu ent-
ziehen, sondern einen Teil der Goldreserven auf der Grundlage für einen durch
das Parlament gesetzten Zweck zu verwenden. Dieses Sondervermögen soll der
Bewirtschaftung der Altschulden des Bundes und der Länder, einschließlich der
Kommunen dienen. Analog zum Verfahren in der Schweiz sollen die Beteiligun-
gen an den Erträgen des Sondervermögens zu einem Drittel an den Bund (10
Mrd. Euro) und zu zwei Dritteln an die Länder (20 Mrd. Euro) gehen. Alle Län-
der erhalten einen Grundbetrag nach Einwohnerzahl, bezogen auf 25 Prozent der
Erlöse. Die restlichen 75 Prozent der Erlöse sollen zur teilweisen Entschuldung
von Bundesländern mit überdurchschnittlicher Pro-Kopf-Verschuldung einge-
setzt werden. Die Kommunen müssen an dem Länderanteil beteiligt werden.

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