BT-Drucksache 16/13224

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/12881- Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Vom 27. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13224
16. Wahlperiode 27. 05. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder
Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/12881, 16/13204 –

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz
im Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der
Republik Serbien vom 9. Juni 1999

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Unabhängigkeit des Kosovo und seine Anerkennung waren die Voraus-
setzung für die Einleitung eines Aufbauprozesses, der zur Annäherung an die
Europäische Union und schließlich zum Beitritt des Kosovo führen soll. Diesem
Zweck dienen auch die Missionen der internationalen Gemeinschaft und ins-
besondere der Europäischen Union, die zur Unterstützung der staatlichen Insti-
tutionen des Kosovo bereitgestellt wurden.

Die Implementierung der bisher größten EU-Mission EULEX zur Unterstützung
von Polizei und Justiz im Kosovo konnte erst mit erheblicher Verzögerung im
Dezember 2008 abgeschlossen werden. Der Deutsche Bundestag bedauert diese
Verzögerung, die eine Folge des Beharrens Serbiens und der serbischen Minder-
heit im Kosovo auf Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien war. Möglich wurde
sie erst durch eine von den Vereinten Nationen vermittelte Vereinbarung zwi-
schen der EU und Serbien, die für die Gebiete mit serbischer Mehrheit im
Kosovo die Statusneutralität von EULEX und die Weitergeltung der UN-Hoheit

enthält.

Die so entstandene Zweiteilung der Rechtslage innerhalb des Kosovo führt zu
erheblichen Behinderungen des Aufbaus funktionsfähiger staatlicher Strukturen
und zu Unsicherheit bei allen Beteiligten. Sie droht insbesondere im Norden des
Kosovo die bereits vorhandene Tendenz zu einer Teilung des Kosovo zu verstär-
ken. Damit wäre mit dem Ahtisaari-Plan die verfassungsmäßige Grundlage des

Drucksache 16/13224 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Kosovo und das Ziel eines multiethnischen Staates in Frage gestellt. Die Folgen
eines solchen Präzedenzfalles für die Entwicklung der Staaten des westlichen
Balkan und die Stabilität der Region sind schwer zu kalkulieren. Eine solche
Entwicklung muss deshalb verhindert werden.

Der Aufbau eines funktionsfähigen multiethnischen Staates im Kosovo erfordert
Geduld und dauerhaftes Engagement sowohl der Institutionen im Kosovo selbst
als auch der internationalen Gemeinschaft. Erste Erfolge sind bereits zu ver-
zeichnen. Dazu gehört die zu beobachtende Tendenz in den mehrheitlich ser-
bischen Enklaven zu pragmatischer Zusammenarbeit mit den kosovarischen
Institutionen. Der Prozess der Dezentralisierung kann diese Entwicklung beför-
dern. Seine Bedeutung für die serbische Minderheit ist nicht zu unterschätzen,
denn immerhin leben etwa zwei Drittel der Angehörigen der serbischen Minder-
heit in den Enklaven außerhalb Nord-Mitrovicas und des Nordens.

Wichtigstes Problem bleibt die wirtschaftliche Entwicklung. Investitionen und
die Bereitstellung von Arbeitsplätzen sowie von Möglichkeiten der Berufsbil-
dung sind dringend notwendig. Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem
Zusammenhang die Entscheidung des Internationalen Währungsfonds (IWF)
vom 5. Mai 2009, das Kosovo aufzunehmen und ihm damit Zugang zu IWF-
Krediten zu ermöglichen.

Die nach wie vor erheblichen Defizite bei der Regelung von Eigentumsfragen
müssen gelöst werden. Dazu und zur Behandlung einer Vielzahl weiterer Pro-
bleme sind pragmatische Vereinbarungen mit Serbien notwendig, die unterhalb
der Ebene völkerrechtlicher Anerkennung die Akzeptanz der Realität eines
kosovarischen Staates voraussetzen. Die Perspektive einer Annäherung an die
Europäische Union für Serbien wie für das Kosovo ist ein starkes Argument für
das Erreichen solcher Vereinbarungen. Denn ein kooperatives Zusammenleben
beider Seiten ist Voraussetzung für einen erfolgreichen Weg in die EU.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Rahmen von EU, NATO und OSZE dafür einzusetzen,

– dass Ansätzen einer an ethnischen Grenzen orientierten Teilung des Kosovo
entschieden begegnet und multiethnische Zusammenarbeit auf allen Ebenen
gezielt gefördert wird;

– dass Aufbau und Präsenz von EULEX es ermöglichen, die Personalstärke
von UNMIK auf ein Berichts- und Verbindungsbüro zu reduzieren;

– Mittel für das Kosovo aus dem Stabilitätsinstrument der EU ungeachtet des
fehlenden Konsens in der EU über den Status des Kosovo ausreichend bereit-
zustellen;

– mit Hilfe der EU prioritär Projekte der Infrastruktur, der Bildung und Aus-
bildung zu fördern;

– dass Verteilung und Einsatz der EU-Mittel hinreichend transparent ablaufen,
um das Risiko von Verlusten und Fehllenkungen infolge von Korruption
minimieren zu können;

– dass direkt und über Mittelzuweisungen der kosovarischen Regierung gezielt
Projekte in den mehrheitlich serbisch bewohnten Gebieten einschließlich
Nord-Mitrovica gefördert werden, um so die Kooperationsbereitschaft mit
den kosovarischen Institutionen zu fördern;

– dass die Bildung von Gemeinden mit serbischer Mehrheit im Zuge der
Dezentralisierung mit Nachdruck und unter der Bedingung betrieben wird,
die Verwaltungs-, Steuer- und Finanzhoheit der kosovarischen Regierung zu

akzeptieren;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13224

– zu gewährleisten, dass die Strukturhilfen (IPA) der EU an Serbien nicht wei-
terhin zur Finanzierung von Parallelstrukturen in den mehrheitlich serbischen
Gebieten im Kosovo genutzt werden können;

– dass die Nordgrenze des Kosovo zu Serbien ausreichend kontrolliert und ge-
schützt wird, um den Waren- und Personenverkehr kontrollieren, Schmuggel
unterbinden und Zölle effektiv eintreiben zu können;

– dass nach Möglichkeiten für Erleichterungen im kleinen Grenzverkehr
zwischen dem Kosovo und seinen Nachbarstaaten gesucht und seitens der
EU Visaerleichterungen für Reisen aus dem Kosovo in die EU praktiziert
werden.

Berlin, den 27. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Das Kosovo ist seit mehr als einem Jahr ein unabhängiger Staat, völkerrechtlich
anerkannt von derzeit 59 Staaten, darunter der großen Mehrheit der Mitglied-
staaten der Europäischen Union. Die staatliche Unabhängigkeit entspricht dem
eindeutigen Willen der gesamten albanischen Bevölkerung des Kosovo. Sie ist
jedoch eingeschränkt durch die Präsenz des Internationalen Zivilen Repräsen-
tanten (ICR), zugleich Sonderbeauftragten der EU (EUSR). Dieser hat im Auf-
trag der internationalen Gemeinschaft und auf Einladung der Regierung des
Kosovo die Aufsicht über die Einhaltung des so genannten Ahtisaari-Plans, der
die verfassungsrechtliche Grundlage des Kosovo bildet. Jenseits der sich daraus
ergebenden Einschränkungen haben Regierung und Parlament des Kosovo die
staatliche Entscheidungs- und Verwaltungshoheit übernommen. Die bisherige
internationale Verwaltung des Kosovo UNMIK wird durch die Justiz- und
Polizei-Mission EULEX der EU ersetzt werden. Diese hat im Unterschied zu
UNMIK keine Entscheidungskompetenz, sondern eine beratende und unter-
stützende Funktion. Die im Ahtisaari-Plan festgelegte weitgehende Autonomie
der mehrheitlich serbischen Gemeinden wird im Zuge der so genannten Dezen-
tralisierung räumlich ausgeweitet, um das Gewicht der Minderheit gegenüber
der albanischen Mehrheit zu erhöhen.

Die völkerrechtliche Situation des Kosovo ist jedoch umstritten insofern, als
Serbien und eine Reihe weiterer Staaten, darunter dem ständigen Mitglied des
UN-Sicherheitsrates Russland, die Unabhängigkeit des Kosovo nicht aner-
kennen. Damit gilt die UN-Resolution 1244 weiter, mit ihr die UN-Verwaltung
UNMIK. Aus Sicht der UN bleibt der Status des Kosovo ungeklärt. Auf Status-
neutralität des Kosovo basiert auch eine von den UN vermittelte Vereinbarung
zwischen EU und Serbien über den Status der seit Dezember 2008 arbeitenden
EU-Mission EULEX. Die Vollversammlung der UN hat auf Antrag Serbiens den
Internationalen Gerichtshof in Den Haag mit einem völkerrechtlichen Gutachten
zur Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo beauftragt. Mit einer Ent-
scheidung wird frühestens im nächsten Jahr gerechnet.

Diese Umstände haben im Kosovo zu einer Reihe von Behinderungen der wei-
teren staatlichen und wirtschaftlichen Entwicklung geführt. Nord-Mitrovica und
die mehrheitlich serbisch bewohnten Gemeinden an der Nordgrenze des Kosovo
sowie eine Reihe von Enklaven mit serbischer Mehrheit im Kosovo lehnen die

staatliche Unabhängigkeit ab und betrachten sich als Teil Serbiens. Weder die
Regierung des Kosovo noch internationale Institutionen zu ihrer Unterstützung

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wie die EU-Mission EULEX oder das Büro des ICR werden dort akzeptiert. Sie
können in diesen Gebieten nur unter dem Dach von UNMIK agieren. In den
albanisch majorisierten Teilen des Kosovo darf UNMIK jedoch seit der Unab-
hängigkeitserklärung keine administrativen Befugnisse mehr ausüben.

Die schon vor der Unabhängigkeitserklärung latent vorhandene Teilung des
Kosovo ist damit verfestigt. Anders als im größten Teil des Kosovo gelten im
Norden und den Enklaven die von UNMIK erlassenen Gesetze, verbunden mit
aus Serbien finanzierten Strukturen und Verwaltungen. Die weiter bestehende
Uneinigkeit über den völkerrechtlichen Status des Kosovo führt zur Aufrecht-
erhaltung der strukturellen Schwächen in Wirtschaft und Verwaltung. Dringend
erforderliche Auslandsinvestitionen bleiben aus, weil die Rechtslage unklar
bleibt und Eigentumsfragen nicht gelöst sind. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch,
Organisierte Kriminalität und Auslandsüberweisungen bleiben die vorrangigen
Mittel zu deren Kompensation. Die Nordgrenze zu Serbien kann nicht aus-
reichend kontrolliert, Zölle nicht erhoben werden. Die Kriminalitätsverfolgung
ist nur eingeschränkt möglich. Durch die internationale Wirtschaftskrise wird
diese Problematik weiter verschärft.

Die staatlichen Strukturen im Kosovo sind noch im Aufbau, Korruption ist weit
verbreitet. Die Ausbildung und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen halten
nicht mit der Bevölkerungsentwicklung stand. Anders als im Norden ist in den
serbischen Enklaven zwar wachsende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den
kosovarischen Institutionen zu beobachten. Aufgrund von Perspektivenmangel
ist dennoch eine erhöhte Abwanderung von Jugendlichen nach Serbien zu
befürchten, im übrigen Kosovo mangels Auswanderungsmöglichkeiten ein
Ansteigen der sozialen Konflikte. Pragmatische Vereinbarungen mit Serbien
und ein verstärktes Engagement von EU und internationaler Gemeinschaft sind
deshalb dringend notwendig, um nicht aus dem Kosovo einen neuerlichen
Krisenherd entstehen zu lassen.

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