BT-Drucksache 16/13162

Deutsch-russische Kooperation im Klimaschutz

Vom 26. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13162
16. Wahlperiode 26. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Cornelia Behm,
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia
Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Deutsch-russische Kooperation im Klimaschutz

Wenige Monate vor der für den weltweiten Klimaschutz zentralen UN-Klima-
konferenz COP 15 in Kopenhagen (7. bis 18. Dezember 2009) gilt Russland als
einer der schwierigsten und gleichzeitig wichtigsten Verhandlungspartner im
Ringen um ein Post-2012-Klimaabkommen.

Russland hat sich zusammen mit den USA im Abschlussdokument des G8-
Treffens in Heiligendamm im Juni 2008 lediglich dazu verpflichtet, mindestens
eine Halbierung der globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 „ernsthaft zu
prüfen“ (seriously consider). Russland bekannte sich in Heiligendamm zusam-
men mit seinen G8-Partnern jedoch zu den Ergebnissen des vierten Berichts des
Klimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), wonach der
Klimawandel hauptsächlich anthropogene Ursachen hat. Während der UN-Kli-
makonferenz COP 14 im Dezember 2008 erklärte die russische Regierung, sie
strebe eine Stabilisierung der seit 1999 bis zur aktuellen Wirtschaftskrise wach-
senden russischen Treibhausgasemissionen an. Mit Stand Anfang Mai 2009
hat die russische Regierung im Zuge der laufenden UNFCCC-Verhandlungen
(UNFCCC = United Nations Framework Convention on Climate Change) und
im Gegensatz zu anderen Staaten allerdings noch keine Emissionsziele für die
Zeiträume bis 2020 und 2050 veröffentlicht.

Zwar liegen die russischen Treibhausgasemissionen durch den Zusammen-
bruch der hoch energieintensiven sowjetischen Schwerindustrie 2007 (ohne
Emissionen der Wälder und durch Bodennutzung) um 34 Prozent unter denen
von 1990. Russische unabhängige Experten prognostizieren derzeit für 2020
ein Emissionsniveau, das 25 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegt. Doch
die russische Wirtschaft zählt nach wie vor zu den energie- und CO2-intensivs-
ten der Welt. Nach Gazprom-Angaben (20. April 2009) könnten im Land mit
einfachen Energieeffizienzmaßnahmen bis zu 100 Mrd. Kubikmeter Erdgas
jährlich eingespart werden. Das entspräche der dreifachen Menge des in die
Bundesrepublik Deutschland gelieferten russischen Gases. Zwar sank die Ener-

gieintensität der russischen Wirtschaft nach Weltbankangaben seit 1990 pro
Jahr um 3,4 Prozent, jedoch erreichten die meisten anderen ehemaligen Sowjet-
republiken im gleichen Zeitraum jährliche Reduktionen von 6 bis 7 Prozent.
Um 3,4 Prozent auch in Zukunft wenigstens halten zu können, müsse jetzt ver-
stärkt die Politik aktiv werden, so die Weltbank.

Die globale Erwärmung wird in der russischen Öffentlichkeit nach wie vor
kaum wahrgenommen. Erst sehr langsam verstärkt sich die Berichterstattung

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der Medien. Ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau haben die Themen
Energieeffizienz, regenerative Energien und Klimaschutz in den vergangenen
Monaten immerhin erhöhte politische Aufmerksamkeit erfahren. Regierungs-
ziel ist es inzwischen, die Energieintensität der Wirtschaft bis 2020 um mindes-
tens 40 Prozent zu verringern. Dafür erarbeiten Regierung und Duma derzeit
einen Gesetzentwurf „Über die Energieeinsparung und die Erhöhung der Ener-
gieeffizienz“.

Eine erste Erneuerbare-Energien-Verordnung vom Januar 2009 soll den Anteil
regenerativer Energien am Strommarkt von derzeit unter einem Prozent auf
4,5 Prozent bis 2020 anheben (ausgenommen große Wasserkraft). Allerdings
erklärt Energieminister Sergej Schmatko, der Ausbau der regenerativen Ener-
gien habe innerhalb der russischen Regierung nur nachgeordnete Priorität.

Mit der Verkündung einer Klimadoktrin am 23. April 2009 unterstrich Premier-
minister Wladimir Putin zum ersten Mal die Notwendigkeit und den Regie-
rungswillen nach einer aktiven russischen Klimapolitik. Damit ergeben sich
jetzt unter Umständen auch für die deutsch-russische sowie die europäisch-
russische Klimazusammenarbeit zusätzliche Möglichkeiten, die noch vor den
entscheidenden UN-Klimaverhandlungen im Dezember 2009 neue Impulse für
ein ausreichend ambitioniertes Post-2012-Klimaabkommen schaffen können.

Wir fragen die Bundesregierung:

Internationale Klimaverhandlungen

1. Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle Russlands bei den aktuellen
Klimaverhandlungen im Rahmen der UNFCCC, von G8, G20 und des
Major Economies Forum ein?

2. In welcher Größenordnung sollte die Begrenzung der russischen Treibhaus-
gasemissionen bis 2020 (Basisjahr 1990) nach Auffassung der Bundesregie-
rung liegen?

3. Welche Haltung hat die Bundesregierung bezüglich der Anrechnung nicht
genutzter russischer und ukrainischer Emissionsberechtigungen aus der lau-
fenden Anrechnungsperiode für den Zeitraum ab 2012?

4. Sollte nach Auffassung der Bundesregierung Russland einen Anteil an den
international notwendigen Mitteln zur Finanzierung von Anpassung und
Technologietransfer in den Nicht-Annex-I-Ländern übernehmen, und wenn
ja, in welchem Umfang?

Russische Klimapolitik

5. Inwiefern bietet die im Januar 2009 verabschiedete russische Verordnung
zur Förderung erneuerbarer Energien einen hinreichenden Rahmen, um zu-
sätzliche Investitionen in regenerative Energien in ausreichender Größen-
ordnung anzuregen?

a) Inwieweit hat sich der russische Gesetzgeber am von der damaligen rot-
grünen Bundesregierung auf den Weg gebrachten Erneuerbare-Energien-
Gesetz (EEG) orientiert?

b) Welche neuen Investitionsmöglichkeiten sieht die Bundesregierung nach
Inkrafttreten der Verordnung für deutsche Firmen im Bereich der er-
neuerbaren Energien in Russland?

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Bilaterale Zusammenarbeit

6. Mit welchen russischen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen
hat die Bundesregierung die vielversprechendsten und aktivsten Arbeits-
kontakte im Bereich Klimawandel, regenerative Energien und Energieeffi-
zienz?

7. In welchen konkreten Projekten, Gesprächsforen sowie in welchem finan-
ziellen Umfang engagiert sich die Bundesregierung, auch über die dena
(Deutsche Energie-Agentur GmbH), derzeit in den Bereichen Erhöhung
von Energieeffizienz und Förderung erneuerbarer Energien sowie Klima-
wandel allgemein in Russland?

8. Welche weiteren Initiativen sind geplant, und inwiefern sieht die Bundes-
regierung zusätzlichen Handlungsbedarf?

9. Wie bewertet die Bundesregierung das diesbezügliche Engagement der mit
deutscher Beteiligung operierenden Entwicklungsbanken Weltbank, Euro-
päische Investitionsbank (EIB) und Europäische Bank für Wiederaufbau
und Entwicklung (EBWE) in Russland?

10. Wird sich die Bundesregierung in den Gremien der drei Banken dafür ein-
setzen, dass deren Engagement im Bereich Klimaschutz in Russland und
der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) verstärkt wird?

11. Inwiefern kann sich die geplante russisch-deutsche Energieagentur Rudea
zu einem russischen Gegenstück zur dena entwickeln?

a) Wie genau sind Finanz- und Organisationsstruktur der Rudea geregelt,
und in welchen Schritten wird die Agentur aufgebaut?

b) An welchem Ort wird die Rudea ihren Sitz haben, und mit wie vielen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll sie in der Anfangsphase arbeiten?

12. Was ist der Hintergrund der Entscheidung, laut den Berichten zufolge, dass
die Förderung erneuerbarer Energien kein vorrangiger Schwerpunkt der
Rudea-Arbeit sein soll, sondern lediglich in Ergänzung zur Förderung der
Energieeffizienz Modellvorhaben im Bereich regenerativer Energien geplant
sind?

13. Planen Bundesregierung oder dena, das Kooperationsmodell der Rudea
auch für die Zusammenarbeit mit anderen Staaten bei regenerativen Ener-
gien und Energieeffizienz vorbildhaft zu nutzen?

14. Inwiefern sieht die Bundesregierung Möglichkeiten einer finanziellen Er-
weiterung der Rudea durch eine Beteiligung von EBWE, EIB und Welt-
bank?

15. In welchen Projekten, mit welchen Partnerinnen und Partnern und in wel-
chem finanziellen sowie personellen Umfang engagiert sich die deutsche
Botschaft in Moskau im Klimaschutz?

16. Plant die Bundesregierung, das Engagement, eventuell auch in Koopera-
tion mit den im Bereich Klimawandel sehr aktiven Botschaften Großbritan-
niens und Dänemarks, auszubauen?

17. Inwieweit wird die Bundesregierung die Mitte Juli anstehenden deutsch-
russischen Regierungskonsultationen nutzen, konkrete gemeinsame zusätz-
liche Projekte im Bereich Klimaschutz auf den Weg zu bringen?

18. Welche konkreten Themen und Projekte behandelt aktuell die Unterarbeits-
gruppe Energieeffizienz im Rahmen der Deutsch-Russischen Arbeits-
gruppe für strategische Fragen der wirtschaftlichen und finanziellen Zu-

sammenarbeit, und welche Aktivitäten sieht die mittel- und langfristige Ar-
beitsplanung der Unterarbeitsgruppe vor?

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19. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, in das Dachthema des diesjähri-
gen Petersburger Dialogs „Wege aus der Krise – deutsche und russische
Herausforderungen“ den Austausch über grüne Investitions- und Antikri-
senprogramme (Green New Deal) sowie eine verstärkte Zusammenarbeit
im Bereich Klimawandel und saubere Entwicklung zu integrieren?

20. Mit welchen konkreten Ansätzen könnte diesem Thema nach Meinung der
Bundesregierung im Petersburger Dialog höhere Aufmerksamkeit ver-
schafft werden?

21. Engagiert sich die Bundesregierung für den Erhalt der russischen Urwälder,
und gegebenenfalls in welcher Form?

22. Inwieweit ist die Bundesrepublik Deutschland nach Erkenntnissen der
Bundesregierung durch den Import von Hölzern oder Holzprodukten für
die Zerstörung der russischen Urwälder mitverantwortlich, und was unter-
nimmt die Bundesregierung, um solche klimaschädlichen Importe in die
Bundesrepublik Deutschland zu verhindern?

23. Welche Projekte russisch-deutscher Zusammenarbeit schätzt die Bundes-
regierung als besonders relevant ein, um die gemeinsamen Klimaschutz-
anstrengungen schnell auf eine neue Qualitätsstufe zu führen?

24. Inwieweit spielten die Themen Klimaschutz, internationale Klimaverhand-
lungen, Energieeffizienz und regenerative Energien sowie grüne Investi-
tions- und Antikrisenprogramme (Green New Deal) beim EU-Russland-
Gipfel am 21. und 22. Mai eine Rolle?

25. Inwiefern spielt die Verstärkung des EU-Russland-Dialoges im Bereich
Klimawandel eine Rolle bei den Verhandlungen für ein neues Partner-
schafts- und Kooperationsabkommen (PKA) mit Russland?

26. Wird sich die Bundesregierung gegenüber den EU-Partnerinnen sowie der
russischen Regierung für eine Aufwertung des Klimaschutzes in den bilate-
ralen Gesprächen im Rahmen der vier Gemeinsamen Räume, neben dem
ersten Raum für Wirtschaft und Umwelt insbesondere auch im dritten
(Äußere Sicherheit) und vierten Raum (Forschung und Bildung), einset-
zen?

27. Sieht die Bundesregierung Bedarf, den Themen Energieeffizienz und rege-
nerative Energien im Rahmen des EU-Russland-Energiedialogs größere
Aufmerksamkeit zu widmen?

28. Wird sich die Bundesregierung für eine entsprechende Prioritätensetzung
innerhalb der EU und gegenüber der russischen Regierung einsetzen?

29. Wie bewertet die Bundesregierung die Potenziale und Chancen einer „EU-
Russland-Partnerschaft für Klimaschutz und saubere Entwicklung“ nach
dem Vorbild der Asia-Pacific Partnership for Clean Development and
Climate?

30. Wird die Bundesregierung die anstehenden Treffen der G8-Regierungen
nutzen, neben dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs vom 8. bis
10. Juli auch das Treffen der G8-Energieminister am 24./25. Mai, um dabei
bi- und multilateral mit den russischen Partnern den Dialog für ein aus
Klimaschutzsicht ambitioniertes Post-2012-Abkommen zu suchen und zu
verstärken?

31. Inwieweit kann die im Oktober 2008 von russischer Regierung und Bun-
desregierung beschlossene bilaterale Pilotinitiative für mehr Energieeffi-
zienz in Jekaterinburg auch in anderen russischen Metropolregionen An-
wendung finden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/13162

a) Plant die Bundesregierung zusammen mit russischen Partnern eine ent-
sprechende Ausweitung dieses Pilotprojekts?

b) Welche quantifizierbaren Ergebnisse erwartet die Bundesregierung von
der Initiative?

32. Sieht die Bundesregierung im Zuge der Veröffentlichung eines Entwurfes
für eine russische Klimadoktrin am 23. April 2009 neue Möglichkeiten
deutsch-russischer und europäisch-russischer Zusammenarbeit im Bereich
Klimaschutz?

a) Wenn ja, in welchen Bereichen?

b) Steht die Bundesregierung diesbezüglich bereits in Gesprächen mit rus-
sischen Partnerinnen und Partnern?

33. Inwieweit schätzt die Bundesregierung den bi- und multilateralen Dialog
sowie die Zusammenarbeit mit Russland zur Einhaltung des 2-Grad-Zieles
als ausreichend intensiv ein?

34. Plant die Bundesregierung, auch zusammen mit Partnerländern beispiels-
weise in der EU oder den USA, im Bereich Klimawandel die Einrichtung
zusätzlicher hier noch nicht genannter Dialog- und Aktionsforen mit Russ-
land?

Berlin, den 26. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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