BT-Drucksache 16/12893

Transsexuellengesetz aufheben - Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle schaffen

Vom 6. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12893
16. Wahlperiode 06. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Werner Dreibus, Ulla
Lötzer, Kornelia Möller, Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Transsexuellengesetz aufheben – Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für
Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Reformbedarf im Transsexuellengesetz nach Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts

Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Hierzu ge-
hört auch, die eigene psychische Geschlechtsidentität zu leben, auszudrücken
und entsprechend anerkannt zu werden. Rechtliche Hindernisse, die diesem Ziel
entgegenstehen, sind aufzuheben. Das Transsexuellengesetz (TSG) enthält Re-
gelungen, die die Selbstbestimmung und Würde von transsexuellen Menschen
beeinträchtigen und nicht länger aufrechterhalten werden dürfen. Auch das Bun-
desverfassungsgericht (BVerfG) hat in den folgenden Punkten Änderungsbedarf
angemahnt.

Am 27. Mai hat das BVerfG die Bundesregierung aufgefordert, das TSG bis zum
1. August 2009 zu verändern. Die Ehelosigkeit als Voraussetzung für einen per-
sonenstandsrechtlichen Geschlechtswechsel eines transsexuellen Menschen hält
das BVerfG für mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar, da das Recht auf Aner-
kennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität (Artikel 2 Absatz 1 in
Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) und das durch Artikel 6 Absatz 1 GG
geschützte Interesse am Fortbestand der Ehe verletzt werden (Aktenzeichen:
1 BvL 10/05). Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung ist § 8 Absatz 1 Nummer 2
TSG nicht anwendbar.

§ 7 Absatz 1 Nummer 3 TSG bestimmt, dass die Vornamensänderung rückgän-
gig gemacht wird, wenn die transsexuelle Person eine Ehe eingeht. Diese Rege-
lung ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr
2005 (Aktenzeichen: 1 BvL 3/03) ebenfalls nicht mit Artikel 2 Absatz 1 in Ver-
bindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG vereinbar, solange homosexuell orientierten
Transsexuellen ohne personenstandsrechtlichen Geschlechtswechsel eine recht-

lich gesicherte Partnerschaft nicht ohne Verlust des nach § 1 TSG geänderten
Vornamens eröffnet ist.

Die Bundesregierung ist trotz der Aufforderung durch das BVerfG bislang nicht
aktiv geworden. Darüber hinaus werden auch die Rechte von ausländischen
Transsexuellen durch das deutsche Recht unangemessen eingeschränkt. Zwar
stehen die Möglichkeiten des TSG inzwischen auch Ausländern und Auslände-
rinnen offen, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland

Drucksache 16/12893 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

aufhalten. Ausgeschlossen bleiben aber Personen, denen durch ein überlanges
Asylverfahren oder Duldungen der rechtmäßige Aufenthaltsstatus in Deutsch-
land vorenthalten wird, obwohl sie sich dauerhaft in Deutschland aufhalten.

2. Personenstandsrecht schränkt die Rechte von Intersexuellen und Transgen-
dern ein

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt voraus, dass Menschen
in ihrer Sexualität und Geschlechtlichkeit akzeptiert werden. Dies ist eine
Grundvoraussetzung für die rechtliche Anerkennung. Diese Anerkennung wird
intersexuellen Menschen und Transgendern verwehrt.

Intersexuellen Menschen (Gebräuchlich sind auch die Begriffe Hermaphroditen
und Zwitter), also Personen bei denen die körperlichen Geschlechtsmerkmale
bei der Geburt oder im Laufe des Lebens, bespielweise durch hormonelle Ver-
änderungen während der Pubertät, nicht dem männlichen oder weiblichen Ge-
schlecht zugeordnet werden, sie werden in ihrer Geschlechtsuneindeutigkeit
nicht anerkannt. Im Vornamens- und im Personenstandrecht unterliegen sie der
Festlegung (männlich respektive weiblich), die die Fürsorgeberechtigten kurz
nach Geburt treffen müssen. Doch diese Festlegung kann zu Konflikten mit der
späteren geschlechtlichen und sexuellen Identität führen. Das Personenstands-
gesetz (PStG) verpflichtet zur Geburtsanzeige binnen einer Woche nach der
Geburt. In der Geburtsurkunde soll das Geschlecht angezeigt werden, dieses
kann auf Verlangen (§ 59 Absatz 2 PStRG) auch entfallen, allerdings ist nur der
Eintrag männlich oder weiblich möglich. Das Personenstandsrecht wird deshalb
den Bedürfnissen intersexueller Menschen nicht gerecht.

Transgender ist die Bezeichnung für Menschen, die sich mit ihrem zugewiese-
nen Geschlecht falsch oder unzureichend beschrieben fühlen oder jede Form der
Geschlechtszuweisung für sich ablehnen. Transgender wollen oder können sich
nicht einem Geschlecht zuordnen. Transgender wollen sich nicht dem Zwang
unterordnen sich für ein Geschlecht zu entscheiden, da sie nicht dauerhaft eine
sexuelle und geschlechtliche Identität annehmen wollen bzw. können. Das Per-
sonenstandsrecht wird deshalb den Bedürfnissen von Transgendern nicht ge-
recht.

Am 5. Dezember 2008 hat das BVerfG (1 BvR 576/07) entschieden, dass auch
geschlechtsuneindeutige Vornamen möglich sind. Diese Entscheidung ermög-
licht es bereits heutzutage, sich im Vornamen nicht auf ein Geschlecht festzu-
legen

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend ein Gesetz vorzulegen, welches das Transsexuellengesetz in der bis-
herigen Form aufhebt und durch Regelungen im Namens- und Personenstands-
recht rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Transsexuelle, Transgender und
Intersexuelle schafft und folgende Eckpunkte enthält:

1. Vornamensänderung

Eine Vornamensänderung wird auf Antrag vorgenommen, auf die Änderung be-
steht ein Rechtsanspruch. Mehrere Vornamen verschiedenen Geschlechts sind
möglich. Hierzu ist § 262 der Dienstanweisung für Standesbeamte entsprechend
zu ändern.

2. Personenstandsrechtlicher Geschlechtseintrag

Die nach geltendem Recht für die personenstandsrechtliche Geschlechtsände-
rung von Transsexuellen erforderliche „dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit“

(§ 8 Absatz 1 Nummer 3 TSG) und das Erfordernis der operativ herzustellenden

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12893

„deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“
(§ 8 Absatz 1 Nummer 4 TSG) dürfen keine Voraussetzungen mehr sein. Die
operative Herstellung der Fortpflanzungsunfähigkeit oder Geschlechts an-
gleichende Operationen sind keine Voraussetzung mehr für eine Änderung des
personenstandsrechtlichen Geschlechts. Unabhängig von operativen Maßnah-
men entsteht ein Jahr nach der Vornamensänderung ein Rechtsanspruch auf
Eintrag des Geschlechts, das der beanspruchten Geschlechtsidentität entspricht.
Neben den Eintragungen „weiblich“ und „männlich“ ist auch der Eintrag „inter-
sexuell“ oder „transgender“ möglich. Der Eintrag „intersexuell“ und „trans-
gender“ kann auf Antrag vom Eintrag im Reisepass abweichen.

Personen haben die Möglichkeit, ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit per
Willenserklärung eine Änderung des eingetragenen Geschlechts und/oder Vor-
namens zu erwirken.

Das gewährte Offenbarungsverbot des § 5 TSG ist auch bei Aufhebung des TSG
weiterhin rechtlich zu gewährleisten.

3. Lebenspartnerschaft und Ehe

Strebt ein Mensch, der in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft oder in einer
Ehe lebt, eine Personenstandsänderung an, wird eine mit Durchführung der Ge-
schlechtsänderung entstandene gleichgeschlechtliche Ehe in eine eingetragene
Lebenspartnerschaft umgewandelt und eine verschiedengeschlechtliche einge-
tragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe. Ehe und Lebenspartnerschaft werden
rechtlich vollständig gleichgestellt. Eine Vornamensänderung wirkt sich, ebenso
wie der Geschlechtseintrag „transgender“ oder „intersexuell“, nicht auf eine be-
stehende Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft aus. Menschen mit dem
Eintrag „intersexuell“ oder „transgender“ können sich frei zwischen Ehe oder
eingetragener Lebenspartnerschaft entscheiden.

4. Geltungsbereich

Die neuen Regelungen des Namens- und Personenstandsrechts gelten uneinge-
schränkt auch für Ausländerinnen und Ausländer, die ihren Wohnsitz in
Deutschland haben oder sich (unabhängig vom Aufenthaltstitel) voraussichtlich
länger in Deutschland aufhalten werden. Für Geduldete und Asylsuchende ist
nach einem Aufenthalt von drei Jahren von einem dauerhaften Aufenthalt aus-
zugehen.

Durch die Regelung einer Einzelfallprüfung ist ein früherer Zugang zum TSG
zu ermöglichen, wenn die psychische oder physische Situation der/des Betroffe-
nen es erfordert.

5. Förderung unabhängiger Beratungsnetzwerke und nichtmedizinischer
Forschung

Die Aufnahme der Förderung unabhängiger Beratungsnetzwerke für Transsexu-
elle, Transgender und Intersexuelle in den Bundeshaushalt, die Initiierung einer
Kampagne gegen Diskriminierungen wegen der geschlechtlichen und sexuellen
Identität durch eine Institution des Bundes, die aktiv Einzelpersonen und Insti-
tutionen informiert und berät, und die Förderung nichtmedizinischer Forschung
zu den Themen Transsexualität, Transgender und Intersexualität wird vorge-
nommen.

6. Übernahme der Kosten für geschlechtsangleichende medizinische Maßnah-
men durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Die Kosten geschlechtsangleichender medizinischer Maßnahmen (d. h. Hor-

mon-Therapie und geschlechtsangleichende chirurgische Maßnahmen, und psy-
chologische Begleitung) müssen durch die GKV verbindlich übernommen

Drucksache 16/12893 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

werden. Dies gilt insbesondere für Intersexuelle, die nach der Pubertät eine an-
dere als die festgelegte Geschlechtsidentität beanspruchen. Hierzu sollte es eine
einheitliche gesetzliche Regelung geben, um die bisherigen sehr unterschied-
lichen Handhabungspraxen der einzelnen Krankenkassen zu vereinheitlichen
und zu vereinfachen. Die Betroffenen haben das Recht, so weit sie dies wün-
schen, zu umfangreichen von der GKV bezahlten medizinischen Maßnahmen,
die ihrer Geschlechtsidentität gerecht werden.

Berlin, den 6. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

I.

Zu Nummer 1

Das Transsexuellengesetz stellte bei seiner Einführung im Jahr 1980 eine erheb-
liche Erleichterung für die Betroffenen dar. Erstmals wurden Transsexuelle
rechtlich anerkannt. Nach fast drei Jahrzehnten Erfahrung mit dem Transsexuel-
lengesetz hat sich gezeigt, dass das TSG trotzdem noch immer in erheblicher
Weise in die Grundrechte von Transsexuellen eingreift und ihr Recht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit einschränkt. Das TSG ist in wesentlichen Punkten
nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Im Mai 2008 entschied das BVerfG, dass das Erfordernis der Ehelosigkeit für
einen personenstandsrechtlichen Geschlechtswechsel eines transsexuellen Men-
schen mit dem Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen
Identität (Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 GG) und dem von Arti-
kel 6 Absatz 1 GG geschützten Interesse am Fortbestand der Ehe unvereinbar sei
(BVerfG v. 27. Mai 2008, Az.: 1 BvL 10/05). Damit sind bis zu einer gesetz-
lichen Neuregelung gleichgeschlechtliche Ehen auch in Deutschland rechtlich
möglich, zumindest wenn sie durch einen personenstandsrechtlichen Ge-
schlechtswechsel eines Partners entstehen. Bisher bestimmt das Transsexuellen-
gesetz, dass eine Veränderung des Geschlechtseintrags nur möglich sei, wenn
die betreffende Person nicht verheiratet ist (§ 8 Absatz 1 Nummer 2 TSG). Um
den gewünschten Geschlechtseintrag zu erhalten, müssen sich verheiratete Be-
troffene also scheiden lassen, auch wenn sie das nicht wollten. Das BVerfG hat
den Gesetzgeber aufgetragen, zu einer Neuregelung mit einer Fristsetzung zum
1. August 2009 zu kommen. Aus diesem Grunde muss der Gesetzgeber aktiv
werden.

Bereits im Jahr 2005 hat das BVerfG entschieden, dass eine Bestimmung, die
den Verlust des geänderten Vornamens regelt, wenn die Person eine Ehe eingeht,
verfassungswidrig ist (BVerfG v. 6. Dezember 2005, Az.: 1 BvL 3/03, BVerfGE
115, 1). Im entschiedenen Fall hatte ein sich als Frau fühlender Mann einen dem
empfundenen Geschlecht entsprechenden Vornamen angenommen, wurde aber
personenstandsrechtlich weiter als Mann geführt. Ihre Beziehung zu einer Frau
konnte weder in der eingetragenen Lebenspartnerschaft, welche gleichge-
schlechtlichen Personen vorbehalten ist, noch ohne Vornamensverlust in der Ehe
rechtlich abgesichert werden, weil § 7 Absatz 1 Nummer 3 TSG für den Fall der
Eheschließung den Vornamensverlust anordnet.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12893

Das BVerfG erklärte diese Regelung mit Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 1
Absatz 1 GG für unvereinbar und bestimmte, dass § 7 Absatz 1 Nummer 3 TSG
nicht anwendbar ist, bis homosexuell orientierten Transsexuellen das Eingehen
einer rechtlich abgesicherten Partnerschaft ohne Vornamensverlust ermöglicht
wird. Bis heute wurde keine Neuregelung für solche Fälle vorgenommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem entschieden, dass der deutsche
Gesetzgeber in § 1 Absatz 1 Nummer 1 TSG ausländischen Transsexuellen, die
sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten und
deren Heimatland keine dem TSG vergleichbaren Regelungen kennt, nicht auf
Dauer das Recht vorenthalten darf, Namen und Geschlechtszugehörigkeit zu
ändern (BVerfG vom 18. Juli 2006, Az.: 1 BvL 1/04, 1 BvL 12/04, BVerfGE
116, 243).

Zu Nummer 2

I.

Nach Angaben der Bundesregierung leben in Deutschland etwa 8 000 bis 10 000
Menschen „mit schwerwiegenden Abweichungen der Geschlechtsentwicklung“
(Bundestagsdrucksache 16/4786). Der Verein Intersexuelle Menschen e. V.
spricht von 80 000 bis 120 000 Menschen (vgl. CEDAW Schattenbericht 2008
(CEDAW: Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau). Intersexuelle sind in ihrer geschlechtlichen und
sexuellen Identität rechtlich nicht anerkannt. Die an ihnen nach der Geburt vor-
genommene Geschlechtszuweisung entspricht nicht immer ihrer Geschlecht-
lichkeit. Häufig kommt es im Rahmen der Pubertät zu einer anderen bean-
spruchten Geschlechtlichkeit, als der bei Geburt festgelegten. Intersexuelle und
ihre Eltern werden mit der Problematik weitgehend allein gelassen, so dass sie
meist dem Rat der Ärzte nach einer frühzeitigen Geschlechtszuweisung folgen
und dies häufig mit erheblichen physischen und psychischen Folgen für die Be-
troffenen verbunden ist. Insbesondere fehlt es an qualifizierter Beratung für die
Fürsorgeberechtigten intersexueller Menschen, da diese allein vor dem Problem
stehen, wie man ein Kind aufziehen kann, ohne ihm eine Geschlechtsidentität
zuzuweisen. Eine Änderung des Personenstandsrechts ist im Sinne der Betroffe-
nen dringend geboten, da ihre geschlechtliche Situation bislang rechtlich unbe-
rücksichtigt blieb.

Viele Intersexuelle klagen gegen die medizinischen Eingriffe, die während ihrer
Kindheit an ihnen vorgenommen wurden, da Mediziner schon in frühem Le-
bensalter damit beginnen – z. T. kurz nach der Geburt – medizinische Eingriffe
vorzunehmen, die die Betroffenen einem Geschlecht zuweisen sollen. Viele Be-
troffene leiden unter den Eingriffen, da sich später eine andere Geschlechtsiden-
tität herausbildet. Zudem kommt es nach den medizinischen Eingriffen zu er-
heblichen Nachfolgebehandlungen, weiteren medizinischen Eingriffen und
Hormonersatztherapien. Die mittel- und langfristigen Folgen können mit star-
ken physischen und psychischen Belastungen verbunden sein, letztere können
traumatische Auswirkungen haben, die im Suizid enden. Betroffene beklagen
die frühzeitigen medizinischen Maßnahmen. Diese frühzeitigen medizinischen
Eingriffe werden zunehmend auch juristisch als Unrecht anerkannt (OLG Köln
vom 3. September 2008, Az. 5 U51/08). Deshalb fordern Interessensverbände
wie Intersexuelle Menschen e. V., dass es erst zu medizinischen Eingriffen zur
Zuweisung eines Geschlechts kommen darf, wenn die Betroffenen eindeutig
ihren Willen äußern können. Viele Mediziner raten frühzeitig zu medizinischen
Eingriffen und verweisen auf das Personenstandsrecht, das nach § 59 des Perso-
nenstandsrechtsreformgesetz (PStRG) zur Festlegung des Geschlechts ver-
pflichtet. Eine Änderung des Personenstandsrechts, die auch den Eintrag „trans-

gender“ und „intersexuell“ ermöglicht, würde diesen Verweis fortan als unplau-
sibel erscheinen lassen.

Drucksache 16/12893 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Viele Betroffene wollen auch sozial in ihrer Geschlechtsidentität als Inter-
sexuelle anerkannt werden. Intersexuelle Menschen leiden unter der gesell-
schaftliche Tabuierung, sie haben nur selten die Möglichkeit, über ihre sexuelle
und geschlechtliche Identität zu sprechen.

Transgender leiden darunter, dass es gesellschaftlich kaum möglich und vor-
stellbar erscheint, zwischen den Geschlechtern zu leben. Sie wollen nicht eine
geschlechtliche und sexuelle Identität einnehmen. Viele lehnen auch die Gegen-
überstellung von Homo- und Heterosexualität ab, weil sie ebenfalls nicht eine
sexuelle Identität annehmen wollen bzw. sinnvollerweise nicht können. Trans-
gender wollen keine geschlechtsangleichenden Maßnahmen vollziehen, darin
unterscheiden sie sich von Transsexuellen, die eben dies vollziehen wollen bzw.
müssen.

„Zu den Paradoxien unserer Kultur gehört, dass wir einerseits nur zwei Ge-
schlechter kennen, andererseits aber, was wir alle ahnen, so viele Geschlechter
existieren wie Menschen, weil nur dann von einem Individuum gesprochen wer-
den kann, wenn es einmalig und unverwechselbar ist. Keine Weiblichkeit gleicht
der anderen, keine Männlichkeit ist identisch mit der anderen […] und doch
pressen die großen Raster uns alle entweder in die eine oder die andere Katego-
rie. Heute geht es zwar laxer zu in dieser Hinsicht und auch etwas vielfältiger.
Noch aber wollen die Menschen wissen, ob sie nun ein männliches oder ein
weibliches Wesen vor sich haben.“ (Volkmar Sigusch, Neosexualitäten. Über
den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion, Frankfurt a. M. 2005, S. 158).

Unter dieser Problematik leiden Intersexuelle und Transgenders. Eine Verände-
rung des Personenstands und des Vornamensrechts, das ihre geschlechtliche und
sexuelle Identität anerkennt, würde ihre rechtliche Situation gravierend ver-
bessern und anerkennen, dass die gesellschaftliche Zuschreibung von nur zwei
Geschlechtern unzureichend ist.

II.

Das TSG war bei seiner Einführung im Jahr 1980 für transsexuelle Menschen
eine erhebliche Verbesserung, sie wurden zum ersten Mal rechtlich anerkannt.
Doch das TSG erwies sich als unzureichend und nicht als verfassungskonform.
Mit der zunehmenden Anerkennung von Intersexuellen und Transgendern in der
Gesellschaft reift die Erkenntnis, dass auch ihrem Recht auf persönliche Entfal-
tung Rechnung getragen werden muss. Ein Reformwerk, welches die Rechte
von Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen in einem Konzept zu lö-
sen vermag, ist seit langem überfällig. Nicht alle Probleme können durch eine
Reform des Personenstandsrechts und des Rechts der Partnerschaften gelöst
werden. Es bedarf umfassender Anstrengungen im Sinne einer politischen Quer-
schnittsstrategie in allen Bereichen und auf allen Ebenen, um Diskriminierungen
wegen der sexuellen Identität und Orientierung gesellschaftlich zu ächten und
gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen in allen Lebensbereichen sicherzu-
stellen. Die vorgeschlagenen Verbesserungen sind daher nur als erster Schritt zu
sehen, welcher längst überfällige Korrekturen des Rechts endlich vollzieht und
eine Grundlage für eine umfassende Politik der Lebensweisen legt.

1. Vornamensänderung

Jeder Mensch soll auf Antrag die Möglichkeit zur Änderung des eigenen Vorna-
mens erhalten, so wie dies in Großbritannien bereits seit 2004 möglich ist. Durch
eine Aufhebung der Voraussetzung des Gefühls der Zugehörigkeit zum „ande-
ren“ Geschlecht und andererseits der Zulassung mehrerer Vornamen unter-
schiedlicher geschlechtlicher Konnotation, wird auch eine Vornamensänderung
für Menschen, die sich selbst geschlechtlich zwischen den Polen männlich und

weiblich verorten, möglich. In Österreich besteht seit dem Transsexuellenerlass
von 1996 bereits die Möglichkeit für einen geschlechtsneutralen Namen. Dem

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/12893

hat auch das BVerfG am 5. Dezember 2008 Rechnung getragen, indem es ge-
schlechtsuneindeutige Vornamen ausdrücklich erlaubte. Zur Verhinderung einer
vielfachen Inanspruchnahme der Vornamensänderung, bestünde die Möglich-
keit, die Gebühren für die Vornamensänderung ab der ersten erfolgten Vorna-
mensänderung zu staffeln.

2. Personenstandsrechtlicher Geschlechtseintrag

Die Herstellung der dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit ist ein schwerwie-
gender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Dieser schwerwiegende Ein-
griff ist als Voraussetzung für eine personenstandsrechtliche Änderung des Ge-
schlechtseintrages abzuschaffen. Die Herstellung der Fortpflanzungsunfähigkeit
ist ein Eingriff, den viele Betroffene nicht wünschen und an dessen Durchfüh-
rung kein öffentliches Interesse besteht. Medizinische Eingriffe bedeuten in die-
sem Zusammenhang das „in Kauf nehmen“ auch schwerer gesundheitlicher
Risiken. Es sollten diese Eingriffe keinesfalls zur Voraussetzung gemacht wer-
den, um den Personenstand zu ändern. Geschlechterbilder sind heutzutage viel-
fältig geworden, deshalb ist die „deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild
des anderen Geschlechts“ letztlich eine persönliche Entscheidung jedes und
jeder Einzelnen und ohne Belang für die rechtliche Anerkennung als dem emp-
fundenen Geschlecht Zugehörige bzw. Zugehöriger.

3. Lebenspartnerschaft und Ehe

Aufgrund der Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartner-
schaft bezogen auf die Privilegien, welche der Ehe vorbehalten bleiben, kann
eine personenstandsrechtliche Veränderung mit erheblichen Nachteilen verbun-
den sein. Es ist zu begrüßen, dass das BVerfG in mehreren Entscheidungen be-
tont hat, dass das Recht auf Entfaltung der eigenen Geschlechtsidentität und der
Schutz bestehender Ehen wichtiger sind, als die formalrechtliche Verteidigung
des Instituts der Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Letztlich
spricht aber nichts für eine unterschiedliche Behandlung homosexueller und
heterosexueller Beziehungen. Die Diskriminierung homosexueller Lebenspart-
nerschaften gegenüber heterosexuellen Lebensgemeinschaften muss endlich be-
endet werden. Dies ist nicht nur politisch geboten, sondern auch europarechtlich
zwingend (vgl. EuGH Urteil vom 1. April 2008, Az.: C-267/06, Maruko). Durch
die Gleichstellung beider Formen institutionalisierter Partnerschaften sind auch
die Probleme, die durch eine personenstandsrechtliche Veränderung entstehen,
entschärft, denn die Problematik der Aufrechterhaltung entstandener Privilegien
in einer Ehe bei eventueller Umwandlung der Ehe in eine andere rechtlich abge-
sicherte Partnerschaft entfällt.

4. Geltungsbereich

Die Möglichkeit, gemäß der eigenen gefühlten Geschlechtsidentität zu leben
und anerkannt zu werden, kann sich nicht nur auf sich rechtmäßig dauerhaft in
Deutschland lebende Ausländer und Ausländerinnen erstrecken. Stattdessen
müssen auch für andere voraussichtlich dauerhaft in Deutschland lebende Aus-
länder und Ausländerinnen die neu zu schaffenden Gestaltungsmöglichkeiten
offenstehen.

5. Förderung unabhängiger Beratungsnetzwerke und nichtmedizinischer
Forschung

Bisher hat die Bundesregierung keine Förderung unabhängiger Beratungsnetz-
werke für Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle betrieben. Das soll sich
ändern, weil ein Bedarf an unabhängiger Beratung besteht. Die Forschung, ins-

besondere zur Intersexualität beschränkt sich auf medizinische Forschung und
liefert keine Erkenntnisse zur sozialen Situation intersexueller Menschen (vgl.

Drucksache 16/12893 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
„Situation Intersexueller in Deutschland“, Bundestagsdrucksache 16/4786,
Seite 7).

6. Übernahme der Kosten durch die GKV

Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. August 1987
(Az. 3 RK 15/86) sind die Kosten für medizinische Maßnahmen, inklusive der
für die operativen Veränderungen, von den Krankenkassen zu tragen, sofern ein
„Leidensdruck“ besteht, der durch diese Maßnahmen zumindest gelindert wer-
den kann und sofern die „Zweckmäßigkeit“ der Maßnahmen nachgewiesen sei.
Das ist dann der Fall, wenn „psychiatrische und psychotherapeutische Behand-
lungen“ erfolglos gewesen sind. Diese Auffassung ist durch das Urteil des BSG
vom 10. Februar 1993 (Az. 1 RK 14/92) bekräftigt worden. In der Praxis handeln
die Krankenkassen sehr unterschiedlich. Sie schalten den Medizinischen Dienst
der Krankenversicherung (MDK) ein, der zu sehr unterschiedlichen Auslegun-
gen kommt. Zweckmäßig ist eine einheitliche gesetzliche Regelung, die die
GKV zur Kostenübernahme der medizinischen Eingriffe, der Hormontherapie
sowie einer umfangreichen Beratung verpflichtet, statt wie bislang die Betroffe-
nen mit hohen Hürden zu drangsalieren.

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